Entscheidungsstichwort (Thema)
Aussetzung des Klageverfahrens wegen Steuerstrafverfahrens oder noch durchzuführenden Gewinnfeststellungsverfahrens - Beschwerde hiergegen
Leitsatz (NV)
1. Verbindung von Beschwerdeverfahren durch den BFH.
2. Setzt das FG ein Klageverfahren aus und hilft es der hiergegen durch einen Beteiligten erhobenen Beschwerde nicht ab, so ist dessen - zusätzliche - Beschwerde gegen den Nichtabhilfebeschluß unzulässig (ständige Rechtsprechung).
3. Das FG kann seine Begründung des Aussetzungsbeschlusses im Nichtabhilfebeschluß ergänzen.
4. Die Aussetzung eines Klageverfahrens wegen der Zurechnung bestimmter Einkünfte aus Kapitalvermögen bis zum Abschluß eines deshalb eingeleiteten Steuerstrafverfahrens ist ermessensfehlerhaft, wenn sich schwierige steuerrechtliche Fragen stellen, die im Strafverfahren möglicherweise nicht geklärt werden, während im finanzgerichtlichen Verfahren hierüber befunden werden muß.
5. Die Aussetzung eines einen Einkommensteuerbescheid betreffenden Klageverfahrens ist jedoch mit der Begründung gerechtfertigt, daß auch über hilfsweise streitige Einkünfte einer Personengesellschaft zu entscheiden ist und insoweit der Abschluß eines gesonderten und einheitlichen Gewinnfeststellungsverfahrens abgewartet werden muß.
6. Zur Frage, ob Einnahmen aus Kapitalvermögen bzw. Betriebseinnahmen im Sinne des Einkommensteuerrechts vorliegen können, wenn es an einer objektiven Bereicherung beim Empfänger deshalb fehlt, weil die ihm zugeflossenen Geldbeträge letztlich aus seinem eigenen Vermögen stammen.
Normenkette
AO 1977 § 179 Abs. 2 S. 2, § 180 Abs. 1 Nr. 2a, § 370 Abs. 1-2, §§ 396, 398; FGO § 69 Abs. 3, §§ 73-74, 121, 130; ZPO § 149; StPO §§ 153, 153a; EStG § 8 Abs. 1, § 15 Abs. 1 Nr. 2, § 20 Abs. 1 Nr. 7, Abs. 2 Nr. 1
Tatbestand
Die Kläger und Beschwerdegegner (Kläger) - zusammenveranlagte Eheleute - haben gegen die Einspruchsentscheidung des Beklagten und Beschwerdeführers (Finanzamt - FA -) hinsichtlich der Einkommensteuerbescheide 1985 bis 1987 bei dem Finanzgericht (FG) Klage erhoben, weil der Klägerin zu Unrecht bestimmte Einkünfte aus Kapitalvermögen zugerechnet worden seien.
Die Kläger haben im Rahmen einer Besitzpersonengesellschaft Anlagevermögen an die Firma A-GmbH verpachtet, die in B eine PKW-Vertretung betreibt. Die A-GmbH kann als bloße Werksvertretung ihre PKW-Geschäfte nicht selbständig abwickeln, sondern muß dies über die C-Niederlassung in D besorgen. Die Klägerin ging Ende des Jahres 1985 auf das Ansinnen des in der C-Niederlassung beschäftigten Vertreters E ein, in größerem Umfang Jahreswagen von C in der Weise zu verkaufen, daß sie den Ankaufspreis mit Schecks vorfinanzierte und nach Durchführung des Geschäfts und Zahlung des Käufers diesen Betrag zuzüglich eines Gewinnaufschlags von E zurückerhalten sollte. Tatsächlich hat E nach Feststellung des FG keine Fahrzeuggeschäfte getätigt, sondern die Gelder der Klägerin stets zur Abdeckung anderweitiger Schulden verwendet. Er händigte jedoch von Zeit zu Zeit der Klägerin Schecks über den vorfinanzierten Betrag zuzüglich Gewinnaufschlag aus, nahm aber gleichzeitig neue Schecks über höhere Beträge für angeblich neue Vorfinanzierungen von der Klägerin an, um diese sofort bei seinem Bankkonto einzureichen, damit das Konto eine Deckung für die der Klägerin ausgehändigten Schecks hatte. Als E 1987 mit diesen Machenschaften am Ende war und gegenüber der Klägerin Schecks über einen Gesamtbetrag von . . . DM nicht mehr einlösen konnte, belasteten die Klägerin deshalb Bankschulden in Höhe von rd. . . . DM.
Nach einer Außenprüfung durch die Steuerfahndung, die gegen die Klägerin ein bei der Staatsanwaltschaft B anhängiges Strafverfahren wegen Steuerhinterziehung eingeleitet hat, ging das FA davon aus, daß die Klägerin Einkünfte aus Kapitalvermögen erzielt habe. Mit jeder Scheckhingabe sei ein eigenständiges Darlehen gewährt worden, der Zins habe im höheren Rückzahlungsbetrag bestanden. Dementsprechend änderte das FA die bestandskräftigen Einkommensteuerbescheide 1985 bis 1987, indem Einkünfte aus Kapitalvermögen in Höhe von rd. . . . DM, . . . DM und . . . DM angesetzt wurden, während die Verluste der Darlehensforderungen im nichtsteuerlichen Vermögensbereich der Klägerin eingetreten seien.
Mit der nach erfolglosem Einspruch erhobenen Klage machten die Kläger geltend, einkommensteuerbare Einnahmen seien nur erstrebt, aber nicht erzielt worden. Wenn aber gleichwohl Einkünfte im Sinne des Einkommensteuerrechts gegeben sein sollten, müßten Verluste aus Gewerbebetrieb angenommen werden. Nachdem das FG am 5. März 1992 die Aussetzung der Vollziehung der angegriffenen Bescheide gemäß § 69 Abs. 3 der Finanzgerichtsordnung (FGO) beschlossen hatte, weil ernstliche Zweifel an der Einnahmeerzielung beständen, setzte es mit Beschluß vom 13. Juli 1992 das Verfahren gemäß § 74 FGO aus. Denn es müsse in dem anhängigen Strafverfahren geklärt werden, ob tatsächlich Einnahmen zugeflossen seien und ob ein Gewerbebetrieb vorliege; anderenfalls könne der objektive Tatbestand der Steuerhinterziehung (§ 370 Abs. 1 der Abgabenordnung - AO 1977 -) nicht erfüllt sein. Zur Vermeidung doppelter Ermittlungsarbeit sei das dem FG zustehende Ermessen im Sinne einer Aussetzung des Verfahrens auszuüben.
Mit der gegen diesen Beschluß erhobenen Beschwerde machte das FA geltend, die Entscheidung des FG sei rechtswidrig, da es an einem vorgreiflichen Rechtsverhältnis i.S. des § 74 FGO fehle. Bei den strittigen Punkten handle es sich um reine Steuerrechtsfragen. Die Verfahrensaussetzung sei auch ermessensfehlerhaft, da der Sachverhalt hier unstreitig sei.
Das FG half der Beschwerde nicht ab, stützte die Verfahrensaussetzung im Nichtabhilfebeschluß vom 28. Juli 1992 jedoch auf die weitere Begründung, daß hinsichtlich der Besteuerung der Einkünfte der Klägerin eingesondertes Feststellungsverfahren nach § 180 Abs. 1 Nr.2 Buchst. a AO 1977 in Betracht komme. Denn die Klägerin und E hätten möglicherweise eine Gesellschaft zum gemeinsamen An- und Verkauf von PKW gegründet. Das FA hat gegen diesen ihm miteiner Rechtsmittelbelehrung zugestellten Nichtabhilfebeschluß ebenfalls Beschwerde erhoben (Az. VIII B 89/92). Insoweit macht es geltend, es lägen keine konkreten Anhaltspunkte für die Einleitung eines gesonderten Feststellungsverfahrens vor.
Entscheidungsgründe
1. Der Senat verbindet beide Beschwerdeverfahren zu gemeinsamer Entscheidung (§§ 73 und - analog - 121 FGO; Gräber/ Ruban, Finanzgerichtsordnung, 2. Aufl., § 132 Rdnr.4). Es handelt sich nicht um die wiederholte Einlegung der Beschwerde gegen ein und dieselbe FG-Entscheidung, da das FG über die Aussetzung des Verfahrens und die Nichtabhilfe in gesonderten Beschlüssen befunden hat (zur mehrfachen Einlegung der Revision vgl. Gräber/Ruban, a.a.O., § 120 Rdnr.16, m.w.N.).
2. Die Beschwerde des FA gegen den Nichtabhilfebeschluß ist unzulässig, da es nur durch den ursprünglichen Aussetzungsbeschluß des FG beschwert ist (Entscheidungen des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 26. April 1972 II B 31/72, BFHE 105, 333, BStBl II 1972, 575, und vom 30. März 1976 VII B 105/75, BFHE 119, 122, BStBl II 1976, 595, sowie - zur Nichtzulassungsbeschwerde - vom 8. Mai 1992 III B 163/92, BFHE 167, 299, BStBl II 1992, 675, 677, Ziff.4 der Gründe; Tipke/Kruse, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, 13. Aufl., § 130 FGO Rdnr.15).
3. Die Beschwerde des FA gegen die Aussetzungsentscheidung des FG ist zulässig, jedoch im Ergebnis unbegründet. Zwar greift die Beschwerde insoweit durch, als das FG die Verfahrensaussetzung auf die Anhängigkeit des Strafverfahrens gestützt hat. Jedoch wird die Vorentscheidung im wesentlichen durch die im Nichtabhilfebeschluß gegebene weitere Begründung getragen.
a) Es bestehen keine Bedenken dagegen, daß die Vorinstanz im Nichtabhilfebeschluß die bisherige Begründung der Aussetzung des Verfahrens wesentlich ergänzt hat (vgl. BFH-Beschluß vom 18. Februar 1986 VII B 113/85, BFHE 145, 574, BStBl II 1986, 413, sowie Gräber/Ruban, a.a.O., § 130 Rdnr.6, und Offerhaus in Hübschmann/Hepp/Spitaler, Kommentar zur Abgabenordnung und Finanzgerichtsordnung, 9. Aufl., § 130 FGO Rdnr.10). Durch die Zustellung des Nichtabhilfebeschlusses an die Beteiligten hat das FG deren an sich vor Erlaß des Aussetzungsbeschlusses gebotene Anhörung nachgeholt (BFH-Beschlüsse vom 29. September 1976 I B 113/75, BFHE 120, 134, BStBl II 1977, 83; auch vom 7. November 1979 VII B 35/79, BFHE 129, 115, BStBl II 1980, 86; Gräber/Ruban, a.a.O., § 132 Rdnr.7).
Gemäß § 74 FGO kann das Gericht, wenn die Entscheidung des Rechtsstreits ganz oder zum Teil von dem Bestehen oder Nichtbestehen eines Rechtsverhältnisses abhängt, das den Gegenstand eines anderen anhängigen Rechtsstreits bildet oder von einer Verwaltungsbehörde festzustellen ist, anordnen, daß die Verhandlung bis zur Erledigung des anderen Rechtsstreits oder bis zur Entscheidung der Verwaltungsbehörde auszusetzen ist. Es handelt sich zwar um eine Ermessensentscheidung des Gerichts (Senatsbeschluß vom 12. Oktober 1988 VIII B 117/87, BFH/NV 1989, 446; Gräber/Koch, a.a.O., § 74 Rdnr.7), jedoch hat der erkennende Senat bei der Überprüfung dieser Ermessensentscheidung ein eigenes Ermessen auszuüben, so daß es darauf ankommt, ob er die Voraussetzungen für die Aussetzung des Verfahrens für gegeben hält (BFH-Beschlüsse vom 24. März 1981 VII B 64/80, BFHE 133, 8, BStBl II 1981, 475, 477, und vom 18. Februar 1992 III B 20/91, BFH/NV 1992, 754).
b) Danach unterliegt die Begründung der Aussetzungsentscheidung durch das FG, wie das FA zu Recht rügt, erheblichen Bedenken insoweit, als der Ausgang des gegen die Klägerin eingeleiteten Steuerstrafverfahrens abgewartet werden soll. Zwar wird die Durchführung eines den Fall betreffenden Strafverfahrens im Schrifttum (Gräber/Koch, a.a.O., § 74 Rdnr.3 unter Hinweis auf § 149 der Zivilprozeßordnung - ZPO -) als ein ,,Rechtsverhältnis" i.S. des § 74 FGO angesehen. Jedoch kommt es hier auf die Umstände des Einzelfalls an (vgl. - zu einem anders gelagerten Fall - BFH-Urteil vom 26. Feruar 1991 VII R 77-78/87, BFH/NV 1992, 87, 88/89). Im allgemeinen sollte ausschlaggebend sein, in welchem Umfang das in Rede stehende Rechtsverhältnis vorgreiflich ist und in welchem Stadium sich das andere Gerichts- oder Verwaltungsverfahren befindet (v.Wedel in Schwarz, Finanzgerichtsordnung, § 74 Rdnr.71). Insoweit fällt zunächst ins Gewicht, daß nach § 396 AO 1977 auch das Strafverfahren bis zum rechtskräftigen Abschluß des Besteuerungsverfahrens ausgesetzt werden kann und davon regelmäßig Gebrauch gemacht werden sollte, wenn sich schwierige steuerrechtliche Fragen stellen. Das ist hier schon hinsichtlich des von der Finanzverwaltung noch nicht hinreichend geprüften Problems zu bejahen, ob Einnahmen bzw. Betriebseinnahmen im Sinne des Einkommensteuerrechts vorliegen können, wenn es an einem Vermögenszuwachs, d.h. einer objektiven Bereicherung (vgl. BFH-Urteile vom 23. Oktober 1985 I R 248/81, BFHE 145, 175, BStBl II 1986, 178, Ziff.1 der Gründe, und vom 21. Juli 1987 VIII R 211/82, BFH/NV 1988, 224, Ziff.2b der Gründe, sowie Wolff-Diepenbrock in Littmann/Bitz/Meincke, Das Einkommensteuerrecht, 15. Aufl., § 8 Rdnr.4) beim Empfänger deshalb fehlt, weil der ihm zugeflossene Geldbetrag letztlich aus seinem eigenen Vermögen stammt. Verneint man deshalb die Einkunftserzielung, käme lediglich ein - untauglicher - Versuch der Steuerhinterziehung (§ 370 Abs. 2 AO 1977) in Betracht, dessen Ahndung schon mit Rücksicht auf die Einstellungsmöglichkeiten nach § 398 AO 1977 bzw. §§ 153, 153a der Strafprozeßordnung offen wäre, jedenfalls keine eingehend strafrechtlichen Erhebungen zur einkommensteuerrechtlichen Einkunftserzielung erforderte. Dagegen muß das FG in dem gegen die Einkommensteueränderungsbescheide anhängigen Verfahren über diese strittigen Einkommensteuerfragen entscheiden, soweit sich die Klage nicht anderweitig erledigt.
c) Die Aussetzung des Verfahrens ist jedoch aufgrund der vom FG im Nichtabhilfebeschluß nachgeschobenen Begründung gerechtfertigt. Denn über das Vorliegen der hier auch strittigen Einkünfte aus Gewerbebetrieb im Rahmen einer Personengesellschaft (§ 15 Abs. 1 Nr.2 des EStG) muß im Verfahren der gesonderten und einheitlichen Feststellung gemäß §§ 180 Abs. 1 Nr.2 Buchst. a, 179 Abs. 2 Satz 2 AO 1977 befunden werden. Diese Gewinnfeststellung ist nach ständiger Rechtsprechung schon dann erforderlich, wenn zweifelhaft erscheint, ob überhaupt einkommensteuerpflichtige Einkünfte vorliegen, an denen mehrere Personen beteiligt bzw. die mehreren Personen zuzurechnen sind, oder wenn zweifelhaft ist, ob für diese Personen überhaupt eine Einkommensteuerveranlagung durchgeführt werden darf (vgl. BFH-Entscheidungen vom 12. November 1985 IX R 85/82, BFHE 145, 308, BStBl II 1986, 239; vom 12. Juli 1988 IX B 29/88, BFH/NV 1989, 87, und vom 10. Oktober 1989 IV B 135/88, BFH/NV 1990, 485). Das FG hat in einem solchen Fall regelmäßig das Klageverfahren gegen den Einkommensteuerbescheid auszusetzen, bis das zuständige FA entweder eine gesonderte und einheitliche Feststellung durchgeführt oder einen negativen Feststellungsbescheid erlassen hat. So liegt es, wenn die Kläger - wie hier jedenfalls hilfsweise - ausdrücklich geltend machen, daß die - unterstellten - Einkünfte einer Personengesellschaft zuzurechnen seien (BFH-Beschluß vom 19. Juni 1985 I B 5-7/84, BFH/NV 1986, 739). Das für die gesonderte und einheitliche Feststellung zuständige FA F hat denn auch bereits, wie die Kläger substantiiert und vom FA unwidersprochen vortragen, den Erlaß eines - negativen - Feststellungsbescheids angekündigt.
Fundstellen
Haufe-Index 418932 |
BFH/NV 1993, 419 |