Entscheidungsstichwort (Thema)
Wiedereinsetzung in den vorigen Stand: Zeitpunkt des "Wegfalls des Hindernisses" bei Erkundigungspflicht
Leitsatz (NV)
Unter Wegfall des Hindernisses i.S. des § 56 Abs. 2 Satz 1 FGO ist der Zeitpunkt zu verstehen, zu dem der Prozessbeteiligte bzw. sein Bevollmächtigter Kenntnis von der Fristversäumung erhalten hat oder bei ordnungsgemäßer Verfolgung der Rechtssache hätte haben können. Liegen Umstände vor, die zu Zweifeln führen, ob die Rechtsmittelfrist eingehalten worden ist, oder hätten aufgrund solcher Umstände Zweifel kommen müssen, so beginnt die Wiedereinsetzungsfrist des § 56 Abs. 2 Satz 1 FGO spätestens in dem Zeitpunkt, in dem durch Nachfrage Gewissheit über die Rechtzeitigkeit des Rechtsmittels hätte erlangt werden können. Auch die gerichtliche Mitteilung über den Eingang einer Klage löst eine Erkundigungspflicht aus, wenn sie ein Eingangsdatum nennt, zu dem die Klagefrist bereits abgelaufen war.
Normenkette
FGO § 56 Abs. 2 S. 1, § 115 Abs. 2 Nr. 3
Verfahrensgang
FG Köln (Urteil vom 13.10.2008; Aktenzeichen 4 K 2157/08) |
Gründe
Die Beschwerde ist unbegründet.
Nach ständiger Rechtsprechung stellt es einen Verfahrensmangel i.S. von § 115 Abs. 2 Nr. 3 der Finanzgerichtsordnung (FGO) dar, wenn das Finanzgericht (FG) über eine in Wahrheit zulässige Klage nicht zur Sache, sondern durch Prozessurteil entscheidet (Beschlüsse des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 10. Januar 2002 IV B 32/01, BFH/NV 2002, 927; vom 9. August 2004 VI B 161/02, BFH/NV 2004, 1668). Das FG hat jedoch zu Recht eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Nichteinhaltung der Antragsfrist versagt und die Klage wegen Versäumung der Klagefrist als unzulässig abgewiesen.
Gemäß § 56 Abs. 2 Satz 1 FGO ist der Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand innerhalb von zwei Wochen nach Wegfall des Hindernisses zu stellen. Unter diesem verschuldensabhängigen Tatbestandsmerkmal ist der Zeitpunkt zu verstehen, zu dem der Beteiligte oder sein Prozessbevollmächtigter (§ 155 FGO i.V.m. § 85 Abs. 2 der Zivilprozessordnung) Kenntnis von der Fristversäumnis erhalten hat oder bei ordnungsgemäßer Verfolgung der Rechtssache hätte haben können. Der Kläger ist zwar regelmäßig nicht gehalten, den rechtzeitigen Zugang eines Schriftstücks zu überwachen. Liegen jedoch Umstände vor, die ihn zweifeln lassen, ob die Rechtsmittelfrist eingehalten worden ist, oder hätten ihm aufgrund solcher Umstände Zweifel kommen müssen, beginnt die Antragsfrist spätestens in dem Zeitpunkt, in dem er durch Nachfrage Gewissheit über die Rechtzeitigkeit des Rechtsmittels hätte erlangen können (Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 11. Januar 1991 1 BvR 1435/89, Neue Juristische Wochenschrift 1992, 38; BFH-Entscheidungen vom 30. Juni 1967 VI R 248/66, BFHE 89, 330, BStBl III 1967, 613; vom 20. Dezember 2000 I B 116/00, BFH/NV 2001, 481). Auch eine gerichtliche Mitteilung über den Eingang eines Schriftstücks löst eine Erkundigungspflicht aus, wenn in ihr eine Tatsachenmitteilung enthalten ist, die unzweideutig bekundet, dass etwas fehlgelaufen ist; es bedarf keines ausdrücklichen Hinweises des Gerichts, dass die Rechtsmittelfrist versäumt worden ist (Erhalt einer Eingangsbestätigung, die einen Eingang nach Ablauf der Klagefrist mitteilt: BFH-Urteil vom 16. Dezember 1988 III R 13/85, BFHE 155, 282, BStBl II 1989, 328; Erhalt eines Streitwertbeschlusses trotz Einlegung der Revision: BFH-Beschluss vom 22. Juli 1997 III R 9/97, BFH/NV 1998, 56).
Gemäß diesen Grundsätzen hat der Kläger und Beschwerdeführer die Zweiwochenfrist für den Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nicht eingehalten. Seinem Prozessbevollmächtigten hätten bei Erhalt der Eingangsbestätigung Zweifel am rechtzeitigen Eingang der Klage kommen müssen, die durch kurzfristige Rückfrage beim FG hätten geklärt werden können. Diese standardisierte Mitteilung enthält die üblichen Hinweise des Gerichts nach Eingang der Klage, insbesondere die Zuteilung eines Aktenzeichens verbunden mit der Bitte um Angabe desselben in künftigen Schriftsätzen und die vorläufige Bemessung der Gerichtskosten. Reicht die Partei Klage und Klagebegründung mit zwei verschiedenen Schriftsätzen ein, versendet die Geschäftsstelle des Gerichts die Bestätigung erst- und einmalig nach Eingang der Klage und keine weitere nach der Klagebegründung. Die im unmittelbaren zeitlichen Zusammenhang mit der Klagebegründung vom 25. Juni 2008 dem Prozessbevollmächtigten zugegangene Eingangsbestätigung nennt als Eingangsdatum den 27. Juni 2008, zu dem die Klagefrist bereits abgelaufen war, obwohl der Prozessbevollmächtigte die Klageschrift spätestens am 2. Mai 2008 und damit bereits etwa zwei Monate vor der Begründung abgesendet haben will, ohne dass er zeitnah eine Eingangsbestätigung erhielt. Die zweiwöchige Antragsfrist begann daher spätestens mit dem Zugang der Eingangsbestätigung vom 30. Juni 2008 und war im Zeitpunkt der Antragstellung am 12. August 2008 bereits abgelaufen. Die fehlerhafte Sachbehandlung des FG in den Schreiben vom 5. und 12. August 2008 konnte sich auf den (Ab-)Lauf der Antragsfrist nicht mehr auswirken.
Fundstellen