Entscheidungsstichwort (Thema)
Ausfuhrerstattung; Übergehen von Beweisanträgen; Bescheinigung von Kontrollbehörden; Abweichung von EuGH-Entscheidung
Leitsatz (NV)
- Wird mangelnde Sachaufklärung gerügt, weil das Gericht gestellten Beweisanträgen nicht entsprochen habe, so ist darzulegen, dass beim FG die unterlassene Beweiserhebung gerügt worden ist oder weshalb sie nicht hat gerügt werden können.
- Zur Bedeutung des Widerrufs von Bescheinigungen, die von Kontrollgesellschaften ausgestellt werden.
- Wird grundsätzliche Bedeutung geltend gemacht, weil die Entscheidung angeblich von einer Entscheidung des EuGH abweicht, so muss die Darlegung der Abweichung die gleichen Voraussetzungen erfüllen wie die Bezeichnung einer Divergenz i.S. von § 115 Abs. 2 Nr. 2 FGO.
Normenkette
FGO §§ 76, 115 Abs. 2 Nrn. 1-3, Abs. 3 S. 3
Tatbestand
I. Die Klägerin und Beschwerdeführerin (Klägerin) meldete in den Jahren 1992 und 1993 vier Sendungen mit Schlachtrindern zur Ausfuhr nach Jordanien an. Nach den vorgelegten Beförderungspapieren wurden die Rinder in verschiedenen europäischen Seehäfen auf zwei bestimmte Schiffe verladen, mit diesen zunächst zum syrischen Hafen T und anschließend auf dem Landweg nach Jordanien transportiert. Die Klägerin beantragte und erhielt für diese Ausfuhrsendungen Ausfuhrerstattung, nachdem sie im Erstattungsverfahren (u.a.) in einem Fall einen "Primärnachweis" und in drei Fällen "Sekundärnachweise" vorgelegt hatte, die alle von einer zugelassenen internationalen Kontroll- und Überwachungsgesellschaft (Kontrollgesellschaft) ausgestellt worden waren. Mit Schreiben an den Beklagten und Beschwerdegegner (Hauptzollamt ―HZA―) widerrief die Kontrollgesellschaft diese Nachweisdokumente und gab an, dass diese aufgrund falscher Angaben der Empfänger gegenüber den jordanischen Zollstellen und gegenüber ihren Prüfern vor Ort ausgestellt worden seien. Sie entsprächen nicht der Wahrheit, weil Überprüfungen ergeben hätten, dass sich die Schiffe, mit denen die Rinder transportiert worden sein sollten, an den angegebenen Tagen nicht in T, sondern in der Türkei befunden hätten. Das HZA nahm daraufhin mit Rückforderungsbescheid vom 9. August 1994 die entsprechenden Erstattungsbescheide zurück und forderte die gewährten Ausfuhrerstattungen in Höhe von insgesamt … DM zurück. Den hiergegen erhobenen Einspruch wies das HZA zurück (Einspruchsentscheidung vom 29. Juli 1997).
Das Finanzgericht (FG) wies die Klage als unbegründet ab, weil es den Primärnachweis und die Sekundärnachweise als nicht mehr wirksam ansah, nachdem sie von der Kontrollgesellschaft widerrufen worden waren. In Anbetracht des erklärten Widerrufs und der Seadata-Aufzeichnungen, aus denen folge, dass sich die betreffenden Schiffe zu den angegebenen Zeitpunkten nicht in T befunden haben können, bestünden ernsthafte Zweifel i.S. des Art. 5 Abs. 1 Unterabs. 1 Buchst. a der Verordnung (EWG) Nr. 3665/87 (VO Nr. 3665/87) der Kommission vom 27. November 1987 (Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften ―ABlEG― Nr. L 351/1) am Erreichen der tatsächlichen Bestimmung der Rinder. Die Klägerin habe den Nachweis, dass die Schiffe zu den angegebenen Daten tatsächlich T angelaufen hätten, nicht erbracht. Die nachträglich vorgelegten jordanischen Zolldokumente enthielten hierüber keine Aussagen, weil sie nur etwas über die Einfuhr von Rindern nach Jordanien aussagten, nicht aber darüber, dass es sich bei den eingeführten Rindern tatsächlich um die von der Klägerin ausgeführten gehandelt habe. Aus denselben Gründen habe das FG auch von der Vernehmung der von der Klägerin benannten Zeugen abgesehen. Da nicht feststehe, dass die von der Klägerin zur Ausfuhr angemeldeten Rinder nach Jordanien gelangt seien, müssten die Erstattungsbescheide als rechtswidrig angesehen werden. Der Rückforderung der gewährten Ausfuhrerstattung stünden keine Gründe des Vertrauensschutzes entgegen, die Klägerin könne sich auch nicht auf den Wegfall der Bereicherung berufen, weil sie sich die (zweifellos vorhandene) Kenntnis der in ihrem Pflichtenbereich tätig gewordenen dritten Personen von dem tatsächlichen Einfuhrland zurechnen lassen müsse.
Mit ihrer Beschwerde wegen der Nichtzulassung der Revision gegen das finanzgerichtliche Urteil macht die Klägerin geltend, das FG habe die Sache nicht hinreichend aufgeklärt (§ 115 Abs. 2 Nr. 3 der Finanzgerichtsordnung ―FGO―), das Urteil weiche von einer Entscheidung des Bundesfinanzhofs (BFH) ab (§ 115 Abs. 2 Nr. 2 FGO in der bis zum 31. Dezember 2000 geltenden Fassung ―FGO a.F.―) und die Sache habe grundsätzliche Bedeutung, weil das Urteil von der ständigen Rechtsprechung des Gerichtshofes der Europäischen Gemeinschaften (EuGH) abweiche (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO).
Entscheidungsgründe
II. Die Nichtzulassungsbeschwerde kann keinen Erfolg haben, weil sie jedenfalls unbegründet ist.
1. Gemäß Art. 4 des Zweiten Gesetzes zur Änderung der Finanzgerichtsordnung und anderer Gesetze (2.FGOÄndG) vom 19. Dezember 2000 (BGBl I 2000, 1757) ist die Zulässigkeit und damit auch die Begründetheit der Nichtzulassungsbeschwerde noch nach § 115 Abs. 2 und 3 FGO a.F. (in der vor In-Kraft-Treten des 2.FGOÄndG geltenden Fassung) zu beurteilen, weil das angefochtene Urteil vor dem 1. Januar 2001 verkündet worden ist.
2. Soweit die Klägerin beanstandet, das FG habe den in ihrem Schriftsatz vom 8. Februar 2000 gestellten Beweisanträgen nicht entsprochen, ist die damit erhobene Rüge mangelnder Sachaufklärung (§ 76 FGO) nicht in zulässiger Form erhoben. Da in Bezug auf die Nichterhebung von Beweisen auf das Rügerecht verzichtet werden kann (§ 155 FGO i.V.m. § 295 der Zivilprozeßordnung ―ZPO―), hätte die Klägerin darlegen müssen, dass sie beim FG die unterlassene Beweiserhebung gerügt habe oder aus welchen Gründen sie die unterlassene Beweiserhebung nicht rechtzeitig habe rügen können (BFH-Urteil vom 30. März 1994 I R 54/93, BFHE 175, 40, BStBl II 1994, 864, m.w.N.). Die diesbezüglichen Ausführungen der Klägerin, wonach die Nichterhebung des Beweises aufgrund des Verhaltens des erkennenden Senats (des FG) nicht mehr vor diesem gerügt werden konnte, weil nicht abzusehen gewesen sei, dass der Senat die Beweisantritte übergehen werde, reichen nicht aus.
In dieser Sache hat eine mündliche Verhandlung stattgefunden, in der laut Sitzungsprotokoll die Klägerin, die fachkundig durch ihren Prozessbevollmächtigten vertreten war, weder ihre Beweisanträge wiederholt noch die bisher unterlassene Beweiserhebung gerügt, sondern Sachanträge gestellt hat. Da die beantragten Beweiserhebungen bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung nicht stattgefunden hatten, musste die Klägerin davon ausgehen, dass das FG ohne Beweiserhebung entscheiden werde. Hinderungsgründe für eine vor Schluss der mündlichen Verhandlung zu erhebende Rüge wegen der unterlassenen Beweiserhebung ergeben sich aus dem Vortrag der Klägerin nicht.
3. Die gerügte Divergenz des finanzgerichtlichen Urteils zu dem von der Klägerin genannten Urteil des BFH vom 17. Oktober 1972 VIII R 36-37/69 (BFHE 108, 141, BStBl II 1973, 271) kann nicht zur Zulassung der Revision führen, weil das FG-Urteil nicht auf dem angeblich abweichenden Rechtssatz beruht (vgl. Gräber/ Ruban, Finanzgerichtsordnung, 4. Aufl., § 115 Rz. 21). Insoweit ist die Nichtzulassungsbeschwerde unbegründet. Die Klägerin sieht eine Divergenz darin, dass das FG dem Primär- und Sekundärnachweis nur eine Indizwirkung beimesse, während nach der genannten BFH-Entscheidung öffentliche Urkunden den vollen Beweis der in ihnen bezeugten Tatsachen erbrächten. Das FG hat den Primärnachweis und die Sekundärnachweise jedoch schon allein deswegen nicht als wirksam angesehen, weil diese von der Kontrollgesellschaft, die sie ausgestellt hatte, widerrufen worden waren. Dieser Grund trägt die angefochtene Entscheidung selbständig. Die darüber hinaus vom FG gegebene Begründung, dass die genannten Nachweise nur ein widerlegbares Indiz seien, stützt seine Entscheidung nur zusätzlich, ohne dass das Urteil darauf beruht.
Im Übrigen geht es aber in dem FG-Urteil auch um einen vollständig anderen Sachverhalt als in der BFH-Entscheidung und im Besonderen um die Frage, welche Bedeutung den in Rede stehenden, von den Kontrollgesellschaften ausgestellten Nachweisen im Rahmen des Art. 18 Abs. 2 VO Nr. 3665/87 zukommt. Zu dieser Frage enthält die genannte BFH-Entscheidung, in der es um die Bedeutung eines Eingangsstempels für den Nachweis des rechtzeitigen Eingangs eines Schriftstücks geht, keinerlei Aussagen.
4. Schließlich hat die Sache auch nicht die von der Klägerin behauptete grundsätzliche Bedeutung.
a) Soweit die Klägerin die grundsätzliche Bedeutung aus der angeblichen Abweichung des FG-Urteils von Entscheidungen des EuGH herleiten will, fehlt es bereits an der hinreichenden Darlegung dieser Abweichung, die die gleichen Voraussetzungen erfüllen muss wie die Bezeichnung einer Divergenz i.S. von § 115 Abs. 2 Nr. 2 FGO a.F. (vgl. BFH-Beschluss vom 30. April 1999
I B 179-181/99, 9/99, BFH/NV 1999, 1365, Gräber/Ruban, a.a.O., § 115 Rz. 62). Dazu gehört, dass abstrakte Rechtssätze aus der angeblich abweichenden Entscheidung des FG solchen aus den Entscheidungen des EuGH derart gegenübergestellt werden, dass die Abweichung deutlich wird. Diese Voraussetzungen erfüllt die Beschwerde in Bezug auf die genannten EuGH-Urteile vom 21. September 1983 in den verbundenen Rechtssachen 205 bis 215/82 (EuGHE 1983, 2633), vom 12. Mai 1998 Rs. C-366/95 (EuGHE 1998, I-2661) und vom 16. Juli 1998 Rs. C-298/96 (EuGHE 1998, I-4767) nicht. Sie führt nur aus, dass das FG die angeführte Rechtsprechung des EuGH angeblich nicht berücksichtigt hat. Das reicht zur Darlegung einer grundsätzlichen Bedeutung, die auf die Abweichung von der Rechtsprechung des EuGH gestützt wird, nicht aus.
Im Übrigen lässt sich den genannten EuGH-Urteilen auch nur entnehmen, dass das Gemeinschaftsrecht einer Regelung des nationalen Rechts nicht entgegensteht, welche die Berücksichtigung von Gesichtspunkten des Vertrauensschutzes und eines Wegfalls der Bereicherung zulässt. Sie enthalten jedoch ―anders als die Klägerin meint― keine Aussagen darüber, dass und unter welchen Voraussetzungen Vertrauensschutz nach nationalem Recht (hier § 48 und § 49a des Verwaltungsverfahrensgesetzes) zu gewähren ist (vgl. auch BFH-Beschluss vom 11. Mai 2000 VII B 213/99, BFH/NV 2000, 1374), und ob diese Voraussetzungen tatsächlich erfüllt sind. Hierzu hat indes der BFH in seinem Beschluss vom 27. September 1994 VII B 113/94 (BFHE 175, 478), auf dessen Ausführungen sich das FG mit Recht gestützt hat, ausführlich Stellung genommen.
b) Soweit die Klägerin die grundsätzliche Bedeutung der Sache im Hinblick auf die Berücksichtigung ihrer angeblichen Entreicherung in Bezug auf die Ausfuhrerstattung und die Frage der Beweislast geltend macht, ist die grundsätzliche Bedeutung der Sache schon deswegen nicht hinreichend dargelegt (§ 115 Abs. 3 Satz 3 FGO a.F.), weil die Klägerin keine konkreten Rechtsfragen gestellt hat. Ausführungen, wonach sie die Entscheidung des FG nicht für zutreffend hält, reichen insoweit nicht aus.
Fundstellen