Leitsatz (amtlich)
Es ist ernstlich zweifelhaft, ob Hinterziehungszinsen nach § 4 a StSäumG gefordert werden können, wenn das auf eine Steuerverkürzung i. S. des § 392 AO abzielende Verhalten des Steuerpflichtigen oder eines sonst Verantwortlichen zu Steuerfestsetzungen geführt hat, die wegen des Mißtrauens des FA noch nicht als abschließende Regelung des Steuerfalles anzusehen sind.
Normenkette
StSäumG § 4a
Tatbestand
Der Antragsteller und Beschwerdegegner (Antragsteller) ist einer der persönlich haftenden Gesellschafter der S & Co. KG (KG). Anfang Juli 1971 reichte der Prozeßbevollmächtigte des Antragstellers für die KG eine vorläufige Erklärung zur einheitlichen und gesonderten Gewinnfeststellung für 1969 sowie eine vorläufige Bilanz mit Gewinn- und Verlustrechnung für das Geschäftsjahr 1969 ein. In dem unter Bezugnahme auf § 100 Abs. 2 AO für vorläufig erklärten Bescheid vom 3. August 1971 stellte der Antragsgegner und Beschwerdeführer (das FA) entsprechend der genannten Erklärung die Einkünfte der KG auf 298 936 DM und den Anteil des Antragstellers daran mit 39 429 DM fest. Das damals für die Einkommensteuer-Veranlagung zuständige FA, dem der genannte Gewinnanteil mitgeteilt worden war, setzte mit Bescheid vom 12. Oktober 1971 unter Berücksichtigung weiterer Anteile am Gewinn anderer Gesellschaften die Einkommensteuer 1969 für den Antragsteller auf 20 388 DM und die Ergänzungsabgabe auf 611 DM fest.
Mit Schreiben vom 11. Januar 1974 zeigte der Prozeßbevollmächtigte des Antragstellers unter Bezugnahme auf § 165 e AO dem FA an, eine innerbetriebliche Prüfung habe ergeben, daß die vorläufige Erklärung der KG vom 5. Juli 1971 unrichtig gewesen sei; hiermit würden die Bilanz sowie die Gewinn- und Verlustrechnung zum 31. Dezember 1969 vom 17. September 1973 sowie eine Aufstellung vom 11. Januar 1974 eingereicht; ferner seien die in der Aufstellung vom 5. Juli 1971 angegebenen Einkünfte auf 659 955 DM (bisher 298 936 DM) zu erhöhen. Das FA erließ entsprechend diesen Angaben am 6. Februar 1974 einen berichtigten und wiederum gemäß § 100 Abs. 2 AO vorläufigen einheitlichen Gewinnfeststellungsbescheid. Von dem Gesamtgewinn von 659 955 DM wurde dem Antragsteller ein Gewinnanteil von 84 666 DM zugerechnet. Die Einkommensteuer-Veranlagung des Antragstellers wurde mit Bescheid vom 6. Februar 1974 nach § 218 Abs. 4 AO in der Weise berichtigt, daß sich die Einkommensteuer auf 42 870 DM und die Ergänzungsabgabe auf 1 286 DM erhöhte.
Am 16. August 1974 erließ das FA gegen den Antragsteller einen weiteren Bescheid, in welchem es für 27 Monate gemäß § 4 a StSäumG 3 105 DM Hinterziehungszinsen von 22 400 DM Einkommensteuer und 600 DM Ergänzungsabgabe anforderte. Nach erfolglosem Einspruch erhob der Antragsteller Klage mit dem Antrag, den Zinsbescheid aufzuheben. Er beantragte gleichzeitig beim FG, die Vollziehung des Zinsbescheids auszusetzen. Er trug vor, Hinterziehungszinsen könnten nur bei Vorliegen der objektiven und subjektiven Voraussetzungen einer Steuerhinterziehung (§ 392 AO) gefordert werden. Hieran fehle es bei ihm und seinem Prozeßbevollmächtigten.
Das FG entsprach diesem Begehren und hob die Vollziehung des Zinsbescheides für die Dauer der Rechtshängigkeit des Hauptverfahrens beim FG in vollem Umfang auf. Das FG führte aus:
Es beständen Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Zinsbescheides insofern, als § 4 a StSäumG das Vorliegen einer Steuerhinterziehung (§ 392 AO) voraussetze. Im Streitfall sei der Gewinn der KG deshalb zu niedrig ausgewiesen worden, weil unterlassen worden sei, gezahlte Einfuhrumsatzsteuer zu aktivieren. Es sei zwar die Möglichkeit nicht auszuschließen, daß die Nichtaktivierung auf einem vorsätzlichen Verhalten beruht habe. Die vom FA bisher vorgelegten Unterlagen ließen aber die Annahme eines diesbezüglichen Vorsatzes bis jetzt noch nicht mit hinreichender Sicherheit zu. Es sei nicht einmal feststellbar, wer für die zu niedrige Erklärung des Gewinns und die verspätete Berichtigung verantwortlich gewesen sei. In Betracht kämen dafür nach den bisher vorliegenden Akten insbesondere die persönlich haftenden Gesellschafter der KG, der Prozeßbevollmächtigte des Antragstellers, der die Gewinnerklärung der KG als Bevollmächtigter unterzeichnet habe, sowie zwei Angestellte der KG. Vor Feststellung der Person, der die Steuerverkürzung anzulasten sei, könne aber nicht mit hinreichender Sicherheit entschieden werden, ob ein vorsätzliches Handeln i. S. des § 392 AO vorliege. Vor allem könne nach dem bisher erkennbaren Sachverhalt nicht ausgeschlossen werden, daß der (oder den) für die Verkürzung verantwortlichen Person(en) lediglich ein leichtfertiges Verhalten vorzuwerfen sei. In diesem Fall könnten aber Zinsen gemäß § 4 a StSäumG nicht festgesetzt werden.
Gegen diese Entscheidung wendet sich das FA mit der Beschwerde.
Hinsichtlich der Rechtmäßigkeit des Zinsbescheides beständen keine ernstlichen Zweifel. Das FG verkenne, daß der Antragsteller nicht bereit gewesen sei, Auskünfte zu erteilen, und daß die Behörde aus seinem Schweigen entsprechende Schlußfolgerungen habe ziehen dürfen.
Entscheidungsgründe
Die Beschwerde ist nicht begründet.
Das FG hat zu Recht die Aussetzung der Vollziehung des angefochtenen Zinsbescheides angeordnet. Die Aussetzung oder Aufhebung der Vollziehung soll insbesondere erfolgen, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsaktes bestehen (§ 69 Abs. 2 Satz 2 FGO). Diese Zweifel können rechtlicher, aber auch tatsächlicher Art sein. Derartige Zweifel sind hier in mehrfacher Hinsicht gegeben.
Nach § 4 a StSäumG sind im Falle eingetretener Steuerverkürzungen (§ 392 AO) die hinterzogenen Beträge zu verzinsen. Der Tatbestand der Steuerhinterziehung muß in objektiver und subjektiver Hinsicht erfüllt sein. Es muß eine vollendete Steuerhinterziehung vorliegen. Der Versuch genügt nicht. Für die Vollendung ist maßgebend der Zeitpunkt, an dem die Festsetzung der verkürzten Steuer oder die Gewährung oder die Belassung des ungerechtfertigten Steuervorteils wirksam geworden sind. Das Vorliegen einer strafrechtlichen Verurteilung ist nicht erforderlich.
a) Im vorliegenden Fall ist, worauf das FG nicht eingegangen ist, zunächst zweifelhaft, ob, rein objektiv gesehen, die Steuerverkürzung schon vollendet gewesen ist. Der unrichtig zu niedrig erklärte Gewinn war Gegenstand einer einheitlichen und gesonderten Feststellung des Gewinns der KG und ihrer Gesellschafter einschließlich des Antragstellers. Der Gewinnfeststellungsbescheid ist vom FA ausdrücklich für vorläufig erklärt worden. Die Gewinnfeststellung ist - was jedenfalls den vorläufig festgestellten Gewinnanteil des Antragstellers an der KG betrifft - der Einkommensteuer-Veranlagung des Antragstellers zugrunde gelegt worden (§ 218 Abs. 2 AO). Hinsichtlich der Höhe der vom Antragsteller zu zahlenden Einkommensteuer herrschte somit noch ein Schwebezustand. Ob die Herbeiführung eines derartigen Schwebezustands genügt, um eine vollendete Steuerverkürzung annehmen zu können, ist umstritten. Nach der Entscheidung des Reichsgerichts (RG) vom 22. Dezember 1930 II 133/30 (Entscheidungen des Reichsgerichts in Strafsachen Bd. 65 S. 71) ist das insbesondere bei der vorläufigen Steuerfestsetzung noch nicht der Fall; die Steuerverkürzung sei hier noch nicht bewirkt. Dem haben sich das Oberlandesgericht Hamm (Entscheidung vom 25. März 1960 3 Ss 1442/59, NJW 1960, 1830) und das Bayerische Oberste Landesgericht - BayObLG - (Entscheidung vom 27. Mai 1964 4 St 39/64, NJW 1964, 2172) angeschlossen. Nach der Entscheidung des BGH vom 20. Juli 1965 1 StR 95/65 (Zeitschrift für Zölle und Verbrauchsteuern 1966 S. 23) ist die Vollendung einer Steuerhinterziehung bei nur vorläufiger Steuerfestsetzung dann möglich, wenn die Vorläufigkeit des Steuerbescheides auf anderen Gründen als dem Mißtrauen der Finanzbehörde in die Angaben des Steuerpflichtigen beruht. In dem Urteil vom 1. November 1966 5 StR 479/66 (DStZ B 1967, 32) hat der BGH allerdings den Einwand der Revision, es liege noch keine vollendete Steuerverkürzung vor, weil die Steuer nur vorläufig festgesetzt worden sei, als offensichtlich unbegründet zurückgewiesen. Eine nähere Begründung für eine etwaige Abweichung von der bisherigen höchstrichterlichen Rechtsprechung ist dem Urteil nicht zu entnehmen. In der Literatur sind die Auffassungen, ob die noch nicht endgültig abgeschlossene oder die nur vorläufige Veranlagung eine vollendete Steuerverkürzung herbeiführt, geteilt (vgl. die Literaturangaben in der Entscheidung des Bay-ObLG 4 St 39/64 und bei Kötting, DStZ A 1967, 285). Es herrscht somit hinsichtlich der Frage, wann im vorliegenden Fall die Steuerverkürzung vollendet ist, noch eine erhebliche Unentschiedenheit in der Beurteilung von Rechtsfragen.
b) Zu Recht hat das FG ernstliche Zweifel auch deshalb angenommen, weil noch nicht festgestellt ist, welche Personen für die Steuerverkürzung verantwortlich seien und ob diese Personen vorsätzlich oder vielleicht nur leichtfertig gehandelt hätten. Eine Steuerhinterziehung setzt in allen ihren Begehungsformen vorsätzliches Handeln oder Unterlassen voraus. Hinzu kommen muß ein steuerunehrliches Verhalten: Der Täter muß das FA über das Bestehen oder die Höhe der Steueransprüche "hinters Licht" führen wollen (BGH-Urteil vom 3. Juni 1954 3 Str 302/53, BStBl I 1955, 359 [367]). Diese innere Tatseite muß den Tätern einer Steuerhinterziehung nachgewiesen werden. Entgegen der Auffassung des FA kann nicht ohne weiteres aus dem Schweigen des Antragstellers und seines Prozeßbevollmächtigten auf diesbezügliche Anfragen der zuständigen Finanzbehörden die für ein Verfahren der Aussetzung der Vollziehung genügende Schlußfolgerung gezogen werden, daß mit einiger Wahrscheinlichkeit die subjektiven Tatbestandsmerkmale des § 392 AO erfüllt sind (Beschluß des Bundesverfassungsgerichts vom 20. Juni 1973 1 BvR 169/73, Steuerrechtsprechung in Karteiform, Finanzgerichtsordnung § 69, Rechtsspruch 136).
Fundstellen
Haufe-Index 71598 |
BStBl II 1976, 260 |
BFHE 1976, 340 |