Entscheidungsstichwort (Thema)
Zum Verschulden des Prozeßbevollmächtigten bei Versäumung der Revisionsbegründungspflicht
Leitsatz (NV)
Sind mehrere in einer Sozietät zusammengeschlossene Personen mit der Prozeßführung beauftragt, muß das die Sache bearbeitende Sozietätsmitglied Vorkehrungen treffen, daß die Übernahme fristwahrender und keinen großen Arbeitsaufwand erfordernder Maßnahmen durch die anderen Sozietätsmitglieder sichergestellt ist.
Normenkette
FGO § 56; ZPO § 85 Abs. 2
Tatbestand
Das finanzgerichtliche Urteil wurde dem Kläger und Revisionskläger (Kläger) am 27. Juni . . . zugestellt. Mit der am 9. Juli desselben Jahres erhobenen Revision begehrt er weiter den Abzug bestimmter Aufwendungen als Werbungskosten. Ein Antrag vom 5. September d. J., beim Bundesfinanzhof (BFH) eingegangen am 6. September, die Frist zur Begründung der Revision bis zum 31. Dezember d. J. zu verlängern, wurde vom Vorsitzenden des erkennenden Senats mit der Begründung abgelehnt, die Frist könne nicht verlängert werden, da sie bereits am 29. August abgelaufen sei. Gleichzeitig wurde auf § 56 der Finanzgerichtsordnung (FGO) hingewiesen.
Ausweislich einer am 19. September d. J. beim BFH eingegangenen Vollmacht mit Ausstellungsdatum 5. August sind zur Prozeßführung die in einer Sozietät zusammengeschlossenen Steuerberater A, B, C und D befugt. Die vor dem Finanzgericht (FG) vorgelegte und die der Revisionsschrift vom 8. Juli beigefügte Vollmacht vom 28. Juni wies nur B als Bevollmächtigten aus.
Mit am 13. September d. J. beim BFH eingegangenem Schreiben vom Vortag beantragte B, der auch die Revisionsschrift und den Verlängerungsantrag vom 5. September unterschrieben hatte, für den Kläger Wiedereinsetzung in den vorigen Stand und bat nochmals, die Frist zur Revisionsbegründung bis zum 31. Dezember zu verlängern. Zur Fristversäumung trug er vor, mit der Führung der Revision sei C beauftragt gewesen. Dieser sei in der Nacht zum 21. August mit einer schweren Nierenkolik in eine Klinik eingewiesen und erst am 10. September entlassen worden. Infolge seines Gesundheitszustandes sei es ihm in dieser Zeit und in den folgenden Tagen nicht möglich gewesen, seine Aufgaben an ein anderes Sozietätsmitglied zu übertragen. Er habe B aber anläßlich eines nach Ablauf der Begründungsfrist erfolgten Krankenhausbesuchs gebeten, einen Fristverlängerungsantrag zu stellen . . .
Ergänzend wurde am 24. Oktober d. J. vorgetragen, C habe sich nach dem 8. Juli, dem Tag der Revisionseinlegung, wegen der Arbeitsüberlastung von B bereit erklärt, die Revision zu übernehmen. Letzterer habe die Angelegenheit danach als für sich erledigt angesehen. In der fraglichen Zeit habe zusätzlich A stationär behandelt werden müssen. Bei einer derartigen Ausnahmesituation seien Versäumnisse selbst bei gewissenhafter Praxisführung nicht auszuschließen und deshalb entschuldbar.
Die von C unterzeichnete Revisionsbegründung ging am 19. September d. J. ein. Darin werden mit näheren Ausführungen Verfahrensfehler und die Verletzung materiellen Rechts gerügt.
Der Kläger beantragt, unter Abänderung des angefochtenen Urteils weitere Werbungskosten anzuerkennen.
Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt - FA -) beantragt, die Revision als unzulässig, hilfsweise, als unbegründet zurückzuweisen.
Das FA führt aus: Es sei nicht glaubhaft, daß der zuständige Bearbeiter innerhalb des Verfahrens gewechselt habe. Obwohl das Büro A im FA-Bezirk mehr als 100 Mandanten betreue, sei nämlich bisher in keinem einzigen Fall in einem bestimmten Verfahrensabschnitt ein anderer Berater tätig geworden als derjenige, der das Verfahren in Gang gesetzt habe. Selbst wenn C intern zuständig geworden sein sollte, sei unklar, weshalb nach Aufnahme von C ins Krankenhaus eine Fristenkontrolle unterblieben sei. Der innerhalb der Sozietät zur Vertretung von C zuständige Steuerberater habe zwischen dem 21. und dem 29. August hinreichend Zeit gehabt, fristwahrende Maßnahmen zu treffen, zumal es nur eines Antrags auf Fristverlängerung bedurft hätte, der weder einen größeren Zeitaufwand noch eine Vertiefung in die Problematik des Falles erfordert hätte.
Im übrigen tritt das FA der Revisionsbegründung im einzelnen entgegen.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist nicht zulässig.
Sie ist nicht in der gesetzlichen Frist begründet worden, und Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung dieser Frist war nicht zu gewähren.
1. Nach § 120 Abs. 1 FGO ist die Revision beim FG innerhalb eines Monats nach Zustellung des vollständigen Urteils schriftlich einzulegen und spätestens innerhalb eines weiteren Monats zu begründen. Nach Satz 2 dieser Vorschrift kann die Frist für die Revisionsbegründung auf einen vor ihrem Ablauf gestellten Antrag durch den Vorsitzenden des zuständigen Senats des BFH verlängert werden.
Der Kläger hat die Revisionsbegründungsfrist versäumt. Da das Urteil des FG dem Prozeßbevollmächtigten des Klägers am 27. Juni zugegangen ist, endete die Revisionsbegründungsfrist unter Berücksichtigung des Umstandes, daß der 27. Juli ein Samstag und der 28. Juli ein Sonntag war (vgl. § 54 Abs. 2 FGO i. V. m. § 222 Abs. 2 der Zivilprozeßordnung - ZPO -), mit Ablauf des 29. August. Bis zu diesem Zeitpunkt lag dem BFH weder eine Revisionsbegründung noch ein Antrag auf Verlängerung der Frist zur Begründung der Revision vor.
2. Die Gewährung einer Wiedereinsetzung in den vorigen Stand setzt u. a. voraus, daß innerhalb von zwei Wochen nach Wegfall des der Fristwahrung entgegenstehenden Hindernisses (§ 56 Abs. 2 Satz 3 FGO) Tatsachen vorgetragen werden, aus denen sich das fehlende Verschulden des Säumigen ergibt. Diese Tatsachen sind glaubhaft zu machen.
a) Eine Fristversäumung ist unverschuldet, wenn sie auch durch die äußerste, den Umständen des Falles angemessene und vernünftigerweise zu erwartende Sorgfalt nicht verhindert werden konnte (BFH-Beschluß vom 29. September 1971 I R 174/70, BFHE 103, 135, BStBl II 1972, 19). Dabei steht das Verschulden eines Bevollmächtigten dem eigenen Verschulden des Mandanten gleich (§ 155 FGO i. V. m. § 85 Abs. 2 ZPO). Werden alle Mitglieder einer Sozietät zur Prozeßführung bevollmächtigt, so muß die Partei das Verschulden eines jeden Sozietätsmitglieds unabhängig von der internen Arbeitsverteilung gegen sich gelten lassen (Beschluß des Bundesgerichtshofs - BGH - vom 24. November 1972 IV ZB 37/72, Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung - HFR - 1973, 308; BFH-Beschluß vom 15. Februar 1984 II R 57/83, BFHE 140, 158, BStBl II 1984, 320).
Eine plötzliche schwere Erkrankung wird in der Regel einen Entschuldigungsgrund bilden. Dies gilt bei einem Prozeßbevollmächtigten, der sich von Berufs wegen mit der Bearbeitung ihm anvertrauter Sachen befaßt, aber nur dann, wenn die Erkrankung nicht vorauszusehen und ihre Wirkung auch durch vorsorgliche Maßnahmen nicht zu beseitigen war (BFH-Beschluß vom 25. April 1968 VI R 76/67, BFHE 92, 320, BStBl II 1968, 585). Inwieweit von einem Prozeßbevollmächtigten erwartet werden muß, daß er Vorsorge für seinen plötzlichen persönlichen Ausfall trifft, hängt von seinen praktischen Möglichkeiten ab (BGH-Beschluß vom 10. Januar 1973 IV ZB 92/72, HFR 1973, 401). Sind mehrere mit der Prozeßführung beauftragte Personen in einer Sozietät zusammengeschlossen, gehört zu den für den Fall der Verhinderung des die Sache tatsächlich bearbeitenden Sozietätsmitglieds zu treffenden Vorkehrungen jedenfalls, daß die Übernahme solcher fristwahrender Maßnahmen durch die anderen Sozietätsmitglieder sichergestellt ist, die keinen großen Arbeitsaufwand erfordern (vgl. BFH-Beschluß vom 3. August 1977 II R 59/77, BFHE 123, 13, BStBl II 1977, 768).
b) Im Streitfall sind keine Tatsachen glaubhaft gemacht worden, aus denen sich das fehlende Verschulden des bzw. der Prozeßvertreter des Klägers ergibt.
Es ist zweifelhaft, ob die Sachbearbeitung von B nach Revisionseinlegung auf ein anderes später an der Fristwahrung gehindertes Sozietätsmitglied übertragen worden ist. Wiedereinsetzung in den vorigen Stand ist aber selbst dann nicht zu gewähren, wenn davon auszugehen wäre, daß die Bearbeitung des Streitfalles nach Revisionseinlegung auf C übergegangen sei. Abgesehen davon, daß die Ausführungen des Klägers keine nachprüfbaren Angaben zur Schwere der Erkrankung von C und damit zusammenhängend zu dessen Befähigung enthalten, vor Ablauf der Revisionsbegründungsfrist persönlich für eine Fristverlängerung zu sorgen, scheitert eine Wiedereinsetzung daran, daß nicht vorgetragen worden ist, welche Vorkehrungen C für den Fall seiner Verhinderung getroffen hat. Da derartige Vorkehrungen im Rahmen der Steuerberatersozietät zumutbar und erforderlich waren, käme eine Wiedereinsetzung nur in Betracht, wenn die Frist trotz ausreichender Vorsorgemaßnahmen aus nicht zu vertretenden Gründen versäumt worden wäre. Diesbezügliche Tatsachen sind innerhalb der zweiwöchigen Wiedereinsetzungsfrist nicht vorgetragen worden. Insbesondere ist weder dargelegt worden, der Bürobetrieb sei durch Führung eines Fristenkontrollbuches oder durch vergleichbare Einrichtungen sowie durch entsprechende Anweisungen an das Büropersonal so organisiert gewesen, daß Fristversäumnisse in aller Regel ausgeschlossen waren (vgl. BFH-Beschluß vom 18. Januar 1984 I R 196/83, BFHE 140, 46, BStBl II 1984, 441), noch, welche außergewöhnlichen, nicht zu vertretenden Umstände gleichwohl dazu geführt hätten, daß ein rechtzeitiger Antrag auf Fristverlängerung auch durch ein nicht verhindertes Sozietätsmitglied nicht habe gestellt werden können.
Die Versäumung der Revisionsbegründungsfrist ist somit entweder auf ein Verschulden von B oder von C zurückzuführen. Da sich der Kläger das Verschulden dieser beiden Personen zurechnen lassen muß, konnte Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nicht gewährt werden.
Fundstellen