Leitsatz (amtlich)
Die Auffassung, daß die Vollziehungsaussetzung nur abzulehnen sei, wenn die Klage keine vernünftige Erfolgsaussicht hat, ist mit dem Begriff "ernstliche Zweifel" nicht zu vereinbaren.
Normenkette
FGO § 69 Abs. 2-3
Tatbestand
Die in den Jahren 1885 bzw. 1892 geborenen Eltern der steuerpflichtigen Ehefrau übertrugen dieser im Jahre 1963 ihr Vermögen, bestehend aus einem Hof, aus weiterem Grundbesitz und aus Wertpapieren. Die Tochter und ihr Ehemann (Steuerpflichtige) sagten hierfür eine "Leibrente und ein Altenteil" zu. Die Leibrente beträgt monatlich 1 500 DM. Als Altenteil erhalten die Eltern eine Wohnung im Hause der Steuerpflichtigen mit freiem Licht, Heizung, Wartung und Verpflegung sowie ein jährliches Urlaubsgeld von 3 000 DM.
Die Steuerpflichtigen beziffern ihre Sachleistungen im Streitjahr 1965 mit 3 960 DM, so daß die Gesamtleistung 24 960 DM beträgt. Bei der Veranlagung wollten sie diesen Betrag nach § 10 Abs. 1 Nr. 1 EStG als dauernde Last absetzen. Das FA sah eine Leibrente als vorliegend an und ließ deshalb nur einen Abzug von 15 v. H. des Betrages = 3 744 DM zu.
Zugleich mit der Erhebung der Klage beantragten die Steuerpflichtigen beim FG, die Vollziehung der auf den Unterschied entfallenden Steuer nach § 69 FGO auszusetzen.
Das FG setzte den angefochtenen Steuerbescheid in Höhe von 8 202 DM aus und führte in seinem in den EFG 1968, 24 veröffentlichten Beschluß aus: Der Begriff "ernstliche Zweifel" in § 69 FGO sei in der Rechtsprechung des BFH noch nicht endgültig festgelegt (vgl. den Beschluß III B 21/66 vom 30. Juni 1967, BFH 89, 92, BStBl III 1967, 533). Bei der eigenen Suche nach einer brauchbaren, den Rahmen des summarischen Verfahrens nicht überschreitenden Lösung gehe das FG davon aus, daß die Steuergesetze eine Einschränkung der grundgesätzlichen Eigentumsgarantie bedeuteten. Auch verlange eine faire Interessenabwägung, Unklarheiten und Zweifel nicht zu Lasten des Steuerschuldners, sondern des Staates gehen zu lassen, auf dessen Seite alle Vorteile, z. B. Gesetzgebung und Verwaltung, lägen. Diese Überlegungen erforderten als gerechten Ausgleich, daß die Vollziehungsaussetzung nur abzulehnen sei, wenn die Klage keine vernünftige Erfolgsaussicht habe. Hinzu komme, daß wegen der abweichenden Besetzung der Richterbank im eigentlichen Klageverfahren die Entscheidung in der Hauptsache nicht mit einiger Sicherheit vorausgesehen werden könne. Im Hinblick auf Ausführungen des BFH im zweitletzten Absatz seiner Entscheidung VI 365/65 vom 2. Dezember 1966 (BFH 87, 563, BStBl III 1967, 243) seien im Streitfall ernstliche Zweifel zu bejahen.
Hiergegen legte das FA insoweit Beschwerde ein, als es sich um die Steuer auf die monatlichen 1 500 DM (= 18 000 DM Jahresbetrag) handelt. 2 518 DM Einkommensteuer sollen vom Fälligkeitstag ab bis 10 Tage nach der Entscheidung des FG über die anhängige Klage ausgesetzt bleiben.
Entscheidungsgründe
Aus den Gründen:
Die Beschwerde des FA hat Erfolg.
Den Ausführungen des FG zu § 69 FGO kann nicht zugestimmt werden. Das gilt schon für den Ausgangspunkt, die Steuergesetze bedeuteten eine Einschränkung der grundgesetzlichen Eigentumsgarantie. Die Auferlegung von Zahlungspflichten läßt die Eigentumsgarantie des Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG grundsätzlich unberührt (vgl. Urteil des Bundesverfassungsgerichts 1 BvR 571/60 vom 14. Dezember 1965, BVerfGE 19, 253 [267, 268] mit zahlreichen Verweisungen). Ferner ist nicht einzusehen, wieso es ein rechtserheblicher Gesichtspunkt sein soll, daß bei der Entscheidung in der Hauptsache das Gericht anders besetzt ist als beim Beschluß über den Aussetzungsantrag. Die im einzelnen Fall geschäftsordnungsmäßig zur Entscheidung berufenen Mitglieder des Gerichts sind auch bei einem Beschluß nach § 69 Abs. 3 FGO "unabhängig und nur dem Gesetz unterworfen" (Art. 97 Abs. 1 GG, § 25 des Deutschen Richtergesetzes - DRiG -) und haben bei ihrer Entscheidung von dieser richterlichen Eigenschaft Gebrauch zu machen. Sie haben zu beschließen nach ihrem besten Wissen und Gewissen (siehe die Formel des Richtereids in § 38 DRiG). Für Erwägungen, wie der vollbesetzte Senat des FG entscheiden werde - die Entscheidung kann ja z. B. von einer Beweisaufnahme beeinflußt sein -, ist kein Raum.
Der vom FG vertretene Grundsatz, daß die Aussetzung nur dann abzulehnen sei, wenn der Kläger keine vernünftige Aussicht des Obsiegens habe, steht auch zum Wortlaut des Gesetzes in Widerspruch. § 69 Abs. 1 Satz 1 FGO geht davon aus, daß durch die Klageerhebung die Vollziehung des angefochtenen Verwaltungsaktes nicht gehemmt wird. In Ausnahme hiervon soll jedoch nach § 69 Abs. 2 Satz 2, Abs. 3 FGO die Vollziehung ausgesetzt werden, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Verwaltungsaktes bestehen. Daraus ergibt sich, daß nicht jeder auch noch so vage Zweifel die Aussetzung rechtfertigt. Nach der Rechtsprechung müssen vielmehr bei summarischer Prüfung des Verwaltungsaktes wichtige gegen seine Rechtmäßigkeit sprechende Gründe zutage treten, die zur Unentschiedenheit oder Unsicherheit in der Beurteilung der Rechtsfrage oder zur Unklarheit in der Beurteilung der Tatfragen führen (siehe die BFH-Entscheidungen III B 9/66 vom 10. Februar 1967, BFH 87, 447, BStBl III 1967, 182; VI S 2/66 vom 15. Februar 1967, BFH 87, 602, BStBl III 1967, 256; VI B 53/66 vom 8. März 1967, BFH 88, 537, BStBl III 1967, 469; III B 21/66 vom 30. Juni 1967, BFH 89, 92, BStBl III 1967, 533). Zwischen den Entscheidungen des III. und VI. Senats besteht teilweise insoweit eine Divergenz, als nach dem Beschluß des VI. Senats VI S 2/66 (a. a. O.) bei Abwägung aller gegen und für die Unrechtmäßigkeit des Steuerbescheids sprechenden Umstände die letzteren überwiegen sollen, der III. Senat ein solches Überwiegen im Beschluß III B 21/66 (a. a. O.) aber ablehnt. Der Auffassung des III. Senats hat sich inzwischen auch der II. Senat in der Entscheidung II B 17/67 vom 24. Oktober 1967 (BFH 90, 532, BStBl II 1968, 229) angeschlossen. Doch kann diese Verschiedenheit in den Begründungen für den Streitfall auf sich beruhen. Denn keineswegs läßt sich damit die den Wortlaut des Gesetzes verlassende Auslegung des FG rechtfertigen.
In der Entscheidung VI 365/65 (a. a. O.) behandelte der Senat eine dem Streitfall ähnliche Vermögensübergabe von Eltern an ein Kind gegen Gewährung von Wohnung mit Licht und Heizung sowie einer nicht unerheblichen Geldleistung auf Lebenszeit. Der Senat führte aus, in einem solchen Falle sei in der Regel für die Sach- und Geldleistungen getrennt zu prüfen, ob es sich um eine Leibrente oder um Dauerlasten handle. Diesem Gesichtspunkt einer notwendigen Trennung hat das FA insofern - jedenfalls für das Aussetzungsverfahren - Rechnung getragen, als es der Vollziehungsaussetzung durch das FG nur wegen der Monatszahlungen von 1 500 DM entgegentritt. In der Tat sprechen bei der für das Aussetzungsverfahren gebotenen summarischen Betrachtung, die der Entscheidung der Hauptsache nicht vorgreifen darf, beachtliche Umstände dafür, daß insoweit eine Leibrente vorliegt. Im Übergabevertrag unterscheiden die Beteiligten selbst zwischen einer Leibrente und einem Altenteil, wobei sie die Leibrente in der Monatszahlung von 1 500 DM sehen wollen. Tatsächlich ist der Betrag in dieser Höhe seit Vertragsabschluß unverändert gezahlt worden. Es ist nichts dafür erkennbar, daß der Betrag aus allgemein wirtschaftlichen Gründen Änderungen unterworfen sein sollte. Die Steuerpflichtigen schätzen den Wert des empfangenen Vermögens auf 1,5 Mio DM, den Kapitalwert ihrer Gegenleistung auf 200 000 DM. Das spricht jedenfalls bei erster Betrachtung nicht dafür, daß die Steuerpflichtigen Herabsetzung ihrer Monatsleistung von den Eltern verlangen könnten. Andererseits ist die im Vertrag enthaltene Wertsicherungsklausel für den Leibrentenbegriff unschädlich (Entscheidung des Senats VI R 80/66 vom 11. August 1967, BFH 89, 443, BStBl III 1967, 699).
Der Beschluß des FG kann daher in Höhe von 8 202 DM minus 2 518 DM = 5 684 DM Einkommensteuer nicht bestehen bleiben.
Fundstellen
Haufe-Index 67744 |
BStBl II 1968, 657 |
BFHE 1968, 545 |