Entscheidungsstichwort (Thema)
Verlust des Richterablehnungsrechts wegen Besorgnis der Befangenheit
Leitsatz (NV)
Unterläßt es ein Beteiligter in einem Hauptsacheverfahren, einen Richter wegen Besorgnis der Befangenheit abzulehnen, so verliert er sein Ablehnungsrecht für ein nachfolgendes Vollziehungsaussetzungsverfahren, das denselben Steueranspruch betrifft.
Normenkette
FGO § 51; ZPO § 43
Tatbestand
Die Klägerin und Beschwerdeführerin (Klägerin) hat mit Schriftsatz vom 9. März 1987 beim Finanzgericht (FG) nach erfolgloser Beschwerde gegen die Ablehnung des Antrags auf Aussetzung der Vollziehung der Körperschaftsteuer 1978 durch den Beklagten und Beschwerdegegner (das Finanzamt - FA -) Klage erhoben. Im Hauptsacheverfahren wegen Körperschaftsteuer 1978 hatte das FG nach mündlicher Verhandlung die Klage mit Urteil vom 15. September 1986 IX 122/83 K abgewiesen. Die Beschwerde der Klägerin wegen Nichtzulassung der Revision ist zwischenzeitlich durch Beschluß des Bundesfinanzhofs (BFH) vom 11. November 1987 I B 15/87 zurückgewiesen worden.
Mit Schriftsatz vom 24. April 1987 lehnte die Klägerin den Vorsitzenden Richter des zuständigen Senats des FG Dr. B. wegen Besorgnis der Befangenheit ab. Zur Begründung bezog sie sich auf ein im Beschwerdeverfahren I B 15/87 von dem Prozeßbevollmächtigten des Beigeladenen eingereichtes Schreiben vom 27. Februar 1987, in dem der Vorwurf erhoben worden war, der Vorsitzende Richter sei in der mündlichen Verhandlung vom 15. September 1986 selbstherrlich und arrogant aufgetreten, so daß sich die Vertreter der Klägerin nicht getraut hätten, auf eine faire Verhandlung zu drängen und den erforderlichen Widerstand zu leisten. Hinzugekommen sei, daß ohne Rücksicht auf die erforderliche Aufklärung die vorgesehene Zeit habe eingehalten werden müssen.
Das FG wies das Ablehnungsgesuch nach Einholung einer dienstlichen Äußerung des Vorsitzenden Richters Dr. B ohne dessen Mitwirkung als unbegründet zurück.
Gegen den das Ablehnungsgesuch zurückweisenden Beschluß hat die Klägerin Beschwerde eingelegt und beantragt, unter Aufhebung des angefochtenen Beschlusses dem Ablehnungsgesuch stattzugeben.
Das FA hat keinen Antrag gestellt.
Entscheidungsgründe
1. Die Beschwerde ist zulässig.
Die Beschwerde ist durch die Zurückweisung der Beschwerde wegen Nichtzulassung der Revision nicht gegenstandslos geworden.
2. Die Beschwerde ist jedoch unbegründet. Das FG hat den Befangenheitsantrag der Klägerin im Ergebnis zu Recht zurückgewiesen.
Nach § 51 Abs. 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO) i. V. m. § 42 Abs. 1 und 2 der Zivilprozeßordnung (ZPO) kann ein Richter wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt werden, wenn ein Grund vorliegt, der geeignet ist, Mißtrauen gegen seine Unparteilichkeit zu rechtfertigen. Eine Partei kann einen Richter wegen Besorgnis der Befangenheit allerdings nicht mehr ablehnen, wenn sie sich bei ihm, ohne den ihr bekannten Ablehnungsgrund geltend zu machen, in eine Verhandlung eingelassen oder Anträge gestellt hat (§ 43 ZPO).
Im Streitfall hat die Klägerin ihr Ablehnungsrecht verloren. Sie hat sich zwar nicht auf eine Verhandlung in dem Verfahren eingelassen, in dem sie ihren Ablehnungsantrag gestellt hat; sie hätte die geltend gemachten Ablehnungsgründe jedoch bereits in der mündlichen Verhandlung vom 15. September 1986 vorbringen müssen. Denn durch die Unterlassung der Ablehnung des Richters in einem Prozeß verliert die Partei ihr Recht, diesen Richter abzulehnen, auch für ein nachfolgendes Verfahren, wenn zwischen beiden Verfahren ein Zusammenhang in tatsächlicher oder rechtlicher Hinsicht besteht (BFH-Beschluß vom 15. April 1987 IX B 99/85, BFHE 149, 424, BStBl II 1987, 577 m.w.N.).
Ein derartiger Zusammenhang ist zwischen dem abgeschlossenen Hauptsacheverfahren und dem anhängigen Klageverfahren wegen Aussetzung der Vollziehung gegeben. Die vorgetragenen Befangenheitsgründe beziehen sich ausschließlich auf ein Verhalten des abgelehnten Richters in dem früheren Verfahren. Der Verlust des Rügerechts in diesem Verfahren greift deshalb auch im anhängigen Verfahren durch.
Fundstellen
Haufe-Index 415521 |
BFH/NV 1988, 788 |