Entscheidungsstichwort (Thema)
PKH für eine noch zu erhebende NZB; verweigerte Terminsverlegung kann Verletzung rechtlichen Gehörs begründen
Leitsatz (NV)
1. Wird PKH für eine noch zu erhebende NZB beantragt, muss eine gewisse Wahrscheinlichkeit dafür bestehen, dass die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat, eine Entscheidung des BFH zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung der Einheitlichkeit der Rechtsprechung erforderlich ist oder das FG-Urteil auf einem Verfahrensmangel beruht.
2. Der Anspruch auf rechtliches Gehör wird durch die Mitwirkungspflicht der Beteiligten begrenzt. Eine Verletzung rechtlichen Gehörs kommt nur in Betracht, wenn der Beteiligte alles in seinen Kräften Stehende und nach Lage der Dinge Erforderliche getan hat, um sich rechtliches Gehörs zu verschaffen.
3. Das Gericht verletzt bei Durchführung einer mündlichen Verhandlung trotz Nichterscheinens eines Beteiligten nicht das rechtliche Gehör, wenn der ordnungsgemäß geladene Beteiligte keine Terminsverlegung beantragt hat.
4. Ein in den Akten enthaltenes ärztliches Attest stellt keinen erheblichen Grund für eine Terminsverlegung dar, wenn es zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung mehr als acht Monate alt ist.
Normenkette
FGO §§ 56, 96 Abs. 2, §§ 142, 155; GG Art. 103 Abs. 1; ZPO §§ 114, 227
Tatbestand
I. Der Kläger und Antragsteller (Antragsteller) war im Jahr 2001 im Zuständigkeitsbereich des Beklagten und Beschwerdegegners (Finanzamt --FA--) und des Finanzamts X (FA X) gewerblich tätig. Der Antragsteller legte gegen die vom FA X erlassenen Umsatzsteuer-Vorauszahlungsbescheide für das I., II. und III. Quartal 2001 Einspruch ein. Das FA führte anschließend die Umsatzsteuersignale beider FÄ zusammen und erließ den Umsatzsteuerjahresbescheid 2001. Da das FA eine zustellungsfähige Anschrift des Antragstellers nicht ermitteln konnte, stellte es den Umsatzsteuerbescheid 2001 und die Einspruchsentscheidung betreffend die Umsatzsteuer-Vorauszahlungsbescheide für das I., II. und III. Quartal 2001 in Gestalt des Umsatzsteuerjahresbescheides 2001 öffentlich zu.
Der Antragsteller reichte im Oktober 2004 eine Umsatzsteuerjahreserklärung 2001 beim FA ein mit dem Begehren, die Umsatzsteuerfestsetzung 2001 entsprechend zu ändern. Dem folgte das FA nicht. Das Finanzgericht (FG) wies die anschließend erhobenen Klagen ab, ohne die Revisionen zuzulassen.
Der Antragsteller beantragt, ihm für die beabsichtigten Beschwerdeverfahren wegen Nichtzulassung der Revisionen Prozesskostenhilfe (PKH) zu gewähren und ihm als Bevollmächtigten beizuordnen.
Zur Erfolgsaussicht trägt er vor, es seien alle in § 115 Abs. 2 Nrn. 1, 2 und 3 der Finanzgerichtsordnung (FGO) genannten Zulassungsgründe gegeben. Eine Erklärung des Antragstellers über seine persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse liegt vor.
Er regt an, die Verfahren zur gemeinsamen Entscheidung zu verbinden.
Das FA ist den PKH-Anträgen entgegengetreten.
Entscheidungsgründe
II. 1. Der Senat hat die Verfahren XI S 8/08 (PKH), XI S 9/08 (PKH) und XI S 10/08 (PKH) aus prozessökonomischen Gesichtspunkten zur gemeinsamen Entscheidung verbunden. Die Verbindung beruht auf § 73 Abs. 1 Satz 1 FGO (vgl. hierzu im Einzelnen Gräber/Koch, Finanzgerichtsordnung, 6. Aufl., § 73 Rz 14 ff.).
2. Die Anträge auf PKH und Beiordnung eines Prozessvertreters sind unbegründet.
a) Nach § 142 FGO i.V.m. § 114 der Zivilprozessordnung (ZPO) erhält eine Partei, die nach ihren persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung nicht, nur zum Teil oder nur in Raten aufbringen kann, auf Antrag PKH, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint.
Der Erfolg einer Nichtzulassungsbeschwerde hängt vom Vorliegen eines Zulassungsgrundes i.S. des § 115 Abs. 2 Nrn. 1 bis 3 FGO ab. Wird PKH für eine noch zu erhebende Nichtzulassungsbeschwerde beantragt, muss daher eine gewisse Wahrscheinlichkeit dafür bestehen, dass die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat, eine Entscheidung des Bundesfinanzhofs (BFH) zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung der Einheitlichkeit der Rechtsprechung erforderlich ist oder das FG-Urteil auf einem Verfahrensmangel beruht (z.B. BFH-Beschluss vom 30. März 2006 III S 6/06 (PKH), BFH/NV 2006, 1486). Diese Voraussetzung ist im Streitfall nicht erfüllt. Weder die Ausführungen des Antragstellers noch die FG-Urteile lassen einen Zulassungsgrund i.S. des § 115 Abs. 2 Nrn. 1 bis 3 FGO erkennen.
aa) Den Erfolgsaussichten einer Nichtzulassungsbeschwerde stünde allerdings nicht bereits entgegen, dass die für ihre Einlegung und Begründung geltenden Fristen (§ 116 Abs. 2 und Abs. 3 FGO) verstrichen sind. Denn einem Beteiligten, der ein dem Vertretungszwang (§ 62a FGO in der bis zum 30. Juni 2008 geltenden und im Streitfall anwendbaren Fassung) unterliegendes Rechtsmittel wegen Mittellosigkeit nicht erheben kann, wäre gemäß § 56 Abs. 1 FGO Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren, wenn er innerhalb der Rechtsmittelfrist PKH für das Verfahren über die Nichtzulassungsbeschwerde beantragt und später auch erhält.
bb) Die Ausführungen des Antragstellers begründen keinen Zulassungsgrund.
aaa) Das FG hat nicht dadurch den Anspruch des Antragstellers auf Gewährung rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 des Grundgesetzes, § 96 Abs. 2 FGO) verletzt, dass es trotz dessen Nichterscheinens zur mündlichen Verhandlung am 28. April 2008 verhandelt und entschieden hat.
Von einer Verletzung rechtlichen Gehörs ist auszugehen, wenn erhebliche Gründe für eine Terminsverlegung i.S. von § 155 FGO i.V.m. § 227 Abs. 1 ZPO vorlagen und der Termin gleichwohl nicht verlegt wurde (vgl. BFH-Beschluss vom 13. August 2007 III B 159/06, BFH/NV 2007, 2284).
Der Antragsteller trägt zwar vor, dass dem FG seine krankheitsbedingte dauerhafte Verhandlungsunfähigkeit bekannt gewesen sei, so dass das FG den Termin hätte verlegen müssen. Eine Verletzung rechtlichen Gehörs scheidet aber schon dann aus, wenn der ordnungsgemäß geladene Beteiligte nicht zur mündlichen Verhandlung erscheint und kein begründeter Antrag zur Terminsänderung gestellt wurde. Denn der Anspruch auf rechtliches Gehör wird durch die prozessuale Mitverantwortung des Beteiligten begrenzt. Der Beteiligte hat alles in seinen Kräften Stehende und nach Lage der Dinge Erforderliche zu tun, um sich rechtliches Gehör zu verschaffen (vgl. BFH-Beschluss vom 19. Januar 2007 VII B 171/06, BFH/NV 2007, 947). Im Streitfall hat der seinerzeit ordnungsgemäß geladene Antragsteller indes schon keine Terminsverlegung beantragt.
Auch das dem FG vorliegende privatärztliche Attest vom 17. Juli 2007 gab keine Veranlassung zur Annahme eines erheblichen Grundes für eine Terminsverlegung i.S. von § 227 Abs. 1 ZPO. Denn das Attest war zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung bereits mehr als acht Monate alt, so dass die nach der Rechtsprechung geltende Zwei-Wochen-Frist weit überschritten war (vgl. BFH-Beschluss vom 15. Februar 2002 XI B 100/01, BFH/NV 2002, 909, m.w.N.). Das vom Antragsteller im vorliegenden Verfahren eingereichte amtsärztliche Attest vom 10. August 2007 hatte zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung am 28. April 2008 hiernach ebenfalls keine Aussagekraft mehr. Abgesehen davon lässt sich entgegen dem Vorbringen des Antragstellers den Gerichtsakten nicht entnehmen, dass dem FG dieses amtsärztliche Attest zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung vorgelegen hat.
bbb) Auch eine Verletzung der dem FG von Amts wegen nach § 76 Abs. 1 FGO obliegenden Sachaufklärungspflicht ist nicht gegeben.
Das lediglich allgemein gehaltene Vorbringen des Antragstellers, das FG habe zu Unrecht unvollständige und "frisierte" Aktenbestände des FA hingenommen und insoweit keine weiteren Aufklärungsmaßnahmen ergriffen, vermag keine Verletzung der Sachaufklärungspflicht des FG zu begründen. Insoweit ist insbesondere nicht ersichtlich, weshalb sich dem FG eine Durchführung weiterer Aufklärungsmaßnahmen in diesem Zusammenhang aufgedrängt hätte und ob und aus welchen Gründen eine weitere Aufklärung des Sachverhalts auf der Grundlage des materiell-rechtlichen Standpunkts des FG zu einer anderen Entscheidung hätte führen können (vgl. BFH-Beschluss vom 28. Juli 2004 IX B 136/03, BFH/NV 2005, 43, m.w.N.).
ccc) Mit seiner Rüge von "Mängeln der Beweiserhebung" hat der Antragsteller einen Verfahrensfehler nicht schlüssig geltend gemacht. Denn er hat weder dargetan und es ist auch nicht ersichtlich, gegen welchen Verfahrensgrundsatz das FG insoweit verstoßen haben soll.
ddd) Soweit der Antragsteller im Übrigen Einwendungen gegen die materielle Richtigkeit der angefochtenen Urteile geltend macht --wozu auch die von ihm beanstandete Beweiswürdigung gehört--, wird damit kein Zulassungsgrund i.S. von § 115 Abs. 2 Nr. 1 oder § 115 Abs. 2 Nr. 2 FGO dargetan. Von vornherein unbeachtlich sind Einwände gegen die Richtigkeit des angefochtenen Urteils, die nur im Rahmen einer Revisionsbegründung erheblich sein können; denn das prozessuale Rechtsinstitut der Nichtzulassungsbeschwerde dient nicht dazu, allgemein die Richtigkeit finanzgerichtlicher Urteile zu gewährleisten (vgl. BFH-Beschluss vom 25. August 2006 VIII B 13/06, BFH/NV 2006, 2122, m.w.N.).
b) Die Entscheidungen des FG lassen bei summarischer Prüfung gleichfalls keinen Zulassungsgrund nach § 115 Abs. 2 FGO erkennen.
3. Eine Kostenentscheidung war nicht zu treffen. Gerichtsgebühren entstehen nicht (§ 1 Nr. 3, § 3 Abs. 2 des Gerichtskostengesetzes in Verbindung mit dem Kostenverzeichnis).
Fundstellen