Entscheidungsstichwort (Thema)

NZB: Übergehen von Beweisanträgen, Verstoß gegen das Gesamtergebnis des Verfahrens

 

Leitsatz (NV)

  1. § 76 Abs. 1 Satz 1 FGO ist eine Verfahrensvorschrift, auf deren Einhaltung der Prozessbeteiligte ‐ ausdrücklich oder durch Unterlassen der Rüge ‐ verzichten kann.
  2. Die Rüge, das FG habe einen Beweisantrag übergangen, erfordert daher u.a. den Vortrag, dass die Nichterhebung der angebotenen Beweise in der mündlichen Verhandlung gerügt wurde oder weshalb die Rüge nicht möglich war.
  3. Ergibt sich aus dem Protokoll der mündlichen Verhandlung nicht, dass das Übergehen eines Beweisantrags gerügt wurde, hätte der Beschwerdeführer vortragen müssen, in der mündlichen Verhandlung eine Protokollierung der Rüge verlangt, und ‐ im Falle der Weigerung des Gerichts, die Protokollierung vorzunehmen ‐ eine Protokollberichtigung beantragt zu haben.
  4. Die Rüge, das FG habe seiner Entscheidung nicht das Gesamtergebnis des Verfahrens zugrunde gelegt, weil es vom Kläger vorgelegte Unterlagen im Urteil nicht berücksichtigt habe, ist nicht begründet, wenn diese Unterlagen im Tatbestand des FG-Urteils sämtlich genannt sind.
 

Normenkette

FGO §§ 76, 94, 96, 115 Abs. 2 Nr. 3, § 116 Abs. 3 S. 3; ZPO § 160 Abs. 4, § 164

 

Verfahrensgang

Niedersächsisches FG (Urteil vom 31.07.2003; Aktenzeichen 6 K 555/02)

 

Gründe

Die Beschwerde ist unzulässig. Der Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) hat keinen der in § 115 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) angeführten Gründe für die Zulassung der Revision i.S. des § 116 Abs. 3 Satz 3 FGO schlüssig dargelegt.

1. Mit der Rüge, das Finanzgericht (FG) habe durch Nichterhebung angebotener Beweise ―im Streitfall: Vernehmung der Zeugin X― seine Sachaufklärungspflicht (§ 76 FGO) verletzt, macht der Kläger zwar einen Verfahrensmangel i.S. des § 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO geltend. Den Anforderungen der Vorschrift genügt sein Vorbringen aber bereits deshalb nicht, weil § 76 Abs. 1 Satz 1 FGO eine Verfahrensvorschrift ist, auf deren Einhaltung der Prozessbeteiligte ―ausdrücklich oder durch Unterlassen der Rüge― verzichten kann (§ 155 FGO i.V.m. § 295 der Zivilprozessordnung ―ZPO―). Die Rüge, das FG habe einen Beweisantrag übergangen, erfordert daher u.a. den Vortrag, dass die Nichterhebung der angebotenen Beweise in der mündlichen Verhandlung gerügt wurde oder weshalb die Rüge nicht möglich war (ständige Rechtsprechung, vgl. z.B. Beschlüsse des Bundesfinanzhofs ―BFH― vom 6. Juni 1994 I B 19-21/94, BFH/NV 1995, 441; vom 19. August 1994 X B 124/94, BFH/NV 1995, 238).

Diesen Anforderungen wird die Beschwerde nicht gerecht. Das Übergehen eines Beweisantrages kann nicht mehr mit Erfolg geltend gemacht werden, wenn der Beteiligte den Verfahrensmangel in der mündlichen Verhandlung vor dem FG nicht gerügt hat, obwohl dort zu erkennen war, dass das Gericht den Beweis nicht erheben wird (vgl. BFH-Beschluss vom 31. Januar 1989 VII B 162/88, BFHE 155, 498, BStBl II 1989, 372). Dass der Kläger das Übergehen eines Beweisantrages gerügt hätte, ergibt sich aus dem Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 31. Juli 2003 jedoch nicht. Der Kläger hätte daher vortragen müssen, in der mündlichen Verhandlung eine Protokollierung der Rüge verlangt, und ―im Falle der Weigerung des Gerichts, die Protokollierung vorzunehmen― eine Protokollberichtigung gemäß § 94 FGO i.V.m. den §§ 160 Abs. 4, 164 ZPO beantragt zu haben (vgl. BFH-Beschluss vom 9. November 1999 II B 14/99, BFH/NV 2000, 582). Dazu fehlt jeglicher Vortrag.

2. Die Rüge, das FG habe seiner Entscheidung nicht das Gesamtergebnis des Verfahrens zugrunde gelegt, weil es die vom Kläger vorgelegten Unterlagen, die auf eine Weiterleitung des Kindergeldes deuteten, nicht in der Urteilsbegründung berücksichtigt habe, ist ebenfalls nicht zulässig erhoben. Zum einen sind diese Unterlagen im Tatbestand des FG-Urteils sämtlich genannt; zum anderen hat das FG eine Weiterleitung des Kindergeldes bereits deshalb verneint, weil die Kindesmutter selbst einen Antrag auf Kindergeld gestellt und dieses auch erhalten hat. Außerdem wendet sich der Kläger mit diesem Vorbringen inhaltlich gegen die Sachverhalts- und Beweiswürdigung des FG. Darin liegt jedoch nicht die Geltendmachung eines Verfahrensfehlers, sondern falscher materieller Rechtsanwendung, die nicht zur Zulassung der Revision führt (ständige Rechtsprechung, vgl. z.B. BFH-Beschlüsse vom 29. Oktober 1998 X B 132/98, BFH/NV 1999, 510; vom 4. August 1999 IV B 96/98, BFH/NV 2000, 70). Denn die Sachverhalts- und Beweiswürdigung sind revisionsrechtlich dem materiellen Recht zuzuordnen (vgl. BFH-Beschluss vom 3. Februar 2000 I B 40/99, BFH/NV 2000, 874).

3. Von einer weiteren Begründung wird gemäß § 116 Abs. 5 Satz 2 FGO abgesehen.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1160170

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