Entscheidungsstichwort (Thema)
Zur Begründung von Verfahrensfehlern gegenüber dem BFH
Leitsatz (NV)
1. Will ein Kläger die überlange Dauer des Klageverfahrens als Verfahrensfehler rügen, dann muß er die Rüge rechtzeitig schon gegenüber dem FG erheben, wenn kein Rügeverzicht gemäß § 155 FGO i.V. mit § 295 ZPO angenommen werden soll.
2. § 90 Abs. 2 AO 1977 begründet eine Beweisvorsorgepflicht, die gemäß § 76 Abs. 1 Satz 4 FGO auch im Klageverfahren zu berücksichtigen ist.
Normenkette
AO 1977 § 90 Abs. 2; FGO § 76 Abs. 1 Sätze 1, 4, § 96 Abs. 1 S. 1, § 155; ZPO § 295
Verfahrensgang
Schleswig-Holsteinisches FG |
Tatbestand
Der Kläger hatte zusammen mit zwei anderen Steuerinländern einen Vertrag über eine stille Gesellschaft mit einer niederländischen Kapitalgesellschaft über die Beteiligung an bestimmten Optionsgeschäften abgeschlossen, für den streitig ist, ob die daraus erzielten Verluste bei der Ermittlung des Progressionsvorbehaltes zur Einkommensteuer 1979 als negative Einkünfte aus Gewerbebetrieb anzusetzen waren. Der Kläger und die beiden genannten Steuerinländer hatten beim FA einen entsprechenden Antrag gemäß § 180 Abs. 5 AO 1977 gestellt, den das FA abgelehnt hatte. Die Klage blieb ohne Erfolg.Das FG hat die Vorentscheidung auf drei Begründungen gestützt, nämlich a) daß die erzielten Verluste keine Einkünfte aus Gewerbebetrieb seien und b) daß § 42 AO 1977 Anwendung finde und c) daß die Verluste der Höhe nach nicht ausreichend nachgewiesen seien.
Der BFH hat die Beschwerde des Klägers wegen Nichtzulassung der Revision als unbegründet zurückgewiesen.
Entscheidungsgründe
Die Beschwerde ist unbegründet. Sie war deshalb zurückzuweisen.
1. Der Senat kann unentschieden lassen, ob die vom Kläger zu 1 und Beschwerdeführer (Kläger zu 1) erhobenen Rügen die Zulassung der Revision rechtfertigen würden, wenn das Finanzgericht (FG) die Vorentscheidung nur auf die Verneinung erzielter gewerblicher Einkünfte oder nur auf die Anwendung des § 42 der Abgabenordnung (AO 1977) gestützt hätte. Tatsächlich hat das FG die Vorentscheidung auch darauf gestützt, daß der geltend gemachte Verlust aus Gewerbebetrieb nicht nachgewiesen worden sei. Diese Begründung trägt die Vorentscheidung selbständig. Deshalb setzt die Revisionszulassung voraus, daß auch bezüglich dieser Begründung ein durchgreifender Zulassungsgrund dargelegt wird. Daran fehlt es jedoch im Streitfall.
2. Eine Entscheidung über die Rechtsfrage, welche allgemeinen verfahrensmäßigen Auswirkungen sich aus einer überlangen Prozeßdauer ergeben können, kommt im Streitfall schon deshalb nicht in Betracht, weil der Kläger zu 1 zu keinem Zeitpunkt eine entsprechende Rüge gegenüber dem FG erhoben hat. Zwar hat er sich laufend nach der Terminierung der Sache zur mündlichen Verhandlung erkundigt. Er hat jedoch weder eine Grundrechtsverletzung behauptet noch sein besonderes Interesse an einer baldigen Entscheidung dargelegt. Dies ist aber erforderlich, wenn sich ein Kläger die entsprechende Verfahrensrüge erhalten will. Viele FG-Verfahren werden nämlich von den Steuerpflichtigen nur deshalb geführt, um bestimmte Rechtsfragen möglichst lange offen zu halten. Deshalb ist ein Kläger, der Nachteile aus einer überlangen Verfahrensdauer befürchten muß, gehalten, auf diese drohenden Nachteile rechtzeitig hinzuweisen. Unterläßt ein Kläger den entsprechenden Hinweis, dann verzichtet er auf die entsprechende Verfahrensrüge i.S. der §§ 155 der Finanzgerichtsordnung (FGO) und 295 der Zivilprozeßordnung (ZPO).
3. Soweit der Kläger zu 1 geltend macht, das FG habe wegen der überlangen Verfahrensdauer nicht die Vorlage sämtlicher An- und Verkaufskontrakte im Original oder zumindest in beglaubigter Fotokopie fordern dürfen, ergibt sich aus § 76 Abs. 1 Satz 4 FGO i.V.m. § 90 Abs. 2 AO 1977 das Gegenteil. Danach war der Kläger zu 1 verpflichtet, die erforderlichen Beweismittel zu beschaffen, weil der aufzuklärende Sachverhalt ausschließlich Vorgänge im Ausland betraf. Die Vorschriften begründen auch eine Beweisvorsorgepflicht. Die entsprechende Verpflichtung bestand bereits im Verwaltungsverfahren (§ 90 Abs. 2 AO 1977). Wäre der Kläger zu 1 ihr nachgekommen, so hätte sich die überlange Verfahrensdauer nicht zu seinem Nachteil auswirken können.
4. Soweit der Kläger zu 1 geltend macht, seiner Aufklärungspflicht gemäß § 90 Abs. 2 AO 1977 im finanzgerichtlichen Verfahren vollständig nachgekommen zu sein, ist fraglich, ob das Vorbringen eine Verfahrensrüge oder aber die Rüge falscher materieller Rechtsanwendung beinhaltet. Letztere Rüge könnte nur unter den Voraussetzungen des § 115 Abs. 2 Nr.1 FGO eine Revisionszulassung rechtfertigen. Selbst wenn man jedoch das Vorbringen als eine an sich zulässige Verfahrensrüge versteht, so greift dieselbe nicht durch. Die Frage, ob ein Sachverhalt gemäß § 76 Abs. 1 Satz 1 FGO noch weiter aufzuklären ist, hängt wesentlich von dem Grad der Überzeugungsbildung des FG ab (§ 96 Abs. 1 Satz 1 FGO). Ein Kläger darf sich insoweit nicht auf die eigene Überzeugung verlassen. Er muß sich - ggf. vorsorglich - darüber Gedanken machen, welche Beweiserhebungen noch möglich sind, wenn das FG weiteres Aufklärungsbedürfnis annimmt. Betrifft der möglicherweise weiter aufzuklärende Sachverhalt Vorgänge im Ausland, so muß er dem FG seine Bereitschaft anzeigen, bestimmte Beweismittel (z.B. Zeugen) zu einem noch anzuberaumenden Termin zu präsentieren. Dieser Verpflichtung ist der Kläger zu 1 ausweislich seiner Schriftsätze vom 30. Januar 1990 und 5. März 1990 nicht nachgekommen. Er hat lediglich bestimmte Unterlagen vorgelegt und ist damit das Risiko eingegangen, daß das FG die vorgelegten Unterlagen nicht als beweiskräftig ansah. Die entsprechende Überzeugungsbildung eines FG beruht nicht auf einem Verfahrensfehler, wenn weitere Beweismittel nicht angeboten sind oder sich ihre Erhebung dem FG in anderer Weise aufdrängt.
5. Soweit der Kläger die Aufklärungsverfügung des Berichterstatters des FG vom 27. Oktober 1989 beanstandet und darin einen Verfahrensfehler sieht, greift die erhobene Rüge nicht durch.
Die An- und Verkaufskontrakte waren nach Auskunft der niederländischen Beratungsgesellschaft vorhanden, sie wurden lediglich nicht übersandt. Dem Kläger zu 1 war es deshalb zumutbar, die Unterlagen entweder im Ausland abzuholen oder zumindest dort beglaubigte Fotokopien zu erstellen, um sie dem FG vorzulegen. Die Verfügung überschreitet damit nicht die Grenzen des § 90 Abs. 2 AO 1977.
6. Eine andere Frage ist die, ob das FG als Folge der von ihm angenommenen Verletzung der Mitwirkungspflicht des Klägers zu 1 Einkünfte in Höhe von 0 DM annehmen durfte oder ob es den geltend gemachten Verlust der Höhe nach hätte anderweitig schätzen müssen. Diese Rechtsfrage ist jedoch materiell-rechtlicher Natur. Insoweit hätte der Kläger zu 1 die Revisionszulassung nur über eine Darlegung der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtsfrage erreichen können. Daran fehlt es, weil der Kläger zu 1 eine entsprechende Rüge nicht erhoben hat. Dann aber ist der Senat daran gehindert, von Amts wegen über die grundsätzliche Bedeutung der Rechtsfrage zu entscheiden.
Fundstellen
Haufe-Index 418962 |
BFH/NV 1993, 403 |