Entscheidungsstichwort (Thema)
Irrtum über das zulässige Rechtsmittel; Wiedereinsetzung in den vorigen Stand
Leitsatz (NV)
Einem Steuerberater kann nicht deshalb Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Beschwerdefrist gewährt werden, weil er für den Fall der Rüge, seinem Antrag auf Terminsänderung sei zu Unrecht nicht entsprochen worden, irrtümlich davon ausgeht, die zulassungsfreie Revision und nicht die Nichtzulassungsbeschwerde sei das statthafte Rechtsmittel.
Normenkette
FGO § 56 Abs. 1, § 115 Abs. 2 Nr. 3, Abs. 3, § 116 Abs. 1 Nr. 3, § 119 Nr. 3
Tatbestand
Das Urteil des Finanzgerichts (FG), mit dem die gegen den Widerruf seiner Bestellung als Steuerberater gerichtete Klage abgewiesen worden ist, wurde dem Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) im Juli 1992 zugestellt. Die fristgerecht eingelegte Revision des Klägers wurde durch Beschluß des Senats als unzulässig verworfen. Der Senat führte aus, der vom Kläger gerügte Verfahrensmangel, das FG habe seinem kurz vor Beginn der mündlichen Verhandlung gestellten Antrag auf Terminsänderung zu Unrecht nicht entsprochen, könne nicht die zulassungsfreie Revision nach § 116 Abs. 1 Nr. 3 der Finanzgerichtsordnung - FGO - (mangelnde Vertretung) begründen, sondern allenfalls als Rüge der Verletzung des rechtlichen Gehörs mit der Nichtzulassungsbeschwerde (§ 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO) geltend gemacht werden.
Mit Schriftsatz (Telefax) vom April 1993 hat der Kläger unter Beantragung von Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen der Versäumung der Beschwerdefrist Nichtzulassungsbeschwerde erhoben, mit der er als Verfahrensmangel die Verletzung rechtlichen Gehörs geltend macht, weil das FG seinem Antrag auf Verlegung des Termins zur mündlichen Verhandlung nicht entsprochen hat (§§ 115 Abs. 2 Nr. 3, 119 Nr. 3 FGO). Den Wiedereinsetzungsantrag begründet er damit, er sei irrtümlich davon ausgegangen, daß bei der vorliegenden Sach- und Verfahrenslage die Revision und nicht die Nichtzulassungsbeschwerde das zulässige Rechtsmittel sei.
Entscheidungsgründe
Die Beschwerde ist unzulässig.
Mit der im April 1993 beim FG eingegangenen Nichtzulassungsbeschwerde gegen das ihm im Juli 1992 zugestellte FG-Urteil hat der Kläger die Beschwerdefrist von einem Monat (§ 115 Abs. 3 FGO) versäumt. Dem Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand kann nicht entsprochen werden, weil der Kläger nicht ohne Verschulden verhindert war, die gesetzliche Frist einzuhalten (§ 56 Abs. 1 FGO).
Das Verschulden i.S. des § 56 Abs. 1 FGO ist - jedenfalls wenn es um die Fristversäumnis eines Rechtsanwalts oder Steuerberaters geht - nur dann zu verneinen, wenn die äußerste, den Umständen des Falles angemessene und vernünftigerweise zu erwartende Sorgfalt angewendet worden ist (Tipke/Kruse, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, 14. Aufl., § 56 FGO Tz. 4 mit Hinweisen auf die Rechtsprechung).
Diese von ihm als Steuerberater zu erwartenden Sorgfaltsanforderungen hat der Kläger bei der Rechtsmitteleinlegung gegen das FG-Urteil nicht gewahrt. Aufgrund seiner Vorbildung und beruflichen Stellung wäre ihm bei Beachtung der gebotenen Sorgfalt die ständige Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) nicht entgangen, wonach die Rüge, das FG habe einen Vertagungsantrag rechtswidrig abgelehnt, keinen Fall der mangelnden Vertretung i.S. des § 116 Abs. 1 Nr. 3 FGO beinhaltet, sondern als Verfahrensmangel der Verletzung rechtlichen Gehörs mit der Nichtzulassungsbeschwerde geltend gemacht werden muß (Beschlüsse des Senats vom 11. Februar 1992 VII R 112/91, BFH/NV 1992, 678, und vom 27. Februar 1992 VII R 121/ 91, BFH/NV 1992, 756 m.w.N.). Es stellt deshalb keinen entschuldbaren Rechtsirrtum dar, daß der Kläger innerhalb der Rechtsmittelfrist keine Nichtzulassungsbeschwerde, sondern die nicht statthafte (zulassungsfreie) Revision eingelegt hat.
Soweit sich der Kläger darauf beruht, er sei aufgrund des Studiums des Kommentars von Tipke/Kruse (a.a.O., dort: Anhang zu § 115 FGO Tz. 1a) irrtümlich davon ausgegangen, daß noch die Streitwertrevision gegeben sei, steht dies im Widerspruch zu seiner auf § 116 Abs. 1 Nr. 3 FGO gestützten Revisionseinlegung. Im übrigen kann auch dieses Vorbringen den Kläger nicht entschuldigen. Als Steuerberater hätte er wissen müssen, daß aufgrund der Neufassung des Art. 1 Nr. 5 des Gesetzes zur Entlastung des Bundesfinanzhofs durch Art. 2 des Gesetzes zur Beschleunigung verwaltungsgerichtlicher und finanzgerichtlicher Verfahren vom 4. Juli 1985 (BGBl I, 1274) die Streitwertrevision gegen finanzgerichtliche Urteile beseitigt worden ist. Diese Rechtslage geht auch zweifelsfrei aus der Lieferung 64 (Oktober 1991) des Kommentars von Tipke/Kruse, auf die sich der Kläger beruft, hervor, und zwar auch aus dem vom Kläger eingesehenen Anhang zu § 115 FGO, in dem die alte Rechtslage kommentiert wird (vgl. Tipke/Kruse, a.a.O., § 115 FGO Tz. 1 bis 3, Anhang § 115 FGO Vorbemerkung und Tz. 1a Absatz 2).
Soweit der Kläger - wie er mit seinem Wiedereinsetzungsantrag vorträgt - von der vorsorglichen Erhebung der Nichtzulassungsbeschwerde neben der fristgerecht eingelegten Revision im Hinblick auf die Kommentierung bei Tipke/Kruse (a.a.O., § 116 FGO Tz. 17) Abstand genommen haben sollte, kann ihn dies ebenfalls nicht entschuldigen. Die dort angeführte weite Auslegung des § 116 Abs. 1 Nr. 3 FGO besagt nicht, daß auch die vom Kläger erhobene Verfahrensrüge - Versagung der beantragten Terminsverlegung - unter diese Vorschrift fällt. Das Gegenteil hätte der Kläger zweifelsfrei aus Tipke/Kruse (a.a.O., § 116 FGO Tz. 18) entnehmen können. Die dort unter Hinweis auf die BFH-Rechtsprechung für eine Rüge, wie sie der Kläger erhoben hat, eindeutig abgelehnte Anwendbarkeit des § 116 Abs. 1 Nr. 3 FGO hätte den Kläger bei sorgfältiger Auseinandersetzung mit der von ihm zitierten Kommentarliteratur davon überzeugen müssen, daß er auch nicht im Sinne dieser Vorschrift aus tatsächlichen Gründen verhindert war, seine Belange wahrzunehmen.
Fundstellen
Haufe-Index 419396 |
BFH/NV 1994, 384 |