Entscheidungsstichwort (Thema)
Festsetzung von Vermögensteuer für Stichtage vor Ablauf des Jahres 1996
Leitsatz (NV)
Nach dem Beschluß des BVerfG vom 22. Juni 1995 2 BvL 37/91 (BVerfGE 93, 121, BStBl II 1995, 655) ist es auch nach Ablauf des Jahres 1996 zulässig, Vermögensteuer auf davor liegende Stichtage festzusetzen.
Normenkette
GG Art. 3 Abs. 1, Art. 14; FGO § 69 Abs. 2-3; VStG §§ 1, 9-10
Verfahrensgang
Tatbestand
Der Beklagte und Beschwerdegegner (das Finanzamt -- FA --) setzte am 20. Februar 1997 gegen die Kläger, Beschwerdeführer und Antragsteller (Antragsteller) Vermögensteuer auf den 1. Januar 1995 (Hauptveranlagungszeitpunkt) fest. Außerdem wurde ein Verspätungszuschlag festgesetzt. Der Bescheid erging unter dem Vorbehalt der Nachprüfung nach §164 Abs. 1 der Abgabenordnung (AO 1977).
Nach erfolglosem Einspruchsverfahren erhoben die Antragsteller gegen diesen Bescheid Klage. Über die Klage ist noch nicht entschieden.
Nachdem ein Antrag auf Aussetzung der Vollziehung des angefochtenen Bescheids vom FA abgelehnt worden war, verfolgten die Antragsteller dieses Ziel im gerichtlichen Verfahren weiter. Sie sind der Auffassung, daß nach dem Beschluß des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) vom 22. Juni 1995 2 BvL 37/91 (BVerfGE 93, 121, BStBl II 1995, 655) die Festsetzung von Vermögensteuer nach dem 31. Dezember 1996 nicht mehr zulässig und damit auch in ihrem Fall rechtswidrig sei. Sie berufen sich dabei auf Stimmen in der Literatur (z. B. Schüppen, Deutsches Steuerrecht -- DStR -- 1997, 225).
Das Finanzgericht (FG) hat mit seinem in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 1997, 919 veröffentlichten Beschluß den Antrag auf Aussetzung der Vollziehung abgelehnt. Die Beschwerde hat das FG wegen grundsätzlicher Bedeutung zugelassen.
Mit der Beschwerde beantragen die Antragsteller, unter Aufhebung der Vorentscheidung die Vollziehung des angefochtenen Vermögensteuerbescheides auszusetzen. Das FG versuche, ein ihm offenbar unbillig erscheinendes Ergebnis durch eine durch den Wortlaut der Entscheidung des BVerfG nicht mehr gedeckte Auslegung zu vermeiden. Das BVerfG habe einen Zeitpunkt normiert, über den hinaus das Vermögensteuergesetz (VStG) nicht mehr angewendet werden dürfe. Ein Verstoß gegen den allgemeinen Gleichheitssatz, auf den sich die Rechtsansicht des FA maßgeblich stütze, liege nicht vor. Eine Gleichbehandlung im Unrecht gebe es nicht.
Das FA beantragt, die Beschwerde als unbegründet zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die Beschwerde der Antragsteller ist unbegründet.
Zu Recht hat das FG ernstliche Zweifel i. S. von §69 Abs. 3 i. V. m. Abs. 2 Satz 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Vermögensteuerbescheides verneint.
Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Vermögensteuerbescheides könnten nur daraus abgeleitet werden, daß die im Streitfall im Jahre 1997 erfolgte Vermögensteuerfestsetzung auf den 1. Januar 1995 nach dem Beschluß des BVerfG in BVerfGE 93, 121, BStBl II 1995, 655 verfassungsrechtlich nicht (mehr) zulässig gewesen wäre. Dies ist jedoch nicht der Fall.
Nach dem Beschluß des BVerfG ist es vielmehr auch nach Ablauf des Jahres 1996 zulässig, Vermögensteuer auf davor liegende Stichtage festzusetzen. Die im Tenor des Beschlusses des BVerfG angeordnete Weiteranwendung des bisherigen VStG bis (längstens) zum 31. Dezember 1996 ist dahin zu verstehen, daß das VStG trotz seiner vom BVerfG erklärten Unvereinbarkeit mit dem Grundgesetz (GG) auf alle bis zu diesem Zeitpunkt verwirklichten Tatbestände -- mithin auf bis zum Stichtag 1. Januar 1996 entstandene Vermögensteuer -- weiterhin anzuwenden ist. An dieser Auffassung, die bereits seinem Beschluß vom 18. Juni 1997 II B 33/97 (BFHE 182, 379, BStBl II 1997, 515) und seinem Urteil vom 30. Juli 1997 II R 9/95 (BStBl II 1997, 635) zugrunde liegt und auf die der Senat zur näheren Begründung verweist, hält der Senat fest.
Aus dem Wortlaut der Entscheidungsformel des BVerfG ergeben sich keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit dieser Auffassung, die nach §69 Abs. 3 Satz 1 i. V. m. Abs. 2 Satz 2 FGO eine Aussetzung der Vollziehung des angefochtenen Vermögensteuerbescheides rechtfertigen würden. Zwar ist die im Tenor des BVerfG-Beschlusses (und in dessen Begründung) verwendete Formulierung "weiter anwendbar" objektiv mehrdeutig. Damit kann -- wovon die Antragsteller ausgehen -- die Anordnung einer absoluten Anwendungssperre nach dem bezeichneten letzten Anwendungszeitpunkt gemeint sein. Das Wort anwenden kann jedoch auch im Sinne von "Geltung" bzw. "Wirkung" verwendet werden (vgl. Arndt/Jenzen, Neue Juristische Wochenschrift -- NJW -- 1997, 1678, 1681). Der Zusammenhang, in dem das BVerfG das Wort "Anwendung" verwendet, sowie der Sinn und Zweck der vom BVerfG erklärten (teilweisen) Unvereinbarkeit des VStG mit dem GG verbunden mit der Anordnung einer befristeten Weiteranwendung der beanstandeten Rechtsnorm belegen jedoch -- wie der erkennende Senat bereits in seinem Beschluß in BFHE 182, 379, BStBl II 1997, 515 dargelegt hat --, daß das BVerfG zumindest in diesem Beschluß das Wort "Anwendung" in letzterem Sinne gebraucht hat.
Die vom BVerfG getroffene Anordnung der weiteren Anwendbarkeit des VStG bezieht sich auf zurückliegende, d. h. vor seiner Entscheidung liegende Kalenderjahre, auf das zum Zeitpunkt seiner Entscheidung bereits laufende Kalenderjahr 1995 sowie auf das Kalenderjahr 1996. Als Rechtsfolge des Beschlusses des BVerfG für den Ausgangsfall hat das BVerfG angeordnet, das vorlegende FG könne für die Veranlagungszeiträume 1983 bis 1986 das bisherige Vermögensteuerrecht zugrunde legen. Daraus ergibt sich zweifelsfrei, daß das BVerfG für zurückliegende Zeiträume von einer Weitergeltung des bisherigen VStG -- und zwar ohne Rücksicht auf das künftige Verhalten des Gesetzgebers -- ausgegangen ist. Für die von der Anordnung der Weiteranwendung ebenfalls erfaßten Kalenderjahre 1995 und 1996 kann dem Wort "Anwendung" keine andere Bedeutung zukommen. Hätte das BVerfG für das zum Zeitpunkt seiner Entscheidung laufende Kalenderjahr und für das künftige Kalenderjahr materiell eine andere Regelung treffen wollen als für die zurückliegenden Jahre, so hätte es dies klar zum Ausdruck gebracht. Tenor und Gründe der Entscheidung des BVerfG sind insgesamt dahin zu verstehen, daß trotz der festgestellten (teilweisen) Unvereinbarkeit des VStG mit dem GG dieses für alle bis zum Ablauf des Jahres 1996 verwirklichten Sachverhalte Geltung behält.
Die Interpretation des Beschlusses des BVerfG zur Vermögensteuer durch den Senat wird bestätigt durch den am selben Tag erfolgten Beschluß ebenfalls des II. Senats des BVerfG zur Erbschaftsteuer (Beschluß vom 22. Juni 1995 2 BvR 552/91, BVerfGE 93, 165, BStBl II 1995, 671). In dieser Entscheidung hat das BVerfG das Erbschaftsteuer- und Schenkungsteuergesetz (ErbStG) ebenfalls für (teilweise) mit dem GG unvereinbar erklärt und gleichzeitig angeordnet, daß das bisherige Recht längstens bis zum 31. Dezember 1995 "anwendbar" ist. Es hat deshalb die mit der Verfassungsbeschwerde angegriffenen Entscheidungen des FG und des Bundesfinanzhofs nicht aufgehoben. Auch in diesem Beschluß hat demnach derselbe Senat das BVerfG am selben Tag die von ihm verwendete Formulierung "weiter anzuwenden" als Anordnung der Fortgeltung des für verfassungswidrig erklärten Rechts gebraucht. Erst für die Zeit ab 1. Januar 1996 sollte für die Erbschaftsteuer -- im Unterschied zur Vermögensteuer -- etwas anderes gelten. Nach dem alten Recht sollte ab dann nur noch eine vorläufige Erbschaftsteuerfestsetzung zulässig sein. Eine endgültige Festsetzung konnte dagegen nur noch aufgrund einer den verfassungsrechtlichen Anforderungen entsprechenden Neuregelung des ErbStG erfolgen. Daran wird deutlich, daß für die davor liegenden Zeiträume -- auf die das alte ErbStG nach Anordnung des BVerfG weiterhin "anwendbar" bleiben sollte -- das alte Recht weiterhin uneingeschränkt Geltung beanspruchen sollte.
Auch das Urteil des BVerfG vom 3. November 1982 1 BvR 620/78, 1335/78, 1104/79, 363/80 (BVerfGE 61, 319, BStBl II 1982, 717) zum Kinderfreibetrag widerspricht -- entgegen der Auffassung von List, Der Betrieb 1997, 1960 -- nicht der vom Senat vertretenen Auffassung der Interpretation des BVerfG-Beschlusses zur Vermögensteuer. Auch mit dieser Entscheidung hat das BVerfG zwar die beanstandeten Normen des Einkommensteuergesetzes nur als mit der Verfassung unvereinbar erklärt und gleichzeitig eine weitere Anwendung der angegriffenen Normen bis zu einer gesetzlichen Neuregelung, längstens bis zum 31. Dezember 1984, zugelassen.
Die weitere Anwendung der angegriffenen Normen durfte jedoch -- im Unterschied zur Entscheidung über die Vermögensteuer -- nur im Wege vorläufiger Steuerfestsetzung (§165 der Abgabenordnung -- AO 1977 --) erfolgen. Eine endgültige Steuerfestsetzung durfte dagegen nach der Entscheidung des BVerfG nur aufgrund einer verfassungsmäßigen Neuregelung erfolgen. Dies entspricht der Entscheidung des BVerfG über die Erbschaftsteuer für Zeiträume nach dem 31. Dezember 1995, nicht aber der für die Vermögensteuer bis zum Ablauf des Jahres 1996 getroffenen Anordnung der Weiteranwendung des bisherigen Rechts.
Fundstellen
Haufe-Index 67003 |
BFH/NV 1998, 502 |