Entscheidungsstichwort (Thema)
Nachweis der medizinischen Notwendigkeit von Aufwendungen
Leitsatz (NV)
1. Werden die normalen Postlaufzeiten überschritten, darf das im Rahmen der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nicht als Verschulden gewertet werden (st. Rspr.).
2. Kosten für Maßnahmen, die nach der Lebenserfahrung nicht ausschließlich von Kranken aufgrund einer medizinischen Indikation unmittelbar zur Behandlung oder Linderung einer Krankheit ergriffen werden, sind nur dann als außergewöhnliche Belastungen zu berücksichtigen, wenn im Einzelfall durch ein vor Durchführung der Maßnahme ausgestelltes amts- oder vertrauensärztliches Zeugnis nachgewiesen wird, daß die Maßnahme zur Heilung oder Linderung einer Krankheit des Steuerpflichtigen notwendig ist und daß eine andere Behandlung nicht oder kaum erfolgversprechend erscheint (st. Rspr.).
3. Die medizinische Notwendigkeit einer solchen Maßnahme kann durch die Bescheinigung des Arbeitgebers über die Lohnfortzahlung während der Durchführung der Maßnahme auch dann nicht nachgewiesen werden, wenn es sich bei ihm um eine öffentlich-rechtliche Körperschaft handelt.
Normenkette
FGO § 56; EStG § 33 Abs. 1
Gründe
Die Beschwerde bleibt erfolglos.
Der Klägerin ist hinsichtlich der versäumten Beschwerdefrist nach § 56 der Finanzgerichtsordnung (FGO) Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren. Denn es ist glaubhaft gemacht, daß ihr Prozeßbevollmächtigter, dessen Verhalten sie sich wie eigenes zurechnen lassen muß, die Beschwerdeschrift so rechtzeitig bei der Post eingeliefert hat, daß sie bei normaler Postlaufzeit vor Fristablauf beim Finanzgericht (FG) hätte eingehen müssen. Werden -- wie hier -- die normalen Postlaufzeiten überschritten, darf das im Rahmen der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nicht als Verschulden gewertet werden (Beschlüsse des BVerfG vom 4. Mai 1977 2 BvR 616/75, BVerfGE 44, 302; vom 1. Dezember 1982 1 BvR 607/82, BVerfGE 62, 334; Urteil des BFH vom 4. Juni 1992 IV R 123- 124/91, BFHE 169, 132, BStBl II 1993, 125).
Die Beschwerde ist jedoch unbegründet. Die Rechtssache hat insbesondere keine grundsätzliche Bedeutung i. S. des § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO. In dem angestrebten Revisionsverfahren würde sich keine Rechtsfrage stellen, die bisher höchstrichterlich nicht geklärt ist und deren Beantwortung durch den BFH für die Bewahrung der Einheitlichkeit der Rechtsprechung oder die Fortentwicklung des Rechts erforderlich erscheint.
Nach der ständigen Rechtsprechung des BFH sind die Kosten für Maßnahmen, die nach der Lebenserfahrung nicht ausschließlich von Kranken aufgrund einer medizinischen Indikation unmittelbar zur Behandlung oder Linderung einer Krankheit ergriffen werden (vgl. z. B. BFH-Urteile vom 9. August 1991 III R 54/90, BFHE 165, 272, BStBl II 1991, 920, und vom 17. Juli 1981 VI R 77/78, BFHE 133, 545, BStBl II 1981, 711), nur dann als außergewöhnliche Belastungen nach § 33 Abs. 1 EStG zu berücksichtigen, wenn im Einzelfall durch ein vor Durchführung der Maßnahme ausgestelltes amts- oder vertrauensärztliches Zeugnis nachgewiesen wird, daß die Maßnahme zur Heilung oder Linderung einer Krankheit des Steuerpflichtigen notwendig ist und daß eine andere Behandlung nicht oder kaum erfolgversprechend erscheint (Senatsurteile vom 23. Oktober 1987 III R 64/85, BFH/NV 1988, 149, m. w. N., und vom 29. Oktober 1992 III R 232/90, BFH/NV 1993, 231). Daran hat der Senat in dem Urteil vom 30. Juni 1995 III R 52/93 (BFHE 178, 81, BStBl II 1995, 614), auf das sich die Beschwerde bezieht, ausdrücklich festgehalten. Von dem Nachweiser fordernis, das zur Verhinderung ungerechtfertigter steuerlicher Vorteile aufgestellt worden ist, können nur in begründeten Einzelfällen Ausnahmen zugelassen werden, wenn die Bescheinigung einer Versicherungsanstalt oder die Bestätigung einer Behörde vorgelegt wird, die die Notwendigkeit der Maßnahme im Rahmen der Bewilligung von Zuschüssen oder Beihilfen geprüft und anerkannt hat. Der Senat hat dabei hervorgehoben, es müsse sich in einem solchen Fall aus dem Attest oder der Bescheinigung zweifelsfrei ergeben, daß der Steuerpflichtige krank und die fragliche Maßnahme zu seiner Behandlung medizinisch angezeigt ist. Daran hat der Senat in dem Urteil in BFHE 178, 81, BStBl II 1995, 614 festgehalten und ein Absehen von der Vorlage eines vor der betreffenden Maßnahme ausgestellten amts- oder vertrauensärztlichen Attestes nur dann für gerechtfertigt gehalten, wenn die medizinische Notwendigkeit der Maßnahme von einer gesetzlichen Krankenkasse geprüft und von ihr ein Kostenzuschuß gewährt worden ist.
Nach dieser Rechtsprechung ist die von der Beschwerde aufgeworfene, angebliche Grundsatzfrage, ob die medizinische Notwendigkeit einer nur mittelbar der Heilung oder Linderung einer Krankheit dienenden Maßnahme auch durch die Bescheinigung eines (öffentlichen) Arbeitgebers über die Lohnfortzahlung während der Durchführung der Maßnahme nachgewiesen werden kann, ohne weiteres zu verneinen. Denn die Lohnfortzahlung im Krankheitsfall beruht -- auch wenn sie durch eine öffentlich-rechtliche Körperschaft erfolgt -- im allgemeinen nicht auf einer Prüfung der medizinischen Notwendigkeit der Maßnahmen, durch die der Arbeitnehmer an der Arbeit gehindert war. Zwar besteht der Anspruch auf Lohnfortzahlung nach § 3 Abs. 1 des Entgeltfortzahlungsgesetzes nur, wenn der Arbeitnehmer durch Arbeitsunfähigkeit infolge Krankheit an seiner Arbeitsleistung verhindert ist. Die dafür von ihm nach § 5 Abs. 1 des Entgeltfortzahlungsgesetzes vorzulegende ärztliche Bescheinigung über die Arbeitsunfähigkeit gibt jedoch dem Arbeitgeber über die Art der Krankheit und ihre Ursächlichkeit für die Arbeitsunfähigkeit keinen Aufschluß und ermöglicht ihm daher eine eigene Prüfung der Ursachen für das Ausbleiben der ihm geschuldeten Arbeitsleistung nicht. Eine Bescheinigung des Arbeitgebers über die Lohnfortzahlung kommt schon deshalb nach den Grundsätzen des Senatsurteils in BFHE 178, 81, BStBl II 1995, 614, anders als die Entscheidung einer gesetzlichen Krankenversicherung über die Kostenübernahme, die auf einer Überprüfung und Befürwortung der Maßnahmen durch unabhängige, medizinisch qualifizierte Sachverständige beruht (vgl. § 275 Abs. 2 Nr. 1 des Sozialgesetzbuchs V), nicht als Ersatz für ein amtsärztliches Attest in Betracht.
Im übrigen, insbesondere hinsichtlich der erhobenen Verfahrensrügen, ergeht die Entscheidung gemäß Art. 1 Nr. 6 des Gesetzes zur Entlastung des Bundesfinanzhofs in der Fassung des Gesetzes zur Änderung des Gesetzes zur Entlastung des Bundesfinanzhofs vom 20. Dezember 1993 (BGBl I 1993, 2236) ohne Angabe von weiteren Gründen.
Fundstellen
Haufe-Index 421780 |
BFH/NV 1997, 291 |