Entscheidungsstichwort (Thema)
Grundsätzlich keine ernstlichen Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit der rückwirkenden Änderung des § 34 EStG bei Dispositionen nach Einbringung des Gesetzentwurfs
Leitsatz (NV)
Vereinbart ein Arbeitnehmer nach Einbringung des Entwurfs des StEntlG 1999/2000/2002 in den Deutschen Bundestag mit seinem Arbeitgeber eine Abfindung wegen seiner betriebsbedingten Entlassung, so bestehen keine ernstlichen Zweifel daran, dass die ‐ rückwirkende ‐ Anwendung des § 34 Abs. 1, 2 EStG i.d.F. des StEntlG 1999/2000/2002 verfassungsgemäß ist.
Normenkette
FGO § 69; EStG § 34; StEntlG 1999/2000/2002
Verfahrensgang
Tatbestand
I. Der Antragsteller und Beschwerdeführer (Antragsteller) vereinbarte ―betriebsbedingt― am 17. Dezember 1998 mit seinem Arbeitgeber eine Beendigung seines Arbeitsverhältnisses und die Zahlung einer Abfindung gemäß §§ 9, 10 des Kündigungsschutzgesetzes in Höhe von 632 800 DM. Am 29. März 1999 trat der Arbeitgeber an den Antragsteller eine Forderung in Höhe von 610 000 DM in Erfüllung der Abfindungsvereinbarung ab. Der Betrag wurde dem Antragsteller am 29. April 1999 gutgeschrieben.
Der Antragsgegner und Beschwerdegegner (das Finanzamt ―FA―) versteuerte die Abfindung gemäß § 34 des Einkommensteuergesetzes (EStG) i.d.F. des Steuerentlastungsgesetzes 1999/2000/2002 (StEntlG 1999/2000/2002). Hiergegen legte der Antragsteller Einspruch ein und beantragte Aussetzung der Vollziehung (AdV). Letzteres lehnte das FA ab.
Ein an das Finanzgericht (FG) gestellter Antrag auf AdV blieb erfolglos (Entscheidungen der Finanzgerichte ―EFG― 2003, 862).
Mit seiner vom FG zugelassenen Beschwerde rügt der Antragsteller Verletzung des § 69 der Finanzgerichtsordnung (FGO) und macht verfassungsrechtliche Bedenken gegen die Einführung der sog. Fünftelregelung in § 34 EStG i.d.F. des StEntlG 1999/2000/ 2002 vom 24. März 1999 geltend. Zur Begründung stützt er sich im Wesentlichen auf den Vorlagebeschluss des Bundesfinanzhofs (BFH) vom 6. November 2002 XI R 42/01 (BFHE 200, 560, BStBl II 2003, 257). Das StEntlG 1999/2000/2002 sei erst im BGBl vom 31. März 1999 (BGBl I 1999, 402) und damit nach Abwicklung der Abfindungsvereinbarung verkündet worden. Der BFH habe im Urteil vom 22. Februar 2001 V R 77/96 (BFHE 194, 498, BStBl II 2003, 426) entschieden, dass ein Steuerpflichtiger sich bis zur Verkündung (Veröffentlichung) des Gesetzesbeschlusses auf die bis dahin geltende Rechtslage berufen dürfe; Rechtssicherheit hinsichtlich einer (beabsichtigten) Gesetzesänderung trete erst zu diesem Zeitpunkt ein. Dementsprechend habe der Antragsteller bei Abschluss der Vereinbarung im Dezember 1998 im Vertrauen auf das zu dem damaligen Zeitpunkt geltende Einkommensteuerrecht disponiert. Da der steuerrelevante Vorgang einschließlich Zufluss der Entschädigung bereits vor Verkündung des StEntlG 1999/2000/2002 abgewickelt gewesen sei, habe die Gesetzesänderung zu einer grundsätzlich unzulässigen echten Rückwirkung geführt. Der BFH-Beschluss vom 27. August 2002 XI B 94/02 (BFHE 199, 566, BStBl II 2003, 18) sei nicht einschlägig, weil im Streitfall die Abfindungsvereinbarung bereits im Jahr 1998 geschlossen worden sei.
Der Antragsteller beantragt, den Beschluss des FG aufzuheben und den angefochtenen Einkommensteuerbescheid betreffend Einkommensteuer 1999 in Höhe von 56 169 € und Solidaritätszuschlag 1999 in Höhe von 2 930,47 € bis zur Entscheidung über den eingelegten Einspruch von der Vollziehung auszusetzen.
Das FA beantragt, die Beschwerde zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
II. Die Beschwerde ist unbegründet. Das FG hat zu Recht die AdV des angefochtenen Einkommensteuerbescheides 1999 abgelehnt.
Mit Beschluss in BFHE 199, 566, BStBl II 2003, 18 hat der erkennende Senat in Anwendung der vom Bundesverfassungsgericht (BVerfG) zu rückwirkenden Gesetzen entwickelten Rechtsgrundsätze entschieden, dass an dem rückwirkenden In-Kraft-Treten des § 34 EStG i.d.F. des StEntlG 1999/2000/2002 jedenfalls insoweit verfassungsrechtlich keine ernstlichen Zweifel i.S. des § 69 Abs. 2 FGO bestehen, als hiervon Entschädigungen erfasst werden, die zu einem Zeitpunkt vereinbart wurden, in dem die beabsichtigte Gesetzesänderung bekannt war. Zur Vermeidung von Wiederholungen wird auf den genannten Beschluss Bezug genommen.
Im Streitfall wurde die Entlassungsentschädigung am 17. Dezember 1998 und damit zu einem Zeitpunkt vereinbart, in dem mit einer Änderung des § 34 Abs. 1 EStG in der später Gesetz gewordenen Form zu rechnen war. Der Fraktionsentwurf für das StEntlG 1999/2000/2002 wurde dem Bundestag am 9. November 1998 und der entsprechende Gesetzentwurf der Bundesregierung am 20. November 1998 dem Bundesrat zugeleitet. Die erste Lesung im Bundestag fand am 13. November 1998 statt. Auf der Grundlage der Rechtsprechung des BVerfG zum sog. Ankündigungseffekt (vgl. z.B. BVerfG-Beschluss vom 3. Dezember 1997 2 BvR 882/97, BVerfGE 97, 67, Finanz-Rundschau ―FR― 1998, 377) war danach ein Vertrauen des Antragstellers im Dezember 1998 auf ein Fortbestehen der bis dahin geltenden Gesetzeslage nicht mehr geschützt. Aus dem (späteren) Vorlagebeschluss des erkennenden Senats in BFHE 200, 560, BStBl II 2003, 257 ergibt sich insoweit nichts anderes. Dort hat der erkennende Senat lediglich den Zeitpunkt der Zuleitung des Gesetzentwurfs der Bundesregierung an den Bundesrat am 20. November 1998 als für den Vertrauensschutz maßgeblichen Zeitpunkt angesehen. Im Streitfall wurde die Abfindung erst nach diesem Tag vereinbart.
Ernstliche Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit des § 34 Abs. 1 EStG i.d.F. des StEntlG 1999/2000/2002 lassen sich auch nicht aus den Ausführungen des erkennenden Senats im Vorlagebeschluss unter B. II. 4. ableiten. Wie dort dargelegt, knüpft das BVerfG für den Bereich der periodischen Steuern herkömmlicher Weise nicht an den Zeitpunkt der Disposition, sondern an den Zeitpunkt der Entstehung der Steuer gemäß § 36 Abs. 1 EStG an. Zwar hat diese Schlechterstellung des Vertrauens des Steuerbürgers auf die im Zeitpunkt seiner steuerrelevanten Sachverhaltsverwirklichung geltende Rechtslage vielfach Kritik erfahren. Das BVerfG hat sich aber bislang dieser Kritik nicht angeschlossen. Solange das BVerfG an seiner bisherigen Rechtsprechung festhält, lassen sich aus der Kritik an der Rechtsprechung des BVerfG alleine noch keine ernstlichen Zweifel i.S. des § 69 Abs. 2 FGO an der Verfassungsmäßigkeit einer danach unechten Rückwirkung ableiten.
Da sich der Zeitpunkt der Entstehung der Umsatzsteuer (vgl. § 13 des Umsatzsteuergesetzes) wesentlich vom Zeitpunkt der Entstehung der Einkommensteuer (vgl. § 36 Abs. 1 EStG) unterscheidet, können sich ernstliche Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit des rückwirkenden In-Kraft-Tretens des StEntlG 1999/ 2000/2002 auch nicht aus dem zur Umsatzsteuer ergangenen Urteil des BFH in BFHE 194, 498, BStBl II 2003, 426 ergeben.
Fundstellen
Haufe-Index 1113499 |
BFH/NV 2004, 487 |