Entscheidungsstichwort (Thema)
Versagung des rechtlichen Gehörs durch Ablehnung einer Terminsverlegung
Leitsatz (NV)
Einem Verfahrensbeteiligten wird rechtliches Gehör versagt, wenn das Gericht mündlich verhandelt und in der Sache entscheidet, obwohl er einen Antrag auf Terminsverlegung gestellt und dafür erhebliche Gründe (z.B. die Erkrankung seines Prozessbevollmächtigten) geltend gemacht hat. Denn ihm steht es frei, seine Rechte (einschließlich des Anspruchs auf rechtliches Gehör) durch einen Prozessbevollmächtigten wahrnehmen zu lassen.
Normenkette
GG Art. 103 Abs. 1; FGO § 96 Abs. 2, § 115 Abs. 2 Nr. 3, § 116 Abs. 6, § 155; ZPO § 227
Verfahrensgang
Niedersächsisches FG (Urteil vom 20.03.2006; Aktenzeichen 8 K 679/02) |
Tatbestand
I. Der Kläger und Beschwerdeführer (Kläger), ein Angehöriger der steuerberatenden Berufe, ließ sich in seinem Verfahren vor dem Finanzgericht (FG) durch einen Rechtsanwalt vertreten. In einem (am selben Tage beim FG eingegangenen) Telefax vom 17. März 2006 beantragte er, die auf den 20. März 2006 anberaumte mündliche Verhandlung zu verschieben. Das Büro seines Bevollmächtigten habe ihn soeben über dessen Erkrankung unterrichtet.
Das FG verhandelte trotz der Rüge des (an der mündlichen Verhandlung teilnehmenden) Klägers zur Sache und wies die Klage ab. Zur Ablehnung des Vertagungsantrages führte es aus, der Bevollmächtigte des Klägers habe am 13. März 2006 in einem Telefonat mit dem Vorsitzenden des FG-Senats erklärt, er werde den Termin nicht wahrnehmen. Außerdem habe der Kläger, der selbst sachkundig sei, den rechtlichen Beistand eines anderen Mitgliedes der Sozietät seines Bevollmächtigten in Anspruch nehmen können.
Entscheidungsgründe
II. Die Nichtzulassungsbeschwerde, mit der der Kläger u.a. die Verletzung seines Rechts auf Gehör geltend macht, ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung des Rechtsstreits an das FG zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung (§ 116 Abs. 6 der Finanzgerichtsordnung --FGO--). Das angefochtene Urteil beruht auf einem Verfahrensmangel i.S. von § 115 Abs. 3 Nr. 2 FGO; es verletzt den Anspruch des Klägers auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 des Grundgesetzes; § 96 Abs. 2 FGO, § 119 Nr. 3 FGO).
1. Einem Verfahrensbeteiligten wird rechtliches Gehör versagt, wenn das Gericht mündlich verhandelt und in der Sache entscheidet, obwohl er einen Antrag auf Terminsverlegung gemäß § 155 FGO i.V.m. § 227 Abs. 1 der Zivilprozessordnung (ZPO) gestellt und dafür erhebliche Gründe geltend gemacht hat. Das FG ist in einem solchen Falle verpflichtet, den anberaumten Verhandlungstermin zu verlegen (z.B. Beschluss des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 1. Februar 2002 II B 38/01, BFH/NV 2002, 938, m.w.N.). Zu den erheblichen Gründen i.S. von § 155 FGO i.V.m. § 227 ZPO gehört auch die Erkrankung des Prozessbevollmächtigten (z.B. BFH-Beschluss vom 10. März 2005 IX B 171/03, BFH/NV 2005, 1578, m.w.N.). Denn dem Verfahrensbeteiligten steht es frei, seine Rechte (einschließlich des Anspruchs auf rechtliches Gehör) durch einen Prozessbevollmächtigten wahrnehmen zu lassen (BFH-Urteil vom 22. Mai 1979 VIII R 93/76, BFHE 128, 310, BStBl II 1979, 702; BFH-Beschluss vom 26. Mai 1992 VII R 26/91, BFH/NV 1993, 177, unter 2. b; Stöcker in Beermann/Gosch, FGO § 91 Rz. 93). Es kommt (für die Entscheidung über die Terminsverlegung) nicht darauf an, ob der Beteiligte selbst in der mündlichen Verhandlung anwesend und nach seiner Bildung sowie seinen Vorkenntnissen in der Lage ist, sachgemäße Erklärungen abzugeben oder Prozesshandlungen vorzunehmen (BFH-Beschluss in BFH/NV 1993, 177, unter 2. b; Stöcker in Beermann/Gosch, a.a.O.).
2. Bei Anwendung dieser Grundsätze durfte das FG den Terminsverlegungsantrag des Klägers nicht ablehnen. Der Hinweis auf dessen eigene Sachkunde ist hierfür keine ausreichende Begründung. Das Gleiche gilt für die vom FG angenommene Möglichkeit der Terminsvertretung durch ein anderes Mitglied der Sozietät des Bevollmächtigten. Voraussetzung wäre u.a., dass der Kläger der Sozietät eine Prozessvollmacht erteilt hätte (vgl. dazu z.B. BFH-Beschluss vom 7. April 2004 I B 111/03, BFH/NV 2004, 1282, m.w.N.); dies ist --soweit ersichtlich-- nicht geschehen.
Der Kläger hat seinen Terminsverlegungsantrag durch den Hinweis auf die Erkrankung seines Prozessbevollmächtigten hinreichend substantiiert. Da dies einige Tage vor der anberaumten mündlichen Verhandlung geschah, hätte das FG, wenn ihm die Begründung für eine Terminsverlegung nicht ausreichend erschien, den Kläger zur Ergänzung seines Vortrags auffordern müssen; höhere Anforderungen an die Darlegung und (ggf.) Glaubhaftmachung des Antragstellers gelten nur bei einem "in letzter Minute" gestellten Antrag (BFH-Beschluss in BFH/NV 2005, 1578, unter 1. a), der im Streitfall nicht gegeben ist.
Für eine (die Ablehnung der Terminsverlegung rechtfertigende) Absicht der Prozessverschleppung (s. dazu z.B. BFH-Beschluss vom 3. November 2003 III B 55/03, BFH/NV 2004, 506) liegen keine Anhaltspunkte vor.
3. Der Senat hält es für sachgerecht, gemäß § 116 Abs. 6 FGO die Vorentscheidung wegen des Verfahrensfehlers aufzuheben und den Rechtsstreit zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das FG zurückzuverweisen.
Fundstellen
Haufe-Index 1679506 |
BFH/NV 2007, 476 |
DStRE 2007, 587 |