Entscheidungsstichwort (Thema)
Fehlen von Gründen
Leitsatz (NV)
Gründe fehlen, wenn den Beteiligten die Möglichkeit entzogen ist, die Entscheidung auf ihren Inhalt und ihre Rechtmäßigkeit zu überprüfen.
Normenkette
FGO § 116 Abs. 1 Nr. 5
Verfahrensgang
Tatbestand
Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) ist nach den vom Finanzgericht (FG) getroffenen Feststellungen als Hellseher tätig gewesen. Im Rahmen einer Außenprüfung stellte der Prüfer fest, daß der Kläger, der seinen Gewinn nach § 4 Abs. 3 des Einkommensteuergesetzes (EStG) ermittelte, die Durchschriften der Ausgangsrechnungen nicht aufbewahrt hatte. In den Streitjahren erzielte er im Ausland Einnahmen in Höhe von insgesamt ... DM. Im Hinblick auf die Nichtordnungsmäßigkeit der Aufzeichnungen schätzte der Prüfer für 1988 ... DM und für 1989 ... DM hinzu. Der Schätzung für 1988 legte der Prüfer das Verhältnis zwischen baren und unbaren Einnahmen des Jahres 1989 zugrunde und für das Jahr 1989 die in den ersten drei Quartalen erzielten Bareinnahmen, da der Kläger im vierten Quartal fast keine Bareinnahmen mehr erklärt hatte. Die als ausländische Einnahmen erklärten Beträge unterwarf der Prüfer der Umsatzsteuer, da der Kläger weder in der Schweiz noch in Österreich eine Betriebsstätte gehabt habe.
Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt -- FA --) änderte die Bescheide entsprechend. Einspruch und Klage hatten keinen Erfolg. Das FG führte u. a. aus: Der Kläger sei als Hellseher gewerblich tätig. Die Hinzuschätzungen seien nicht zu beanstanden. Das FA sei zur Schätzung gemäß § 162 Abs. 2 Satz 1 der Abgabenordnung (AO 1977) berechtigt gewesen. Die Aufzeichnungen des Klägers hätten nicht den §§ 146 Abs. 2, 147 Abs. 1 Nr. 3 AO 1977 entsprochen. Der Kläger sei zur Aufbewahrung der Ausgangsrechnungen verpflichtet gewesen. Auch die Höhe der vorgenommenen Schätzungen sei nicht zu beanstanden. Für 1989 hätten Bareinnahmen hinzugeschätzt werden dürfen; die Schätzung orientiere sich an den in den ersten drei Quartalen erzielten Bareinnahmen, was sachlich gerechtfertigt sei. In den ersten drei Quartalen habe der Kläger Bareinnahmen mit steigender Tendenz erzielt. Weshalb im vierten Quartal dann keine Bareinnahmen zugeflossen sein sollten, habe vom Kläger nicht glaubhaft dargelegt werden können. Das Unternehmen des Klägers werde von X (Bundesrepublik Deutschland) aus betrieben. Weder in der Schweiz noch in Österreich habe er in den Streitjahren eine Betriebsstätte gehabt.
Mit der Revision rügt der Kläger insbesondere die Verletzung des § 116 Abs. 1 Nr. 5 der Finanzgerichtsordnung (FGO).
1. Das FG habe den Kläger als "gewerblich tätigen Hellseher" bezeichnet. Eine gewerbliche Hellseherei erfülle regelmäßig den Tatbestand des Betrugs. Der Kläger selbst bezeichne sich als Lebensberater. Diesen Sachvortrag übergehe das FG mit Stillschweigen. Bei sachgerechter Würdigung sei der Beruf des Klägers mit dem des Gesprächstherapeuten oder dem des Psychologen vergleichbar. Insoweit werde auch die Rüge der Verletzung des rechtlichen Gehörs erhoben. Das FG wäre gehalten gewesen, von Amts wegen den Sachverhalt zu ermitteln.
2. Das Urteil stelle nicht fest, ob überhaupt eine Betriebsstätte bestehe. Dem Urteil sei nicht zu entnehmen, aufgrund welcher Unterlagen und Erwägungen es zu den tatsächlichen Entscheidungen und zu den rechtlichen Folgerungen gelangt sei.
3. In den Entscheidungsgründen würden die Gewerbesteuermeßbescheide vom 8. Juli 1991 nicht erwähnt und dennoch die Klage abgewiesen; dies bedeute eine Verletzung des § 116 Abs. 1 Nr. 5 FGO.
4. Das FG setze sich nicht mit § 4 Nr. 14 des Umsatzsteuergesetzes (UStG 1980) auseinander. Insoweit werde ebenfalls die Verletzung des § 116 Abs. 1 Nr. 5 FGO gerügt; auch habe das FG seine Aufklärungspflicht verletzt. Bei sachgerechter Prüfung wäre das FG zu dem Ergebnis gekommen, daß die Tätigkeit des Klägers einem Gesprächstherapeuten oder einem klinischen Psychologen vergleichbar sei. Das FG habe bei den ausländischen Tätigkeiten nicht geprüft, ob es auf diesen Gebieten eine berufsrechtliche Regelung gebe. Hinsichtlich der Tätigkeiten im Inland sei die bislang vom Bundesfinanzhof (BFH) vertretene Auffassung, daß es auf das Vorliegen einer Erlaubnis ankomme, umstritten. Es seien viele alternative Psychologie- und Medizinformen entstanden, die nicht der Schulmedizin und Schulpsychologie gleichzusetzen seien. Das FG habe sich mit dieser Problematik überhaupt nicht auseinandergesetzt. Es habe insoweit den Sachvortrag des Klägers als Lebensberater nicht unter die Vorschriften des § 4 Nr. 14 UStG 1980 subsumiert.
5. Auch die Schätzungsbefugnis für die Umsatzsteuer leite das Gericht aus §§ 158, 162 AO 1977 ab; eine Auseinandersetzung mit § 22 UStG 1980 finde nicht statt. Auch insoweit sei die Entscheidung nicht mit Gründen versehen (§ 116 Abs. 1 Nr. 5 FGO).
Der Kläger beantragt, das angefochtene Urteil aufzuheben.
Das FA beantragt, die Revision zu verwerfen.
Die Revision sei nicht statthaft, weil keiner der in § 116 Abs. 1 FGO genannten Verfahrensmängel ordnungsgemäß gerügt sei.
1. Entscheidungsgründe i. S. des § 116 Abs. 1 Nr. 5 FGO fehlten nur dann, wenn den Beteiligten die Möglichkeit entzogen sei, die getroffene Entscheidung auf ihre Richtigkeit und Rechtmäßigkeit zu prüfen. Das Urteil lasse hinreichend deutlich erkennen, daß das Gericht den Kläger als umsatzsteuerpflichtigen Gewerbetreibenden ansehe. Bei der Rüge des Klägers handele es sich tatsächlich nicht um eine Verfahrensrüge, sondern um die Rüge unrichtiger Anwendung sachlichen Rechts.
2. Soweit der Kläger rüge, daß das FG nicht auf die angegriffenen Gewerbesteuermeßbescheide eingegangen sei, liege ebenfalls kein Verfahrensmangel i. S. des § 116 Abs. 1 Nr. 5 FGO vor. Einer ausdrücklichen Stellungnahme des FG habe es nicht bedurft, da der vom FA ermittelte Gewinn nach § 7 des Gewerbesteuergesetzes (GewStG) der Gewerbeertrag sei.
3. Die weiteren Rügen der Nichtgewährung rechtlichen Gehörs, des Verstoßes gegen Denkgesetze sowie der Nichtwahrnehmung der Aufklärungspflicht seien keine absoluten Revisionsgründe, die geeignet wären, die Revision nach § 116 Abs. 1 FGO zu begründen.
Entscheidungsgründe
Die Revision des Klägers ist unzulässig und deshalb durch Beschluß zu verwerfen (§ 124 Abs. 1, § 126 Abs. 1 FGO).
Die Revision ist nicht zugelassen worden; der Kläger hat Verfahrensmängel, die eine ohne Zulassung statthafte Revision ergeben, nicht schlüssig gerügt.
1. Nach Art. 1 Nr. 5 des Gesetzes zur Entlastung des Bundesfinanzhofs findet abweichend von § 115 Abs. 1 FGO die Revision nur statt, wenn das FG oder auf Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision der BFH die Revision zugelassen hat. Das FG hat im Streitfall die Revision nicht zugelassen. Die Nichtzulassungsbeschwerde des Klägers hat der Senat mit Beschluß vom heutigen Tage zurückgewiesen.
2. Gemäß § 116 Abs. 1 Nr. 5 FGO bedarf es einer Zulassung zur Einlegung der Revision nicht, wenn als wesentlicher Mangel des Verfahrens gerügt wird, daß die Entscheidung nicht mit Gründen versehen sei. Nach der Rechtsprechung des BFH ist die Rüge des Verfahrensmangels nach § 116 Abs. 1 Nr. 5 FGO nur dann schlüssig erhoben, wenn geltend gemacht wird, daß eine rechtliche Begründung (§ 105 Abs. 2 Nr. 5 FGO) überhaupt fehle oder daß das FG ein selbständiges Angriffs- oder Verteidigungsmittel mit Stillschweigen übergangen habe, mithin das Urteil bezüglich eines wesentlichen Streitpunktes nicht mit Gründen versehen sei. Es muß sich um ein Angriffs- oder Verteidigungsmittel handeln, das den gesamten Tatbestand einer mit eigenständiger Wirkung ausgestatteten Rechtsnorm bildet (BFH-Beschluß vom 7. Mai 1996 VIII R 20/95, BFH/NV 1996, 832; Gräber/Ruban, Finanzgerichtsordnung, 3. Aufl., § 116 Rz. 22, § 119 Rz. 25). Dieser Verfahrensmangel ist gegeben, wenn den Beteiligten die Möglichkeit entzogen ist, die getroffene Entscheidung auf ihren Inhalt und ihre Rechtmäßigkeit zu überprüfen. Das ist insbesondere der Fall, wenn jegliche Begründung fehlt oder lediglich inhaltslose oder unverständliche Wendungen niedergeschrieben sind, die nicht erkennen lassen, von welchen Erwägungen das Gericht ausgegangen ist, und die eine Überprüfung des Rechtsstandpunkts nicht ermöglichen, oder wenn ein selbständiger Anspruch bzw. ein selbständiges Angriffs- oder Verteidigungsmittel mit Stillschweigen übergangen worden ist. Nicht ausreichend ist es, daß ein Angriff oder die Verteidigung auf ein einzelnes Tatbestandselement einer Rechtsnorm gestützt wird (BFH-Beschluß vom 30. Juli 1990 V R 49/87, BFH/NV 1991, 325; vgl. auch BFH-Urteil vom 23. Januar 1985 I R 292/81, BFHE 143, 325, BStBl II 1985, 417).
3. Der Kläger hat mit seinem Vorbringen keinen wesentlichen Verfahrensmangel im vorstehenden Sinn schlüssig dargelegt.
a) Das FG ist erkennbar davon ausgegangen, daß der Kläger gewerbliche Einkünfte bezieht. Die Art der erzielten Einkünfte ist daher Gegenstand des angefochtenen Urteils. Daß die Ausübung einer freiberuflichen Tätigkeit Gegenstand des Verfahrens gewesen wäre, läßt sich dem Vortrag des Klägers nicht entnehmen. Entsprechendes gilt für die umsatzsteuerrechtliche Beurteilung. Auch insoweit geht aus dem Urteil hervor, daß das FG von umsatzsteuerpflichtigen Leistungen ausgeht, die nicht nach § 4 Nr. 14 UStG 1980 steuerbefreit sind.
b) Zu der Frage der Betriebsstätte hat das FG ausführlich Stellung genommen. Es hat im einzelnen festgestellt, daß der Kläger weder in Österreich noch in der Schweiz eine Betriebsstätte gehabt habe und daß der "für die Geschäftsführung maßgebende Wille am Wohnsitz des Klägers, und damit in X" gebildet worden sei.
c) Der Umstand, daß die Gewerbesteuermeßbescheide nicht ausdrücklich in den Entscheidungsgründen hervorgehoben worden sind, führt ebenfalls nicht zu einem Fehlen von Entscheidungsgründen i. S. des § 116 Abs. 1 Nr. 5 FGO. Das FG hat die "angefochtenen Änderungsbescheide", zu denen auch die Gewerbesteuermeßbescheide gehörten, als rechtmäßig bezeichnet. Im übrigen ist gemäß § 7 GewStG Grundlage des Gewerbeertrags der nach den Vorschriften des EStG zu ermittelnde Gewinn aus dem Gewerbebetrieb, so daß insoweit zwischen Einkommensteuer und Gewerbesteuer keine Unterschiede bestehen.
d) Das FG ist auch auf die Frage der Schätzungsbefugnis eingegangen. Dabei stand für das FG die Frage der Verletzung der Aufbewahrungspflicht von Unterlagen im Vordergrund; konkludent ist das FG damit von der sich aus § 22 UStG 1980 ergebenden Aufzeichnungspflicht ausgegangen. In jedem Fall kann auch insoweit nicht angenommen werden, daß ein selbständiger Streitkomplex vom FG nicht behandelt worden ist.
4. Andere wesentliche Mängel des Verfahrens i. S. des § 116 Abs. 1 FGO hat der Kläger nicht gerügt.
Fundstellen
Haufe-Index 421993 |
BFH/NV 1997, 502 |