Entscheidungsstichwort (Thema)
Antrag nach §68 FGO bei Ergehen eines Änderungsbescheides vor Klageerhebung
Leitsatz (NV)
1. Der Änderungsbescheid, den das FA nach Bekanntgabe der Einspruchsentscheidung, aber vor Klageerhebung erläßt, wird auf Antrag des Klägers Gegenstand des Verfahrens gegen den ursprünglichen Bescheid in Gestalt der Einspruchsentscheidung (Anschluß an das BFH-Urteil vom 16. September 1986 IX R 61/81, BFHE 148, 104, BStBl II 1987, 435).
2. In der Rechtsbehelfsbelehrung des Änderungsbescheides ist entsprechend §68 Satz 3 FGO auf die nach §68 Satz 2 FGO geltende Monatsfrist für den Antrag, den neuen Verwaltungsakt zum Gegenstand des Verfahrens zu machen, hinzuweisen. Fehlt der Hinweis nach §68 Satz 3 FGO, kann der Antrag entsprechend §55 Abs. 2 Satz 1 FGO grundsätzlich innerhalb eines Jahres nach Bekanntgabe des Änderungsbescheides gestellt werden.
Normenkette
FGO § 55 Abs. 2, § 68
Verfahrensgang
Tatbestand
Der Kläger, Antragsteller und Beschwerdeführer (Kläger) wurde durch Steuerbescheid vom 21. November 1994 für das Streitjahr 1992 mit seiner Ehefrau zur Einkommensteuer zusammenveranlagt.
Am 19. September 1995 erließ der Beklagte, Antragsgegner und Beschwerdegegner (das Finanzamt -- FA --) einen nach §173 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 der Abgabenordnung (AO 1977) geänderten Einkommensteuerbescheid 1992 gegen den Kläger; die Einkommensteuer wurde auf 139 268 DM festgesetzt; nach Abzug anzurechnender Körperschaftsteuerbeträge von 123 861 DM ergab sich ein Abschlußsoll von 15 407 DM. Der Bescheid wurde dem Kläger persönlich bekannt gegeben.
Der durch die steuerlichen Vertreter des Klägers eingelegte Einspruch hatte zum Teil Erfolg. Das FA setzte die Einkommensteuer 1992 in der Einspruchsentscheidung vom 25. April 1997 auf 81 645 DM fest. Der Einspruchsentscheidung ist eine Anlage beigefügt, in der die Besteuerungsgrundlagen erläutert werden und die noch zu zahlende Einkommensteuer ermittelt wird. Aus dem Abrechnungsteil der Anlage ergibt sich ein Abschlußsoll in Höhe der festgesetzten Einkommensteuer. Die Einspruchsentscheidung wurde den Steuerberatern des Klägers durch einfachen Brief übersandt.
Gegen den Änderungsbescheid vom 19. September 1995 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 25. April 1997 hat der Prozeßbevollmächtigte des Klägers mit Schriftsatz vom 26. Mai 1997, der am folgenden Tag beim Finanzgericht (FG) eingegangen ist, Klage erhoben.
Am 21. Mai 1997 erließ das FA einen nach §175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO 1977 geänderten Einkommensteuerbescheid 1992, in dem es die Einkommensteuer auf 74 072 DM herabsetzte; im Abrechnungsteil wird ein Abschlußsoll in gleicher Höhe festgesetzt. Der Bescheid wurde dem Kläger persönlich bekanntgegeben. In der dem Bescheid beigefügten Rechtsbehelfsbelehrung wird darauf hingewiesen, daß gegen den Bescheid der Rechtsbehelf des Einspruchs zulässig sei. Eine Belehrung i. S. von §68 Satz 3 der Finanzgerichtsordnung (FGO) enthält der Bescheid vom 21. Mai 1997 nicht.
Mit einem am 25. Juni 1997 beim FG eingegangenen Schreiben hat der Kläger durch seinen Prozeßbevollmächtigten beantragt, den Änderungsbescheid vom 21. Mai 1997 gemäß §68 FGO zum Gegenstand des Verfahrens zu machen.
Nachdem der Kläger am 26. Mai 1997 beim FA erfolglos beantragt hatte, die Vollziehung der Einspruchsentscheidung vom 25. April 1997 in Höhe der festgesetzen Abschlußzahlung auszusetzen, stellte er mit Schriftsatz vom 24. Juni 1997 beim FG den Antrag, die Vollziehung des Einkommensteuerbescheides vom 21. Mai 1997 in Höhe des Abschlußsolls von 74 072 DM auszusetzen.
Das FG hat den Antrag als unzulässig abgelehnt.
Eine Aussetzung der Vollziehung des Einkommensteuerbescheides vom 21. Mai 1997 komme nicht in Betracht, da dieser bestandskräftig geworden sei. Die Monatsfrist für den Antrag nach §68 FGO sei am 24. Juni 1997 abgelaufen; der Antrag sei jedoch erst am folgenden Tag -- also verspätet -- beim FG eingegangen. Einen Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand habe der Kläger nicht gestellt. Gründe für eine Wiedereinsetzung von Amts wegen seien nicht ersichtlich.
Der Kläger hat gegen den Beschluß des FG Beschwerde eingelegt.
Er beantragt, den angefochtenen Beschluß aufzuheben und die Vollziehung des Einkommensteuerbescheides 1992 vom 21. Mai 1997 in Höhe der Abschlußzahlung von 74 072 DM auszusetzen, hilfsweise, den angefochtenen Beschluß aufzuheben und die Sache zur anderweitigen Entscheidung an das FG zurückzuverweisen.
Das FA beantragt, die Beschwerde zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die Beschwerde ist begründet.
Die Vorentscheidung ist aufzuheben, weil das FG zu Unrecht abgelehnt hat, sachlich über den Antrag auf Aussetzung der Vollziehung des Bescheides vom 21. Mai 1997 zu entscheiden. Dieser Bescheid ist vom Kläger rechtzeitig gemäß §68 FGO zum Gegenstand des anhängigen Klageverfahrens gemacht worden.
1. Der Senat geht mit dem FG davon aus, daß der am 21. Mai 1997 zur Post gegebene Änderungsbescheid gemäß §122 Abs. 2 AO 1977 mit dem Ablauf des dritten nachfolgenden Tages, also am 24. Mai 1997 und damit vor Eingang der Klage am 27. Mai 1997 als bekanntgegeben gilt.
Der Änderungsbescheid vom 21. Mai 1997 ist nunmehr alleinige Grundlage für die Erhebung der Einkommensteuer 1992. Die Rechtswirkungen des vorangegangenen Einkommensteuerbescheides in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 25. April 1997 sind für die Dauer der Wirksamkeit des Änderungsbescheides suspendiert (Beschluß des Bundesfinanzhofs -- BFH -- vom 25. Oktober 1972 GrS 1/72, BFHE 108, 1, BStBl II 1973, 231). Der geänderte Bescheid tritt jedoch wieder in Kraft, wenn der Berichtigungsbescheid im Rechtsbehelfsverfahren aufgehoben wird (BFH-Urteile vom 27. Februar 1975 I R 178/73, BFHE 115, 301, BStBl II 1975, 514, und vom 5. Mai 1992 IX R 9/87, BFHE 168, 213, BStBl II 1992, 1040).
Der Kläger durfte sich deshalb nicht auf die Anfechtung der Einspruchsentscheidung vom 25. April 1997 beschränken, denn für das auf Abänderung dieses Bescheides gerichtete Klagebegehren wäre mit Eintritt der Bestandskraft des Änderungsbescheides vom 21. Mai 1997 das Rechtsschutzbedürfnis entfallen (vgl. BFH-Beschlüsse vom 24. November 1982 II R 172/80, BFHE 137, 6, BStBl II 1983, 237; vom 12. September 1996 III R 170/90, BFH/NV 1997, 242; Urteil vom 7. Juni 1994 IX R 141/89, BFHE 174, 446, BStBl II 1994, 756).
2. Der Kläger konnte den Änderungsbescheid vom 21. Mai 1997 entweder mit dem Einspruch anfechten oder ihn in entsprechender Anwendung des §68 FGO zum Gegenstand des Klageverfahrens gegen die Einspruchsentscheidung vom 25. April 1997 erklären. Eine Anfechtungsklage gegen den Änderungsbescheid vom 21. Mai 1997 war dagegen nicht möglich, da dieser Bescheid erst nach Abschluß des außergerichtlichen Vorverfahrens erlassen und deshalb nicht gemäß §365 Abs. 3 AO 1977 kraft Gesetzes Gegenstand des Einspruchsverfahrens geworden war; für diesen Bescheid fehlt es deshalb an der Prozeßvoraussetzung des abgeschlossenen Vorverfahrens (§44 FGO). Eine Sprungklage ist nach §45 FGO nur mit Zustimmung des FA möglich; die Überleitung des Änderungsbescheides in das Klageverfahren soll jedoch nach §68 FGO nur von einem Antrag des Klägers, nicht von der Zustimmung der Behörde abhängig sein.
3. Der Zulässigkeit des Antrags nach §68 FGO steht im Streitfall nicht entgegen, daß der angefochtene Steuerbescheid in Gestalt der Einspruchsentscheidung schon vor Rechtshängigkeit der Anfechtungsklage durch den Bescheid vom 21. Mai 1997 geändert wurde.
Zwar ist es nach dem Wortlaut des §68 FGO für die Zulässigkeit des Antrags grundsätzlich erforderlich, daß der angefochtene Bescheid nach Rechtshängigkeit (§66 Abs. 1 FGO) geändert oder ersetzt wurde. Diese Regelung erweist sich jedoch in dem Fall als lückenhaft, in dem der Änderungsbescheid nach Bekanntgabe der Einspruchsentscheidung aber vor Erhebung der Klage ergeht (ebenso: BFH-Urteile vom 16. September 1986 IX R 61/81, BFHE 148, 104, BStBl II 1987, 435; vom 28. November 1991 XI R 40/88, BFHE 168, 343, BStBl II 1992, 741; Beermann, Steuerliches Verfahrensrecht, §68 FGO Rz. 14; Gräber, Finanzgerichtsordnung, 1. Aufl., §68 Anm. 3; Hübschmann/Hepp/Spitaler, Kommentar zur Abgabenordnung und Finanzgerichtsordnung, 10. Aufl., §68 FGO Rz. 7; a. A. Gräber/von Groll, a. a. O., 4. Aufl., §68 Rz. 4 a. E.; Tipke/Kruse, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, 15. Aufl., §68 FGO Rz. 5). Zweck der §§68 FGO, 365 Abs. 3 AO 1977 ist es, dem Kläger, gegen den während eines schwebenden Rechtsbehelfsverfahrens ein Änderungsbescheid ergangen ist, nach Möglichkeit ein weiteres Rechtsbehelfsverfahren zu ersparen; die Vorschrift dient insoweit auch der Prozeßökonomie. Es soll verhindert werden, daß das FA den Steuerpflichtigen durch den Erlaß eines Berichtigungsbescheides aus einem anhängigen Einspruchs- oder Klageverfahren hinausdrängen kann (BFH-Urteil vom 20. Mai 1994 VI R 105/92, BFHE 175, 3, BStBl II 1994, 836, m. w. N.). Es sind keine sachlichen Gründe dafür ersichtlich, dem Steuerpflichtigen diese Verfahrenserleichterung zu versagen, wenn der Änderungsbescheid während des Laufs der Klagefrist ergeht.
Der erkennende Senat weicht mit dieser Auffassung nicht von dem Urteil des VII. Senats vom 24. Juli 1990 VII R 75/89, BFH/NV 1991, 604, ab. In diesem Urteil hat der VII. Senat zwar ausgesprochen, daß nach dem Wortlaut des §68 FGO der Änderungsbescheid nach Klageerhebung ergangen sein muß. Auf die Frage, ob eine sinngemäße Anwendung dieser Vorschrift möglich ist, wenn ein Änderungsbescheid während des Laufs der Klagefrist gegen den geänderten Verwaltungsakt ergeht, kam es jedoch im Urteil des VII. Senats nicht entscheidend an, weil die Vorschrift schon aus anderen Gründen nicht anzuwenden war.
4. Der Kläger hat den Antrag nach §68 FGO rechtzeitig gestellt, obwohl die Monatsfrist des §68 Satz 2 FGO i. d. F. des Gesetzes vom 21. Dezember 1992 (BGBl I, 2109) bereits abgelaufen war. Denn die sinngemäße Anwendung des §68 Satz 1 FGO hat zur Folge, daß auch die übrigen Regelungen dieser Vorschrift entsprechend heranzuziehen sind. Das gilt insbesondere für §68 Satz 3 FGO i. d. F. des Gesetzes vom 21. Dezember 1992 (BGBl I, 2109). Da die Rechtsbehelfsbelehrung des Änderungsbescheides vom 21. Mai 1997 nicht den Hinweis auf die für den Antrag geltende Monatsfrist enthielt, konnte dieser Bescheid in sinngemäßer Anwendung des §55 Abs. 2 Satz 1 FGO noch innerhalb eines Jahres seit Bekanntgabe zum Gegenstand des Verfahrens gemacht werden (BFH-Urteile vom 24. Januar 1995 IX R 22/94, BFHE 176, 315, BStBl II 1995, 328; vom 26. Oktober 1995 XI R 26/94, BFH/NV 1996, 444).
5. Der Zulässigkeit des Antrags steht §69 Abs. 4 Satz 1 FGO i. d. F. des Gesetzes vom 21. Dezember 1992 nicht entgegen. Nach dieser Vorschrift ist ein Antrag an das Gericht gemäß §69 Abs. 3 FGO nur zulässig, wenn die Behörde einen Antrag auf Aussetzung der Vollziehung ganz oder zum Teil abgelehnt hat. Eine einmalige Ablehnung genügt (BFH-Beschluß vom 10. November 1993 I S 9/93, BFH/NV 1994, 684, m. w. N.). Im Streitfall hat der Kläger mit im wesentlichen gleichlautender Begründung am 26. Mai 1997 beim FA beantragt, die Vollziehung der Einspruchsentscheidung vom 25. April 1997 auszusetzen. Da dieser Antrag erfolglos war, sind die Zugangsvoraussetzungen für den Antrag auf Vollziehungsaussetzung des Änderungsbescheides vom 21. Mai 1997 nach §69 Abs. 3 FGO erfüllt.
6. Der angefochtene Beschluß, der auf einer abweichenden Rechtsauffassung beruht, ist aufzuheben (§§132, 155 FGO i. V. m. §575 der Zivilprozeßordnung). Die Sache wird zur erneuten Entscheidung an das FG zurückverwiesen.
Das FG hat -- von seinem Standpunkt aus zu Recht -- bisher nicht geprüft, ob der Antrag auf Aussetzung der Vollziehung begründet ist. Der BFH ist zwar im Beschwerdeverfahren zugleich Tatsacheninstanz. Gleichwohl ist eine Zurückverweisung auch im Beschwerdeverfahren gegen die Ablehnung der Aussetzung der Vollziehung zulässig (ständige Rechtsprechung, vgl. z. B. BFH- Beschluß vom 26. März 1991 VIII B 83/90, BFHE 163, 510, BStBl II 1991, 463); sie ist im Streitfall auch zweckmäßig, da das FG die vom Kläger vorgetragenen Gründe für die Aussetzung der Vollziehung bisher nicht geprüft hat.
Fundstellen
Haufe-Index 66812 |
BFH/NV 1998, 479 |