Entscheidungsstichwort (Thema)
Verfahrensmängel als Zulassungsgrund: Fehlen von Entscheidungsgründen
Leitsatz (NV)
Das Fehlen von Entscheidungsgründen i.S. des § 119 Nr. 6 FGO liegt nur vor, wenn den Beteiligten die Möglichkeit entzogen ist, die getroffene Entscheidung auf ihre Richtigkeit und Rechtmäßigkeit hin zu überprüfen. Das ist z.B. der Fall, wenn jegliche Begründung fehlt oder wenn nicht erkennbar ist, welcher Sachverhalt der Entscheidung zugrunde liegt bzw. auf welche rechtlichen Erwägungen sich die Entscheidung stützt.
Normenkette
FGO § 76 Abs. 1, § 105 Abs. 2 Nr. 5, § 115 Abs. 2 Nr. 3, § 116 Abs. 3 S. 3
Verfahrensgang
FG Münster (Urteil vom 09.10.2003; Aktenzeichen 3 K 538/01 E,G,U) |
Gründe
Die Beschwerde hat keinen Erfolg. Die Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) haben die von ihnen geltend gemachten Revisionszulassungsgründe nicht in der nach § 116 Abs. 3 Satz 3 i.V.m. § 115 Abs. 2 Nr. 1 bis 3 der Finanzgerichtsordnung (FGO) gebotenen Art und Weise dargelegt.
Dem Beschwerdevorbringen kann entnommen werden, dass die Kläger Verfahrensmängel als Zulassungsgrund (§ 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO) mit der Begründung geltend machen wollen, das Urteil des Finanzgerichts (FG) sei nicht mit Gründen versehen bzw. das FG habe ihren Anspruch auf rechtliches Gehör verletzt. Dieser Zulassungsgrund wird jedoch nicht in schlüssiger Weise dargelegt.
1. Die nach § 105 Abs. 2 Nr. 5 FGO vorgeschriebene Wiedergabe der Entscheidungsgründe dient der Mitteilung der wesentlichen rechtlichen Erwägungen, die aus der Sicht des Gerichts für die getroffene Entscheidung maßgebend waren. Ein Fehlen von Entscheidungsgründen ist deshalb dann anzunehmen, wenn dem Beteiligten die Möglichkeit entzogen ist, die getroffene Entscheidung auf ihre Richtigkeit und Rechtmäßigkeit hin zu überprüfen (vgl. Urteil des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 23. Januar 1985 I R 292/81, BFHE 143, 325, BStBl II 1985, 417). Das ist insbesondere der Fall, wenn nicht erkennbar ist, welcher Sachverhalt der Entscheidung zugrunde liegt oder wenn nicht ersichtlich ist, auf welche rechtlichen Erwägungen sich die Entscheidung stützt (BFH-Beschluss vom 28. August 2001 XI R 87/00, BFH/NV 2002, 201). Nach der Rechtsprechung des BFH fehlen die Entscheidungsgründe nicht nur dann, wenn die Entscheidung überhaupt nicht mit Gründen versehen ist, sondern bereits dann, wenn das FG einen selbständigen prozessualen Anspruch oder ein selbständiges Angriffs- oder Verteidigungsmittel mit Stillschweigen übergangen hat (vgl. BFH-Urteil vom 12. Juni 2001 VII R 67/00, BFH/NV 2002, 80, und BFH-Beschluss vom 19. Oktober 2001 V B 48/01, BFH/NV 2002, 369, jeweils m.w.N.). Unter selbständigen Ansprüchen und selbständigen Angriffs- und Verteidigungsmitteln sind nur die eigenständigen Klagegründe und solche Angriffs- und Verteidigungsmittel zu verstehen, die den vollständigen Tatbestand einer mit selbständiger Wirkung ausgestalteten Rechtsnorm bilden (BFH-Urteile in BFH/NV 2002, 80; vom 2. Oktober 2001 IX R 25/99, BFH/NV 2002, 363, jeweils m.w.N.).
Mit dem Beschwerdevorbringen wird indes nicht in schlüssiger Weise dargetan, dass in dem angefochtenen Urteil maßgebliche rechtliche Erwägungen in diesem beschriebenen Sinne ganz oder teilweise fehlen. Die Beschwerde rügt lediglich, das FG habe sich der Bewertung des Gerichtsprüfers angeschlossen, der vom Beklagten und Beschwerdegegner (Finanzamt --FA--) bei der Schätzung der Besteuerungsgrundlagen angesetzte pauschale Abschlag in Höhe von 3 % für Schwund und Verderb sei branchenüblich, obwohl nach dem Bericht des Gerichtsprüfers bei Gyros ein Bratverlust von 30 % anzuerkennen sei. Der pauschale Abschlag für Schwund und Verderb sei daher mathematisch zu niedrig. Damit wird aber ein übergangener eigenständiger Klagegrund oder ein selbständiges Angriffs- und Verteidigungsmittel nicht dargelegt. Dem Beschwerdevorbringen lässt sich vielmehr lediglich entnehmen, das FG-Urteil sei nach Auffassung der Kläger unzulänglich, rechtsfehlerhaft oder nicht überzeugend. Dies reicht jedoch für die Annahme des Verfahrensmangels der fehlenden Begründung der Entscheidung nicht aus (Gräber/Ruban, Finanzgerichtsordnung, 5. Aufl., § 119 Rz. 24).
Auch das weitere Vorbringen der Kläger, das FG lasse in seiner Entscheidung offen, für welches Jahr der Rohgewinnaufschlagsatz ermittelt worden sei, der vom Gerichtsprüfer unterstellte Aufschlagsatz von 175 % ergebe sich nicht aus der Buchführung der Kläger und die Richtwertsammlung des FA weise für die Jahre 1993 und 1994 einen Mittelwert von 150 % bzw. für die Jahre 1995 und 1996 einen Mittelwert von 156 % aus, ist nicht geeignet, einen Mangel i.S. von § 105 Abs. 2 Nr. 5 FGO schlüssig darzulegen. Ihrem objektiven Inhalt nach betreffen die Einwände der Kläger die Richtigkeit des angefochtenen Urteils (vor allem die Bestätigung der Schätzungen der Höhe nach), nicht die Vollständigkeit der hierfür gegebenen Begründung. Sie bemängeln nicht das vollständige oder teilweise Fehlen der maßgeblichen rechtlichen Erwägungen, sondern deren Inhalt und Ergebnis. Das aber ergibt, die Richtigkeit solchen Vorbringens unterstellt, keinen Grund für die Zulassung der Revision. Im Übrigen folgt aus dem FG-Urteil, dass der Rohgewinnaufschlagssatz für das Jahr 1993 ermittelt wurde (vgl. FG-Urteil S. 6 oben).
Ferner begründet auch das weitere Vorbringen der Kläger, das FG habe die bindende Einigung der Parteien hinsichtlich der Nachkalkulation nicht gewürdigt, schon deshalb keinen Verfahrensfehler i.S. von §§ 115 Abs. 2 Nr. 3, 105 Abs. 2 Nr. 5 FGO, weil sich Kläger und FA ausweislich der Klagebegründung nur darauf verständigt hatten, das FA werde die Position "Gyros" in der Kalkulation überprüfen.
Schließlich liegt auch kein Verstoß gegen § 105 Abs. 2 Nr. 5 FGO vor, weil das FG nicht zum Einwand der Kläger, eine zutreffende Geldverkehrsrechnung ergäbe, dass keine nicht versteuerten Einnahmen vorgelegen hätten, Stellung genommen habe, da weder FA noch FG verpflichtet sind, das aufgrund einer Schätzungsmethode gewonnene Ergebnis durch die Anwendung einer weiteren Schätzungsmethode zu überprüfen oder zu untermauern (vgl. BFH-Beschluss vom 3. September 1998 XI B 209/95, BFH/NV 1999, 290).
2. Die weitere Rüge der Kläger, das FG habe trotz Beweisantritts kein neutrales Sachverständigengutachten eingeholt, beinhaltet nicht den Vorwurf einer Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör, sondern eines Verstoßes gegen die Sachaufklärungspflicht (§ 76 Abs. 1 FGO). Auch diese Rüge ist nicht schlüssig, denn die Kläger haben nicht --wie erforderlich (vgl. z.B. BFH-Beschluss vom 15. Mai 1997 IV B 74/96, BFH/NV 1997, 668)-- dargelegt, warum sie --trotz fachkundiger Vertretung-- diesen Mangel nicht bereits in der mündlichen Verhandlung vor dem FG gerügt haben. Die Verfahrensrüge ist insoweit bereits unzulässig. Ausweislich des Protokolls der mündlichen Verhandlung vom 9. Oktober 2003 haben sie weder eine solche Rüge erhoben noch die behaupteten schriftsätzlichen Anträge, ein neutrales Sachverständigengutachten einzuholen, wiederholt, so dass von einem Rügeverzicht auszugehen ist (vgl. etwa BFH-Beschluss vom 18. Oktober 1995 V B 50/95, BFH/NV 1996, 333; die dagegen erhobene Verfassungsbeschwerde wurde nicht zur Entscheidung angenommen: Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 29. April 1996 1 BvR 2640/95, Steuer-Eildienst 1996, 411).
Fundstellen