Entscheidungsstichwort (Thema)
Ausfuhrerstattung; Sicherheitsleistung bei Aussetzung der Vollziehung von Zinsbescheiden wegen zweifelhafter Auslegung von Gemeinschaftsvorschriften
Leitsatz (NV)
1. Es ist ernstlich zweifelhaft, ob die vorgeschriebenen Fristen für die Einreichung der für die Zahlung der Ausfuhrerstattung oder die Freigabe der Sicherheit erforderlichen Unterlagen auch im Verfahren betreffend die Rückforderung zu Unrecht gewährter Ausfuhrerstattungen zu beachten sind.
2. Es kann allerdings nicht mit der für ein Absehen von einer Sicherheitsleistung erforderlichen großen Wahrscheinlichkeit angenommen werden, dass diese Frage im Hauptsacheverfahren zu verneinen sein wird.
Normenkette
FGO § 69 Abs. 2-3; EGV 800/1999 Art. 49 Abs. 2, Art. 50 Abs. 2, Art. 52 Abs. 1 Unterabs. 1, Abs. 4
Verfahrensgang
Tatbestand
I. Die Antragstellerin und Beschwerdegegnerin (Antragstellerin) führte in den Jahren 2000 bis 2003 mehrere Sendungen Käse unter Inanspruchnahme von Ausfuhrerstattung in den Kosovo aus. Eine Überprüfung der Ausfuhrvorgänge führte zu dem Ergebnis, dass in 63 Fällen falsche Einfuhrnachweise vorgelegt worden waren. Der Antragsgegner und Beschwerdeführer (das Hauptzollamt --HZA--) forderte daraufhin die gewährten Ausfuhrerstattungen zurück und setzte entsprechende Sanktionen sowie Zinsen gegen die Antragstellerin fest. Die Antragstellerin erhob hiergegen Einspruch, über den das HZA bisher nicht entschieden hat, und beantragte die Aussetzung der Vollziehung (AdV) der in den Bescheidaufstellungen des HZA zusammengefassten Rückforderungs-, Sanktions- und Zinsbescheide. Sie machte geltend, dass sie von der Fälschung der Einfuhrnachweise keine Kenntnis gehabt habe und dass sie die Fälschungen auch nicht habe erkennen können. Außerdem legte sie vom United Nations Mission in Kosovo - Customs Service beglaubigte Kopien von Einfuhrzolldokumenten vor.
Das HZA setzte daraufhin die Vollziehung der Rückforderungsbescheide aus, zum wesentlichen Teil allerdings nur gegen Sicherheitsleistung, lehnte aber die AdV der Sanktionsbescheide ab. Über den Antrag der Antragstellerin auf AdV dieser Bescheide ohne Sicherheitsleistung entschied das Finanzgericht (FG) mit Beschluss vom 17. Oktober 2005 IV 231/04, der zum Teil Gegenstand der Beschwerde des HZA in dem Verfahren VII B 317/05 ist. Das FG setzte in jenem Verfahren (u.a.) die Vollziehung derjenigen 30 Rückforderungsbescheide ohne Sicherheitsleistung aus, für deren Ausfuhrvorgänge das HZA die nachträglich vorgelegten Einfuhrzolldokumente --abzüglich Fehlmengen-- als ordnungsgemäß anerkannt hatte, und vertrat insoweit die Ansicht, dass diese Rückforderungsbescheide mit großer Wahrscheinlichkeit rechtswidrig seien, weshalb bei der Vollziehungsaussetzung von der Anordnung einer Sicherheitsleistung abgesehen werden könne. Insoweit habe das HZA die nachträglich vorgelegten Einfuhrnachweise als ordnungsgemäß anerkannt. Zwischen den Beteiligten sei nur streitig, ob die gewährten Erstattungen wegen Überschreitung der Vorlagefristen gemäß Art. 49 Abs. 2 und Art. 50 Abs. 2, Abs. 3 Unterabs. 2 der Verordnung (EG) Nr. 800/1999 (VO Nr. 800/1999) der Kommission vom 15. April 1999 über gemeinsame Durchführungsvorschriften für Ausfuhrerstattungen bei landwirtschaftlichen Erzeugnissen (Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften Nr. L 102/11) zurückzufordern seien. Dies sei indes mit großer Wahrscheinlichkeit zu verneinen, denn es sei anzunehmen, dass diese Vorlagefristen im Rückforderungsverfahren keine Anwendung fänden. Das Tatbestandsmerkmal "der zu Unrecht erhaltene Betrag" in Art. 52 Abs. 1 Unterabs. 1 Satz 1 VO Nr. 800/1999 dürfte dahin auszulegen sein, dass eine Ausfuhrerstattung nur dann als zu Unrecht gewährt anzusehen sei, wenn die materiellen Voraussetzungen für die Erstattungsgewährung nicht erfüllt seien. Dagegen dürfte eine Ausfuhrerstattung nicht schon dann als zu Unrecht gewährt anzusehen sein, wenn lediglich die formalen Fristen für die Zahlung der Erstattung nicht eingehalten worden seien.
Die Vollziehung der angefochtenen Zinsbescheide setzte das HZA mit gesondertem Bescheid vom 14. Januar 2005 ebenfalls gegen Sicherheitsleistung aus.
Auf ihren beim FG gestellten Antrag auf AdV der Zinsbescheide ohne Sicherheitsleistung setzte das FG die Vollziehung derjenigen 30 Zinsbescheide ohne Sicherheitsleistung aus, die denjenigen 30 Rückforderungsbescheiden zuzuordnen sind, deren Vollziehung das FG mit Beschluss vom 17. Oktober 2005 in dem Verfahren IV 231/04 ohne Sicherheitsleistung ausgesetzt hatte. Das FG war aus denselben Gründen wie bezüglich der Rückforderungsbescheide in dem Verfahren IV 231/04 der Ansicht, dass die genannten 30 Zinsbescheide mit großer Wahrscheinlichkeit rechtswidrig seien. Im Übrigen lehnte das FG den Antrag auf AdV der Zinsbescheide ohne Sicherheitsleistung ab.
Gegen die AdV der 30 Zinsbescheide ohne Sicherheitsleistung richtet sich die vom FG zugelassene Beschwerde des HZA.
Das HZA beantragt sinngemäß, die Vorentscheidung insoweit aufzuheben, als die Vollziehung der dort bezeichneten 30 Zinsbescheide ohne Sicherheitsleistung ausgesetzt worden ist, und den Antrag auf AdV dieser Zinsbescheide ohne Sicherheitsleistung abzulehnen.
Die Antragstellerin beantragt, die Beschwerde zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
II. Die nach § 128 Abs. 3 der Finanzgerichtsordnung (FGO) statthafte Beschwerde des HZA ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung in dem beantragten Umfang und zur Ablehnung des Antrags auf AdV ohne Sicherheitsleistung.
Der Senat ist der Ansicht, dass die AdV der 30 Zinsbescheide nur gegen Sicherheitsleistung zu gewähren ist. Zur Vermeidung von Wiederholungen wird auf die Gründe des Senatsbeschlusses vom heutigen Tag in dem Beschwerdeverfahren VII B 317/05 verwiesen.
Da die Antragstellerin mit ihrem Antrag auf AdV ohne Sicherheitsleistung in vollem Umfang unterlegen ist, war der Beschluss des FG auch im Kostenausspruch entsprechend zu ändern. Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 1 FGO.
Fundstellen