Entscheidungsstichwort (Thema)
Kein Vertrauensschutz und auch keine unverschuldete Fristversäumung aufgrund der Auskunft einer sich selbst als unzuständig bezeichnenden Mitarbeiterin des FA
Leitsatz (NV)
- Eine Rüge, das FG habe den Sachverhalt tatsächlich oder rechtlich unzutreffend gewürdigt, betrifft nicht die Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör.
- Durch die telefonische Auskunft einer Mitarbeiterin des FA, die sich selbst als unzuständig in der Sache bezeichnet, kann kein Vertrauenstatbestand geschaffen werden. Versäumt der Steuerpflichtige aufgrund der Auskunft eine Frist, ist dies nicht ohne weiteres unverschuldet.
- Durch die Darlegung, das FG habe sich aus Entscheidungen des BFH und des BVerfG ergebende Rechtsgrundsätze nicht beachtet, wird nur eine falsche Rechtsanwendung und keine Abweichung des FG-Urteils von Entscheidungen des BFH oder BVerfG gerügt.
Normenkette
AO 1977 § 110 Abs. 1 S. 1, Abs. 2 Sätze 1, 4; FGO § 115 Abs. 2, 3 S. 3, § 119 Nr. 3
Gründe
Die Nichtzulassungsbeschwerde ist unzulässig.
1. Der Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) hat keinen Verfahrensmangel ordnungsgemäß dargelegt.
Zwar gehört es im Zusammenhang mit dem Anspruch der Prozessbeteiligten auf rechtliches Gehör zu den Pflichten des Gerichts, Anträge und Ausführungen der Prozessbeteiligten zur Kenntnis zu nehmen und in Erwägung zu ziehen (vgl. Gräber/Ruban, Finanzgerichtsordnung, 4. Aufl., § 119 Rz. 10, m.w.N.). Der Kläger trägt mit seiner Rüge der Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör durch das Finanzgericht (FG) aber keine konkreten von ihm vorgebrachten Tatsachen und Ausführungen vor, die das FG nicht zur Kenntnis genommen oder nicht in Erwägung gezogen hätte. Er beanstandet nur, das FG habe den richtigen Zusammenhang der von ihm vorgetragenen (und auch festgestellten) Tatsachen übersehen. Es habe nämlich das von ihm mit einer Mitarbeiterin des Beklagten und Beschwerdegegners (Finanzamt ―FA―) am am 2. Oktober 1995 geführte Telefongespräch unzutreffend nicht als Verabredung des FA mit ihm gewürdigt, die Frage nach dem Investitionszulageantrag unabhängig von dem zwischenzeitlichen Ablauf der Antragsfrist nach der Urlaubsrückkehr der Sachbearbeiterin aufzuklären und aufzugreifen. Damit macht der Kläger lediglich eine unrichtige tatsächliche oder rechtliche Würdigung des Sachverhalts geltend. Es handelt sich um die Rüge eines materiellen Rechtsfehlers und nicht um die Geltendmachung eines Verfahrensfehlers (vgl. Beschlüsse des Bundesfinanzhofs ―BFH― vom 29. November 1995 XI B 69/95, BFH/NV 1996, 421, und vom 23. April 1998 VII B 282/97, BFH/NV 1998, 1492).
2. Auch die grundsätzliche Bedeutung der Sache hat der Kläger nicht ordnungsgemäß dargelegt.
Um die Anforderungen an eine ordnungsgemäße Darlegung der grundsätzlichen Bedeutung einer Sache zu erfüllen, muss in der Nichtzulassungsbeschwerde begründet werden, dass die für die Beurteilung des Streitfalles maßgebende Rechtsfrage das Interesse der Allgemeinheit an einer einheitlichen Entwicklung und Handhabung des Rechts berührt. Dies darf nicht einfach behauptet werden. Die Beschwerde muss vielmehr, ausgehend von der höchstrichterlichen Rechtsprechung konkret auf die Rechtsfragen eingehen, ihre über den Streitfall hinausgehende Bedeutung für die Allgemeinheit dartun und ferner ausführen, warum die Fragen zur Erhaltung der Einheitlichkeit der Rechtsprechung oder für eine Fortentwicklung des Rechts der höchstrichterlichen Klärung bedürfen (ständige Rechtsprechung, vgl. z.B. Beschluss des erkennenden Senats vom 11. Februar 1999 III B 91/98, BFH/NV 1999, 1122, m.w.N.). Erforderlich sind daher u.a. Angaben dazu, inwiefern die Beantwortung der in einem angestrengten Revisionsverfahren zu klärenden Rechtsfragen zweifelhaft ist, in welchem Umfang und aus welchen Gründen sie umstritten sind und welche unterschiedlichen Auffassungen hierzu in der Rechtsprechung oder im Schrifttum vertreten werden. Diesen Anforderungen wird die Nichtzulassungsbeschwerde des Klägers nicht gerecht.
a) Der Vortrag des Klägers, es sei klärungsbedürftig und im Streitfall auch klärungsfähig, ob die Vorschrift des § 110 Abs. 2 Satz 4 der Abgabenordnung (AO 1977) über die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand ohne Antrag eine Ermessensvorschrift sei oder nicht, geht fehl. Selbst wenn § 110 Abs. 2 Satz 4 AO 1977 eine Ermessensvorschrift wäre, hätte das FA das Ermessen nur ausüben dürfen, wenn die Voraussetzungen der Bestimmung vorgelegen hätten. Der Streit geht aber gerade darum, ob diese Voraussetzungen vorlagen. Im Übrigen macht der Kläger selbst geltend, dass das FA wegen des Vorliegens der Voraussetzungen des § 110 Abs. 2 Satz 4 AO 1977 zur Wiedereinsetzung verpflichtet gewesen sei.
b) Der Kläger hält die Voraussetzungen des § 110 Abs. 2 Satz 4 AO 1977 für die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand ohne Antrag für gegeben, weil er am 2. Oktober 1995 beim FA angerufen hat, wann mit der Bearbeitung seines etwa im März 1995 abgegebenen Antrags auf Investitionszulage für 1994 zu rechnen sei. An diesem Tag, einem Montag, war die gesetzliche Frist für die Stellung des Investitionszulageantrags für 1994 noch nicht abgelaufen, weil der letzte Tag der Frist (30. September) auf den vorausgegangenen Sonnabend gefallen war. In dem Telefongespräch hat eine Mitarbeiterin des FA dem Kläger mitgeteilt, dass ein Investitionszulageantrag nicht gefunden worden und die zuständige Bearbeiterin an diesem Tag nicht im Hause sei. Er solle daher die zuständige Bearbeiterin nach ihrer Urlaubsrückkehr am 4. Oktober 1995 nochmals anrufen. Als er dann am 5. Oktober 1995 telefonisch vom FA erfahren hatte, dass kein Investitionszulageantrag für 1994 von ihm vorliege, hat er noch an demselben Tag den Investitionszulageantrag dem FA übermittelt.
Der Kläger ist der Auffassung, durch das Telefongespräch vom 2. Oktober 1995 sei eine konkludente bindende Vereinbarung mit dem FA zustande gekommen, wonach er sich um die Sache nur habe kümmern müssen, wenn die Überprüfung durch das FA ergab, dass kein Investitionszulageantrag vorlag. Es sei klärungsbedürftig, welche Folgen eine solche Vereinbarung für eine Verfristung habe.
Dieser Vortrag des Klägers lässt schon jede Auseinandersetzung mit der Problematik vermissen, ob und wie weit im Steuerrecht bindende Vereinbarungen zwischen FA und Steuerpflichtigen überhaupt zulässig sind (vgl. Söhn in Hübschmann/Hepp/Spitaler, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, § 78 AO 1977 Rz. 37 ff.) und welcher weitere Klärungsbedarf deshalb durch die höchstrichterliche Rechtsprechung besteht. Außerdem geht der Kläger in keiner Weise auf die Frage ein, ob und wie seine Gesprächspartnerin in dem Telefonat vom 2. Oktober 1995, die von sich selbst gesagt hat, dass sie für die Bearbeitung nicht zuständig sei, das FA hat verpflichten können.
c) Soweit der Kläger vorträgt, die Äußerungen der Mitarbeiterin des FA in dem Telefongespräch vom 2. Oktober 1995 führten unabhängig von der Bindungswirkung jedenfalls dazu, dass ihm ―dem Kläger― kein die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand ausschließendes Verschulden zugerechnet werden könne, behauptet der Kläger ebenso wie bei seinem Vortrag zu einer bindenden Vereinbarung lediglich die grundsätzliche Bedeutung. Er führt im Wesentlichen nur aus, es sei im Interesse der Allgemeinheit von besonderem Interesse, dass höchstrichterlich geklärt werde, ob und wie weit er, ein in steuerlichen Dingen unerfahrener Handwerker, schutzwürdig sei, wenn er sich einmal ohne Steuerberater an die Finanzbehörde wende und dort vertrauensvoll nachfrage, was mit seinem Antrag sei. Der Kläger macht keinerlei Ausführungen dazu, ob und wie weit es in der Rechtsprechung oder im Schrifttum umstritten oder ungeklärt ist, dass eine Fristversäumung wegen eines vorausgegangenen Verhaltens des FA unverschuldet sein kann (vgl. zuletzt dazu Urteil des erkennenden Senats vom 14. September 1999 III R 78/97, BFHE 189, 273, BStBl II 2000, 37). Das Gleiche gilt für den Vortrag des Klägers, das FA habe in dem Telefongespräch die Belehrungspflicht verletzt, da es ihn auf den Fristablauf und die Ausschlussfrist habe hinweisen müssen, obwohl er danach nicht gefragt hat.
d) Zudem stellt sich die vorstehend vom Kläger aufgeworfene Frage erst nachrangig und ist daher im Streitfall nicht klärungsfähig. Der Kläger vertritt nämlich die Auffassung, das FA habe ihm auf Grund seines Investitionszulageantrags vom 5. Oktober 1995 Wiedereinsetzung in den vorigen Stand ohne Wiedereinsetzungsantrag gewähren müssen. Auch soweit ein Wiedereinsetzungsantrag nach § 110 Abs. 2 Satz 4 AO 1977 nicht erforderlich ist, müssen aber die Tatsachen zur Begründung des Wiedereinsetzungsgesuches grundsätzlich innerhalb der Antragsfrist vorgetragen werden. Ohne einen solchen substantiierten Sachvortrag innerhalb der Antragsfrist kommt Wiedereinsetzung ausnahmsweise nur dann in Betracht, wenn die eine Wiedereinsetzung rechtfertigenden Gründen offenkundig (dazu BFH-Beschluss vom 6. April 1995 VIII B 61/94, BFH/NV 1996, 137) oder amtsbekannt sind. Amtsbekannt sind Wiedereinsetzungsgründe, die wie im Streitfall ausschließlich das individuelle Besteuerungsverhältnis (hier die Bewilligung der Investitionszulage) betreffen, nur dann, wenn sie aktenkundig sind (BFH-Beschluss vom 6. Oktober 1993 X B 85-86/93, BFH/NV 1994, 680; Urteil des erkennenden Senats vom 27. August 1998 III R 15/96, BFH/NV 1999, 368).
Nach den vom FG im Tatbestand des angegriffenen Urteils in Bezug genommenen Akten des FA war in einem Vermerk aktenkundig der Anruf des Klägers vom 2. Oktober 1995 wegen eines angeblich etwa im März 1995 abgegebenen Investitionszulageantrags für 1994 und die Antwort der Mitarbeiterin des FA in diesem Telefongespräch, dass ein solcher Antrag nicht gefunden worden und die zuständige Bearbeiterin an diesem Tag nicht im Hause sei. Dass die Mitarbeiterin auch gesagt hat, der Kläger solle nach Rückkehr der Bearbeiterin aus dem Urlaub am 4. Oktober 1995 nochmals anrufen, enthält der Vermerk nicht. Aus dem aktenkundigen Sachverhalt ergibt sich deshalb nicht, dass die Mitarbeiterin des FA vom Kläger dahin verstanden werden konnte oder sogar musste, dass er sich um die Sache nur zu kümmern hatte, wenn die Überprüfung durch das FA ergab, dass kein Investitionszulageantrag vorlag.
Selbst wann man aber als amtsbekannt hinzu nimmt, dass die Mitarbeiterin in dem Telefongespräch weiter gesagt hat, der Kläger solle nach Rückkehr der Bearbeiterin am 4. Oktober 1995 nochmals anrufen, lässt sich daraus nicht schließen, das FA wolle sich auf den Fristablauf nicht berufen, wenn die Überprüfung ergebe, dass noch kein Investitionszulageantrag vorlag. Dergleichen hat die Mitarbeiterin nicht gesagt. Ihre Äußerungen waren auch nicht zwingend so auszulegen. Da sie ausdrücklich zum Ausdruck gebracht hat, dass sie für die Bearbeitung des Investitionszulageantrags nicht zuständig sei, konnten ihre Äußerungen auch so verstanden werden, dass sie über den Befund, ein Antrag sei nicht gefunden worden, hinaus keine weiteren Aussagen machen wollte und die Anregung eines weiteren Anrufs nur deutlich machen sollte, dass sie gar nicht beurteilen konnte, ob wirklich kein Antrag vorlag.
e) Wenn der Kläger aus den Äußerungen der Mitarbeiterin des FA in dem Telefongespräch andere Schlüsse gezogen hat und dadurch oder durch die behauptete Verletzung einer Belehrungspflicht durch das FA die Versäumung der Antragsfrist für die Investitionszulage mitverursacht worden ist, kann dies folglich nicht als amtsbekannt gelten. Die Voraussetzungen des § 110 Abs. 2 Satz 4 AO 1977 für eine Wiedereinsetzung ohne Antrag wegen amtsbekannter Wiedereinsetzungsgründe lagen daher nicht vor, unabhängig davon, ob die vom Kläger geltend gemachten Gründe eine Wiedereinsetzung gerechtfertigt hätten oder nicht. Er hätte vielmehr die nach seiner Auffassung gegebenen Wiedereinsetzungsgründe innerhalb der Monatsfrist für den Wiedereinsetzungsantrag (§ 110 Abs. 2 Satz 1 AO 1977) gegenüber dem FA vorbringen müssen. Dies ist nicht geschehen.
Dabei kann offen bleiben, ob die Monatsfrist am 5. Oktober 1995 begann, als der Kläger vom FA erfuhr, dass von ihm kein Investitionszulageantrag für 1994 vorlag, oder ob der Zeitpunkt des Zugangs des Bescheids über die Versagung der Investitionszulage wegen der Antragsverfristung am 9. Oktober 1995 maßgebend ist. Denn der Kläger hat innerhalb der Monatsfrist mit Schreiben seines Steuerberaters vom 11. Oktober 1995 einen ganz anderen Sachverhalt als im Klageverfahren vorgebracht, um den Anspruch auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu begründen. Dieser vorgebrachte Sachverhalt war zur Rechtfertigung einer Wiedereinsetzung nicht geeignet, da er den Kläger nicht gehindert hätte, seinen Investitionszulageantrag noch rechtzeitig am 2. Oktober 1995 einzureichen. Der Kläger hat dann zwar auf Hinweis des FA sein Vorbringen mit Schreiben vom 17. November 1995 korrigiert. Dieses Schreiben lag jedoch bereits außerhalb der Monatsfrist für die Geltendmachung der Wiedereinsetzungsgründe. Außerdem schilderte das Schreiben immer noch einen anderen Sachverhalt als denjenigen, um den es nunmehr geht.
Der Sachverhalt, der nach Auffassung des Klägers nunmehr die grundsätzliche Bedeutung der Sache begründen soll, ist im Wesentlichen erst im Klageverfahren vorgetragen worden. Mit diesem Vortrag konnte der Kläger eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nicht mehr erreichen. Auf die vom Kläger als grundsätzlich angesehenen Fragen, käme es daher in einem vom Kläger angestrengten Revisionsverfahren nicht an.
3. Die vom Kläger gerügte Abweichung des angegriffenen Urteils von Entscheidungen des BFH und des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) entspricht ebenfalls nicht den Anforderungen an eine ordnungsgemäße Darlegung.
Eine ordnungsgemäße Divergenzrüge erfordert die Darlegung, dass das FG seiner Entscheidung einen abstrakten Rechtssatz zugrunde gelegt hat, der mit dem abstrakten Rechtssatz in einer Entscheidung des BFH oder des BVerfG nicht übereinstimmt (vgl. Gräber/Ruban, a.a.O., § 115, Rz. 63, m.w.N.). Eine solche Darlegung enthält die Beschwerdeschrift des Klägers nicht.
Der Kläger legt nur dar, das FG habe die sich aus den Entscheidungen des BFH vom 10. Juli 1964 III 120/61 U (BFHE 80, 325, BStBl III 1964, 590) und des BVerfG vom 21. Dezember 1995 2 BvR 2033/95 (Neue Juristische Wochenschrift 1996, 1811) ergebenden Rechtsgrundsätze nicht beachtet. Er rügt damit nur eine falsche Rechtsanwendung und keine Divergenz (vgl. Gräber/Ruban, a.a.O., § 115 Rz. 63, m.w.N.).
Außerdem betreffen die genannten Entscheidungen des BFH und des BVerfG andere Sachverhalte und damit auch andere Rechtsfragen als der Streitfall. In der Entscheidung des BFH geht es um eine telefonische Rechtsbehelfseinlegung und den dabei unterbliebenen Hinweis des FA auf die Unzulässigkeit dieses Vorgehens und in der Entscheidung des BVerfG um eine unzureichende Rechtsmittelbelehrung. Beide Sachverhalte sind mit dem Streitfall nicht vergleichbar.
4. Im Übrigen ergeht die Entscheidung nach Art. 1 Nr. 6 des Gesetzes zur Entlastung des Bundesfinanzhofs ohne weitere Begründung.
Fundstellen
Haufe-Index 505492 |
BFH/NV 2001, 289 |