Leitsatz (amtlich)
Einkünfte aus dem Verkauf selbstgemalter Bilder sind Einkünfte aus künstlerischer Tätigkeit i. S. des § 18 Abs. 1 Nr. 1 Satz 2 EStG, wenn die Bilder mit unterschiedlichen Motiven, ohne Schablonen und ohne Mithilfe fremder Arbeitskräfte gemalt werden und den in Kunsthandlungen angebotenen Bildern vergleichbar sind. Dies gilt selbst dann, wenn die Gutachterkommission einer staatlichen Kunstakademie die Bilder ohne weitere Begründung als "künstlerisch ohne Belang" gekennzeichnet hat.
Normenkette
EStG U 18 Abs. 1 Nr. 1 S. 2
Tatbestand
Der Senat entscheidet gemäß Art. 1 Nr. 7 des Gesetzes zur Entlastung des Bundesfinanzhofs (BFH-EntlastG) vom 8. Juli 1975 (BGBl I 1975, 1861 BStBl I 1975, 932) in der Besetzung von fünf Richtern durch Beschluß.
Er entscheidet ohne mündliche Verhandlung, macht aber von der nach Art. 1 Nr. 7 BFH-EntlastG gegebenen Möglichkeit, ohne weitere Begründung zu entscheiden, keinen Gebrauch.
Streitig ist, ob Einkünfte aus dem Verkauf selbstgemalter Bilder Einkünfte aus selbständiger künstlerischer Tätigkeit i. S. des § 18 Abs. 1 Nr. 1 Satz 2 des Einkommensteuergesetzes (EStG) oder aus Gewerbebetrieb sind und deshalb der Freibetrag des § 18 Abs. 4 EStG zu gewähren ist. Die Kläger und Revisionsbeklagten (Kläger) - Eheleute - waren in den Streitjahren 1966 bis 1968 als Maler tätig. Sie malten mit Öl- oder Acrylfarben hauptsächlich Landschafts- und Blumenbilder sowie Stilleben, und zwar oft mit gleichen Motiven. Die Arbeiten wurden frei entworfen und ohne Zuhilfenahme von Schablonen oder sonstigen Vervielfältigungsgeräten hergestellt. Soweit angestellte Hilfskräfte für die Kläger tätig waren, hatten diese nur die Aufgabe, die Rahmen für die Bilder herzustellen. Der Kläger hat nach dem Besuch der Volksschule und Berufsschule eine vierjährige Fachausbildung als technischer Zeichner durchlaufen. Die Klägerin verfügt über keine Fachausbildung.
In den auf Grund einer Betriebsprüfung erlassenen Berichtigungsbescheiden gewährte der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt - FA -) nicht die Freibeträge des § 18 Abs. 4 EStG. Das FA ist der Ansicht, daß die Kläger nicht selbständig künstlerisch i. S. des § 18 Abs. 1 Nr. 1 EStG, sondern gewerblich tätig gewesen seien.
Während des Einspruchsverfahrens wurde eine Stellungnahme der Gutachterkommission der Staatlichen Kunstakademie X eingeholt, ob den Klägern die Künstlereigenschaft i. S. des § 18 Abs. 1 Nr. 1 EStG zukomme. In zwei Gutachten vom 30. November 1972 verneinte die Gutachterkommission diese Frage mit der Begründung "künstlerisch ohne Belang". Eine von den Klägern gegen die Kunstakademie erhobene Dienstaufsichtsbeschwerde veranlaßte den Gutachterausschuß, seine Entscheidung noch einmal zu überprüfen. In seinem erneuten Gutachten vom 9. April 1975 gelangte der Gutachterausschuß wiederum zu dem Ergebnis, daß die Kläger nicht als Künstler i. S. des § 18 Abs. 1 Nr. 1 EStG anerkannt werden könnten, mit der Begründung:
"Selbst bei der zweiten Vorlage konnte die Kommission keine ausreichende eigenschöpferische künstlerische Leistung erkennen.
Die datierten Arbeiten sind nicht in den letzten fünf Jahren entstanden..., sie scheiden also für die Beurteilung aus."
Ein den Klägern anheimgegebenes Gegengutachten wurde nicht vorgelegt. Der Einspruch wurde zurückgewiesen.
Die Klage hatte Erfolg, das Finanzgericht (FG) führte u. a. aus:
Es gebe künstlerische Berufe, deren Arbeitsergebnisse keinen speziellen praktischen Gebrauchswert hätten und deshalb nach der Volksanschauung von vornherein dem Gebiet der Kunst zugerechnet würden, wie z. B. Maler und Komponisten. Diese Berufe seien ohne einen weiteren Nutzzweck auf die Schaffung von zweckfreien Kunstwerken gerichtet, wenn man davon ausgehe, daß Kunstwerke dazu bestimmt seien, durch Schönheit und Form auf das Empfinden der Menschen einzuwirken (Urteil des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 15. November 1956 V 134/56 S, BFH 64, 158, BStBl III 1957, 60). Bei diesen Berufen könne die Frage, ob eine künstlerische Tätigkeit vorliege, nicht allein von Sachverständigengutachten abhängig sein. Vielmehr sei auch die schlichte Volksanschauung zu berücksichtigen. Danach hätten die Kläger eine künstlerische Tätigkeit ausgeübt. Sie hätten in der mündlichen Verhandlung glaubhaft dargetan, daß sich ihre Tätigkeit von der eines Kunstmalers nicht unterschieden habe. Daß ihre Bilder ganz überwiegend an Kunsthandlungen verkauft worden seien, sei nicht zu bezweifeln. Anhand der in der mündlichen Verhandlung vorgeführten Bilder habe sich der Senat davon überzeugen können, daß die Kläger Bilder malten, die üblicherweise als Gemälde für Wohnräume erworben würden und allgemein in Kunsthandlungen zu kaufen seien. Der Senat könne zwar nicht beurteilen, ob die vorgeführten Bilder die Merkmale des BFH-Urteils vom 20. Juni 1962 IV 208/60 U (BFHE 75, 322, BStBl III 1962, 385) aufwiesen. Es könne aber mit hinreichender Sicherheit festgestellt werden, daß ein normaler Käufer dem in einer Kunsthandlung Bilder der Kläger neben Bildern gezeigt würden, die i. S. der Rechtsprechung des BFH als künstlerisch zu bezeichnen wären, die Bilder der Kläger nicht ohne weiteres deshalb herausfinden könnte, weil ihnen offensichtlich eine mindere Qualität anhafte. Diese Abgrenzung des Begriffs der künstlerischen Tätigkeit nähere sich zwar einer typisierenden Betrachtungsweise, das erscheine aber für Fälle der hier gegebenen Art vertretbar. - Die Abgrenzungsschwierigkeiten ließen sich nicht durch Einholung von Sachverständigengutachten befriedigend lösen. Denn es sei unmöglich, objektiv richtige Werturteile über Werke der bildenden Kunst zu fällen (vgl. Urteil des Hessischen FG vom 7. Dezember 1956 IV 989/56, Entscheidungen der Finanzgerichte 1957 S. 160 - EFG 1957, 160-). Im vorliegenden Fall komme hinzu, daß die Gutachterkommission die Gutachten in einer Form erstellt habe, die es dem Senat ohnehin verwehrt hätte, die Gutachten zur Grundlage seiner Entscheidung zu machen. Denn sie beinhalteten nur Werturteile, ohne die dafür maßgebenden Gründe anzuführen, und seien nicht so gehalten, daß sie die Bildung einer sicheren Überzeugung ermöglichten. Das sei zwar kein Beweis für willkürliches Verhalten, aber kennzeichnend für die Schwierigkeiten, denen selbst Fachleute ausgesetzt seien, wenn sie veranlaßt würden, ihr Werturteil mit Worten zu begründen. Die Sprache könne ein Kunstwerk zwar beschreiben und zu erklären versuchen, nicht aber zu dessen innerem Wesen vorstoßen. Im vorliegenden Fall habe entschieden werden können, ohne zuvor ein weiteres Gutachten einzuholen.
Die auf Nichtzulassungsbeschwerde hin zugelassene Revision stützt das FA außer auf Verletzung des § 18 Abs. 1 Nr. 1 EStG noch auf § 115 Abs. 2 Nr. 3 der Finanzgerichtsordnung - FGO - (Verfahrensmangel). Es beantragt, unter Aufhebung des FG-Urteils die Klage abzuweisen.
Die Kläger beantragen sinngemäß, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die Revision kann keinen Erfolg haben. Das FG hat mit Recht die streitigen Einkünfte der Kläger als Ergebnis einer künstlerischen Tätigkeit angesehen. Das FG ist zutreffend davon ausgegangen, daß wegen der Frage, ob eine Tätigkeit künstlerisch ist, bei Berufen, deren Arbeitsergebnisse einen praktischen Nützlichkeits- (Gebrauchs-)Zweck haben (z. B. Gebrauchsgrafiker, Modezeichner, Werbefotografen) eine andere Beurteilung erforderlich ist als bei Berufen, deren Arbeitsergebnisse einen solchen Gebrauchszweck nicht haben (z. B. Maler, Musiker, Komponisten). Dem FG ist auch zuzustimmen, daß bei der zuerst genannten Gruppe, die als Kunsthandwerk oder Kunstgewerbe zusammengefaßt werden kann, aufgrund besonderer Sachkunde von Fall zu Fall festgestellt werden muß, ob eigenschöpferische Leistungen, d. h. Leistungen, in denen sich eine individuelle Anschauungsweise und eine besondere Gestaltungskraft widerspiegeln, vorliegen und ob diese Leistungen eine gewisse künstlerische Gestaltungshöhe erreichen (vgl. auch Beschluß des Bundesverfassungsgerichts - BVerfG - vom 24. Februar 1971 1 BvR 435/68, BVerfGE 30, 173, 188 f.). Demgegenüber ist bei den zuletzt genannten Berufen, die als freie Künste zusammengefaßt werden können, der allgemeinen Verkehrsauffassung besonderes Gewicht beizulegen; der Senat hält es allerdings nicht für geboten, für die Beurteilung neben der "allgemeinen Verkehrsauffassung" noch den Begriff der "schlichten Volksmeinung" einzuführen.
Die Auffassung über die unterschiedliche Beurteilung der freien Künste und des Kunstgewerbes entspricht der bisherigen Rechtsprechung des BFH, wie sie in dem Urteil vom 14. Dezember 1976 VIII R 76/75 (BFHE 121, 410, BStBl II 1977, 474) ihren Niederschlag gefunden hat. In dem dort entschiedenen Fall eines Werbefotografen hatte das FG allein auf die Abgrenzung der drei Gruppen, nämlich der freien Künste, des Kunstgewerbes und des Kunsthandwerks, voneinander abgestellt mit der Folgerung, daß Kunstgewerbe und Kunsthandwerk - im Gegensatz zu den freien Künsten - der gewerblichen Tätigkeit zugerechnet wurden. Demgegenüber verwies der BFH auf die inzwischen ständige Rechtsprechung, nach der im Grenzbereich zwischen Kunst und Gewerbe der gewerbliche Verwendungszweck und die bestimmungsgemäße Verwendung als Gebrauchsgegenstand die Annahme einer künstlerischen Tätigkeit nicht ausschließt. Der BFH hält in dem Urteil VIII R 76/75 für die Beurteilung, ob Gebrauchskunst noch Kunst ist, besondere Sachkunde für erforderlich. Das bedeutet indessen nicht, daß auch die Beurteilung des künstlerischen Charakters bei der zweckfreien Kunst allein von Sachverständigengutachten abhängig wäre.
Dem FA ist allerdings einzuräumen, daß das FG angesichts der drei vorliegenden Gutachten der Gutachterkommission der Staatlichen Kunstakademie X, nach denen die Tätigkeit der Kläger "künstlerisch ohne Belang" sei und keine ausreichende eigenschöpferische künstlerische Leistung erkennen lasse, seine Entscheidung, die Tätigkeit der Kläger sei künstlerisch, nicht ohne besondere zusätzliche Feststellungen treffen konnte. Dabei konnte das FG aber mit Recht darauf verweisen, daß die Gutachten nur Werturteile beinhalteten, ohne die dafür maßgebenden Gründe anzuführen, und daß ihnen deshalb kein ausschlaggebendes Gewicht beigemessen werden konnte.
Entgegen der Ansicht des FA reichen die dem FG-Urteil zugrunde liegenden weiteren Feststellungen, an die der BFH mangels begründeter Gegenvorstellungen nach § 118 Abs. 2 FGO gebunden ist, aus, um die Beurteilung des FG, die Tätigkeit der Kläger sei künstlerisch, zu begründen: Die Kläger malten hauptsächlich Landschafts- und Blumenbilder sowie Stilleben, oft mit gleichen Motiven, aber frei entworfen und ohne Zuhilfenahme von Schablonen oder Vervielfältigungsgeräten. Beim Malen der Bilder waren Hilfskräfte für die Kläger nicht tätig. Die Bilder waren nach dem in der mündlichen Verhandlung an Hand von 20 Bildern gewonnenen Eindruck des FG ihrer Art nach vergleichbar mit Bildern, die üblicherweise als "Gemälde" in Kunsthandlungen zu kaufen sind. Sie waren in einer Kunsthandlung neben Bildern von anerkannten Künstlern für einen Laien nicht wegen offensichtlich minderer Qualität herauszufinden. Wie die Umsätze zwischen rd. 51 000 und rd. 116 000 DM zeigen, fanden die Bilder jedenfalls in bestimmten Käuferschichten Anklang.
Diese für eine künstlerische Betätigung der Kläger. S. des § 18 Abs. 1 Nr. 1 EStG sprechenden Feststellungen lassen sich nicht durch den Hinweis auf die Gutachten der Gutachterkommission ("künstlerisch ohne Belang") beiseite räumen. Es mag zutreffen, daß Bilder in der Art, wie sie die Kläger gemalt haben, für die Weiterentwicklung der modernen Kunst ohne Bedeutung sind. Dies kann aber nicht zu einer Einschränkung des Bereichs zweckfreier künstlerischer Betätigung führen für Fälle, in denen die Resonanz eines größeren Käuferkreises ausdrücklich festgestellt ist.
Dem FA kann auch darin nicht zugestimmt werden, daß die Entscheidung des FG schon deshalb zu beanstanden sei, weil das FG seine eigene Sachkunde selbst in Frage gestellt habe, da es ausgeführt habe, der Senat könne nicht beurteilen, ob die vorgeführten Bilder die Merkmale des BFH-Urteils IV 208/60 U aufwiesen. In diesem Urteil hatte der BFH für die Beurteilung, ob die Tätigkeit eines Schauspielers als Sprecher von Werbetexten eine künstlerische sei, darauf abgestellt, ob der Schaffende schöpferische Leistungen vollbringt und diese "insbesondere" "eine gewisse künstlerische Gestaltungshöhe" erreichen. Da der BFH in diesem Urteil die Entscheidung, ob im Einzelfall schöpferische Leistungen vorliegen, als Tatsachenfrage ausdrücklich dem FG - "nach seiner freien Überzeugung" - zuwies und das FG im Streitfall die künstlerische Tätigkeit der Kläger ausdrücklich bejaht hat, kann sich die Bemerkung der Vorinstanz, der Senat könne das Vorliegen der Merkmale des genannten BFH-Urteils nicht beurteilen, nur auf das weitere Kriterium beziehen, nämlich daß "insbesondere" "eine gewisse künstlerische Gestaltungshöhe" erkennbar sein müsse. Wenn also das FG davor resigniert, die künstlerische Gestaltungshöhe der Bilder der Kläger zu bestimmen und zu begründen, so wird damit seine Schlußfolgerung, hier handele es sich um Produkte künstlerischer Tätigkeit, nicht in Frage gestellt. Denn das FG hat dafür die bereits genannten entscheidenden Feststellungen getroffen, daß die Bilder ihrer Art und Qualität nach mit Bildern vergleichbar sind, die als solche von anerkannten Künstlern in Kunsthandlungen angeboten werden, sowie, daß die Arbeiten der Kläger ausschließlich auf das Hervorbringen einer ästhetischen Wirkung gerichtet waren, und ferner, daß die Bilder bei offensichtlich nicht kleinen Käuferkreisen Anklang fanden. Bei diesen Feststellungen konnte das FG die Beurteilung der künstlerischen Gestaltungshöhe offenlassen.
Fundstellen
Haufe-Index 413421 |
BStBl II 1981, 21 |
BFHE 1981, 365 |