Entscheidungsstichwort (Thema)
Einstweilige Anordnung bei Aufforderung zur Abgabe der eidesstattlichen Versicherung
Leitsatz (NV)
Ein Anordnungsanspruch für eine auf Unterlassung der Vollziehung eines Haftbefehls gerichtete einstweilige Anordnung kann der Anspruch auf fehlerfreie Ermessensausübung i. S. des § 284 Abs. 2 AO 1977 jedenfalls dann nicht sein, wenn ein formal ordnungsgemäßes Vermögensverzeichnis trotz wirksamer Aufforderung noch nicht vorgelegt worden ist.
Normenkette
FGO § 114; AO 1977 § 284 Abs. 2
Tatbestand
Der Antragsgegner und Beschwerdegegner (das Finanzamt - FA -) forderte den Geschäftsführer der Antragstellerin und Beschwerdeführerin (Antragstellerin) zur Abgabe eines Vermögensverzeichnisses und der eidesstattlichen Versicherung nach § 284 der Abgabenordnung (AO 1977) auf und setzte Termin auf den . . . 1989 an. Die nach erfolgloser Beschwerde dagegen erhobene Klage nahm die Antragstellerin in der mündlichen Verhandlung zurück. In dem im Juni 1990 eingereichten Vermögensverzeichnis trug die Antragstellerin als Außenstände ,,Diverse nicht mehr beitreibbare Forderung(en), teilweise tituliert" ein. Das FA bat erfolglos um Einreichung einer Debitorenliste und wies darauf hin, daß es anderenfalls das Amtsgericht um Anordnung der Haft ersuchen müsse. Das Amtsgericht erließ im August 1990 auf Ersuchen des FA einen Haftbefehl. Die dagegen eingelegte sofortige Beschwerde wies das Landgericht . . . mit Beschluß vom . . . Oktober 1990 als unbegründet zurück.
Die Antragstellerin beantragte im November 1990 beim Finanzgericht (FG), das FA zu verpflichten, den Haftbefehl des Amtsgerichts von der Vollziehung auszusetzen. Das FG wertete diesen Antrag dahin, daß dem FA im Wege der einstweiligen Anordnung untersagt werden solle, den Haftbefehl an den Gerichtsvollzieher weiterzuleiten. Es lehnte diesen Antrag mit der Begründung ab, daß unabhängig von den Zweifeln am Vorliegen eines Anordnungsgrundes jedenfalls ein Anordnungsanspruch nicht gegeben sei. Dem Begehren der Antragstellerin auf Gewährung effektiven Rechtsschutzes sei durch die Möglichkeit der sofortigen Beschwerde gegen den Beschluß des Amtsgerichts über die Anordnung der Haft hinreichend Rechnung getragen worden. Die Antragstellerin habe nur ihr Vorbringen aus dem Verfahren vor dem Landgericht wiederholt.
Zur Begründung ihrer Beschwerde trägt die Klägerin vor: Sie habe sich vor dem FG zur Rücknahme ihrer Klage gegen die Anordnung der eidesstattlichen Versicherung entschlossen, weil nach dem Ergebnis der Erörterung in der mündlichen Verhandlung die Finanzbehörde nach Vorlage des Vermögensverzeichnisses eine Ermessensentscheidung darüber zu treffen habe, ob die Abgabe der eidesstattlichen Versicherung verlangt werden könne, und weil die Klage unzulässig sei, solange eine Vermögensaufstellung noch nicht abgegeben sei. Durch die gegenüber dieser Auffassung unterschiedliche Argumentation des Landgerichts stehe sie nunmehr rechtlos da. Beantragt werden solle letztlich eine nachvollziehbare Ermessensentscheidung über die Aufforderung zur Abgabe der eidesstattlichen Versicherung. Dieses Rechtsmittel sei ihr nunmehr genommen, was eindeutig eine Grundrechtsverletzung (Art. 19 Abs. 4 des Grundgesetzes - GG -) darstelle.
Entscheidungsgründe
Die Beschwerde ist unbegründet.
Der Senat geht mangels eines anderweitigen Vortrags in der Beschwerdeschrift davon aus, daß die Antragstellerin mit der Beschwerde den Erlaß einer einstweiligen Anordnung mit dem vom FG angenommenen Inhalt erstrebt.
Der Erlaß der erstrebten einstweiligen Anordnung scheitert - wie die Vorinstanz zu Recht angenommen hat - daran, daß die Antragstellerin weder einen Anordnungsanspruch noch einen Anordnungsgrund dargelegt und glaubhaft gemacht hat (§ 114 Abs. 3 der Finanzgerichtsordnung - FGO - i. V. m. § 920 Abs. 2 der Zivilprozeßordnung - ZPO -).
1. Anordnungsanspruch ist das Recht oder Rechtsverhältnis, das im Hauptsacheverfahren Gegenstand des Klagebegehrens sein soll. Ist das Hauptsacheverfahren bereits abgeschlossen, so können die Ansprüche, die Streitgegenstand des Hauptsacheverfahrens waren und rechtskräftig abgelehnt wurden, naturgemäß nicht mehr zur Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes führen und folglich auch keinen Anordnungsanspruch mehr begründen.
a) Nachdem das Landgericht die sofortige Beschwerde (§ 793 ZPO) der Antragstellerin gegen die Anordnung der Haft (§ 901 ZPO) als unbegründet zurückgewiesen und die Antragstellerin nicht geltend gemacht hat, daß ein Verfahren wegen einer weiteren Beschwerde nach § 568 Abs. 2 ZPO anhängig ist, können Rechte, die Gegenstand dieses Verfahrens waren und über die in diesem Verfahren bereits rechtskräftig entschieden wurde, keinen Anordnungsanspruch mehr begründen.
b) Als Anordnungsanspruch kommt auch nicht ein Anspruch auf Aufhebung der Aufforderung zur Abgabe eines Vermögensverzeichnisses und einer eidesstattlichen Versicherung nach § 284 AO 1977 in Betracht. Denn aufgrund der Klagerücknahme ist insoweit bereits das Hauptsacheverfahren abgeschlossen und diese Anordnung bestandskräftig geworden. Das bedeutet, daß Einwände gegen die Verpflichtung des Geschäftsführers der Antragstellerin zur Abgabe des Vermögensverzeichnisses und der Versicherung seiner Richtigkeit an Eides Statt keinen Anordnungsanspruch begründen können.
c) Entgegen der Auffassung der Antragstellerin tritt im Streitfall durch die Annahme, daß ein Anordnungsanspruch nicht vorliegt, keine grundrechtswidrige Rechtsschutzverkürzung ein. Die Antragstellerin begehrt nach ihrem eigenen Vorbringen eine nachvollziehbare Ermessensentscheidung über die Aufforderung zur Abgabe der eidesstattlichen Versicherung. Dadurch, daß sie ihre gegen die Aufforderung zur Abgabe eines Vermögensverzeichnisses und einer eidesstattlichen Versicherung gerichtete Klage zurückgenommen hat, liegt eine bestandskräftige Entscheidung über die Rechtmäßigkeit und Ermessensfehlerfreiheit dieser Aufforderung in Form der Beschwerdeentscheidung der Oberfinanzdirektion vor. Diese Bestandskraft ist also dadurch eingetreten, daß die Antragstellerin den gesetzlich vorgesehenen gerichtlichen Rechtsbehelf zurückgenommen und damit durch eigenes, gewolltes Verhalten den zunächst beschrittenen Rechtsweg beendet hat.
2. Als Anordnungsanspruch auf Unterlassung der Vollziehung des Haftbefehls ist auch nicht ein Anspruch der Antragstellerin auf fehlerfreie Ermessensausübung nach § 284 Abs. 2 AO 1977 (Abnahme einer eidesstattlichen Versicherung) gegeben.
Der Haftbefehl, dessen Rechtmäßigkeit das Landgericht bestätigt hat und dessen Vollziehung die Antragstellerin verhindern will, dient nach der ausdrücklichen Begründung des FA im Verwaltungsverfahren der Erzwingung der Abgabe eines ordnungsgemäßen Vermögensverzeichnisses. Darauf hat das FA auch im vorliegenden Verfahren nochmals hingewiesen. Erst wenn das Vermögensverzeichnis formell richtig und vollständig ist, darf die eidesstattliche Versicherung abgenommen werden (vgl. Thomas / Putzo, Zivilprozeßordnung mit Nebengesetzen, 14. Aufl., § 902 Anm. 2). Erst nach Kenntnisnahme des formell ordnungsgemäßen Vermögensverzeichnisses kann also die Behörde unter Berücksichtigung des Inhalts des abgegebenen Verzeichnisses die Entscheidung über die Abnahme einer eidesstattlichen Versicherung gemäß § 284 Abs. 2 AO 1977 treffen.
Soweit sich aus § 284 Abs. 2 Satz 2 AO 1977 ergibt, daß die Vollstreckungsbehörde von der Abnahme der eidesstattlichen Versicherung absehen kann und insoweit eine Ermessensentscheidung zu treffen hat, hat die Antragstellerin selbst vorgetragen, daß diese Situation erst nach Vorlage des Vermögensverzeichnisses gegeben ist. Im Streitfall beanstandet das FA jedoch zu Recht, daß ein ordnungsgemäßes Vermögensverzeichnis bisher trotz Aufforderung nicht abgegeben worden ist. Solange eine wesentliche Voraussetzung für die Ausübung des durch § 284 Abs. 2 Satz 2 AO 1977 eingeräumten Ermessens, nämlich das Vorliegen eines ordnungsgemäßen Vermögensverzeichnisses, nicht gegeben ist, kann auch ein Anspruch der Antragstellerin auf eine nachvollziehbare Ermessensentscheidung nicht verletzt worden sein.
Ob ein aufschiebend bedingter Anspruch auf ermessensgerechte Entscheidung über das Absehen von der Abnahme der eidesstattlichen Versicherung nach Vorlage eines ordnungsgemäßen Vermögensverzeichnisses einen Anordnungsanspruch darstellen kann, kann im Streitfall dahingestellt bleiben. Denn auf jeden Fall träfe auch insoweit zu, daß ein Anordnungsgrund nicht gegeben wäre.
3. Nach § 114 Abs. 1 Satz 2 FGO ist ein Anordnungsgrund nur gegeben, wenn die einstweilige Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile, zur Verhinderung drohender Gewalt oder aus anderen Gründen, die sich im Streitfall allerdings nicht schon allein aus dem Vollzug der Haft als gesetzlich vorgesehenes Zwangsmittel (§ 284 Abs. 7 AO 1977) ergeben können, vor Abschluß des Hauptsacheverfahrens ,,nötig" erscheint. Notwendig ist nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs die einstweilige Anordnung nur, wenn das private Interesse des Antragstellers an der einstweiligen Regelung das öffentliche Interesse an der Aufrechterhaltung des gegenwärtigen Zustandes überwiegt und die vorläufige Maßnahme unumgänglich ist, um wesentliche Beeinträchtigungen zu vermeiden (vgl. Beschluß vom 12. April 1984 VIII B 115/82, BFHE 140, 430, BStBl II 1984, 492, 494).
Diese Voraussetzungen sind im Streitfall nicht erfüllt. Denn die Antragstellerin hat keine Tatsachen dargelegt und glaubhaft gemacht, die wesentliche Beeinträchtigungen ihrer Rechtsposition im Falle des Vollzugs des Haftbefehls aus besonderen Gründen erkennen lassen. Vielmehr besteht ein öffentliches Interesse daran, daß die Antragstellerin ihrer Verpflichtung zur Abgabe eines ordnungsgemäßen und vollständigen Vermögensverzeichnisses nachkommt. Da sie diese Verpflichtung nicht freiwillig erfüllt und die vom FA erbetene Debitorenliste nicht vorgelegt hat, muß sie es hinnehmen, daß ihre rechtskräftig feststehende Verpflichtung dazu mit den dafür im Gesetz vorgesehenen Mitteln, zu denen auch die Haft gehört (§ 284 Abs. 7 AO 1977), erzwungen wird.
Anhaltspunkte dafür, daß der Anspruch der Antragstellerin auf fehlerfreie Ermessensausübung durch das FA nach Vorlage des ordnungsgemäßen Vermögensverzeichnisses gefährdet ist, hat die Antragstellerin nicht dargelegt und glaubhaft gemacht. Sie hat insbesondere keine Tatsachen oder sonstigen Gesichtspunkte vorgetragen, die dafür sprechen, daß das FA nach Vorlage eines ordnungsgemäßen Vermögensverzeichnisses nicht prüfen wird, ob es von der Abnahme der eidesstattlichen Versicherung absehen will. Solche Umstände sind auch sonst nicht ersichtlich.
Fundstellen
Haufe-Index 417846 |
BFH/NV 1992, 519 |