Leitsatz (amtlich)
1. Die Frage, ob ein FG den Antrag auf Aussetzung des Verfahrens nach § 74 FGO ablehnen darf, weil beim BVerfG ein Normenkontrollverfahren gemäß Art. 100 Abs. 1 GG über die streitige Rechtsfrage anhängig ist, hat keine grundsätzliche Bedeutung im Sinn von § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO.
2. Ein Rechtsstreit ist nicht allein deshalb von grundsätzlicher Bedeutung, weil ein FG die Streitfrage dem BVerfG gemäß Art. 100 Abs. 1 GG zur Prüfung der Verfassungsmäßigkeit vorgelegt hat.
Normenkette
FGO §§ 74, 115 Abs. 2 Nrn. 1, 3; GG Art. 93 Abs. 1 Nr. 2, Art. 100 Abs. 1; EStG § 40 Abs. 1 Nr. 2 S. 2; LStDV § 22 Abs. 2 Nr. 2
Tatbestand
Das FG entsprach nicht dem Klagebegehren des Stpfl., beim gemeinsamen Lohnsteuerjahresausgleich 1965 über den Pauschbetrag von 936 DM hinaus Sonderausgaben der Ehefrau anzusetzen, weil dem § 40 Abs. 1 Nr. 2 Satz 2 EStG - § 22 Abs. 2 Nr. 2 LStDV - entgegenstehe, den das FG für verfassungsrechtlich einwandfrei hält. Das FG lehnte es zugleich ab, die Entscheidung auszusetzen, bis das BVerfG in einem anhängigen Verfassungsstreit über die Verfassungsmäßigkeit der Vorschrift entschieden habe.
Entscheidungsgründe
Aus den Gründen:
Die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision hat keinen Erfolg.
Die Frage, ob das FG dem Antrag des Stpfl. auf Aussetzung des Verfahrens gemäß § 74 FGO bis zur Entscheidung des BVerfG entsprechen mußte, hat keine grundsätzliche Bedeutung mehr (vgl. Beschluß des Senats VI B 2/66 vom 15. Juli 1966, BFH 86, 708, BStBl III 1966, 628). Der II. Senat des BFH hat allerdings in den Beschlüssen II S 2/66 vom 23. Februar 1966 (BFH 86, 248, BStBl III 1966, 402) und II S 30/66 vom 24. Januar 1967 (BFH 87, 517, BStBl III 1967, 205) die Aussetzung des Verfahrens gemäß § 74 FGO für geboten erachtet, wenn eine Landesregierung zur Prüfung der Streitfrage beim BVerfG ein abstraktes Normenkontrollverfahren anhängig gemacht hat, nachdem der BFH die zugrunde liegende Norm für verfassungswidrig erklärt hatte. Von diesem Sonderfall abgesehen, hat aber der BFH die Auffassung abgelehnt, daß die Entscheidung eines Rechtsstreits nach § 74 FGO ausgesetzt werden muß, wenn beim BVerfG ein Verfahren zur Prüfung der Vereinbarkeit eines Steuergesetzes mit Verfassungsnormen schwebt (Entscheidungen des BFH IV 324/65 vom 13. Januar 1966, BFH 84, 548, BStBl III 1966, 199; IV 264/65 vom 29. Juli 1966, BFH 86, 671, BStBl III 1966, 629; I 225/65 vom 9. November 1966, BFH 87, 317, BStBl III 1967, 120). Jedes Gericht muß in jedem Verfahren prüfen, ob die von ihm anzuwendende Rechtsnorm verfassungsrechtlich einwandfrei ist. Hält es die Rechtsnorm für verfassungswidrig, so hat es das Verfahren auszusetzen und die Entscheidung des BVerfG einzuholen (Art. 100 Abs. 1 GG). Bejaht es dagegen die Verfassungsmäßigkeit der Rechtsnorm, so kann es das Verfahren nach Art. 100 Abs. 1 GG nicht einleiten. Es wäre nicht sinnvoll, ein Gericht, das keine Bedenken gegen die Verfassungsmäßigkeit der anzuwendenden Rechtsnorm hat, gemäß § 74 FGO zur Aussetzung des Verfahrens zu zwingen, bis das BVerfG entschieden hat. Das würde zur Verzögerung der Abwicklung anhängiger Verfahren führen, zumal erfahrungsgemäß die Entscheidungen des BVerfG oft längere Zeit beanspruchen. Den Stpfl. entsteht durch die Versagung der Aussetzung des Verfahrens kein Nachteil. Sie können gemäß § 90 BVerfGG gegen die Entscheidung des Gerichts Verfassungsbeschwerde einlegen, die ihnen normalerweise keine zusätzlichen Kosten verursacht (vgl. § 34 Abs. 4 BVerfGG).
Daß das FG nicht zunächst in einem besonderen Beschluß dem Stpfl. bekanntgegeben hat, daß das Verfahren nicht, wie beantragt, gemäß § 74 FGO ausgesetzt werde, ist kein Verfahrensmangel. Die Entscheidung des FG, ob es das Berufungsverfahren aussetzen will, ist eine prozeßleitende Entscheidung, die es nach seinem Ermessen ohne vorangegangenen Hinweis im Urteil selbst treffen kann (Urteil des BFH IV 264/65, a. a. O.). Für Aussetzungsanträge gemäß § 264 Abs. 1 AO a. F. war dies unstreitig. Aus § 74 FGO ergibt sich nichts anderes. Diese Vorschrift gibt den Beteiligten keinen Anspruch auf die Aussetzung des Rechtsstreits, sondern besagt, daß das Gericht die Entscheidung aussetzen kann. Da hier die Voraussetzungen für die Aussetzung des Verfahrens nicht vorlagen, bedurfte es keines besonderen Beschlusses für die Ablehnung der Aussetzung. Ein besonderer Beschluß im Sinn des § 74 FGO ist nur erforderlich, wenn das Gericht den Rechtsstreit aussetzt. Ist kein besonderer Beschluß ergangen, sondern hat das FG über die Aussetzung im Urteil entschieden, so kann diese Entscheidung nur mit den nach § 115 FGO zulässigen Rechtsbehelfen angegriffen werden.
Aus dem Urteil des BFH IV 309/63 vom 5. Juni 1964 (Steuerrechtsprechung in Karteiform, Reichsabgabenordnung, § 264, Rechtsspruch 7) können die Stpfl. nicht herleiten, daß ein Verfahrensmangel im Sinn von § 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO vorgelegen habe. Das FG hat hier nicht im Sinn dieses Urteils die Entscheidung zunächst ausgesetzt. Einer besonderen Erörterung des Sachverhalts bedurfte es deshalb nicht, weil ausschließlich die Verfassungsmäßigkeit der angefochtenen Vorschrift im Streit war.
Die sachliche Streitfrage ist nicht von grundsätzlicher Bedeutung. Zutreffend hat sich das FG auf die Urteile des Senats VI 182/63 vom 29. Oktober 1963 (HFR 1964 S. 166) und VI 82/64 U vom 22. Januar 1965 (BFH 81, 488, BStBl III 1965, 176) berufen, in denen die Verfassungsmäßigkeit der streitigen Rechtsnorm geprüft und bejaht wurde. Sonderausgaben von Ehegatten sind zusammenzurechnen. Der Senat hat das im Urteil VI 352/65 vom 11. November 1966 (BFH 87, 301, BStBl III 1967, 114) nochmals bestätigt. Die Beschlüsse des FG Hamburg (EFG 1964 S. 291 und 493) geben dem Senat keine Veranlassung zu einer anderen Beurteilung.
Fundstellen
Haufe-Index 412802 |
BStBl II 1968, 118 |
BFHE 1968, 393 |