Entscheidungsstichwort (Thema)
NZB: Grundsätzliche Bedeutung, Divergenz, Festsetzungsverjährung, Abgangsvermerk der FA-Poststelle
Leitsatz (NV)
- Die Rechtsfrage, ob sich die Finanzbehörde für den Beweis, dass der Steuerbescheid vor Ablauf der Festsetzungsverjährung nach § 169 Abs. 1 Satz 3 Nr. 1, Abs. 2 i.V.m. § 170 Abs. 2 Nr. 1 AO 1977 ihren Bereich rechtzeitig verlassen hat, auf den allgemeinen organisatorischen Verfahrensablauf berufen kann oder ein Postausgangsbuch zu führen hat, hat keine grundsätzliche Bedeutung, denn sie ist durch BFH-Urteil vom 28. September 2000 III R 43/97 (BFHE 193, 28, BStBl II 2001, 211) geklärt.
- Bei fehlendem Abgangsvermerk durch die FA-Poststelle greifen die Grundsätze des Anscheinsbeweises auch unter Berufung auf den allgemeinen organisatorischen behördeninternen Verfahrensablauf nicht, denn eine Ausgangskontrolle ist gerade nicht gewährleistet. Das FG hat sich daher seine Überzeugung vom Nichtverlassen oder rechtzeitigen Verlassen des Bereichs der Finanzbehörde in Richtung Post aufgrund einer Gesamtwürdigung aller in Betracht zu ziehenden Umstände des Einzelfalles zu bilden.
- Die darin liegende Tatsachen- und Beweiswürdigung gehört ‐ auch im NZB-Verfahren ‐ zu den bindenden tatsächlichen Feststellungen des FG i.S. des § 118 Abs. 2 FGO, die in einem Revisionsverfahren nur daraufhin zu überprüfen wären, ob gegen Denkgesetze und Erfahrungssätze verstoßen wurde.
Normenkette
FGO § 115 Abs. 2 Nrn. 1, 3, § 116 Abs. 3 S. 3, § 118 Abs. 2; AO 1977 § 169 Abs. 1 S. 3 Nr. 1, Abs. 2, § 170 Abs. 2 Nr. 1
Gründe
Die Beschwerde ist unzulässig. Ihre Begründung entspricht nicht den Darlegungserfordernissen des § 116 Abs. 3 Satz 3 i.V.m. § 115 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO). Im Übrigen liegen die geltend gemachten Zulassungsgründe auch nicht vor.
1. Die von den Klägern und Beschwerdeführern (Kläger) aufgeworfene Rechtsfrage, ob sich die Finanzbehörde für den Beweis, dass der Steuerbescheid vor Ablauf der Festsetzungsverjährung nach § 169 Abs. 1 Satz 3 Nr. 1, Abs. 2 i.V.m. § 170 Abs. 2 Nr. 1 der Abgabenordnung (AO 1977) ihren Bereich rechtzeitig verlassen hat, ohne Führung eines Postausgangsbuchs und Vermerk des Abgangs durch die Postausgangsstelle auf den allgemeinen organisatorischen Verfahrensablauf berufen kann oder ein Postausgangsbuch zu führen hat, hat keine grundsätzliche Bedeutung i.S. von § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO; denn sie ist geklärt. Die Kläger haben darüber hinaus nicht schlüssig dargetan, weshalb gleichwohl eine erneute Entscheidung des Bundesfinanzhofs (BFH) erforderlich sein soll (vgl. BFH-Beschlüsse vom 9. November 1999 VIII B 85/99, BFH/NV 2000, 472; vom 7. November 2001 XI B 37/01, BFH/NV 2002, 511). In diesen Fällen bedarf es auch keiner Entscheidung zur Fortbildung des Rechts i.S. von § 115 Abs. 2 Nr. 2 FGO (vgl. BFH-Beschluss vom 20. März 2002 IX B 160/01, BFH/NV 2002, 903; Gräber/Ruban, Finanzgerichtsordnung, 5. Aufl. 2002, § 115 Rz. 41).
Nach der Entscheidung des BFH vom 28. September 2000 III R 43/97 (BFHE 193, 28, BStBl II 2001, 211) ist zwar das Erfordernis eines Nachweises der Absendung fristwahrender Steuerbescheide durch ein Fristenkontrollbuch bzw. Postausgangsbuch, wie es für die Kontrolle fristwahrender Schriftsätze für erforderlich gehalten wird, zu weitgehend. Jedoch kann von der Finanzbehörde wenigstens verlangt werden, dass sie die ordnungsgemäße Absendung eines fristwahrenden Steuerbescheides durch einen Absendevermerk der Poststelle in den Akten festhält. Liegt ein solcher Vermerk vor, ist der Finanzbehörde die Beweiserleichterung des Anscheinsbeweises für die ordnungsgemäße Absendung von die Festsetzungsfrist wahrenden Steuerbescheiden zuzubilligen; anderenfalls muss das Finanzgericht (FG) nach seiner freien, aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung beurteilen, ob es die rechtzeitige Absendung für nachgewiesen hält oder nicht (vgl. BFH in BFHE 193, 28, BStBl II 2001, 211).
In ausdrücklicher Anlehnung an die vorstehenden Rechtsprechungsgrundsätze hat das FG im Streitfall, in dem ein Abgangsvermerk von (einem Sachbearbeiter) der Veranlagungs-Verwaltungs-Stelle, nicht aber von der Poststelle gefertigt wurde, die Anwendung der Grundsätze des Anscheinsbeweises abgelehnt und ist unter Würdigung der Umstände des Streitfalles und der Zeugenaussagen zu der Überzeugung gelangt, dass der strittige Änderungsbescheid den Bereich des Beklagten und Beschwerdegegners (Finanzamt ―FA―) rechtzeitig in Richtung Post verlassen hat. Die darin liegende Tatsachen- und Beweiswürdigung, die zu den bindenden tatsächlichen Feststellungen des FG i.S. des § 118 Abs. 2 FGO auch in einem Beschwerdeverfahren wegen Nichtzulassung der Revision zählen, wären in einem Revisionsverfahren ohnehin nur daraufhin zu überprüfen, ob gegen Denkgesetze und Erfahrungssätze verstoßen wurde.
2. Eine vom Urteil des FG abweichende und zudem unterschiedliche Rechtsprechung der Finanzgerichte, des BFH und des Bundesgerichtshofs (BGH) ist weder schlüssig dargelegt noch ist sie gegeben.
Aus dem Urteil des Niedersächsischen FG (in Entscheidungen der Finanzgerichte ―EFG― 2001, 1406) ergibt sich lediglich, dass bei fehlendem Abgangsvermerk durch die Poststelle ―wie auch im Streitfall auf der Grundlage des BFH-Urteils in BFHE 193, 28, BStBl II 2001, 211― die Grundsätze des Anscheinsbeweises unter Berufung auf den allgemeinen organisatorischen behördeninternen Verfahrensablauf nicht greifen und daher das FG aufgrund einer Gesamtwürdigung aller in Betracht zu ziehenden Umstände des Einzelfalls seine Überzeugung vom Verlassen oder Nichtverlassen des Bereichs der Finanzbehörde zu bilden hat. Nichts anderes ist den zitierten Entscheidungen des BFH vom 26. August 1997 VII R 11/96 (BFH/NV 1998, 70) und vom 17. Februar 1993 VIII R 61/91 (BFH/NV 1993, 614) zu entnehmen; denn hier wie dort wurde der Abgangsvermerk vom zuständigen Sachbearbeiter gefertigt bzw. der Schriftsatz-Entwurf vom Referenten abgezeichnet, ein Abgangsvermerk der betreffenden Poststelle fehlte, war also ―anders als im Fall des BGH vom 11. Januar 2001 III ZR 148/00 (Neue Juristische Wochenschrift 2001, 1577)― eine Ausgangskontrolle gerade nicht gewährleistet. Soweit die Kläger schließlich auf das BFH-Urteil vom 5. Mai 1999 II R 96/97 (BFH/NV 1999, 1341) hinweisen, hatte auch dort das FG einen atypischen Geschehensablauf (nicht rechtzeitiges Verlassen des Bereichs der Finanzbehörde) deshalb nicht ausgeschlossen, weil der Absendevermerk nicht von der Poststelle gefertigt war, sondern von einem Bediensteten stammte, der die Aufgabe zur Post nicht persönlich vornahm, ihren Vollzug nicht kontrollierte und nur den Tag der Aufgabe zur Post voraussagen zu können glaubte; diese Beurteilung wurde vom BFH revisionsrechtlich nicht beanstandet.
3. Die Kläger machen mit ihren Ausführungen letztlich eine fehlerhafte Tatsachen- und Beweiswürdigung sowie unzutreffende Rechtsanwendung durch das FG geltend. Insofern rügen sie materiell-rechtliche Fehler, also die inhaltliche Richtigkeit des Urteils, womit jedoch die Zulassung der Revision nicht erreicht werden kann (vgl. BFH-Beschlüsse vom 6. Oktober 2000 III B 16/00, BFH/NV 2001, 202; vom 27. September 2001 XI B 25/01, BFH/NV 2002, 213; vom 28. September 2001 V B 77/00, BFH/NV 2002, 359).
Fundstellen
Haufe-Index 871793 |
BFH/NV 2003, 138 |