Entscheidungsstichwort (Thema)
Erlass von Säumniszuschlägen und ermessenslenkende Verwaltungsvorschriften; NZB: Darlegung einer Divergenz
Leitsatz (NV)
- Es bedarf keiner weiteren Klärung in einem Revisionsverfahren, dass über einen Antrag auf Erlass von Säumniszuschlägen auf Grund der besonderen Umstände des Einzelfalls zu entscheiden ist. Dies gilt auch, wenn ermessenslenkende Verwaltungsvorschriften existieren, die unter dem Gesichtspunkt der Selbstbindung der Verwaltung und damit der Beachtung des Gleichbehandlungsgrundsatzes bei der gerichtlichen Überprüfung von Ermessensentscheidungen von Bedeutung sein können.
- Maßgeblich für die Auslegung einer Verwaltungsvorschrift ist nicht, wie das Gericht eine solche Bestimmung verstünde, wenn sie Gesetz wäre, sondern wie die Verwaltung sie verstanden hat und verstanden wissen wollte. Das Revisionsgericht darf Verwaltungsanweisungen daher nicht selbst auslegen, sondern nur darauf überprüfen, ob die Auslegung durch die Behörde möglich ist.
- Die schlüssige Rüge einer Abweichung der Vorentscheidung in einer entscheidungserheblichen Rechtsfrage von einer Entscheidung des BFH oder eines FG setzt voraus, dass die Entscheidungen zu gleichen, vergleichbaren oder gleichgelagerten Sachverhalten ergangen sind.
Normenkette
AO 1977 §§ 227, 240; FGO § 115 Abs. 2 Nrn. 1-2, § 116 Abs. 3 S. 3
Tatbestand
I. Die Klägerin und Beschwerdegegnerin (Klägerin) entrichtete die von ihr geschuldete Mineralölsteuer in der Vergangenheit stets vor dem gesetzlichen Fälligkeitstag. Die für den Monat Juli 2001 am 10. September 2001 fällig gewordene Mineralölsteuer von … DM entrichtete die Klägerin mit einem unter dem 10. September 2001 ausgestellten Scheck, der am 12. September 2001 beim Beklagten und Beschwerdeführer (Hauptzollamt ―HZA―) einging. Hierdurch entstanden … DM Säumniszuschläge.
Die Klägerin beantragte den Erlass der Säumniszuschläge, was das HZA mit Bescheid vom .. September 2001 ablehnte. Nach erfolglosem Einspruch erhob die Klägerin Klage vor dem Finanzgericht (FG).
Das FG verpflichtete das HZA unter Aufhebung der angefochtenen Bescheide, der Klägerin die Säumniszuschläge zu erlassen. Zur Begründung führte das FG im Wesentlichen aus, die ablehnende Entscheidung des HZA sei ermessensfehlerhaft. Nach dem Anwendungserlass zur Abgabenordnung (AEAO) vom 15. Juli 1998 (BStBl I 1998, 630, zu § 240 Nr. 5 Abs. 2 Buchst. b) könnten einem bisher pünktlichen Steuerzahler, dem ein offenbares Versehen unterlaufen sei, Säumniszuschläge erlassen werden. Das HZA sei dem ihm durch den AEAO eingeräumten Ermessen nicht gerecht geworden, weil es angenommen habe, dass bei einem Organisationsverschulden kein offenbares Versehen vorliegen könne. Ein offenbares Versehen könne jedoch auch in einem schlichten Vergessen liegen und sich auf betriebliche Abläufe beziehen. Ein solches schlichtes Vergessen liege hier nahe. Der Klägerin sei in der Vergangenheit ein derartiger Fehler nicht unterlaufen. Im Streitfall könne nur ein schlichtes Vergessen der Bestellung einer Urlaubsvertretung der Grund für die unpünktliche Zahlung gewesen sein. Da es sich um einen einmaligen Vorfall gehandelt habe, die Zahlungen bislang überpünktlich entrichtet worden seien und die Klägerin ihre Zahlungsweise mittlerweile umgestellt habe, sei das Ermessen des HZA auf Null reduziert.
Hiergegen richtet sich die Nichtzulassungsbeschwerde des HZA. Die Rechtssache habe grundsätzliche Bedeutung. Das FG habe in seinem Urteil unzutreffend jedes schlichte Vergessen und damit auch schwerwiegendere Fehler bei der Organisation betrieblicher Abläufe einem offenbaren Versehen i.S. des AEAO zu § 240 Nr. 5 Abs. 2 Buchst. b gleichgestellt. Es sei die Rechtsfrage zu klären, ob der Ansicht des FG zu folgen sei. Da das FG die Rechtslage abweichend von einer allgemeinen Verwaltungsvorschrift beurteilt habe, lägen die Voraussetzungen des § 115 Abs. 2 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO) vor. Die Rechtsfrage sei auch klärungsbedürftig, weil sie sich aus dem Gesetz nicht beantworten lasse. Im Schrifttum und in der Rechtsprechung der FG sei umstritten, ob eine entschuldbare Säumnis oder ein Versehen des Steuerpflichtigen überhaupt eine sachliche Unbilligkeit begründen könne. Die Revision sei ferner zuzulassen, weil die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Bundesfinanzhofs (BFH) erfordere. Die Vorentscheidung weiche von dem Urteil des FG Köln vom 14. November 2001 7 K 6625/00 (Entscheidungen der Finanzgerichte ―EFG― 2002, 238) ab, wonach unter einem offenbaren Versehen i.S. des AEAO zu § 240 Nr. 5 Abs. 2 Buchst. b allenfalls ein leichter Verstoß gegen die bei der Steuerzahlung gebotene Sorgfaltspflicht zu verstehen sei.
Die Klägerin ist der Beschwerde entgegengetreten.
Entscheidungsgründe
II. Die Beschwerde hat keinen Erfolg.
1. Es kann dahinstehen, ob das HZA die von ihm geltend gemachte grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO) in der erforderlichen Weise dargelegt hat (§ 116 Abs. 3 Satz 3 FGO). Eine konkrete Rechtsfrage hat das HZA in seiner Beschwerdebegründung nicht formuliert, wie dies für die Darlegung der grundsätzlichen Bedeutung einer Rechtssache geboten ist (vgl. Senatsbeschluss vom 2. April 2002 VII B 66/01, BFH/NV 2002, 1308; BFH-Beschluss vom 27. Mai 2002 VIII B 150/01, BFH/NV 2002, 1463).
Selbst wenn man der Beschwerdebegründung des HZA eine konkrete Rechtsfrage entnehmen würde, wäre diese weder klärungsbedürftig noch klärungsfähig.
a) Es ist geklärt und bedarf daher keiner weiteren Klärung in einem Revisionsverfahren, dass über einen Antrag auf Erlass von Säumniszuschlägen auf Grund der besonderen Umstände des Einzelfalls zu entscheiden ist (vgl. BFH-Urteile vom 7. Juli 1999 X R 87/96, BFH/NV 2000, 161; vom 27. September 2001 X R 134/98, BFHE 196, 400, BStBl II 2002, 176). Dies gilt auch, wenn ermessenslenkende Verwaltungsvorschriften existieren, die unter dem Gesichtspunkt der Selbstbindung der Verwaltung und damit der Beachtung des Gleichbehandlungsgrundsatzes (Art. 3 Abs. 1 des Grundgesetzes) bei der gerichtlichen Überprüfung von Ermessensentscheidungen von Bedeutung sein können (vgl. Senatsurteile vom 25. November 1980 VII R 17/78, BFHE 132, 159, BStBl II 1981, 204; vom 7. Mai 1981 VII R 64/79, BFHE 133, 262, BStBl II 1981, 608).
b) Soweit das HZA in der Art einer Revisionsbegründung geltend macht, das FG habe den Begriff des offenbaren Versehens im AEAO zu § 240 Nr. 5 Abs. 2 Buchst. b unzutreffend ausgelegt, wendet es sich gegen die materielle Richtigkeit der Vorentscheidung. Dies kann indessen nicht zur Zulassung der Revision führen (vgl. BFH-Beschlüsse vom 2. November 2000 X B 39/00, BFH/NV 2001, 610; vom 4. Juli 2002 IX B 169/01, BFH/NV 2002, 1476).
Der Sache nach zielt das Vorbringen des HZA auf die Frage, wie der Begriff des offenbaren Versehens eines bisher pünktlichen Steuerzahlers im AEAO zu § 240 Nr. 5 Abs. 2 Buchst. b auszulegen ist. Diese Frage wäre in einem Revisionsverfahren nicht klärungsfähig, weil sie nicht revisibles Recht betrifft (§ 118 Abs. 1 FGO). Maßgeblich für die Auslegung einer Verwaltungsvorschrift ist nicht, wie das Gericht eine solche Bestimmung verstünde, wenn sie Gesetz wäre, sondern wie die Verwaltung sie verstanden hat und verstanden wissen wollte. Das Revisionsgericht darf Verwaltungsanweisungen daher nicht selbst auslegen, sondern nur darauf überprüfen, ob die Auslegung durch die Behörde möglich ist (vgl. BFH-Urteile vom 18. September 1986 VI R 102/85, BFHE 148, 25, BStBl II 1987, 128; vom 24. Oktober 2000 VI R 65/99, BFHE 193, 361, BStBl II 2001, 109).
c) Anders als das HZA meint, kommt der Rechtssache auch nicht deshalb grundsätzliche Bedeutung i.S. von § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO zu, weil das FG die Rechtslage abweichend von einer allgemeinen Verwaltungsvorschrift beurteilt hätte (vgl. hierzu Lange in Hübschmann/Hepp/Spitaler, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, 10. Aufl., § 115 FGO Rz. 97). Das FG hat den Streitfall nicht in Abweichung von einer allgemeinen Verwaltungsvorschrift entschieden, sondern einen Ermessensfehler des HZA angenommen, weil dieses den Begriff des offenbaren Versehens im AEAO zu § 240 Nr. 5 Abs. 2 Buchst. b unzutreffend ausgelegt habe und zu Unrecht davon ausgegangen sei, dass bei einem schlichten Vergessen der Organisation betrieblicher Abläufe kein offenbares Versehen vorliegen könne. Das FG hat damit die ermessenslenkende Verwaltungsvorschrift im AEAO zu § 240 Nr. 5 Abs. 2 Buchst. b seiner Entscheidung zugrunde gelegt und den Begriff des offenbaren Versehens lediglich anders verstanden als ihn das HZA verstehen möchte.
2. Die Revision ist auch nicht nach § 115 Abs. 2 Nr. 2 Alternative 2 FGO zuzulassen. Dabei kann offen bleiben, ob das HZA die von ihm geltend gemachte Abweichung der Vorentscheidung von dem Urteil des FG Köln in EFG 2002, 238 durch die Gegenüberstellung abstrakter Rechtssätze dargelegt hat, wie dies nach § 116 Abs. 3 Satz 3 FGO erforderlich ist (vgl. etwa Senatsbeschluss vom 11. Juli 2001 VII B 348/00, BFH/NV 2002, 33). Eine Divergenz liegt jedenfalls nicht vor.
a) Die schlüssige Rüge der Abweichung der Vorentscheidung in einer entscheidungserheblichen Rechtsfrage von einer Entscheidung des BFH oder eines FG setzt voraus, dass die Entscheidungen zu gleichen, vergleichbaren oder gleichgelagerten Sachverhalten ergangen sind (vgl. BFH-Beschluss vom 23. Juli 2001 III B 107/00, BFH/NV 2002, 36; Senatsbeschluss vom 27. März 2002 VII B 190/01, BFH/NV 2002, 1275). Der Sachverhalt, der dem Urteil des FG Köln in EFG 2002, 238 zugrunde lag, ist mit dem Streitfall jedoch nicht zu vergleichen.
Das FG Köln hat sein Urteil in EFG 2002, 238 maßgeblich darauf gestützt, dass in dem entschiedenen Fall keine nur geringfügige Überschreitung der Schonfrist des § 240 Abs. 3 der Abgabenordnung (AO 1977), sondern eine Säumnis von mehr als sechs Wochen vorlag. Demgegenüber hat die Klägerin im Streitfall die Mineralölsteuer lediglich zwei Tage nach dem Fälligkeitstag entrichtet.
b) Unbeschadet dessen hat das FG in der Vorentscheidung auch keinen abstrakten Rechtssatz aufgestellt, der in Widerspruch zu den Ausführungen des FG Köln in seinem Urteil in EFG 2002, 238 stehen würde, wonach ein offenbares Versehen i.S. des AEAO zu § 240 Nr. 5 Abs. 2 Buchst. b allenfalls bei einem leichten Verstoß gegen die bei der Steuerzahlung gebotene Sorgfaltspflicht angenommen werden könne. Das FG ist in der Vorentscheidung nicht davon ausgegangen, dass auch schwere Verstöße gegen die einem Steuerschuldner obliegenden Sorgfaltspflichten als offenbare Versehen angesehen werden könnten. Das FG hat lediglich ausgeführt, dass ein offenbares Versehen auch in einem schlichten Vergessen, das sich auf betriebliche Abläufe beziehe, liegen könne.
Fundstellen
Haufe-Index 929064 |
BFH/NV 2003, 816 |