Entscheidungsstichwort (Thema)
Zur Geltung des Grundsatzes “in dubio pro reo” im Steuerfestsetzungsverfahren und den Anforderungen an die richterliche Überzeugungsbildung
Leitsatz (NV)
1. Der strafrechtliche Grundsatz “in dubio pro reo” ist auch im Steuerfestsetzungsverfahren zu beachten. Er greift allerdings nur ein, solange Zweifel am Vorliegen des objektiven und subjektiven Tatbestands einer Steuerhinterziehung nicht zu beheben sind.
2. Der Grundsatz “in dubio pro reo” steht der Schätzung von Besteuerungsgrundlagen nicht entgegen.
3. Für die Überzeugungsbildung i.S. von § 96 Abs. 1 Satz 1 FGO ist erforderlich, dass der Richter ohne Bindung an gesetzliche Beweisregeln und nur seinem persönlichen Gewissen unterworfen persönliche Gewissheit in einem Maße erlangt, dass er an sich mögliche Zweifel überwindet und sich von einem bestimmten Sachverhalt als wahr überzeugen kann.
Normenkette
AO §§ 162, 169 Abs. 2 S. 2; FGO § 96 Abs. 1 S. 1, § 115 Abs. 2 Nrn. 1, 3, § 116 Abs. 3 S. 3
Verfahrensgang
FG Münster (Urteil vom 14.09.2006; Aktenzeichen 8 K 5745/03 G,U,F) |
Gründe
Die Beschwerde ist unzulässig und deshalb zu verwerfen.
1. Nach § 116 Abs. 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO) kann die Nichtzulassung der Revision durch Beschwerde angefochten werden, mit der geltend zu machen ist, dass die Voraussetzungen für eine Zulassung der Revision gemäß § 115 Abs. 2 FGO vorliegen. Nach dieser Vorschrift ist die Revision nur zuzulassen, wenn (1.) die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat, (2.) die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Bundesfinanzhofs (BFH) erfordert oder (3.) ein Verfahrensmangel geltend gemacht wird und vorliegt, auf dem die Entscheidung beruhen kann. Die Nichtzulassungsbeschwerde ist dabei nur zulässig, wenn einer dieser Revisionszulassungsgründe bezeichnet und die Erfüllung seiner Voraussetzungen schlüssig dargelegt wird (§ 116 Abs. 3 Satz 3 FGO).
2. An einer solchen Darlegung fehlt es im Streitfall. Weder bezeichnen die Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) einen der Zulassungsgründe des § 115 Abs. 2 FGO, noch lässt sich in ihren Ausführungen die schlüssige Darlegung eines Zulassungsgrundes erkennen.
a) Soweit die Kläger geltend machen, es sei "grundsätzlich" zu klären, ob "trotz Beweispflicht des Beklagten" und Beschwerdegegners (Finanzamt --FA--) "eine Klage lediglich beruhend auf Annahmen, Indizien und Interpretationen abgewiesen werden" könne, entsprechen ihre Ausführungen nicht den Darlegungsanforderungen (vgl. dazu BFH-Beschluss vom 11. Februar 2003 IV B 151/01, BFH/NV 2003, 1040; Gräber/Ruban, Finanzgerichtsordnung, 6. Aufl., § 116 Rz 32, jeweils m.w.N.). Grundsätzliche Bedeutung (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO) kommt einer Rechtssache nach ständiger Rechtsprechung des BFH zu, wenn die für die Beurteilung des Streitfalls maßgebliche Rechtsfrage, die dem materiellen oder dem Verfahrensrecht angehören kann (vgl. dazu Gräber/Ruban, a.a.O., § 115 Rz 27), das (abstrakte) Interesse der Allgemeinheit an der einheitlichen Entwicklung und Handhabung des Rechts berührt. Außerdem muss die Rechtsfrage klärungsbedürftig und in einem künftigen Revisionsverfahren klärungsfähig sein (BFH-Beschluss vom 10. April 2003 X B 109/02, BFH/NV 2003, 1082, m.w.N.). Diese Voraussetzungen haben die Kläger nicht dargelegt.
Die Kläger werfen insoweit letztlich keine klärungsbedürftigen Rechtsfragen auf, sondern beanstanden im Grunde die Rechtmäßigkeit der Vorentscheidung und die vom Finanzgericht (FG) vorgenommene Einzelfallwürdigung. Die Rüge, die Vorentscheidung sei rechtswidrig, eröffnet nach ständiger Rechtsprechung des BFH aber nicht die Revision (vgl. BFH-Beschlüsse vom 15. Dezember 1999 X B 86/99, BFH/NV 2000, 681; vom 3. April 2001 IV B 15/00, BFH/NV 2001, 1280, und vom 7. September 2005 IV B 67/04, BFH/NV 2006, 234), wenn --wie im Streitfall-- eine willkürliche oder greifbar gesetzwidrige Beurteilung nicht ersichtlich ist (vgl. BFH-Beschluss vom 17. Januar 2006 IX B 79/05, BFH/NV 2006, 802, m.w.N.).
b) Die Kläger haben auch einen Verfahrensmangel nicht in der nach § 116 Abs. 3 Satz 3 FGO gebotenen Form dargelegt. Eine schlüssige Rüge erfordert hier, dass die Tatsachen, die den Mangel ergeben, im Einzelnen angeführt werden und dass dargelegt wird, dass die Entscheidung des FG auf dem Mangel beruhen kann (s. hierzu aus jüngster Zeit den BFH-Beschluss vom 14. März 2007 IV B 76/05, BFH/NV 2007, 1039).
Soweit die Kläger sinngemäß rügen, das FG habe den Grundsatz "in dubio pro reo" nicht beachtet, fehlt es an dem schlüssigen Vortrag eines Verfahrensmangels. Es ist nicht dargetan, dass das FG diesen Grundsatz verletzt hat.
Das Verfahren vor dem FG richtet sich nach der FGO. Dies gilt auch insoweit, als das FG im Rahmen der Prüfung der Festsetzungsverjährung nach § 169 Abs. 2 Satz 2 der Abgabenordnung (AO) beurteilen musste, ob objektiv und subjektiv der Tatbestand einer Steuerhinterziehung erfüllt ist. Zwar ist insoweit auch im Besteuerungsverfahren der Grundsatz "in dubio pro reo" zu beachten (vgl. z.B. BFH-Beschluss vom 29. Januar 2002 VIII B 91/01, BFH/NV 2002, 749, m.w.N.). Dieser Grundsatz greift allerdings nur ein, solange Zweifel nicht zu beheben sind. Er untersagt dem FG hingegen nicht, auf Grund vielfältiger Feststellungen zu der vollen Überzeugung zu gelangen, dass eine Steuerhinterziehung zu bejahen ist (BFH-Beschluss vom 4. Mai 2005 XI B 230/03, BFH/NV 2005, 1485). Ebenso wenig steht der Grundsatz "in dubio pro reo" der Schätzung von Besteuerungsgrundlagen gemäß § 162 AO i.V.m. § 96 Abs. 1 Satz 1 FGO entgegen, da der Steuerpflichtige im Besteuerungsverfahren zur Mitwirkung verpflichtet bleibt (vgl. BFH-Urteil vom 23. Januar 2002 XI R 10, 11/01, BFHE 198, 7, BStBl II 2002, 328; Beschluss des Bundesgerichtshofs vom 12. Januar 2005 5 StR 191/04, BFH/NV 2005, Beilage 2, 125).
Die nach Ansicht der Kläger fehlerhafte Tatsachen- und Beweiswürdigung durch das FG ist kein Verfahrensmangel; vielmehr sind die Grundsätze der Beweiswürdigung dem materiellen Recht zuzuordnen (vgl. Gräber/Ruban, a.a.O., § 115 Rz 82, m.w.N.).
c) Im Übrigen hat das FG seine Entscheidung über die Frage, ob die Kläger zu 1. und 2. auch nach dem 15. Mai 1991 bis zur Gründung der GmbH als Mitunternehmer bei der GbR (Klägerin zu 3.) Einkünfte aus Gewerbebetrieb erzielten bzw. ob die Klägerin zu 3. im Streitzeitraum (1991 bis 1995) einen Gewerbebetrieb unterhielt und als Unternehmer anzusehen war, gemäß § 96 Abs. 1 Satz 1 FGO nach seiner freien, aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung getroffen.
In der Rechtsprechung des BFH sind die Anforderungen, die an die Überzeugungsbildung i.S. von § 96 Abs. 1 Satz 1 FGO zu stellen sind, bereits hinreichend geklärt. Danach ist für die Überzeugungsbildung erforderlich, dass der Tatrichter ohne Bindung an gesetzliche Beweisregeln und nur seinem persönlichen Gewissen unterworfen persönliche Gewissheit in einem Maße erlangt, dass er an sich mögliche Zweifel überwindet und sich von einem bestimmten Sachverhalt als wahr überzeugen kann, wobei der Richter nicht eine von allen Zweifeln freie Überzeugung anstreben darf, sich in tatsächlich zweifelhaften Fällen vielmehr mit einem für das praktische Leben brauchbaren Grad von Gewissheit überzeugen muss (BFH-Urteil vom 24. März 1987 VII R 155/85, BFH/NV 1987, 560). Dabei hat das FG auch alle Indizien, die für oder gegen das Vorliegen einer Tatsache sprechen, zu berücksichtigen und in seine Gesamtwürdigung einzubeziehen (vgl. BFH-Urteil vom 14. September 1999 IX R 59/96, BFHE 189, 428, BStBl II 2000, 67, m.w.N.). Auf bloße Unterstellungen darf das FG seine Überzeugungsbildung grundsätzlich nicht stützen (vgl. BFH-Urteil vom 19. September 1990 X R 79/88, BFHE 162, 199, BStBl II 1991, 100, unter 2. der Gründe).
Fundstellen
Haufe-Index 1812064 |
BFH/NV 2007, 2241 |