Entscheidungsstichwort (Thema)
Schwebendes Geschäft
Leitsatz (NV)
Unter einem schwebenden Geschäft ist ein zweiseitig verpflichtender Vertrag zu verstehen, der auf einen Leistungsaustausch gerichtet ist und bei dem der zur Sach- oder Dienstleistung Verpflichtete noch nicht erfüllt hat. Ein zweiseitig verpflichtender Vertrag verliert seinen Charakter als schwebendes Geschäft, wenn der zur Sach- oder Dienstleistung Verpflichtete alle von ihm geschuldeten Erfüllungshandlungen in einer Weise erbracht hat, daß ihm die Forderung auf die Gegenleistung - von den mit jeder Forderung verbundenen Risiken abgesehen - so gut wie sicher ist.
Normenkette
EStG 1975 § 5 Abs. 1-2
Verfahrensgang
Tatbestand
Die Antragstellerin ist ein Verlag, der Periodika verlegt. Die Periodika enthalten Anzeigen, die von Anzeigenkunden bestellt werden. Mit den Anzeigenkunden schließt die Antragstellerin Anzeigenverträge, in denen sie den Anzeigenkunden den Verkauf einer bestimmten Mindestmenge an Exemplaren der einzelnen Zeitschriftenausgaben garantiert. Im Rahmen eines Antrags auf Aussetzung der Vollziehung ist streitig, ob die Gewinnrealisierung aus den Anzeigenverträgen schon mit der Auslieferung der Zeitschriften an die Zeitschriftenverkäufer oder aber erst mit dem Verkauf der Zeitschriften in der vereinbarten Mindestauflage eintritt. Das FG hat sich ersterer Auffassung angeschlossen und den Antrag auf Aussetzung der Vollziehung abgelehnt (Beschluß vom 7. August 1985 II 136/85, EFG 1986, 135). Die Beschwerde blieb erfolglos.
Entscheidungsgründe
Die Beschwerde ist unbegründet.
1. Einem auf § 69 Abs. 3 der Finanzgerichtsordnung (FGO) gestützten Antrag auf Aussetzung der Vollziehung soll dann entsprochen werden, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsaktes bestehen oder wenn die Vollziehung für den Betroffenen eine unbillige, nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte zur Folge hätte (§ 69 Abs. 3 i. V. m. Abs. 2 Satz 2 FGO). Ernstliche Zweifel i. S. des § 69 Abs. 2 Satz 2 FGO sind zu bejahen, wenn bei summarischer Prüfung des angefochtenen Verwaltungsaktes im Aussetzungsverfahren neben für seine Rechtmäßigkeit sprechenden Umständen gewichtige Gründe zutage treten, die Unentschiedenheit oder Unsicherheit in der Beurteilung der entscheidungserheblichen Rechtsfragen oder Unklarheit in der Beurteilung von Tatfragen bewirken (vgl. Beschluß des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 10. Februar 1967 III B 9/66, BFHE 87, 447, BStBl III 1967, 182; seitdem ständige BFH-Rechtsprechung). Für den Streitfall sind solche gewichtige Gründe selbst dann nicht zu erkennen, wenn man - was der Senat zugunsten der Beschwerdeführerin unterstellt hat - die Zusicherung einer bestimmten Verkaufsauflage als wesentlichen Bestandteil der Anzeigenverträge ansieht.
2. Nach § 5 Abs. 3 Nr. 2 des Einkommensteuergesetzes 1975 (EStG) sind als passive Rechnungsabgrenzungsposten Einnahmen anzusetzen, die vor dem Bilanzstichtag das Betriebsvermögen des Steuerpflichtigen erhöht haben, jedoch Ertrag für eine bestimmte Zeit nach diesem Tag darstellen.
An diesen Voraussetzungen fehlt es im Streitfall schon deshalb, weil die von der Beschwerdeführerin erzielten Einnahmen keinen Ertrag für eine von ihr noch zu erbringende zeitbezogene Gegenleistung darstellen. Die Beschwerdeführerin schuldete die Veröffentlichung von Anzeigen in bestimmten Periodika und in einer Mindestverkaufsauflage und keine kalendermäßig festgelegte Leistung.
3. a) Nach § 152 Abs. 7 Nr. 1 des Aktiengesetzes (AktG) sind für drohende Verluste aus schwebenden Geschäften Rückstellungen zu bilden. Die Vorschrift beinhaltet einen gesetzlich verankerten Grundsatz ordnungsmäßiger Buchführung, der für alle Kaufleute und somit auch für die Beschwerdeführerin verbindlich ist. Wegen des Maßgeblichkeitsgrundsatzes (§ 5 Abs. 1 EStG) schlägt sie auch auf die steuerliche Gewinnermittlung durch.
b) Unter einem schwebenden Geschäft ist ein zweiseitig verpflichtender Vertrag zu verstehen, der auf einen Leistungsaustausch gerichtet ist und bei dem der zur Sach- oder Dienstleistung Verpflichtete noch nicht erfüllt hat. Ein zweiseitig verpflichtender Vertrag verliert seinen Charakter als schwebendes Geschäft, wenn der zur Sach- oder Dienstleistung Verpflichtete alle von ihm geschuldeten Erfüllungshandlungen in einer Weise erbracht hat, daß ihm die Forderung auf Gegenleistung - von den mit jeder Forderung verbundenen Risiken abgesehen - so gut wie sicher ist. Mithin kommt es für die Beurteilung des Streitfalles in erster Linie auf die im Tatsächlichen liegende Feststellung an, ob die Beschwerdeführerin zu den einzelnen Bilanzstichtagen alle nach den Anzeigenverträgen von ihr persönlich geschuldeten Erfüllungshandlungen erbracht hatte. Dies wäre einmal der Fall, wenn die Periodika vor dem Bilanzstichtag in der vereinbarten Auflagenhöhe an die Abnehmer verkauft gewesen sein sollten. Dies wäre aber auch dann der Fall, wenn die Periodika vor dem Bilanzstichtag von der Beschwerdeführerin in der vereinbarten Auflagenhöhe nur an den Großhandel ausgeliefert worden sein sollten, dieser jedoch schon damals über Vertriebsmethoden und Vertriebswege verfügte, die den Verkauf an die Abnehmer in der vereinbarten Auflagenstärke als für die Beschwerdeführerin risikolos erscheinen ließen. In letzterem Falle würde die Beschwerdeführerin alle von ihr geschuldeten Erfüllungshandlungen schon vor dem Bilanzstichtag erbracht haben, wenn nicht zusätzliche Maßnahmen (wie z. B. Werbung für den Verkauf speziell der vorher aufgelegten Periodika) vorgesehen gewesen sein sollten, die dem Ziel dienten, den Verkauf gerade in der vertraglich zugesicherten Auflagenstärke sicherzustellen bzw. zu fördern. Entgegen der Auffassung der Beschwerdeführerin kommt es insoweit nicht auf den Eintritt des zivilrechtlichen Leistungserfolges an. Vielmehr ist, wenn der Leistungserfolg nicht schon mit Beendigung der letzten Erfüllungshandlung eintritt, darauf abzustellen, ob der Leistungserfolg lediglich risikolose Folge der beendeten Erfüllungshandlungen ist oder ob die Entstehung der Forderung auf Gegenleistung bei Beendigung der letzten Erfüllungshandlung noch unsicher ist. Dem BFH-Urteil vom 8. Dezember 1982 I R 142/81 (BFHE 137, 448, BStBl II 1983, 369) ist nichts anderes zu entnehmen. Wenn dort von einer ,,Entscheidung unter Berücksichtigung der bürgerlich-rechtlichen Vorschriften" die Rede ist, so bedeutet dies, daß die Erfüllung der vertraglich geschuldeten Handlungen nach den bürgerlich-rechtlichen Vorschriften zu beurteilen ist.
c) Das FG ist davon ausgegangen, daß die Beschwerdeführerin mit der Auslieferung der Periodika an die Abonnenten und die Großhändler alle von ihr geschuldeten Erfüllungshandlungen erbracht hatte. Es hat ferner angenommen, daß der Eintritt des Leistungserfolges angesichts der Vertriebsmöglichkeiten, über die die Großhändler verfügten, am Bilanzstichtag für die Beschwerdeführerin sicher war. Diese im Tatsächlichen liegenden Würdigungen hat die Beschwerdeführerin im Beschwerdeverfahren nicht angegriffen. Zwar spricht sie von einer Beeinflussung des Verkaufs der Periodika durch Werbung in Fernsehen, Hörfunk und Tagespresse. Der Hinweis dient jedoch lediglich der Abgrenzung der bestehenden Einflußbereiche. Mit ihm verbindet die Beschwerdeführerin nicht die Behauptung, sie habe für eine bestimmte vor dem Bilanzstichtag aufgelegte Zeitschrift noch nach dem Bilanzstichtag geworben, um diese in der vereinbarten Auflagenstärke verkaufen zu können. Bei dieser Sachlage verstößt die vom FG gezogene Schlußfolgerung, der Eintritt des Leistungserfolges sei am Bilanzstichtag für die Beschwerdeführerin ohne Risiko gewesen, weder den allgemeinen Denkgesetzen noch irgendwelchen Erfahrungssätzen. Zeitschriftenverlage pflegen die von ihnen verlegten Periodika auf Vertriebswegen zu verkaufen, die den schnellen Absatz an einen erfahrungsgemäß bestehenden festen Stamm von Lesern sicherstellen. Die häufig über viele Jahre erprobten Vertriebsmethoden schließen die Annahme eines besonderen Risikos für den Zeitschriftenverleger regelmäßig aus. Ein entsprechendes Risiko wurde von der Beschwerdeführerin auch nicht dargelegt. Deshalb konnte das FG im summarischen Aussetzungsverfahren davon ausgehen, daß die zweiseitig verpflichtenden Anzeigenverträge jeweils vor dem Bilanzstichtag ihren Charakter als schwebende Verträge verloren hatten. Damit sind die Voraussetzungen für die Bildung einer Rückstellung für Verluste aus schwebenden Verträgen nicht gegeben.
4. Das FG hat ebenso zutreffend die Bildung von Rückstellungen wegen ungewisser Verbindlichkeiten aus einem erfüllten Vertrag für den Streitfall verneint. Insoweit fehlt es an den tatsächlichen Voraussetzungen des § 152 Abs. 7 Satz 1 AktG.
Fundstellen
Haufe-Index 414297 |
BFH/NV 1986, 595 |