Leitsatz (amtlich)
Bei der Entrichtung von Umsatzsteuervorauszahlungen, die auf Grund des allgemeinen Gesetzesbefehls nach § 13 Abs. 1 Satz 2 UStG 1951 geleistet wurden und später auf die bei der Veranlagung festgesetzte Steuer gemäß § 13 Abs. 3 UStG 1951 zur Tilgung der Steuerschuld angerechnet worden sind, handelt es sich zwar um die Erfüllung gesetzlicher Verpflichtungen, der Umsatzsteuerbescheid ist aber im Umfang der entrichteten Vorauszahlungen nicht als "vollzogen" im Sinne des § 69 Abs. 3 Satz 4 FGO anzusehen.
Normenkette
FGO § 69 Abs. 3
Tatbestand
Die Beschwerdegegnerin (Steuerpflichtige) war in den Jahren 1965 und 1966 Großhändlerin einer Kraftfahrzeugfabrik und als solche berechtigt, andere bestimmte Händler und Endabnehmer mit Wagen und Ersatzteilen zu beliefern. Noch während der Laufzeit des Großhändlervertrags gestaltete das Herstellerwerk seine Vertriebsorganisation um mit der Folge, daß die Steuerpflichtige letztlich nur noch an Endabnehmer liefern durfte. Er sagte der Steuerpflichtigen eine finanzielle Berücksichtigung der Tatsache zu, daß deren bisheriges Geschäft mit Händlern entfallen wird, und zahlte in den streitigen Veranlagungszeiträumen die zugesagten Beträge.
Der Beschwerdeführer (FA) behandelte diese Zahlungen in den Umsatzsteuerbescheiden für 1965 und 1966 als Leistungsentgelte und nicht als Schadensersatz, wie die Steuerpflichtige begehrte. Über die nach erfolglosem Einspruch erhobene Klage hat das FG noch nicht entschieden. Es hat jedoch dem gleichzeitig gestellten Antrag der Steuerpflichtigen nach § 69 Abs. 3 FGO wegen des gesamten streitigen Betrags entsprochen, indem es die Aussetzung der Vollziehung in Höhe der noch nicht entrichteten Steuern anordnete und die Vollziehung, soweit die Steuerschuld durch Vorauszahlungen getilgt war, aufhob. Die Aufhebung der Vollziehung hat die Vorinstanz wie folgt begründet: Die Steuerpflichtige habe bei den monatlichen Voranmeldungen und Vorauszahlungen steuerfreie Umsätze nach § 4 Nr. 4 und 8 UStG 1951 unberücksichtigt gelassen und diese erst in den Jahreserklärungen geltend gemacht, um nach den Veranlagungen Erstattung oder Verrechnung der überzahlten Beträge zu verlangen. Sie habe zwar insoweit freiwillig Vorauszahlungen geleistet, jedoch nicht auf den jetzt streitigen Teil der Umsatzsteuer. Die Bescheide für 1965 und 1966 ständen einer Erstattung der nach den Jahreserklärungen überzahlten Beträge entgegen. Daher habe sich die Steuerpflichtige trotz freiwillig geleisteter Vorauszahlungen des Rechtsschutzes auf Aufhebung der Vollziehung nicht begeben.
Mit der Beschwerde wendet sich das FA unter Bezugnahme auf die Rechtsprechung des BFH gegen die Vorentscheidung, soweit das FG die Vollziehung in Höhe der für die Jahre 1965 und 1966 geleisteten Vorauszahlungen zwecks Erstattung dieser Beträge aufgehoben hat.
Entscheidungsgründe
Aus den Gründen:
Die Beschwerde des FA ist begründet.
Nach § 69 Abs. 3 Satz 4 FGO kann das Gericht, wenn der angefochtene Verwaltungsakt im Zeitpunkt seiner Entscheidung über den Aussetzungsantrag schon vollzogen ist, beim Vorliegen der Vorausssetzungen des § 69 Abs. 2 FGO die Aufhebung der Vollziehung anordnen, d. h. also diese wieder rückgängig machen. Die Behörde ist dann verpflichtet, den Zustand wiederherzustellen, der vor der Vollziehung bestand, sie muß insbesondere die gezahlte Steuer erstatten oder auf Antrag des Steuerpflichtigen verrechnen. Diese Wirkung kann nach dem Wortlaut des § 69 Abs. 3 Satz 4 FGO nur angeordnet werden, wenn der Verwaltungsakt bereits "vollzogen" war. Der Begriff "Vollziehung" wird bisher in der Rechtsprechung der Steuergerichte nicht einheitlich ausgelegt. Das FG Rheinland-Pfalz hat in dem nicht rechtskräftigen Beschluß II 2 a/69 vom 6. Februar 1969 (EFG 1969, 248) dahin erkannt, daß die Vollziehung auch dann aufzuheben ist, wenn die Steuerschuld auf Grund des Leistungsgebots in einem Steuer- oder Vorauszahlungsbescheid ohne besondere Aufforderung, Mahnung und dergleichen gezahlt wurde. Es wich ausdrücklich von der Rechtsprechung mehrerer Senate des BFH ab, in denen die Auffassung vertreten wird, daß die Entgegennahme und Verbuchung von Voraus- und Abschlußzahlungen auf Grund eines steuerrechtlichen Leistungsgebots ohne besondere Einwirkung der Behörde nicht als Vollziehung, sondern als freiwillige Zahlung zu behandeln ist (vgl. Beschlüsse des BFH I B 3/66 vom 9. August 1966 BFH 86, 723, BStBl III 1966, 646; I B 30/66 vom 15. Februar 1967, BFH 88, 76, BStBl III 1967, 293; I B 67/67 vom 17. Januar 1968, BFH 91, 301, BStBl II 1968, 311; III B 55/67 vom 10. Mai 1968, BFH 92, 374 BStBl II 1968, 610 und VII B 13/66 vom 28. November 1967, BFH 91, 323). Der II. Senat des BFH hat demgegenüber in dem Beschluß II B 41/67 vom 14. Mai 1968 (BFH 92, 179, BStBl II 1968, 503) in den Gründen dargelegt, die bereits erfolgte Zahlung stehe der Aussetzung der Vollziehung nicht entgegen. Er hat ferner, ohne sich der Ansicht des I. Senats in den oben genannten Entscheidungen anzuschließen, seinem Beschluß II B 21/68 vom 4. März 1969 (BFH 94, 571, BStBl II 1969, 264) inhaltlich den Rechtssatz vorangestellt, daß ein Steuerpflichtiger, der freiwillig das auf dem angefochtenen Bescheid beruhende Leistungsgebot befolgt, auch dann den vorläufigen Rechtsschutz des § 69 FGO beanspruchen kann, wenn das FA ihn aufgefordert hatte, die Steuerschuld zur Vermeidung von Säumniszuschlägen und Vollstreckungsmaßnahmen zu entrichten.
Der Senat hält es in dem zu entscheidenden Fall nicht für erforderlich, sich einer der oben dargestellten Meinungen anzuschließen oder dazu im einzelnen Stellung zu nehmen. Die genannten Entscheidungen gehen davon aus, daß die Steuerpflichtigen (oder Dritte) Zahlungen auf Grund von speziellen, in Jahressteuer-, Vorauszahlungs- oder Haftungsbescheiden enthaltenen Leistungsgeboten entrichtet haben. An einem solchen gegen die Steuerpflichtige gerichteten besonderen Leistungsgebot fehlt es hier. Die Steuerpflichtige hat vielmehr auf der Grundlage des allgemeinen gesetzlichen Leistungsbefehls in § 13 Abs. 1 UStG 1951 nach dem Selbsterklärungsprinzip die Steuer in den monatlichen Voranmeldungen selbst berechnet und die Vorauszahlungen zu den im Gesetz vorgesehenen Fälligkeitsterminen geleistet. Das FA hat auf die Entrichtung der Umsatzsteuervorauszahlungen weder durch Erlaß eines speziellen, nur die Steuerpflichtige betreffenden Leistungsgebots noch durch Zahlungsaufforderungen oder Mahnungen eingewirkt. Es hat lediglich die in den Selbsterrechnungserklärungen der Steuerpflichtigen aufgeführten Beträge zum Soll gestellt und die von der Steuerpflichtigen geleisteten Zahlungen zum Ausgleich des Soll entgegengenommen. Bei den nach Ablauf der Kalenderjahre 1965 und 1966 durchgeführten Veranlagungen zur Umsatzsteuer rechnete das FA gemäß § 13 Abs. 3 UStG 1951 lediglich die für diese Veranlagungszeiträume entrichteten Vorauszahlungen auf die Steuerschuld an, indem es sie kassentechnisch umbuchte. Der gesamte Vorgang - Abgabe der Voranmeldungen sowie Leistung entsprechender Vorauszahlungen durch die Steuerpflichtige und Entgegennahme der Zahlungen sowie Anrechnung auf die Steuerschuld durch das FA - läßt erkennen, daß die Steuerpflichtige den ihr gesetzlich auferlegten Pflichten ohne jede Einwirkung der Behörde nachgekommen ist. In einem solchen Fall, bei dem ein konkretes Leistungsgebot für die auf die Steuerschuld angerechneten Vorauszahlungen fehlt, ist der Verwaltungsakt in Höhe der geleisteten Vorauszahlungen zwar als erfüllt anzusehen. Er ist bei dieser Sach- und Rechtslage jedoch nicht als "vollzogen" zu behandeln, so daß die "Vollziehung" nicht aufgehoben werden kann. Der Senat vertritt für das Gebiet der Umsatzsteuer die Ansicht, daß es sich bei der Entrichtung von Umsatzsteuervorauszahlungen, die auf Grund des allgemeinen Gesetzesbefehls nach § 13 Abs. 1 Satz 2 UStG 1951 geleistet und später auf die bei der Veranlagung festgesetzte Steuer gemäß § 13 Abs. 3 UStG 1951 zur Tilgung der Steuerschuld angerechnet worden sind, zwar um die Erfüllung gesetzlicher Verpflichtungen handelt, der Umsatzsteuerbescheid im Umfang der entrichteten Vorauszahlungen aber nicht als "vollzogen" im Sinne des § 69 Abs. 3 Satz 4 FGO anzusehen ist. Es kann bei dem gegebenen Sachverhalt unerörtert bleiben, wie zu entscheiden wäre, wenn ein Steuerpflichtiger die Umsatzsteuer zwar vorangemeldet, aber nicht entrichtet oder wenn er eine Voranmeldung nicht abgegeben hat. In beiden Fällen müßte nämlich die Behörde, um Vollziehungsmaßnahmen durchführen zu können, besondere Leistungsgebote erlassen (§ 326 Abs. 5 AO a. F., § 326 Abs. 3 Nr. 1 AO bzw. § 13 Abs. 2 Satz 3 UStG 1951).
Den Ausführungen des FG, die "Vollziehung" der angefochtenen Umsatzsteuerbescheide 1965 und 1966 sei deshalb aufzuheben, weil die Vorauszahlungen nicht für die streitigen Beträge des Herstellerwerks, sondern wegen der Nichtberücksichtigung steuerfreier Umsätze nach § 4 Nr. 4 und 8 UStG 1951 geleistet worden seien, kann der Senat nicht folgen.
In den Umsatzsteuervoranmeldungen sind die vereinnahmten oder vereinbarten Entgelte für einen bestimmten Zeitabschnitt zu erklären. Die Berechnung des Steuerbetrags berücksichtigt nicht den einzelnen steuerbaren Umsatz oder einzelne Besteuerungsgrundlagen nach der Art der Lieferungen, sondern faßt alle Umsätze eines bestimmten Zeitraums zusammen. Die vom Steuerpflichtigen selbst zu errechnenden Vorauszahlungen werden also nicht für genau zu bezeichnende Umsätze geleistet. Sie sind vielmehr dem Begriff nach in einem vereinfachten Verfahren vorab zu entrichtende Beträge auf die nach der Veranlagung fällig werdende Umsatzsteuerschuld eines Veranlagungszeitraums, auf die sie nach § 13 Abs. 3 UStG 1951 anzurechnen sind, ohne daß es auf die Art der Berechnung und deren Motive ankommt.
Fundstellen
BStBl II 1969, 527 |
BFHE 1969, 44 |