Entscheidungsstichwort (Thema)
Beiladung eines Haftungsschuldners
Leitsatz (NV)
Zur Frage der Beiladung des Liquidators einer GmbH als Haftungsschuldner für die Umsatzsteuerschulden der GmbH zu einem Klageverfahren der GmbH wegen eines Abrechnungsbescheids über die Umsatzsteuer.
Normenkette
FGO § 60 Abs. 1, 3, §§ 74, 110 Abs. 1 Nr. 1; AO 1977 § 218 Abs. 2
Tatbestand
Der Antragsteller und Beschwerdeführer (Antragsteller) ist Liquidator der Fa. X GmbH i. L. (Klägerin). Mit ihrer beim Finanzgericht (FG) anhängigen Klage wendet sich die Klägerin gegen einen Abrechnungsbescheid des beklagten Finanzamts (FA) in der Gestalt der Einspruchsentscheidung, mit der die rückständige Umsatzsteuer 1985 auf ... DM festgesetzt worden ist. Die Klägerin vertritt die Auffassung, unter Berücksichtigung der geleisteten Steuerzahlungen, des festgesetzten Umsatzsteuerguthabens, der Umsatzsteuerrückvergütungen und der zutreffenden Umbuchungen ergäbe sich zu ihren Gunsten ein Umsatzsteuerguthaben 1985. Das FA hat den Antragsteller wegen Steuerhinterziehung der Umsatzsteuer 1985 der Klägerin als Haftungsschuldner in Höhe von ... DM in Anspruch genommen. Gegen den Haftungsbescheid ist ebenfalls eine (Untätigkeits-)Klage beim FG anhängig.
Der Antrag der Klägerin und des Antragstellers, den Antragsteller zu dem Klageverfahren wegen des Abrechnungsbescheids zur Umsatzsteuer 1985 beizuladen, wurde vom FG im wesentlichen mit folgender Begründung abgelehnt:
Ein Fall der notwendigen Beiladung gemäß § 60 Abs. 3 der Finanzgerichtsordnung (FGO) sei nicht gegeben, da der Liquidator an dem hier streitigen Rechtsverhältnis nicht derart beteiligt sei, daß die Entscheidung auch ihm gegenüber nur einheitlich ergehen könne. Das Abrechnungsverfahren zur Umsatzsteuer und die Haftung des Geschäftsführers/Liquidators wegen Umsatzsteuer seien zwar insoweit miteinander verbunden, als die Erfüllung der Steuerschuld auch die Haftung beeinflusse. Eine unmittelbare Verknüpfung in dem für die notwendige Beiladung erforderlichen Sinne sei aber nicht gegeben.
Auch eine Beiladung gemäß § 60 Abs. 1 FGO komme nicht in Betracht. Hierfür sei ausreichend, daß rechtliche Interessen des Dritten berührt werden, wobei das Gesetz die Haftung neben dem Steuerpflichtigen als Beispielsfall aufführe. Rechtliche Interessen seien dann berührt, wenn die Entscheidung irgendeinen -- nachteiligen oder vorteiligen -- Einfluß haben könne. Die Beiladung stehe im Ermessen des Gerichts. Das Gericht sehe in Ausübung dieses Ermessens von einer Beiladung ab, weil der Liquidator der Klägerin schon aufgrund seiner Stellung als ihr Vertreter in der Lage sei, sämtliche Einwendungen gegen das Bestehen der Umsatzsteuerschuld im Klageverfahren geltend zu machen. Aus diesem Grunde sehe auch § 166 der Abgabenordnung (AO 1977) vor, daß der Vertreter des Steuerpflichtigen die unanfechtbare Steuerfestsetzung gegen sich gelten lassen müsse, weil er in der Lage gewesen wäre, diese anzufechten.
Entscheidungsgründe
Die Beschwerde des Antragstellers gegen den die Beiladung ablehnenden Beschluß des FG ist begründet.
1. Zu Recht hat das FG entschieden, daß die Voraussetzungen für eine notwendige Beiladung im Streitfall nicht erfüllt sind. Die Beiladung ist notwendig, wenn an dem streitigen Rechtsverhältnis Dritte derart beteiligt sind, daß die Entscheidung auch ihnen gegenüber nur einheitlich ergehen kann (§ 60 Abs. 3 FGO). Das ist dann der Fall, wenn die Entscheidung notwendigerweise und unmittelbar Rechte Dritter gestaltet, bestätigt, verändert oder zum Erlöschen bringt, insbesondere also in Fällen, in denen das, was einen Prozeßbeteiligten begünstigt oder benachteiligt, notwendigerweise umgekehrt den Dritten benachteiligen oder begünstigen muß (Urteil des Bundesfinanzhofs -- BFH -- vom 27. Februar 1969 IV R 263/66, BFHE 95, 148, BStBl II 1969, 343; Beschluß des Senats vom 29. Januar 1980 VII B 34/79, BFHE 129, 536, BStBl II 1980, 303; Senatsurteil vom 19. April 1988 VII R 56/87, BFHE 153, 472, BStBl II 1988, 789). Ein solches Verhältnis gegenseitiger Abhängigkeit ist im Streitfall nicht gegeben.
Die Entscheidung im Abrechnungsverfahren gemäß § 218 Abs. 2 AO 1977 über das Bestehen von Umsatzsteuerschulden oder -guthaben 1985 der Klägerin hat keinen unmittelbaren Einfluß auf das Haftungsverfahren gegenüber dem Antragsteller. Zwar besteht ein sachlogischer Zusammenhang der beiden Verfahren derart, daß der vom FA erhobene Vorwurf der Steuerverkürzung gegenüber dem Antragsteller als Haftungsschuldner wohl nicht begründet sein wird, wenn sich herausstellt, daß die Klägerin keine Umsatzsteuer 1985 mehr schuldet. Das FG kann aber in dem Verfahren über den Haftungsbescheid gegenüber dem Antragsteller aufgrund eigener tatsächlicher und rechtlicher Würdigung der Sach- und Rechtslage anders entscheiden als in dem vorliegenden Klageverfahren über den Abrechnungsbescheid gegenüber der Klägerin, zumal die beiden Klageverfahren bei unterschiedlichen Senaten des FG anhängig sind. Da somit dem Urteil in dem Verfahren über den Abrechnungsbescheid keine unmittelbare Gestaltungswirkung hinsichtlich des Verfahrens über den gegen den Antragsteller ergangenen Haftungsbescheid zukommt, kommt eine notwendige Beiladung des Antragstellers als Haftungsschuldner zu dem vorliegenden Abrechnungsverfahren der Klägerin nicht in Betracht.
2. Das FG hat aber bei der Ablehnung auch der einfachen Beiladung (§ 60 Abs. 1 FGO) des Antragstellers nach der von ihm gegebenen Begründung sein Ermessen nicht sachgerecht ausgeübt.
a) Nach § 60 Abs. 1 FGO kann das FG von Amts wegen oder auf Antrag andere beiladen, deren rechtliche Interessen nach den Steuergesetzen durch die Entscheidung berührt werden, insbesondere solche, die nach den Steuergesetzen neben dem Steuerpflichtigen haften. Bei der nach dieser Vorschrift im pflichtgemäßen Ermessen des Gerichts stehenden Entscheidung über die einfache Beiladung hat das Gericht Gesichtspunkte der Prozeßökonomie und der Rechtssicherheit zu berücksichtigen, um widersprechende Entscheidungen über denselben Gegenstand zu vermeiden. Außerdem sind sowohl das Interesse des Beizuladenden, etwaige seine Rechtsstellung nachteilig berührende Entscheidungen zu verhindern, als auch etwaige der Beiladung entgegenstehende Belange der anderen Prozeßbeteiligten (z. B. das Steuergeheimnis) in Betracht zu ziehen (vgl. Gräber/Koch, Finanzgerichtsordnung, 3. Aufl., § 60 Rz. 30, 31, m. w. N.). Mit dem Beiladungsbeschluß erlangt der (einfach) Beigeladene die Befugnis, innerhalb der Anträge eines als Kläger oder Beklagter Beteiligten selbständig Angriffs- oder Verteidigungsmittel geltend zu machen und alle Verfahrenshandlungen wirksam vorzunehmen (§ 60 Abs. 6 Satz 1 FGO). Die Beiladung bewirkt, daß das (rechtskräftige) Urteil, soweit über den Streitgegenstand entschieden worden ist, auch dem Beigeladenen gegenüber in Rechtskraft erwächst (§ 110 Abs. 1 Nr. 1 FGO; Gräber/Koch, a.a.O., § 60 Rz. 70).
b) Im Streitfall kommt -- wie auch das FG nicht verkannt hat -- eine einfache Beiladung des Antragstellers zu dem Verfahren über den von der Klägerin angefochtenen Abrechnungsbescheid zur Umsatzsteuer 1985 in Betracht. Das rechtliche Interesse des Antragstellers als vom FA in Anspruch genommener Haftungsschuldner für die Umsatzsteuer 1985 der Klägerin wird durch die Entscheidung im Abrechnungsverfahren über das Bestehen oder Nichtbestehen eines rückständigen Steuerbetrags i. S. des § 60 Abs. 1 FGO berührt. Das folgt bereits aus der beispielhaften Benennung des Haftungsschuldners nach den Steuergesetzen als Beizuladender in dieser Vorschrift und gilt nicht nur für dessen Beiladung zu einem Prozeß über die Steuerfestsetzung, sondern wegen der Akzessorietät zwischen Steuerschuld und Haftungsschuld auch für das Klageverfahren über einen Abrechnungsbescheid über die Verwirklichung der Steuerschuld (§ 218 Abs. 2 AO 1977). Denn der Haftungsanspruch erlischt und darf nicht mehr geltend gemacht werden, wenn die Steuerschuld nach § 47 AO 1977 (z. B. durch Zahlung oder Aufrechnung) erloschen ist (vgl. Tipke/Kruse, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, 16. Aufl., Vor § 69 AO 1977 Tz. 7). Im Streitfall kommt hinzu, daß im Abrechnungsverfahren -- wie die Beschwerde vorträgt -- über die Zulässigkeit der Umbuchung von Zahlungen bzw. Guthaben durch das FA auf Zeiträume, für die eine Haftung des Antragstellers nicht in Betracht kommt, gestritten wird. Falls sich diese Umbuchungen als rechtsfehlerhaft herausstellen, soll nach dem -- insoweit nicht bestrittenen -- Vorbringen der Beschwerde bereits der objektive Tatbestand der Steuerhinterziehung, auf die das FA den Haftungsanspruch gegenüber dem Antragsteller stützt (§§ 71, 370 AO 1977), entfallen.
Ein weiterer Beleg dafür, daß die rechtlichen Interessen des Antragstellers als Haftungsschuldner durch die Entscheidung über das Abrechnungsstreitverfahren der Klägerin in ganz erheblicher Weise berührt werden, folgt daraus, daß das FG selbst das Verfahren über die Untätigkeitsklage des Antragstellers gegen den gegen ihn ergangenen Haftungsbescheid durch Beschluß vom 27. Dezember 1995 u. a. wegen Vorgreiflichkeit des Abrechnungsverfahrens der Steuerschuldnerin (Klägerin) ausgesetzt hat (§ 74 FGO). Da demnach eine gerichtliche Entscheidung über den bereits im Jahre 1988 erlassenen Haftungsbescheid -- über den Einspruch ist bis heute noch nicht entschieden -- gegenüber dem Antragsteller und den darin erhobenen Vorwurf der Steuerhinterziehung in absehbarer Zeit nicht zu erwarten ist, muß ein besonderes recht liches Interesse des Antragstellers daran erkannt werden, auf dem Wege über die Beiladung zu dem Verfahren über den Abrechnungsbescheid gegenüber der Steuerschuldnerin auf den Ausgang dieses Prozesses Einfluß zu nehmen und in diesem Verfahren mit bindender Wirkung für seinen noch anhängigen Haftungsrechtsstreit möglichst zu erreichen, daß er wegen Feststellung des Nichtbestehens eines Umsatzsteuerrückstandes von seiner Haftungsschuld und dem ihr zugrundeliegenden Vorwurf der Steuerhinterziehung freigestellt wird.
c) Die Ablehnung der beantragten Beiladung nach § 60 Abs. 1 FGO durch das FG trägt diesen besonderen Umständen des Streitfalls und der Interessenlage des Antragstellers nicht in ausreichendem Maße Rechnung. Gründe, die trotz des besonderen rechtlichen Interesses des Antragstellers an dem Ausgang des vorliegenden Rechtsstreits die Ablehnung seiner Beiladung nicht als ermessenswidrig erscheinen ließen, sind nicht ersichtlich. Die Beiladung des Antragstellers entspricht auch der Interessenlage der Klägerin; das FA hat sich zwar in seiner Beschwerdeerwiderung aus den Gründen der Vorentscheidung gegen die Beiladung ausgesprochen, aber nicht dargetan, aus welchen Gründen die Bei ladung des Antragstellers seinen eigenen prozessualen Belangen entgegenstehen würde.
Soweit das FG seine ablehnende Entscheidung damit begründet hat, die (einfache) Beiladung stehe im Ermessen des Gerichts, reicht das für eine sachgerechte Ermessensausübung nicht aus (BFH-Beschluß vom 6. Mai 1988 VI B 35/87, BFH/NV 1989, 113; Gräber/Koch, a.a.O., § 60 Rz. 30). Auch die weitere Begründung des FG, daß der Antragsteller schon aufgrund seiner Stellung als Vertreter (Liquidator) der Klägerin in der Lage sei, sämtliche Einwendungen gegen das Bestehen der Umsatzsteuerschuld im Klageverfahren geltend zu machen, läßt nicht erkennen, daß die Vor instanz das ihr nach § 60 Abs. 1 FGO zustehende Ermessen pflichtgemäß ausgeübt hat. Denn sie läßt außer Betracht, daß mit der Beiladung zu einem gerichtlichen Verfahren dem in seinen rechtlichen Interessen berührten Dritten nicht nur die Möglichkeit gegeben werden soll, durch die Wahrnehmung von Verfahrenshandlungen auf die ausstehende Entscheidung Einfluß zu nehmen. Vielmehr soll im Interesse der Prozeßökonomie erreicht werden, daß streitige Rechtsverhältnisse nicht nur zwischen den Hauptbeteiligten, sondern auch gegenüber dem mitbetroffenen Dritten einheitlich geordnet und widersprüchliche Entscheidungen vermieden werden. Dieses Ziel wird nur durch die förmliche Beiladung und die Rechtskrafterstreckung des Urteils auch gegenüber dem Beigeladenen (§ 110 Abs. 1 Nr. 1 FGO) erreicht (vgl. Gräber/Koch, a.a.O., § 60 Rz. 2). Ohne die Beiladung läuft der Antragsteller Gefahr, daß, selbst wenn die Entscheidung im Abrechnungsverfahren über die Umsatzsteuer 1985 der Klägerin (Steuerschuldnerin) in seinem Sinne ergeht, in dem nachfolgenden Haftungsrechtsstreit der zuständige andere Senat des FG in anderer Würdigung der Beweislage von einem verbleibenden Umsatzsteuerrückstand der Steuerschuldnerin ausgeht und die Haftung des Antragstellers bejaht. Zumindest spricht der bei der Beiladung zu berücksichtigende Gesichtspunkt der Prozeßökonomie dafür, die Frage des Bestehens eines Umsatzsteuerrückstandes 1985 der Klägerin im vorliegenden Klageverfahren auch mit rechtlicher Bindung gegenüber dem Antragsteller als Haftungsschuldner zu entscheiden, wenn schon der zuständige Senat des FG das Haftungsverfahren wegen Vorgreiflichkeit des Verfahrens über den Abrechnungsbescheid ausgesetzt hat.
Der Hinweis des FG auf die Regelung in § 166 AO 1977, wonach der Vertreter des Steuerpflichtigen eine unanfechtbare Steuerfestsetzung gegen sich gelten lassen muß, weil er in der Lage gewesen wäre, den gegen den Steuerpflichtigen erlassenen Bescheid als dessen Vertreter (hier Liquidator) anzufechten, ist im Streitfall bei Ablehnung der Beiladung des Antragstellers nicht geeignet, widersprüchliche Entscheidungen im Abrechnungsverfahren und im Haftungsverfahren auszuschließen. Denn die Vorschrift regelt nur die Drittwirkung der Steuerfestsetzung. Sie bewirkt -- wie sich aus ihrem Wortlaut und ihrer systematischen Stellung im Gesetz ergibt (AO 1977; 4. Teil: Durchführung der Besteuerung, 3. Abschnitt: Festsetzungs- und Feststellungsverfahren) -- keine Bindungswirkung des im Erhebungsverfahren (§§ 218 ff. AO 1977) gegenüber einem Steuerpflichtigen ergehenden Abrechnungsbescheids auch gegenüber dem Haftungsschuldner.
Da die Vorentscheidung den vorstehenden Erwägungen über die Ermessensentscheidung bei der einfachen Beiladung nicht gerecht wird, war sie aufzuheben. Der Senat könnte zwar als Beschwerdegericht die Ermessensentscheidung nach § 60 Abs. 1 FGO selbst treffen; er kann aber auch die Sache unter Aufhebung der Vorentscheidung zur erneuten Entscheidung über die Beiladung an das FG zurückverweisen (BFH-Beschluß in BFH/NV 1989, 113, m. w. N.). Im Hinblick auf die in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht sehr knappen Ausführungen des FG in dem angefochtenen Beschluß und der dadurch begründeten Gefahr, daß weitere für die Ermessensausübung wesentliche Gesichtspunkte, die sich aus dem Zusammenhang der beiden Klageverfahren ergeben könnten, übersehen werden, macht der Senat von der Möglichkeit der Zurückverweisung der Sache an das FG Gebrauch (§ 155 FGO i. V. m. § 575 der Zivilprozeßordnung).
Fundstellen
Haufe-Index 422318 |
BFH/NV 1997, 867 |