Entscheidungsstichwort (Thema)
Anforderungen an eine Divergenzrüge bei kumulativer Begründung des angefochtenen FG-Urteils
Leitsatz (NV)
Wurde das angefochtene FG-Urteil kumulativ auf mehrere selbständig tragende Gründe gestützt, so muss der Beschwerdeführer hinsichtlich jeder dieser Begründungen einen Zulassungsgrund i.S. von § 115 Abs. 2 FGO geltend machen, anderenfalls ist die Rüge unzulässig.
Normenkette
FGO § 115 Abs. 2
Verfahrensgang
Gründe
Die Beschwerde ist unbegründet. Die vom Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) erhobenen Divergenzrügen haben keinen Erfolg.
1. Soweit der Kläger die Zulassung der Revision wegen Abweichung der angefochtenen Vorentscheidung von dem Urteil des Bundesfinanzhofs (BFH) vom 27. Mai 1987 X R 41/81 (BFH/NV 1987, 691) begehrt, entspricht seine Rüge nicht den Anforderungen des § 116 Abs. 3 Satz 3 der Finanzgerichtsordnung (FGO) in der Fassung des Zweiten Gesetzes zur Änderung der Finanzgerichtsordnung und anderer Gesetze (2.FGOÄndG) vom 19. Dezember 2000 (BGBl I 2000, 1757) ―FGO n.F.―.
Mit seiner dahin gehenden Divergenzrüge macht der Kläger sinngemäß das Vorliegen eines Revisionszulassungsgrundes i.S. von § 115 Abs. 2 Nr. 2 2. Alternative FGO n.F. (Erfordernis einer Entscheidung des BFH zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung) geltend.
a) Der Kläger trägt vor, das angefochtene Urteil des Finanzgerichts (FG) beruhe auf dem Rechtssatz, dass ein Steuererlass aus persönlichen Gründen unter dem Gesichtspunkt einer fehlenden Erlassbedürftigkeit ausscheide, wenn der Steuerpflichtige neben einer unter der Pfändungsfreigrenze liegenden Altersrente über Grundvermögen verfüge, das nicht mehr zum Schonvermögen i.S. von § 88 des Bundessozialhilfegesetzes (BSHG) gehöre und aus diesem Grund für Zwecke der Tilgung der Steuerschuld verwertet werden könne.
Dieser Rechtssatz widerspreche dem folgenden Rechtssatz aus dem Urteil des beschließenden Senats in BFH/NV 1987, 691 (693): "Es ist zwar richtig, dass der Steuerpflichtige grundsätzlich gehalten ist, zur Zahlung seiner Steuerschulden alle verfügbaren Mittel einzusetzen und dabei auch seine Vermögenssubstanz anzugreifen. Dies gilt allerdings nicht in den Fällen, in denen die Verwertung der Vermögenssubstanz die Vernichtung der Existenz des Steuerpflichtigen bedeuten würde. Daher ist nach der Rechtsprechung des BFH im Rahmen der Billigkeitsprüfung alten, nicht mehr erwerbsfähigen Steuerpflichtigen wenigstens so viel von ihrem Vermögen zu belassen, dass sie damit für den Rest ihres Lebens eine bescheidene Lebensführung bestreiten können."
b) Der Senat kann offen lassen, ob insoweit eine Divergenz der angefochtenen Vorentscheidung von dem zitierten Rechtssatz aus dem Senatsurteil in BFH/NV 1987, 691 vorliegt. Denn das FG hat, soweit es in Übereinstimmung mit dem Beklagten und Beschwerdegegner (Finanzamt ―FA―) das Vorliegen der Voraussetzungen für einen Steuererlass aus persönlichen Billigkeitsgründen verneint hat, seine Entscheidung kumulativ auf zwei Gründe gestützt, von denen jeder für sich das Entscheidungsergebnis trägt:
aa) Zum einen hat das FG die für einen Steuererlass aus persönlichen Gründen erforderliche Erlassbedürftigkeit mit der vom Kläger beanstandeten Erwägung verneint, dass der Kläger verpflichtet sei, sein vorhandenes Grundvermögen zur Tilgung seiner Steuerschulden einzusetzen (näher dazu S. 12 f. des FG-Urteils).
bb) Unabhängig davon hat das FG die fehlende Erlassbedürftigkeit aber auch mit dem selbständig tragenden Argument verneint, dass die wirtschaftliche Existenz des Klägers ohne den begehrten Steuererlass auch deswegen nicht gefährdet sei, weil der Kläger nicht nur über (unpfändbare) monatliche Rentenbezüge in Höhe von 496 € verfüge, die weit über dem Sozialhilfe-Regelsatz von 293 € lägen, sondern darüber hinaus monatliche Vermietungseinkünfte in Höhe von 860,50 € erziele, die nur eingeschränkt pfändbar seien und dementsprechend vom Kläger grundsätzlich zur Tilgung seiner Steuerschulden verwendet werden könnten. So lange aber ―wie hier― eine Möglichkeit bestehe, dass der Kläger seine Steuerschulden ―wenn auch im Hinblick auf deren Höhe nur langfristig und ratenweise― tilgen könne, ohne dass seine wirtschaftliche Existenz gefährdet sei, bestehe für einen Erlass aus persönlichen Billigkeitsgründen kein Anlass (S. 11 f. FG-Urteil).
cc) Entgegen der Auffassung des Klägers steht es der Qualifizierung der unter 1. b bb skizzierten Argumentationslinie des FG als gegenüber den unter 1. b aa aufgezeigten Erwägungen des FG eigenständige, selbständig tragende Entscheidungsbegründung augenscheinlich nicht entgegen, dass das FG (vgl. S. 12 der Vorentscheidung) diese Ausführungen nur als "Hilfsüberlegungen zur Darstellung der fehlenden Erlassbedürftigkeit" bezeichnet hat "sofern man … die Auffassung vertritt, dem Kläger sei es nicht zumutbar, sein Grundvermögen zu verwerten" (vgl. hierzu z.B. BFH-Beschluss vom 12. Mai 2000 IV B 74/99, BFH/NV 2000, 1133).
c) Wurde indes das Urteil des FG ―wie im Streitfall― kumulativ auf mehrere selbständig tragende Gründe gestützt, so muss der Beschwerdeführer hinsichtlich jeder dieser Begründungen einen Zulassungsgrund i.S. von § 115 Abs. 2 FGO geltend machen (vgl. z.B. Senatsbeschluss vom 17. April 2000 X B 9/00, BFH/NV 2000, 1334; Gräber/Ruban, Finanzgerichtsordnung, 5. Aufl., § 116 Rz. 28, m.w.N. der Rechtsprechung); anderenfalls ist die Rüge unzulässig (vgl. z.B. BFH-Beschluss in BFH/NV 2000, 1133).
So liegt es im Streitfall; denn der Kläger hat eine Zulassungsrüge lediglich hinsichtlich der unter 1. b aa dargestellten Begründung, nicht hingegen auch bezüglich der unter 1. b bb skizzierten Begründung des FG-Urteils erhoben.
2. Die Beschwerde des Klägers kann auch insoweit keinen Erfolg haben, als er ―im Zusammenhang mit der Ablehnung eines Steuererlasses aus sachlichen Billigkeitsgründen― eine Abweichung des angefochtenen FG-Urteils von dem Senatsurteil vom 26. Oktober 1994 X R 104/92 (BFHE 176, 3, BStBl II 1995, 297) rügt.
a) Der Kläger trägt hierzu vor, der beschließende Senat habe in seinem Urteil in BFHE 176, 3, BStBl II 1995, 297 entschieden, dass die Erhebung einer Einkommensteuerschuld, der in Wirklichkeit keinerlei Zuwachs an Leistungskraft zugrunde liege, gegen das Übermaßverbot und gegen das Prinzip der Besteuerung nach der Leistungsfähigkeit verstoße; dem könne nur durch (sachlichen) Billigkeitserlass begegnet werden.
Von diesem Rechtssatz sei das FG dadurch abgewichen, dass es seinem Urteil folgenden Rechtssatz zugrunde gelegt habe: "Ist ein Zuwachs an Leistungsfähigkeit ―ggf. auch in früheren Jahren― nicht feststellbar, so ist ein Billigkeitserlass gleichwohl nur möglich, wenn ohne einen solchen Erlass das Übermaßverbot verletzt würde."
b) Entgegen der Ansicht des Klägers ist das FG von dem unter 2. a zitierten Rechtssatz aus dem Senatsurteil in BFHE 176, 3, BStBl II 1995, 297 nicht abgewichen.
aa) Die vollständigen Ausführungen des FG in diesem Zusammenhang lauten wie folgt:
"Die Erhebung einer hohen Steuerschuld kann zwar auch dann sachlich unbillig sein, wenn ein Zuwachs an Leistungsfähigkeit ―ggf. auch in früheren Jahren― nicht feststellbar ist. Voraussetzung ist aber, dass ohne Erlass das Übermaßverbot verletzt würde (vgl. nur BFH-Urteil … BStBl II 1995, 297, m.w.N.). Hiervon kann jedoch im Falle des Klägers nach Aktenlage nicht ausgegangen werden. Dieser hat über Jahre hinweg Verbindlichkeiten in seinen Bilanzen aufgeführt, ohne dass er im Einzelnen dargestellt hat, dass diese Handhabung ohne jegliche steuerliche Auswirkung zu seinen Gunsten war und somit die ertragswirksame Auflösung der Verbindlichkeiten in seinem konkreten Falle ―anders als im Regelfall― nicht dem Ausgleich bereits erlangter steuerlicher Vorteile dient."
bb) Dem Kläger ist zuzugeben, dass die Annahme einer Divergenz auf den ersten Blick dann nicht als unbegründet erscheint, wenn man die ersten beiden Sätze der vorstehend wiedergegebenen Passage aus dem FG-Urteil isoliert betrachtet. Bezieht man jedoch ―wie geboten― auch die beiden anschließenden Sätze in die Beurteilung ein, so wird die fehlende Abweichung der von der Vorinstanz vertretenen Rechtsauffassung von der zitierten Senatsentscheidung deutlich.
Das FG hat einen Verstoß gegen das (rechtsstaatliche) Übermaßverbot und gegen den Grundsatz der Besteuerung nach der (individuellen) Leistungsfähigkeit (allein) deswegen abgelehnt, weil der (die objektive Beweislast tragende) Kläger nicht im Einzelnen habe darlegen und nachweisen bzw. glaubhaft machen können, dass der frühere Ausweis der in Rede stehenden Verbindlichkeiten nicht zu steuerlichen Vorteilen geführt habe.
Mit dieser Aussage ist das FG indessen nicht von dem Senatsurteil in BFHE 176, 3, BStBl II 1995, 297 abgewichen. Der dortige Sachverhalt betraf den Sonderfall des Wegfalls eines vor In-Kraft-Treten des § 15a des Einkommensteuergesetzes (EStG) entstandenen negativen Kapitalkontos eines Kommanditisten, welcher grundsätzlich zu einer Nachversteuerung der dem Kommanditisten früher zugewiesenen ―sofort ausgleichsfähigen bzw. nach § 10d EStG abziehbaren― Verluste hätte führen müssen. Da sich jedoch die dem Kommanditisten früher zugewiesenen und zu einem negativen Kapitalkonto führenden Verlustanteile nachweislich nicht steuermindernd ausgewirkt hatten, bedurfte es auch keiner Rückgängigmachung solcher Steuerminderungen durch Nachversteuerung des nunmehr weggefallenen negativen Kapitalkontos. Eine solche Nachversteuerung in Bezug auf einen in concreto nicht wahrgenommenen und wahrnehmbaren Steuervorteil hätte gegen das Übermaßverbot und gegen den Grundsatz der Besteuerung nach der Leistungsfähigkeit verstoßen und musste deshalb durch einen Steuererlass aus sachlichen Billigkeitsgründen vermieden werden.
Im Unterschied zu dem hier vorliegenden Streitfall stand im dort beurteilten Sachverhalt also eindeutig fest, dass die frühere bilanzielle Handhabung beim Steuerpflichtigen nicht zu steuerlichen Vorteilen (zu Steuerminderungen) geführt hatte.
cc) Ob die vom FG im angefochtenen Urteil getroffene Aussage, der Kläger habe "über Jahre hinweg Verbindlichkeiten in seinen Bilanzen aufgeführt, ohne dass er im Einzelnen dargestellt (habe), dass die Handhabung ohne jegliche steuerliche Auswirkung zu seinen Gunsten (gewesen sei)", unter Verletzung der dem Gericht obliegenden Sachaufklärungspflicht (vgl. § 76 Abs. 1 Satz 1 FGO) zustande kam, braucht der Senat mangels Erhebung einer entsprechenden Verfahrensrüge nicht zu prüfen.
3. Von einer Darstellung des Sachverhalts und einer weiteren Begründung wird gemäß § 116 Abs. 5 Satz 2 FGO n.F. abgesehen.
Fundstellen