Entscheidungsstichwort (Thema)
Fortsetzung des Klageverfahrens bei Beschwerde gegen den Einstellungsbeschluß
Leitsatz (NV)
1. Im Einstellungsbeschluß nach § 72 Abs. 2 Satz 2 FGO wird eine Entscheidung über das Vorliegen einer Klagerücknahme oder deren Wirksamkeit nicht getroffen; daher kommt dem Beschluß nur eine deklaratorische Bedeutung zu.
2. Wird nach Ergehen des Einstellungsbeschlusses die Unwirksamkeit der Klagerücknahme geltend gemacht, hat das FG das Klageverfahren fortzusetzen und entweder in der Sache zu entscheiden oder auszusprechen, daß die Klage zurückgenommen worden ist.
3. Hilft das FG einer gegen den Einstellungsbeschluß gerichteten Beschwerde nicht ab, ist der Einstellungsbeschluß aufzuheben und die Sache zur Fortsetzung des Verfahrens an das FG zurückzuverweisen. Dies gilt auch dann, wenn der Kläger geltend macht, die Voraussetzungen für eine wirksame Klageerhebung hätten nicht vorgelegen, so daß die Klage nicht rechtshängig geworden sei.
Normenkette
FGO § 72 Abs. 2 S. 2
Verfahrensgang
Tatbestand
Mit seinem an das Finanzgericht (FG) gerichteten Schriftsatz vom 13. Mai 1996, der mit dem Wort "Klage" überschrieben war, stellte der als Prozeßbevollmächtigter der Antragstellerinnen und Beschwerdeführe rinnen (Beschwerdeführerinnen) aufgetretene Vertreter folgende Anträge: "Namens und in Vollmacht der Kläger beantragen wir vorab, den Klägerinnen Prozeßkostenhilfe unter Beiordnung des Unterzeichners zu bewilligen. Sodann beantragen wir, die von der Beklagten ... betriebene Zwangsvollstreckung ... wird für unzulässig erklärt." Daran anschließend begründete er den Antrag auf Prozeßkostenhilfe (PKH) und die Klage und unterschrieb den Schriftsatz. In einem weiteren Schriftsatz vom 29. Mai 1996 -- der zeitgleich mit dem erstgenannten Schriftsatz beim FG eingegangen ist -- stellte er als Prozeßbevollmächtigter nochmals einen PKH-Antrag sowie die Anträge, die Zwangsvollstreckung einstweilen einzustellen und die erfolgte Pfändung aufzuheben. Auch in diesem Schriftsatz wurden der PKH- Antrag und die beiden folgenden Anträge mit den Worten "vorab" und "sodann" miteinander verknüpft.
Mit weiteren Schriftsätzen wurden sodann sämtliche Anträge gegenüber dem FG zurückgenommen. Daraufhin stellte das FG das Verfahren hinsichtlich der Drittwiderspruchsklage und der hierfür beantragten PKH und mit Beschluß vom gleichen Tage auch das Verfahren wegen Aussetzung der Vollziehung gemäß § 72 Abs. 2 Satz 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) ein. Da der Prozeßbevollmächtigte trotz Aufforderung keine Vollmacht vorgelegt hatte, wurden ihm die Gerichtskosten auferlegt.
Mit der Beschwerde begehren die Beschwerdeführerinnen die Aufhebung des ersten Beschlusses. Es wird geltend gemacht, das FG sei zu Unrecht von einer unbedingten Klageerhebung ausgegangen. In den Schriftsätzen sei deutlich darauf hingewiesen worden, daß die Klage nur für den Fall einer Bewilligung von PKH erhoben werden sollte. Da der Antrag auf PKH zurückgenommen worden sei, hätte es auch nicht zur Rechtshängigkeit der Klage mit der vom FG angenommenen Kostenfolge kommen können. In der Entscheidung der Vorinstanz liege daher eine "greifbare Gesetzeswidrigkeit", da die Rechtsordnung verfahrenseinstellende Beschlüsse in PKH-Sachen nicht kenne.
Der Beschwerdegegner (das Finanzamt -- FA --) beantragt, die Beschwerde abzuweisen, da das FG das Verfahren zu Recht eingestellt habe, nachdem die unbedingt erhobene Klage zurückgenommen worden sei.
Entscheidungsgründe
Die Beschwerde hat Erfolg.
1. Die Beschwerde ist zulässig. Mit der Beschwerde wenden sich die Beschwerdeführerinnen sowohl gegen die nicht isoliert anfechtbare Kostenentscheidung (vgl. Beschluß des Bundesfinanzhofs -- BFH -- vom 17. Dezember 1992 III B 228/92, BFH/NV 1994, 117) als auch gegen den das Verfahren einstellenden Teil des Beschlusses. Im Kern ihres Vorbringens machen sie die Unwirksamkeit der Klagerücknahme aufgrund der fehlenden Rechtshängigkeit der Klage und damit die Fehlerhaftigkeit des die Verfahrensbeendigung deklaratorisch feststellenden Beschlusses geltend. Ihr Rechtsschutzbegehren geht damit über die Be freiung von der sich bei einer wirksamen Klagerücknahme ergebenden Kostenfolge des § 136 Abs. 2 FGO hinaus. Nach der Rechtsprechung des BFH ist in diesem Fall eine Beschwerde gegen den Einstellungsbeschluß grundsätzlich statthaft (vgl. Beschlüsse des BFH vom 26. Mai 1988 V B 19/88, BFH/NV 1989, 178, und vom 30. November 1987 IV B 103/87, BFH/NV 1988, 459).
2. Die Beschwerde ist auch begründet. Sie führt zur Aufhebung des Einstellungsbeschlusses und zur Zurückverweisung der Sache an das FG.
Nach ständiger Rechtsprechung des BFH kommt einem Beschluß nach § 72 Abs. 2 Satz 2 FGO nur eine deklaratorische Bedeutung zu. In ihm wird lediglich die Feststellung getroffen, daß das gerichtliche Verfahren beendet ist; über das Vorliegen einer Klagerücknahme oder deren Wirksamkeit wird indes nicht entschieden (BFH-Beschluß vom 17. April 1996 I B 6/96, BFH/ NV 1996, 827, m. w. N.). Wird nach Er gehen des Einstellungsbeschlusses die Unwirksamkeit der Klagerücknahme geltend gemacht, hat das FG das Klageverfahren fortzusetzen und entweder in der Sache zu entscheiden oder auszusprechen, daß die Klage zurückgenommen worden ist (BFH- Beschluß vom 9. Mai 1972 IV B 99/70, BFHE 105, 246, BStBl II 1972, 543). Hilft das FG einer gegen den Einstellungsbeschluß gerichteten Beschwerde nicht ab, ist der Einstellungsbeschluß aufzuheben und die Sache zur Fortsetzung des Verfahrens an das FG zurückzuverweisen. Dies gilt nicht nur dann, wenn mit dem Ziel der Fortsetzung des Klageverfahrens die Unwirksamkeit der Klagerücknahme geltend gemacht wird, sondern auch in den Fällen, in denen der Kläger vorbringt, die Voraussetzungen für eine wirksame Klageerhebung hätten nicht vorgelegen, so daß die Klage nicht rechtshängig geworden sei (BFH-Beschluß in BFH/NV 1989, 178).
Im Streitfall haben die Beschwerdeführerinnen substantiiert Gründe vorgetragen, die der Annahme einer unbedingten Klageerhebung entgegenstehen könnten. In diesem Fall hätte das FG das Verfahren nicht nach § 72 Abs. 2 Satz 2 FGO einstellen dürfen, sondern hätte über die Wirksamkeit der Klageerhebung und damit auch über die rechtliche Bedeutung der Klagerücknahme entscheiden müssen. Der Einstellungsbeschluß kann daher keinen Bestand haben. Die Sache ist an das FG zurückzuverweisen, um diesem Gelegenheit zu geben, die rechtsfehlerhaft nicht vorgenommene Überprüfung der Wirksamkeit der Klage erhebung bzw. der Klagerücknahme nachzuholen. Das FG wird nunmehr darüber zu befinden haben, ob die Beschwerdeführerinnen durch die im Schriftsatz vom 13. Mai 1996 verwendeten Worte "vorab" und "sodann" hinreichend deutlich gemacht haben, daß sie die Rechtshängigkeit der Klage nicht sofort, sondern nur für den Fall der Gewährung der begehrten PKH herbeiführen wollten. In diesem Zusammenhang weist der Senat auf folgende Entscheidungen hin: Urteil des Bundesgerichtshofs vom 8. Februar 1995 XII ZR 24/94 (Zeitschrift für das gesamte Familienrecht -- FamRZ -- 1995, 797), Beschlüsse des Oberlandesgerichts (OLG) Karlsruhe vom 12. Juni 1987 16 WF 248/86 (FamRZ 1988, 91) und des OLG Köln vom 25. Mai 1984 4 WF 133/84 (FamRZ 1984, 916). Diesen Entscheidungen könnten Anhaltspunkte für die Entscheidung darüber zu entnehmen sein, ob im Streitfall von einer unbedingten Klageerhebung nicht ausgegangen werden kann.
3. Die Entscheidung über die Kosten des Beschwerdeverfahrens bleibt der Entscheidung des FG im Hauptsacheverfahren vorbehalten (§ 143 Abs. 2 FGO). Da es bei richtiger Behandlung der Beschwerde durch das FG nicht zu einem Beschwerdeverfahren vor dem BFH gekommen wäre, wird das FG auch prüfen müssen, ob ein Absehen von der Erhebung der Gerichtskosten nach § 8 Abs. 1 des Gerichtskostengesetzes in Betracht kommt (vgl. Beschluß in BFH/NV 1988, 459).
Fundstellen
Haufe-Index 422108 |
BFH/NV 1997, 676 |