Entscheidungsstichwort (Thema)
NZB; im Verhältnis von Einkommensteuer und Gewerbesteuer kommt Verwirkung nur ausnahmsweise in Betracht
Leitsatz (NV)
- Eine Divergenzrüge ist unbegründet, wenn weder das Urteil des FG noch das vom Revisionskläger herangezogene BFH-Urteil den behaupteten allgemeinen Rechtssatz beinhalten. In einem solchen Fall haben weder das FG noch der BFH sich mit der vom Revisionskläger behaupteten Rechtsfrage befasst.
- Eine im Einkommensteuerbescheid zum Ausdruck gekommene Rechtsauffassung des Finanzamts führt nur in besonders gelagerten Ausnahmefällen zur Verwirkung des Anspruchs auf Festsetzung des Gewerbesteuermessbetrags.
- Geht es um die Zulässigkeit des Erlasses eines erstmaligen Bescheids, ist § 176 AO 1977 nicht anwendbar.
Normenkette
FGO § 115 Abs. 2 Nr. 2, § 116 Abs. 3 S. 3; AO 1977 § 176
Gründe
Die Beschwerde hat keinen Erfolg.
1. Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision ergeben sich im Streitfall aus § 115 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) i.d.F. des Zweiten Gesetzes zur Änderung der Finanzgerichtsordnung und anderer Gesetze (2.FGOÄndG), weil die Entscheidung des Finanzgerichts (FG) dem Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) nach dem 31. Dezember 2000 zugestellt wurde. Nach § 115 Abs. 2 FGO n.F. ist die Revision nur zuzulassen, wenn
- die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat,
- die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Bundesfinanzhofs (BFH) erfordert oder
- ein Verfahrensmangel geltend gemacht wird und vorliegt, auf dem die Entscheidung beruhen kann.
2. Der Kläger hat keinen dieser Zulassungsgründe ausdrücklich genannt. Er vertritt allerdings die Auffassung, dass das Urteil des FG von dem Urteil des BFH vom 21. Juli 1988 V R 97/83 (BFH/NV 1989, 356) abweicht. Vor In-Kraft-Treten des 2.FGOÄndG wäre damit der Tatbestand der sog. Divergenzrüge nach § 115 Abs. 2 Nr. 2 FGO a.F. geltend gemacht. Unter dem Gesichtspunkt der Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung stellt sie auch nach § 115 FGO n.F. einen Zulassungsgrund dar, wenn in der Begründung der Nichtzulassungsbeschwerde die Voraussetzungen des § 115 Abs. 2 Nr. 2 FGO n.F. gemäß § 116 Abs. 3 Satz 3 FGO n.F. dargelegt sind (vgl. Beschlüsse des BFH vom 14. August 2001 XI B 57/01, BFH/NV 2002, 51, und vom 18. Juli 2001 X B 46/01, BFH/NV 2001, 1596).
Dazu müssen auch nach neuem Recht in der Beschwerdeschrift abstrakte Rechtssätze des vorinstanzlichen Urteils und der Divergenzentscheidung des BFH so genau bezeichnet werden, dass eine Abweichung erkennbar wird (vgl. BFH-Beschluss vom 30. März 1983 I B 9/83, BFHE 138, 152, BStBl II 1983, 479). Eine schlüssige Divergenzrüge erfordert, dass der Beschwerdeführer die (vermeintlich) divergierenden Rechtssätze der Vorentscheidung und der BFH-Rechtsprechung herausarbeitet und gegenüberstellt (vgl. BFH-Beschlüsse vom 5. September 2001 VIII B 18/01, BFH/NV 2002, 205; vom 9. Januar 1996 VII B 171/95, BFH/NV 1996, 612, und vom 11. August 1993 II B 37/93, BFH/NV 1994, 251; Gräber/Ruban, Finanzgerichtsordnung, 5. Aufl. 2002, § 115 Rz. 54).
3. Daran fehlt es im Streitfall.
a) Der Kläger stützt seine Beschwerde auf Überlegungen, die weder vom FG noch in dem Urteil des BFH in BFH/NV 1989, 356 angestellt werden. Er legt dar, das FG habe in Bezug auf den Vertrauenstatbestand des § 176 Abs. 1 Nr. 3 der Abgabenordnung (AO 1977) nicht auf den Inhalt des Einkommensteuerbescheids abgestellt, sondern auf die Dauer der Untätigkeit des Beklagten und Beschwerdegegners (Finanzamt ―FA―). Damit habe das FG verkannt, dass nach Auffassung des BFH im Rahmen des § 176 Abs. 1 Nr. 3 AO 1977 der Inhalt des Einkommensteuerbescheids im Verhältnis zum Gewerbesteuermessbescheid einen Vertrauenstatbestand begründe.
Das FG hat jedoch in keiner Weise die Regelung des § 176 Abs. 1 Nr. 3 AO 1977 mit dem Gesichtspunkt der Verwirkung und umgekehrt in Zusammenhang gebracht. Es hat im Gegenteil unmissverständlich zwischen dieser Bestimmung und der Verwirkung unterschieden, indem es klargestellt hat, dass im Streitfall § 176 AO 1977 nicht anwendbar ist, weil diese Bestimmung sich mit der Änderung bereits ergangener Bescheide befasst, es vorliegend aber um die Zulässigkeit des erstmaligen Erlasses eines Gewerbesteuermessbescheids geht. Ebenso wenig hat sich der BFH in seinem Urteil in BFH/NV 1989, 356 auf § 176 Abs. 1 Nr. 3 AO 1977 bezogen. Damit wirft der Kläger ―dies wäre aber im Rahmen der Divergenzrüge erforderlich― keine Rechtsfrage auf, die vom FG und dem BFH unterschiedlich beantwortet worden ist. Denn weder das FG noch der BFH in dem vom Kläger angeführten Urteil haben sich mit der vom Kläger behaupteten Rechtsfrage beschäftigt.
Der BFH hat in dem vom Kläger genannten Urteil in BFH/NV 1989, 356 entgegen dem Vorbringen des Klägers nicht ausgeführt, es sei in der Rechtsprechung anerkannt, dass eine im Einkommensteuerbescheid zum Ausdruck gekommene Rechtsauffassung des FA ein schutzwürdiges Vertrauen darauf begründe, das FA verzichte endgültig auf die Festsetzung eines einheitlichen Gewerbesteuermessbetrags. Der BFH hat vielmehr entschieden, dass eine im Einkommensteuerbescheid zum Ausdruck gekommene Rechtsauffassung des FA ein solches schutzwürdiges Vertrauen begründen kann.
Das FG hat ferner entgegen der Darlegung des Klägers nicht den Rechtssatz gebildet, dass es beim Vertrauenstatbestand des § 176 Abs. 1 Nr. 3 AO 1977 nicht auf den Inhalt des Einkommensteuerbescheids, sondern auf die Dauer der Untätigkeit des FA ankomme. Wie bereits dargelegt hat das FG in keiner Weise die Regelung des § 176 Abs. 1 Nr. 3 AO 1977 mit dem Gesichtspunkt der Verwirkung und umgekehrt in Zusammenhang gebracht. Soweit das FG als Voraussetzung für die Verwirkung zusätzlich zum bloßen Untätigsein während eines gewissen Zeitraums noch ein bestimmtes Vertrauen schaffendes Verhalten des FA fordert, steht es in voller Übereinstimmung mit der ständigen Rechtsprechung des BFH.
b) Dass das FG bei dieser Betrachtung möglicherweise die Entscheidung des BFH in BFH/NV 1989, 356 außer Acht gelassen hat, nach der ein solches Vertrauen schaffendes Verhalten in der einkommensteuerlichen Behandlung eines gewerbesteuerbaren Sachverhalts liegen kann, begründet kein Abweichen von dieser Entscheidung. Zum einen kommt es insoweit entscheidend auf die Umstände des jeweiligen Einzelfalls an. Zum anderen betrifft diese Variante der Verwirkung den besonders gelagerten Ausnahmefall, dass das FA über längere Zeit hinweg die Gewerblichkeit der unverändert andauernden Tätigkeit des Steuerpflichtigen in mehreren Einkommensteuerbescheiden verkannt hat und erst danach zu einer gegenteiligen Beurteilung gelangt ist. Mit einer solchen Fallgestaltung kann der Streitfall nicht verglichen werden. Hier geht es um die gewerbesteuerliche Beurteilung eines abgeschlossenen Sachverhalts, der lediglich in einer Einkommensteuerveranlagung seinen Niederschlag gefunden hat, in der außerdem der gewerbliche Charakter der Tätigkeit des Klägers bejaht und lediglich der hieraus erzielte Gewinn vom FA unzutreffend als Veräußerungsgewinn und nicht als laufender Gewinn behandelt wurde. Würde in einem solchen Fall allein aus der vom FA vorgenommenen unzutreffenden Sachbehandlung und dem Unterlassen der Bildung einer Gewerbesteuerrückstellung eine Bindung des FA dahin gehend folgen, dass es bereits wenig mehr als ein Jahr nach der Einspruchsentscheidung über den Einkommensteuerbescheid keinen Gewerbesteuermessbetrag mehr festsetzen kann, so würde dem Einkommensteuerbescheid die Bedeutung und Wirkung eines Grundlagenbescheids im Verhältnis zum folgenden Gewerbesteuermessbescheid beigemessen, die dem Einkommensteuerbescheid gerade nicht zukommen (BFH-Urteil vom 24. August 1995 IV R 112/94, BFH/NV 1996, 449).
Von einer weiteren Begründung wird abgesehen (§ 116 Abs. 5 Satz 2 FGO n.F.).
Fundstellen
Haufe-Index 762511 |
BFH/NV 2002, 1014 |