Entscheidungsstichwort (Thema)
Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör
Leitsatz (NV)
Eine Überraschungsentscheidung und damit eine Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör liegt nicht vor, wenn ein Gesichtspunkt Grundlage des Urteils ist, den ein Beteiligter im gerichtlichen oder im außergerichtlichen Vorverfahren angesprochen hat.
Normenkette
GG Art. 103 Abs. 1; FGO § 155; ZPO § 139 Abs. 2
Verfahrensgang
FG Münster (Urteil vom 12.04.2002; Aktenzeichen 14 K 5959/98 E,U,F) |
Gründe
1. Die Beschwerde ist unzulässig. Der Beklagte und Beschwerdeführer (Beklagter) hat in der Beschwerdebegründung nicht in der erforderlichen Weise einen Verfahrensmangel i.S. von § 115 Abs. 2 Nr. 3 der Finanzgerichtsordnung (FGO) dargelegt.
a) Ein Verfahrensmangel liegt zwar dann vor, wenn das Finanzgericht (FG) eine Überraschungsentscheidung getroffen und dadurch den Anspruch der Beteiligten auf rechtliches Gehör gemäß Art. 103 Abs. 1 des Grundgesetzes (GG) verletzt hat (Urteil des Bundesverfassungsgerichts ―BVerfG― vom 8. Juli 1997 1 BvR 1934/93, Neue Juristische Wochenschrift ―NJW― 1997, 2305). Will das FG sein Urteil auf einen Gesichtspunkt stützen, den ein Beteiligter erkennbar übersehen oder für unwesentlich gehalten hat, muss es ihn gemäß § 139 Abs. 2 der Zivilprozessordnung (ZPO) i.V.m. § 155 FGO auf den Gesichtspunkt hinweisen und ihm Gelegenheit zur Stellungnahme geben. Eine solche Überraschungsentscheidung liegt aber nur dann vor, wenn ein solcher Gesichtspunkt Grundlage des Urteils ist, der dem Rechtsstreit eine Wendung gibt, mit der auch ein kundiger Beteiligter nach dem bisherigen Verfahrensverlauf nicht rechnen konnte. Dies ist dann nicht der Fall, wenn dieser Gesichtspunkt von den Verfahrensbeteiligten im gerichtlichen Verfahren oder im außergerichtlichen Vorverfahren angesprochen worden ist (vgl. Beschlüsse des Bundesfinanzhofs ―BFH― vom 14. Oktober 2003 X B 77/03, juris, und vom 15. Juni 2001 VII B 45/01, BFH/NV 2001, 1580).
Aus diesem Grund genügt es zur schlüssigen Darlegung eines solchen Verfahrensmangels nicht, dass lediglich vorgetragen wird, das FG habe im Rahmen der Durchführung von die Streitsache betreffenden Terminen auf den maßgeblichen Gesichtspunkt nicht hingewiesen, wenn nicht auch das Vorbringen der Beteiligten dargestellt wird.
Der Beklagte hätte sich in seiner Beschwerdebegründung insbesondere auch damit auseinander setzen müssen, dass die Kläger und Beschwerdegegner (Kläger) im Rahmen ihrer Klage den Standpunkt eingenommen haben, es sei für die Frage der Realisierung des Ausgleichsanspruchs gemäß § 89b Abs. 1 Satz 1 des Handelsgesetzbuchs (HGB), der dem Kläger zu 1 gegenüber dem Unternehmer zugestanden hat, unmaßgeblich, dass dieser Anspruch von diesem Kläger an den Kläger zu 2 abgetreten worden ist. Auch haben die Kläger im Erörterungstermin vom … die Rechtsansicht vertreten, die vom Kläger zu 2 an den Kläger zu 1 zu leistenden Zahlungen beruhten nicht auf diesem Ausgleichsanspruch, weil dieser Anspruch untergegangen sei. Der Beklagte musste danach in Betracht ziehen, dass das FG der Ansicht der Kläger folgend die Abtretung des Rechts auf Zahlung eines solchen Ausgleichsanspruchs vom Kläger zu 1 an den Kläger zu 2 hinsichtlich der Frage der Realisierung dieses Anspruchs für unmaßgeblich halten könnte.
Auch wenn die Kläger ihre Rechtsansicht darauf gestützt haben, der Untergang des Anspruchs beruhe auf einem gegenüber dem Unternehmer erklärten Verzicht, so lag es angesichts dieses Vortrags jedenfalls nahe, in rechtlicher Hinsicht in Betracht zu ziehen, dass der Anspruch auch dadurch untergegangen sein könnte, dass er nicht innerhalb der Ausschlussfrist des § 89b Abs. 4 Satz 2 HGB geltend gemacht worden ist.
Zudem hat das FG in der mündlichen Verhandlung vom … darauf hingewiesen, dass es dem Gesichtspunkt der Abtretung des Rechts auf Ausgleichszahlung keine Bedeutung beimessen würde. Denn das FG hat deutlich zum Ausdruck gebracht, dass es seiner Ansicht nach für die Frage der Realisierung des Anspruchs allein auf die zwischen den Klägern bestehende Rechtsbeziehung ankommt.
b) Der Beklagte hat auch nicht schlüssig dargelegt, dass das FG seine Sachaufklärungspflicht gemäß § 76 Abs. 1 FGO verletzt hat. Der Beklagte hat keinen Sachverhalt dargelegt, auf Grund dessen das FG gehalten war, Nachforschungen bei dem Unternehmer anzustellen, ob der Kläger zu 1 nach seinem Ausscheiden als Handelsvertreter diesem gegenüber seinen Ausgleichsanspruch geltend gemacht hat. Der Beklagte hat insbesondere nicht ausgeführt, aus welchem Grund sich der Kläger zu 1 an diesen Dritten gewandt haben sollte, obwohl er diesem gegenüber eine Verzichtserklärung abgegeben hatte.
Soweit der Beklagte meint, eine solche Nachforschung hätte ergeben, dass alle Beteiligten davon ausgegangen seien, der Ausgleichsanspruch des Klägers zu 1 sei infolge der Abtretung erhalten geblieben, wendet er sich gegen die seiner Ansicht nach unzutreffende rechtliche Würdigung durch das FG. Ob das FG die Abtretung dieses Anspruchs vom Kläger zu 1 an den Kläger zu 2 und den in diesem Zusammenhang erklärten Verzicht durch den Kläger zu 1 gegenüber dem Unternehmer rechtlich zutreffend beurteilt hat, ist aber vom erkennenden Senat im Rahmen der vorliegend erhobenen Verfahrensrüge nicht zu beurteilen.
2. Von einer weiteren Begründung wird gemäß § 116 Abs. 5 Satz 2 FGO abgesehen.
Fundstellen