Entscheidungsstichwort (Thema)
Hinausschiebung des Beginns der Festsetzungsfrist für Hinterziehungszinsen durch Einleitung des Steuerstrafverfahrens
Leitsatz (NV)
Die für den Beginn der Festsetzungsfrist von Hinterziehungszinsen maßgebliche Einleitung eines Steuerstrafverfahrens liegt vor, wenn ein Staatsanwalt nach Vernehmung einer Zeugin schriftlich die sie betreffende Eintragung einer Strafsache wegen Steuerhinterziehung verfügt.
Normenkette
AO 1977 § 239 Abs. 1 S. 2 Nr. 3, § 371 Abs. 2 Nr. 1b, § 397 Abs. 1, 3; RAO § 410 Abs. 4; FGO § 115 Abs. 2 Nr. 1
Verfahrensgang
Tatbestand
Im Rahmen einer Zeugenvernehmung der Klägerin und Beschwerdeführerin (Klägerin) durch die Staatsanwaltschaft kam der Verdacht auf, daß sie Einkünfte in der Steuererklärung verschwiegen haben könnte. In der im Anschluß an die Zeugenvernehmung gefertigten Verfügung hielt die Staatsanwaltschaft unter Ziff. 2 mit der Überschrift "Vermerk" die Verdachtsmomente fest und ordnete unter Ziff. 5 die Eintragung einer Strafsache wegen Steuerhinterziehung an. Das Finanzgericht (FG) entschied, daß damit ein -- den Beginn der Festsetzungsfrist gemäß § 239 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 der Abgabenordnung (AO 1977) hinausschiebendes -- Strafverfahren eingeleitet worden sei.
Entscheidungsgründe
Die Beschwerde wegen Nichtzulassung der Revision ist unbegründet.
Gemäß § 115 Abs. 2 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO) ist die Revision zuzulassen, wenn die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat. Einer Rechtssache ist grundsätzliche Bedeutung beizumessen, wenn die für die Beurteilung des Streitfalls maßgebliche Rechtsfrage das Interesse der Gesamtheit an der einheitlichen Entwicklung und Handhabung des Rechts berührt. Die Zulassung der Revision kommt nur dann in Betracht, wenn die für die Entscheidung des Streitfalls maßgebliche Rechtsfrage klärungsbedürftig ist. Daran fehlt es, wenn die streitige Rechtsfrage sich ohne weiteres aus dem Gesetz beantworten läßt oder offensichtlich nur so beantwortet werden kann, wie dies in der Vorentscheidung geschehen ist (Beschlüsse des Bundesfinanzhofs -- BFH -- vom 15. Dezember 1989 VI B 78/88, BFHE 159, 196, BStBl II 1990, 344, und vom 26. September 1991 VIII B 41/91, BFHE 165, 287, BStBl II 1991, 924).
Soweit § 397 Abs. 1 AO 1977 eine "erkennbare" Maßnahme verlangt, bedeutet dies nicht, daß die Strafverfolgung für den Täter erkennbar sein muß. Dies ergibt sich bereits aus § 397 Abs. 3 AO 1977 sowie § 371 Abs. 2 Nr. 1b AO 1977. Es genügt eine objektiv erkennbare Maßnahme (Kohlmann, Steuerstrafrecht, § 397 AO 1977 Tz. 16 "Weitergabe von Akten an die Strafsachenstelle"), d. h. auch verdeckte Ermittlungen leiten das Strafverfahren ein.
Im Streitfall geht das FG zutreffend davon aus, daß die förmliche Verfügung der Einleitung eines Strafverfahrens durch die Staatsanwaltschaft eine das Strafverfahren einleitende erkennbare Maßnahme i. S. des § 397 Abs. 1 AO 1977 war. Wird die Staatsanwaltschaft in einem Strafverfahren nach der Strafprozeßordnung (StPO) tätig, so beginnt das Verfahren durch jede Maßnahme, die erkennbar darauf abzielt, strafrechtlich vorzugehen. Die förmliche Einleitung des Verfahrens ist der Regelfall einer einleitenden Maßnahme (vgl. Kleinknecht/Meyer- Goßner, Strafprozeßordnung, 42. Aufl., Einl. 76 und § 160 Rz. 6). Für das Steuerstrafrecht gelten in der hier streitigen Frage keine anderen Grundsätze als im allgemeinen Strafverfahren (vgl. Kleinknecht/Meyer-Goßner, a. a. O., § 160 Rz. 6 und 7, und Blesinger, Zeitschrift für Wirtschaft, Steuer, Strafrecht 1994, 48, 51). Die förmliche Einleitungsverfügung der Staatsanwaltschaft ist somit auch als Maßnahme i. S. des § 397 Abs. 1 AO 1977 anzusehen (Schöll, Abgabenordnung, § 397 Tz. 2; Koch/Scholtz, Abgabenordnung, § 397 Rz. 6; Kohlmann, a. a. O., § 397 AO 1977 Rz. 11). Dabei kommt es nicht darauf an, ob die Geschäftsstelle der Staatsanwaltschaft die Verfügung vor oder nach der Selbstanzeige der Klägerin bearbeitete (Eintragung der Strafsache, Aktenanlage und Aktenvorlage).
Die gerügte Abweichung der erstinstanzlichen Entscheidung von der Rechtsprechung der Strafgerichte ist nicht gegeben. Soweit das Oberlandesgericht Celle im Urteil vom 19. Dezember 1963 1 Ss 402/63 (Neue Juristische Wochenschrift 1964, 989) entsprechend dem damals geltenden § 410 Abs. 4 der Reichsabgabenordnung auf eine "äußerlich" erkennbare Maßnahme abstellt, betrifft dessen Entscheidung den wesentlich abweichend gelagerten Fall, daß für die Anerkennung einer Selbstanzeige durch das Finanzamt die Einleitung des Steuerstrafverfahrens verneint wurde.
Im übrigen ergeht die Entscheidung gemäß Art. 1 Nr. 6 des Gesetzes zur Entlastung des Bundesfinanzhofs ohne Begründung.
Fundstellen
Haufe-Index 421177 |
BFH/NV 1996, 451 |