Entscheidungsstichwort (Thema)
Studiengebühren für inländische Schule als Aufwand für "besondere Ausbildungszwecke"
Leitsatz (NV)
Das BMF wird gemäß §122 Abs. 2 Satz 3 FGO aufgefordert, dem Verfahren beizutreten, um Stellung zu nehmen, ob Studiengebühren für eine inländische Berufsfachschule als Aufwand für "besondere Ausbildungszwecke" i. S. des §32 Abs. 4 Satz 3 EStG zu beurteilen sind.
Normenkette
EStG § 32 Abs. 4 S. 3; FGO § 122 Abs. 2
Verfahrensgang
Tatbestand
Zum Sachverhalt:
Die Tochter des Klägers und Revisionsbeklagten (Kläger) wurde im Jahr 1970 geboren. Sie studiert seit 1994 an einer inländischen Berufsfachschule. Die Studiengebühren betragen monatlich 620 DM. Die Tochter war im Jahr 1995 neben dem Studium nichtselbständig tätig. Ihre voraussichtlichen Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit für das Jahr 1996 bezifferte der Kläger auf 15 388 DM (12 x 1 449 DM = 17 388 DM ./. Arbeitnehmerfreibetrag von 2 000 DM).
Der Kläger beantragte mit Wirkung ab Januar 1996 Kindergeld. Der Beklagte und Revisionskläger (Beklagter) lehnte den Antrag mit der Begründung ab, daß die Tochter wegen ihrer eigenen Einkünfte von mehr als 12 000 DM jährlich gemäß §63 Abs. 1 i. V. m. §32 Abs. 4 Satz 2 des Einkommensteuergesetzes (EStG) i. d. F. des Jahressteuergesetzes 1996 (JStG 1996) vom 11. Oktober 1995 (BGBl I 1995, 1250, BStBl I 1995, 438) nicht berücksichtigt werden könne. Die Studiengebühren von jährlich 7 440 DM könnten nicht abgezogen werden, weil es sich nicht um Werbungskosten, sondern um Sonderausgaben handele.
Das Finanzgericht (FG) gab der Klage statt. Es entschied, Studiengebühren für den Besuch einer deutschen privaten Berufsfachschule seien Aufwand für besondere Ausbildungszwecke gemäß §32 Abs. 4 Satz 3, §63 Abs. 1 Satz 2 EStG. Die Auffassung der Finanzverwaltung (Schreiben des Bundesministeriums der Finanzen -- BMF -- vom 18. Dezember 1995 IV B 5 -- S 2282 a -- 438/95 II, BStBl I 1995, 805 Tz. 19), daß insoweit nur Aufwand im Zusammenhang mit einem Auslandsstudium den Grenzbetrag von 12 000 DM erhöhe, sei rechtswidrig. Das Urteil ist in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 1997, 995 veröffentlicht.
Der Beklagte stützt seine Revision auf eine Verletzung der §§63 Abs. 1 Satz 2, 32 Abs. 4 Sätze 2 und 3 EStG. Er macht geltend, zweckbestimmte Zuwendungen für einen besonderen Ausbildungsbedarf bzw. die hierfür aufgewendeten eigenen Einkünfte des Kindes seien nur in dem engen Rahmen unbeachtlich, wie er sich aus 63.4.2.5 Abs. 7 der vom Bundesamt für Finanzen erlassenen Dienstanweisung zur Durchführung des steuerlichen Familienleistungsausgleichs nach dem X. Abschnitt des Einkommensteuergesetzes -- DA-FamEStG -- (BStBl I 1996, 758, Nr. 14) ergebe.
Der Beklagte beantragt, die Vorentscheidung aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Zu den entscheidungserheblichen Rechtsfragen:
Der in §32 Abs. 4 Satz 2 EStG aufgestellte Grundsatz, daß ein Kind nur berücksichtigt wird, wenn es Einkünfte und Bezüge, die zur Bestreitung des Unterhalts und der Berufsausbildung bestimmt und geeignet sind, von nicht mehr als 12 000 DM hat, hat in §32 Abs. 4 Satz 3 EStG folgende Einschränkung erhalten:
"Bezüge, die für besondere Ausbildungszwecke bestimmt sind, bleiben hierbei außer Ansatz; Entsprechendes gilt für Einkünfte, soweit sie für solche Zwecke verwendet werden."
Der Ausgang des Rechtsstreits hängt davon ab, wie diese Vorschrift auszulegen ist. Denn wenn die Studiengebühren von 7 440 DM für die von der Tochter des Klägers besuchte inländische Schule Aufwendungen für "besondere Ausbildungszwecke" wären und deshalb die Einkünfte der Tochter insoweit außer Ansatz bleiben müßten, verbliebe ein Betrag von weniger als 12 000 DM. Die Tochter wäre zu berücksichtigen, und die Vorentscheidung wäre zu bestätigen.
a) Das BMF hat in dem Schreiben in BStBl I 1995, 805, 807 Tz. 19 die Leistungen, die für besondere Ausbildungszwecke bestimmt sind, abschließend aufgezählt. Dies ist in der Literatur kritisiert worden (vgl. Hartmann, Die Information über Steuer und Wirtschaft 1995, 641; Paus, Finanz-Rundschau 1996, 337; Hartmann/Paus, Steuerwarte 1995, 227). Es fragt sich, aus welchen Gründen die von der Finanzverwaltung vorgenommene abschließende Aufzählung eine zutreffende Auslegung des unbestimmten Begriffs der "besonderen Ausbildungszwecke" sein könnte und weshalb das Gesetz dann nicht selbst die abschließende Aufzählung enthält.
b) Das Bundesamt für Finanzen geht in DA-FamEStG 63.4.2.5 Abs. 7 Satz 1 (BStBl I 1996, 723, 757) davon aus, daß unter Bezügen für besondere Ausbildungszwecke solche für einen "ausbildungsbedingten Sonderbedarf" zu verstehen sind. Nach dem letzten Satz des Absatzes 7 bleiben die Einkünfte nur insoweit außer Ansatz, als sie für Zwecke verwendet werden, für die es grundsätzlich Zuschüsse aus öffentlichen Mitteln geben kann. Da §32 Abs. 4 Satz 3 EStG den Begriff der Bezüge -- anders als beispielsweise §3 Nr. 11 EStG -- ohne den einschränkenden Zusatz "aus öffentlichen Mitteln" verwendet, ist zu fragen, welche Überlegungen der einschränkenden Auslegung dieser Vorschrift durch die Finanzverwaltung zugrunde liegen.
c) Für die Abgrenzung der Aufwendungen für die "Berufsausbildung" i. S. des §32 Abs. 4 Satz 2 EStG von denjenigen für "besondere Ausbildungszwecke" i. S. des §32 Abs. 4 Satz 3 EStG ist insbesondere bedeutsam, welchen Zweck der Gesetzgeber mit der Regelung verfolgt hat. Unter dem Gesichtspunkt der Leistungsfähigkeit wirft die Auslegung der Vorschrift durch die Finanzverwaltung insbesondere die Frage auf, ob und ggf. welche sachlich einleuchtenden Gründe es dafür gegen könnte, Studiengebühren bei einem Auslandsstudium anders zu behandeln als bei einem Inlandsstudium.
d) Der Beklagte hat gegen die Richtigkeit der Vorentscheidung bzw. der ihr zugrundeliegenden Rechtsauffassung u. a. eingewandt, sie liefe im Ergebnis auf eine Doppelberücksichtigung der Ausbildungsaufwendungen hinaus. Es fragt sich jedoch, ob dieses Argument stichhaltig ist. Im Streitfall ist z. B. für die Tochter des Klägers selbst dann, wenn man die Ausbildungskosten außer Betracht läßt, überhaupt keine Einkommensteuer festzusetzen; denn bei Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit von 15 388 DM fiel im Streitjahr 1996 keine Einkommensteuer an. Es wäre zu überlegen, ob sich das Argument des Beklagten möglicherweise nicht sogar in sein Gegenteil verkehren ließe. Denn wenn der Revision stattgegeben würde und dem Kläger kein Kindergeld gewährt würde, würden die Ausbildungskosten weder beim Kläger noch bei seiner Tochter steuermindernd berücksichtigt.
3. Beitritt des BMF
Der Senat würde es begrüßen, wenn das BMF dem Revisionsverfahren beiträte (§122 Abs. 2 Satz 3 der Finanzgerichtsordnung) und zu den angesprochenen oder sonstigen Fragen, die nach seiner Meinung erheblich sind, Stellung nähme. Einer Erklärung über den Beitritt sieht der Senat bis zum 30. April 1998 entgegen. Für den Fall des Beitritts wird für die Stellungnahme zur Sache eine Frist bis zum 31. August 1998 gesetzt.
Fundstellen
Haufe-Index 67271 |
BFH/NV 1998, 849 |
HFR 1998, 553 |