Entscheidungsstichwort (Thema)
Anwendung von Art. 4 Unterabs. 2 VO (EWG) Nr. 1495/80 und Art. 3 Abs. 1 VO (EWG) Nr. 1224/80
Leitsatz (amtlich)
Zur Anwendung von Art.4 Unterabs.2 VO (EWG) Nr.1495/80 und von Art.3 Abs.1 VO (EWG) Nr.1224/80 auf Fälle, in denen die Ware bereits bei ihrer Lieferung an den Käufer mit einem Sachmangel behaftet war.
Orientierungssatz
1. Vorlage an den EuGH: 1.1. Ist Art. 4 Unterabs. 2 der VO (EWG) Nr. 1495/80 der Kommission vom 11. Juni 1980 (ABlEG 1980 L 154/14) in der Fassung der VO (EWG) Nr. 1580/81 der Kommission (ABlEG 1981 L 154/36) auch anzuwenden, wenn die gekaufte Ware schon vor dem Übergang des Risikos etwaiger Beschädigungen (Gefahrenübergang) auf den Käufer mit wertmindernden Mängeln (Sachmängel) behaftet war?
1.2. Bei Verneinung der Frage zu 1.1: Ist Art. 3 Abs. 1 der VO (EWG) Nr. 1224/80 des Rates vom 28. Mai 1980 (ABlEG 1980 L 134/1) dahin auszulegen, daß der Transaktionswert allein aufgrund der Vereinbarung eines neuen Kaufpreises unter Berücksichtigung des festgestellten Sachmangels bestimmt wird oder ist entscheidend, daß die den ursprünglichen Kaufpreis ändernde Vereinbarung auch tatsächlich durchgeführt wird?
Normenkette
EWGV 1224/80 Art. 3 Abs. 1; EWGV 1495/80 Art. 4UAbs. 2; EWGV 1430/79 Art. 2; EWGVtr Art. 177 Abs. 1, 3
Nachgehend
Tatbestand
I. Im Juli 1984 beantragte die Klägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin) beim Beklagten und Revisionskläger (Hauptzollamt --HZA--) für 440 Kartons "Fleisch von Hausrindern, gekühlt, Teilstücke ohne Knochen" die Abfertigung zum freien Verkehr. Die Warenanmeldung enthielt keine Angaben über Qualitätsmängel oder Hinweise auf besondere, von den Angaben in der Rechnung abweichende Beschaffenheitsmerkmale der Ware.
Das HZA fertigte die Waren nach stichprobenweiser Beschau wie beantragt ab und erteilte auf der Basis des gezahlten Rechnungspreises und nach Vorlage des Einkaufskontrakts einen Bescheid über Zollabgaben in bestimmter Höhe.
Mit Schreiben vom Oktober 1984 bat die Klägerin um Erstattung von Eingangsabgaben, da bei einem Teil der eingeführten Partie Frischfleisch erhebliche Mängel festgestellt worden waren. Diesem Schreiben war als Nachweis das Schadensgutachten des Sachverständigen H in Kopie beigefügt. Gemäß dem Gutachten waren von den 440 Kartons 152 Kartons mit 3 628 kg Fleisch verdorben; es handelte sich um einen Totalverlust, weil das Fleisch für den menschlichen Genuß nicht mehr verwertbar war. Die Klägerin erteilte nach ihren Angaben ihrem Abnehmer für die gelieferte beanstandete Ware eine Gutschrift; die vom HZA erbetene Bescheinigung der Tierkörperverwertungsanstalt konnte sie nicht vorlegen. Sie erklärte später, das Rindfleisch auf Basis fob M in U gekauft und mittels eines unwiderruflichen Dokumentenakkreditivs bezahlt zu haben. Die ihr im Auftrag einer mit der Verkäuferin verbundenen Firma erteilte Gutschriftnote des in der Angelegenheit tätiggewordenen Maklers sei nicht bezahlt worden.
Das HZA lehnte die beantragte Erstattung ab. Der gegen den ablehnenden Bescheid erhobene Einspruch blieb erfolglos. Das Finanzgericht (FG) gab der gegen die Ablehnung der begehrten Erstattung erhobenen Klage statt und verpflichtete das HZA, dem Erstattungsantrag zu entsprechen. Es führte aus, die Klägerin habe gemäß Art.2 Abs.1 der Verordnung (EWG) Nr.1430/79 (VO Nr.1430/79) des Rates vom 2.Juli 1979 (Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften --ABlEG-- L 175/1) einen Anspruch auf Erstattung des auf die mangelhafte Ware entfallenden Zolls, weil der buchmäßig erfaßte Betrag die gesetzlich zu erhebenden Abgaben übersteige. Nach Art.2 Abs.1 i.V.m. Art.3 Abs.1 der Verordnung (EWG) Nr.1224/80 (VO Nr.1224/80) des Rates vom 28.Mai 1980 (ABlEG L 134/1) sei Zollwert der eingeführten Waren der Transaktionswert, d.h. der für die Waren bei einem Verkauf zur Ausfuhr in das Zollgebiet der Gemeinschaft tatsächlich gezahlte oder zu zahlende Preis. Der Begriff "tatsächlich gezahlter oder zu zahlender Preis" i.S. von Art.3 Abs.1 VO Nr.1224/80 sei durch Art.4 der Verordnung (EWG) Nr.1495/80 (VO Nr.1495/80) der Kommission vom 11.Juni 1980 (ABlEG L 154/14) i.d.F. der Änderungsverordnung (EWG) Nr.1580/81 (ABlEG L 154/36) --VO Nr.1495/80-- präzisiert worden. Eine verhältnismäßige Aufteilung des tatsächlich gezahlten oder zu zahlenden Preises erfolge danach auch im Falle einer Teilbeschädigung der zu liefernden Ware vor der Abfertigung zum freien Verkehr. Der Mangel bleibe insoweit unverzollt.
Dies gelte auch im vorliegenden Fall, in dem der Ablader gemäß Kaufvertrag "frische, gesunde, handelsübliche" Ware fob M zu liefern gehabt habe. Nach dem Sachverständigengutachten stehe fest, daß diese Qualität für einen Teil der Ware nicht geliefert worden sei, weil nach dem Gutachten davon ausgegangen werden müsse, daß der verdorbene Teil der gelieferten Waren ein Totalverlust gewesen sei.
Mit seiner Revision macht das HZA insbesondere geltend, Art.4 Unterabs.2 VO Nr.1495/80 könne entgegen der Auffassung des FG auf den vorliegenden Fall nicht angewendet werden, weil das Rindfleisch bereits mit einem Sachmangel behaftet verkauft worden sei. Diese Vorschrift greife nur, wenn die Beschädigung der Ware erst eingetreten sei, nachdem die Gefahr für die Beschädigung auf den Käufer übergegangen sei.
Entscheidungsgründe
II. Zutreffend ist das FG davon ausgegangen, daß im vorliegenden Fall eine Erstattung des Zolls nur nach Art.2 VO Nr.1430/79 in Betracht kommt, wonach der Zoll zu erstatten ist, wenn die buchmäßig erfaßten Abgaben die gesetzlich zu erhebenden in irgendeiner Weise übersteigen. Bei der Prüfung dieser Voraussetzungen ergeben sich jedoch Zweifel über die Auslegung der VO Nr.1224/80 und der VO Nr.1495/80 betreffend den Zollwert des eingeführten Rindfleischs. Der Senat ist daher nach Art.177 Abs.1 und 3 des Vertrages zur Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft zur Einholung einer Vorabentscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften verpflichtet.
Das vom Verkäufer gelieferte Rindfleisch war --wie das FG festgestellt hat-- teilweise mit einem Mangel behaftet, der einem Totalverlust gleichkam und daher seinen Wert auf null minderte. Der Senat ist insoweit an die tatsächlich getroffenen Feststellungen des FG gebunden.
Unstreitig ist zwischen den Beteiligten, daß der Mangel bereits bei der Lieferung des Rindfleischs an den Käufer --also vor dem Übergang der Gefahr für etwaige Beschädigungen während des Transports auf die Klägerin-- vorhanden war.
Der Gerichtshof hat bereits in seinem Urteil vom 12.Juni 1986 Rs.183/85 (EuGHE 1986, 1873) entschieden, daß der Begriff "tatsächlich gezahlter oder zu zahlender Preis" i.S. von Art.3 Abs.1 VO Nr.1224/80 durch Art.4 der VO Nr.1495/80 präzisiert wird und der für die Berechnung des Zollwerts maßgebliche Preis proportional zur eingetretenen Beschädigung herabzusetzen ist (Tz.18/19). Zweifel bestehen aber, ob diese Grundsätze über den entschiedenen Sachverhalt hinaus auch im vorliegenden Fall zu beachten sind, in dem die Ware bereits bei Lieferung an die Klägerin mangelhaft war.
Für die Anwendung des Art.4 Unterabs.2 VO Nr.1495/80 auch auf diesen Fall könnte dessen Wortlaut sprechen, der nur auf den Umstand der Beschädigung der Ware vor ihrer Abfertigung zum freien Verkehr abstellt, ohne Art und Zeitpunkt der Beschädigung näher festzulegen. Ferner könnte der wirtschaftliche Zweck des durch die VO Nr.1224/80 neu eingeführten Zollwertsystems dafür sprechen, das von einer Verzollung der eingeführten Ware ausgeht und nicht mehr einen fiktiven Kaufpreis der Verzollung zugrunde legt. Diesem Zweck könnte es zuwiderlaufen, wenn im vorliegenden Fall trotz der festgestellten Wertminderung der Verzollung nur deswegen der gezahlte Kaufpreis zugrunde zu legen wäre, weil es der Klägerin bisher nicht gelang, von der Verkäuferin die tatsächliche Erstattung des gezahlten Kaufpreises in Höhe der Wertminderung zu erreichen. Außerdem wäre eine solche Regelung auch nicht erforderlich, um die Schutzfunktion, die der Zoll als Wirtschaftszoll hat, zu gewährleisten. Denn insoweit ist nicht der gezahlte Kaufpreis, sondern nur die Qualität der eingeführten Ware von Bedeutung; der Kaufpreis ist insoweit nur ein Anhaltspunkt für den tatsächlichen Wert der eingeführten Ware.
Für die gegenteilige --den Anwendungsbereich des Art.4 Unterabs.2 VO Nr.1495/80 auf Transportschäden beschränkende-- Auffassung des HZA könnte zunächst die erläuternde Note 3.1 des Technischen Ausschusses für den Zollwert beim Rat für die Zusammenarbeit auf dem Gebiete des Zollwesens sprechen, die allerdings keine Gesetzeskraft hat. Demnach wird ein deutlicher Unterschied zwischen Waren, die den Vertragsbedingungen nicht entsprechen (Sachmangel) und beschädigten Waren gemacht. Für Waren, die mit einem Sachmangel behaftet sind, wird danach grundsätzlich der gezahlte oder zu zahlende Kaufpreis zugrunde gelegt. Diese Unterscheidung ließe sich auch im Wortlaut des Art.4 Unterabs.2 VO Nr.1495/80 bestätigt finden, der eine "Beschädigung" der Ware voraussetzt, wenn man den Begriff der Beschädigung i.S. der vorstehenden Erläuterung als Gegensatz zum Sachmangel auslegt. Eine solche Lösung hätte vor allem verwaltungsökonomische Vorteile, denn dadurch werden Streitigkeiten zwischen Zollwertanmelder und Zollverwaltung über die Bewertung eines Sachmangels im Einzelfall vermieden und die Bewertung des Sachmangels der Vereinbarung der Vertragspartner überlassen.
Wäre hiernach Art.4 Unterabs.2 VO Nr.1495/80 nicht anzuwenden, so wäre zu klären, ob die Bestimmung des Transaktionswerts nach Art.3 Abs.1 VO Nr.1224/80 nur die Vereinbarung eines neuen Kaufpreises unter Berücksichtigung des Sachmangels voraussetzt --ob die im Auftrag der mit der Verkäuferin verbundenen Firma durch den eingeschalteten Makler erteilte Gutschrift eine solche Vereinbarung darstellt, müßte das FG ggf. noch feststellen-- oder ob der gezahlte Kaufpreis auch tatsächlich in Höhe der erteilten Gutschrift erstattet sein muß. Würde insoweit allein auf eine vertragliche Vereinbarung abzustellen sein, so könnte im vorliegenden Fall eine Erstattung des Zolls unter Berücksichtigung der erteilten Gutschrift in Betracht kommen. Käme es auf die tatsächliche Durchführung der Vereinbarung an, könnte der Zoll schon deshalb nicht erstattet werden, weil eine Zahlung aufgrund der Gutschrift nicht stattgefunden hat.
Wegen der hiernach bestehenden Zweifel über die Auslegung von Art.3 Abs.1 VO Nr.1224/80 und Art.4 Unterabs.2 VO Nr.1495/80 hat der Senat beschlossen, dem Gerichtshof folgende Auslegungsfragen vorzulegen:
1. Ist Art. 4 Unterabs. 2 der VO (EWG) Nr. 1495/80 der Kommission vom 11. Juni 1980 (ABlEG 1980 L 154/14) in der Fassung der VO (EWG) Nr. 1580/81 der Kommission (ABlEG 1981 L 154/36) auch anzuwenden, wenn die gekaufte Ware schon vor dem Übergang des Risikos etwaiger Beschädigungen (Gefahrenübergang) auf den Käufer mit wertmindernden Mängeln (Sachmängel) behaftet war?
2. Bei Verneinung der Frage zu 1: Ist Art. 3 Abs. 1 der VO (EWG) Nr. 1224/80 des Rates vom 28. Mai 1980 (ABlEG 1980 L 134/1) dahin auszulegen, daß der Transaktionswert allein aufgrund der Vereinbarung eines neuen Kaufpreises unter Berücksichtigung des festgestellten Sachmangels bestimmt wird oder ist entscheidend, daß die den ursprünglichen Kaufpreis ändernde Vereinbarung auch tatsächlich durchgeführt wird?
Fundstellen
Haufe-Index 63718 |
BFH/NV 1992, 38 |
BFHE 166, 515 |
BFHE 1992, 515 |
BB 1992, 556 (L) |
HFR 1992, 326 (LT) |
StE 1992, 214 (K) |