Entscheidungsstichwort (Thema)
Reichweite der Bindungswirkung einer vZTA; Divergenz; Einrichtung eines Zollsenats
Leitsatz (NV)
1. Ein Berechtigter kann sich nur dann auf eine vZTA berufen, wenn er nachweisen kann, dass die angemeldete Ware so beschaffen ist, wie die Warenprobe, die der Erteilung der vZTA zugrunde lag, ihr mithin in jeder Hinsicht entspricht. Das Gemeinschaftsrecht unterscheidet insoweit nicht zwischen landwirtschaftlichen Erzeugnissen und industriell hergestellten Waren. Für die Reichweite der Bindungswirkung einer vZTA kommt es auch nicht darauf an, ob die darin beschriebenen Beschaffenheitsmerkmale einer Ware zolltariflich relevant sind oder nicht.
2. Maßgebend für das Vorliegen einer Divergenz ist stets der Stand der Rechtsprechung im Zeitpunkt der Entscheidung über die Zulassung. Frühere Entscheidungen auch desselben Senats des FG, die durch die neuere Rechtsprechung überholt sind, können nicht zur Begründung einer Divergenz herangezogen werden.
3. Die schlüssige Darlegung des Verfahrensmangels der vorschriftswidrigen Besetzung der Richterbank erfordert einen Vortrag konkreter Tatsachen, die geeignet erscheinen, eine fehlerhafte Besetzung des Gerichts darzutun.
4. § 5 Abs. 2 Satz 2 FGO fordert nur eine Zusammenfassung von Zoll-, Verbrauchsteuer- und Finanzmonopolsachen in einem besonderen Senat.
Normenkette
EWGV 2913/92 Art. 12 Abs. 3 Anstr. 1; EWGV 2454/93 Art. 10 Abs. 3 Buchst. a; FGO § 5 Abs. 2 S. 2, § 115 Abs. 2 Nrn. 1-3, § 116 Abs. 3 S. 3
Verfahrensgang
Sächsisches FG (Urteil vom 21.05.2003; Aktenzeichen 4 K 1865/98) |
Tatbestand
I. Die Klägerin und Beschwerdeführerin (Klägerin) befasst sich unter anderem mit der Einfuhr von Fruchtsaftkonzentraten. Die Zolltechnische Prüfungs- und Lehranstalt (ZPLA) erteilte ihr eine verbindliche Zolltarifauskunft (vZTA) vom 13. Juni 1996, mit der Apfelsaftkonzentrat mit Zusatz von Zucker in die Unterpos. 2009 70 30 der Kombinierten Nomenklatur (KN) eingereiht wurde.
In dem Zeitraum vom 1. Oktober 1996 bis zum 15. April 1997 meldete die Klägerin Warensendungen Apfelsaftkonzentrat unter der Unterpos. 2009 70 30 KN zur Überführung in den zollrechtlich freien Verkehr an. Gutachten der ZPLA kamen nach Untersuchung entnommener Proben zu dem Ergebnis, dass die Waren als anderweit weder genannte noch inbegriffene Lebensmittelzubereitungen in die Unterpos. 2106 90 98 KN einzureihen seien. Deshalb forderte das Hauptzollamt (--HZA--) mit Bescheiden vom 16. und 17. Februar 1998 Einfuhrabgaben nach.
Das Finanzgericht (FG) wies die von der Klägerin nach erfolglosem Einspruchsverfahren (Einspruchsentscheidung vom 10. November 1998) erhobene Klage ab. Zur Begründung führte das FG im Wesentlichen aus, den Apfelsaftkonzentraten sei Wasser in einer Menge zugesetzt worden, die über die Menge hinausgehe, die notwendig sei, um aus konzentrierten Säften den ursprünglichen natürlichen Saft wieder herzustellen. Nach den Erläuterungen zum Harmonisierten System zu Pos. 2009 Rz. 19.0 scheide daher eine Zuweisung zur Pos. 2009 KN aus, die Einreihung der Waren in die Unterpos. 2106 90 98 KN sei zutreffend. Eine Einreihung in die Pos. 2009 KN lasse sich nicht mit der vZTA vom 13. Juni 1996 begründen, weil die angemeldeten Waren nicht in jeder Hinsicht der in der Auskunft beschriebenen Ware entsprächen. Bei der der vZTA zugrunde liegenden Ware habe der Aschegehalt 0,15 GHT und der Säuregehalt 0,18 GHT betragen. Bei den angemeldeten Waren habe der Aschegehalt zwischen 0,057 und 0,061 GHT sowie der Säuregehalt bei zwei Waren bei 0,166 bzw. 0,211 GHT und im Übrigen zwischen 0,114 und 0,159 GHT gelegen. Die vZTA gelte nur für Waren, die allen genannten Merkmalen entsprächen. Seien wie im Streitfall gravierende Abweichungen gegeben, könne die vZTA keine Anwendung finden, zumal es sich beim Asche- und Säuregehalt um wichtige Kriterien zur Bestimmung des Saftanteils handele. Die Apfelsaftkonzentrate könnten auch nicht in die Pos. 2202 KN eingereiht werden, weil es sich nicht um unmittelbar genussfertige Getränke handele.
Hiergegen richtet sich die Nichtzulassungsbeschwerde der Klägerin. Die Rechtssache habe grundsätzliche Bedeutung, weil die Frage zu beantworten sei, ob die Bindungswirkung einer vZTA für landwirtschaftliche Erzeugnisse dann eintrete, wenn der Anmelder nachweisen könne, dass die eingeführte Ware der in der vZTA beschriebenen hinsichtlich aller zolltariflich relevanten Merkmale entspreche oder ob die eingeführte Ware zusätzlich die (chemischen) Parameter aufweisen müsse, die auf Grund einer einzelnen Probe beiläufig in die Warenbeschreibung der vZTA aufgenommen worden seien, die aber nirgendwo im Zolltarif oder in den Auslegungshilfen im Zusammenhang mit diesen Waren genannt seien und die in Abhängigkeit von Herkunft und Ernte zwangsläufig variierten. Ferner sei die Revision zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung zuzulassen. Die Vorentscheidung stehe im Widerspruch zu dem vom FG erlassenen Gerichtsbescheid vom 4. November 2002 in dem erstinstanzlichen Verfahren. Zudem sei das FG in dem angefochtenen Urteil von seinem die Aussetzung der Vollziehung (AdV) betreffenden Beschluss vom 16. Juni 1999 abgewichen.
Das HZA ist der Beschwerde entgegengetreten.
Entscheidungsgründe
II. Die Beschwerde ist unbegründet.
1. Die Revision ist nicht nach § 115 Abs. 2 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO) zuzulassen. Die Zulassung der Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache kommt nur wegen einer klärungsbedürftigen und in dem angestrebten Revisionsverfahren klärungsfähigen Rechtsfrage in Betracht (vgl. Beschluss des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 27. Mai 2002 VIII B 150/01, BFH/NV 2002, 1463; Senatsbeschluss vom 28. August 2003 VII B 71/02, BFH/NV 2004, 493, 494). Die von der Klägerin aufgeworfene Frage ist nicht klärungsbedürftig, weil sie sich ohne weiteres auf der Grundlage des einschlägigen Gemeinschaftsrechts beantworten lässt.
Nach Art. 12 Abs. 3 Anstrich 1 der Verordnung (EWG) Nr. 2913/92 (Zollkodex --ZK--) des Rates vom 12. Oktober 1992 zur Festlegung des Zollkodex der Gemeinschaften (Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften --ABlEG-- Nr. L 302/1) i.d.F. der Verordnung (EG) Nr. 82/97 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 19. Dezember 1996 (ABlEG Nr. L 17/1), der mit Art. 10 Abs. 3 Buchst. a der Verordnung (EWG) Nr. 2454/93 der Kommission vom 2. Juli 1993 mit Durchführungsvorschriften zu der Verordnung (EWG) Nr. 2913/92 des Rates zur Festlegung des Zollkodex der Gemeinschaften (ABlEG Nr. L 253/1) i.d.F. der Verordnung (EG) Nr. 12/97 der Kommission vom 18. Dezember 1996 (ABlEG Nr. L 9/1) übereinstimmt, muss der Berechtigte nachweisen können, dass die angemeldete Ware der in der Auskunft beschriebenen in jeder Hinsicht entspricht. Der Senat hat bereits entschieden, dass eine vZTA stets auf eine bestimmte Ware bezogen ist. Nur insoweit enthält eine vZTA eine Zusage der Verwaltung hinsichtlich der künftigen Tarifierung (vgl. Senatsurteil vom 31. Januar 1978 VII R 12/77, BFHE 124, 401, 405). So hat der Senat zu § 23 Abs. 2 Satz 1 des Zollgesetzes ausgeführt, eine tariflich gleiche Ware liege nur dann vor, wenn es sich um eine Ware der in der Auskunft im Einzelnen beschriebenen Art und Beschaffenheit handele (vgl. Urteil in BFHE 124, 401, 406). Die in Art. 12 Abs. 3 Anstrich 1 ZK festgelegten Voraussetzungen für eine Bindung der Zollbehörden an eine vZTA sind nicht weniger streng. Die angemeldete Ware muss hiernach so beschaffen sein wie die Warenprobe, die der Erteilung der vZTA zugrunde lag (vgl. Senatsurteil vom 1. März 2001 VII R 90/99, BFH/NV 2002, 229, 231), ihr mithin in jeder Hinsicht entsprechen. Das Gemeinschaftsrecht unterscheidet insoweit nicht zwischen landwirtschaftlichen Erzeugnissen und industriell hergestellten Waren. Anders als die Klägerin meint, kann es für die Reichweite der Bindungswirkung einer vZTA auch nicht darauf ankommen, ob die darin beschriebenen Beschaffenheitsmerkmale einer Ware zolltariflich relevant sind oder nicht. Das Institut der vZTA soll dem Wirtschaftsteilnehmer Sicherheit geben, wenn Zweifel hinsichtlich der Einreihung einer Ware bestehen und ihn zumindest eine gewisse Zeit davor schützen, dass die Zollbehörden ihre Auffassung über die Einreihung einer Ware nachträglich ändern (vgl. Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften, Urteil vom 29. Januar 1998 Rs. C-315/96 --Lopex Export--, EuGHE 1998, I-317 Rdnr. 28; Senatsurteil vom 13. November 2001 VII R 31/00, BFH/NV 2002, 563). Diese Rechtssicherheit wäre jedoch nicht gewährleistet, wenn die Zollstelle bei der Anmeldung einer eingeführten Ware in jedem Einzelfall prüfen müsste, welche Merkmale, die in einer vZTA beschrieben werden, zolltariflich relevant sind (vgl. Senatsurteil in BFHE 124, 401, 406). Ein Berechtigter ist auch nicht rechtlos gestellt, wenn er der Auffassung ist, Beschaffenheitsmerkmale einer Ware in einer ihm erteilten vZTA seien zolltariflich bedeutungslos und würden deren sachlichen Geltungsbereich willkürlich einschränken. Denn ein Berechtigter kann eine seinen Interessen nicht entsprechende vZTA anfechten (vgl. Wolffgang in Hübschmann/ Hepp/Spitaler, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, 10. Aufl., Art. 12 ZK Rz. 43). Ficht der Berechtigte die vZTA indessen nicht an und entspricht eine von ihm angemeldete Ware nicht in jeder Hinsicht der darin beschriebenen Ware, so kann er sich nach Art. 12 Abs. 3 Anstrich 1 ZK nicht auf diese vZTA berufen.
Soweit die Klägerin im Übrigen geltend macht, das FG habe zu Unrecht angenommen, dass die von ihr angemeldeten Waren nicht der in der vZTA vom 13. Juni 1996 beschriebenen Ware entsprächen, wendet sie sich gegen die materielle Richtigkeit der Vorentscheidung. Dies kann nicht zur Zulassung der Revision führen, weil hiermit kein Zulassungsgrund nach § 115 Abs. 2 FGO dargetan wird (vgl. BFH-Beschlüsse vom 6. Oktober 2000 III B 16/00, BFH/NV 2001, 202; vom 4. Juli 2002 IX B 169/01, BFH/NV 2002, 1476).
2. Die Revision ist auch nicht nach § 115 Abs. 2 Nr. 2 Alternative 2 FGO zuzulassen. Die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erfordert im Streitfall keine Entscheidung des BFH, selbst wenn das FG in der Vorentscheidung einen abstrakten Rechtssatz zugrunde gelegt haben sollte, der mit tragenden Rechtsausführungen in den von der Klägerin genannten Entscheidungen desselben Senats des FG nicht übereinstimmen sollte. Maßgebend für das Vorliegen einer Divergenz ist stets der Stand der Rechtsprechung im Zeitpunkt der Entscheidung über die Zulassung. Frühere Entscheidungen, die durch die neuere Rechtsprechung überholt sind, können nicht zur Begründung einer Divergenz herangezogen werden (vgl. BFH-Beschlüsse vom 9. November 1994 II B 142/93, BFH/NV 1995, 489; vom 16. Oktober 2000 VIII B 18/99, BFH/NV 2001, 438, 440).
Der Gerichtsbescheid des FG vom 4. November 2002 ist schon deshalb überholt, weil er wegen des fristgemäß vom HZA gestellten Antrags auf mündliche Verhandlung als nicht ergangen gilt (§ 90a Abs. 3 FGO). Überdies können die darin und in dem von der Klägerin genannten AdV-Beschluss gemachten Rechtsausführungen des FG keine Divergenz mehr begründen, weil derselbe Senat des FG etwaige zuvor geäußerte abweichende Rechtsauffassungen in der Vorentscheidung aufgegeben hätte.
Fundstellen