Entscheidungsstichwort (Thema)
Wiedereinsetzung nach Versäumung der Revisionsfrist
Leitsatz (NV)
1. Zur Darlegung des Wiedereinsetzungsgrundes.
2. Ein die Wiedereinsetzung ausschließender Organisationsmangel liegt vor, wenn im Büro des Prozeßbevollmächtigten nicht sichergestellt ist, daß die Absendung fristwahrender Schriftsätze in einem besonderen Vorgang überwacht wird (Ausgangskontrolle).
Normenkette
FGO §§ 56, 120 Abs. 1 S. 1
Verfahrensgang
Schleswig-Holsteinisches FG |
Tatbestand
Die Klage der Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) hatte keinen Erfolg. Auf ihre Beschwerde hin ließ das Finanzgericht (FG) durch am 31. August 1987 dem Prozeßbevollmächtigten der Klägerin zugestellten Beschluß die Revision zu.
Mit am 26. Oktober 1987 beim FG eingegangenem Schreiben zeigte der Prozeßbevollmächtigte der Klägerin an, daß er durch ein Telefongespräch mit dem Beklagten und Revisionsbeklagten (Finanzamt - FA -) erfahren habe, daß die Revisionsschrift beim FG nicht eingegangen sei; er bitte um Prüfung der Angelegenheit. Die Revisionsschrift sei von ihm am 17. September 1987 diktiert und unterschrieben worden. Infolge einer Abwesenheit vom Büro sei die Revisionsschrift bedauerlicherweise nicht als Einschreibebrief zur Post gegeben worden, wie er dies angeordnet habe. Seine Sekretärin könne jedoch bestätigen, daß die Revisionsschrift am 17. September 1987 geschrieben worden sei. Für den Fall, daß tatsächlich kein Eingang vorliege, beantrage er vorsorglich die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand. Eine Fotokopie der Revisionsschrift vom 17. September 1987 füge er ebenfalls vorsorglich bei.
Mit am 14. Dezember 1987 dem Prozeßbevollmächtigten zugestellten Schreiben teilte die Geschäftsstelle des VI. Senats des Bundesfinanzhofs (BFH) mit, daß der Zulassungsbeschluß des FG nach der vorliegenden Postzustellungsurkunde (PZU) am 31. August 1987 zugestellt worden sei, die Revisionsschrift aber erst am 26. Oktober 1987 in Fotokopie beim FG eingegangen, die Revision also verspätet eingelegt worden sei. Auf § 56 der Finanzgerichtsordnung (FGO) wurde hingewiesen. Daraufhin ging am 8. Januar 1988 ein Einschreiben des Prozeßbevollmächtigten folgenden Inhalts beim BFH ein:
,,In obiger Angelegenheit weise ich darauf hin, daß ich sofort nach Bekanntwerden der Tatsache, daß die Revisionsschrift beim Schleswig-Holsteinischen Finanzgericht nicht eingegangen ist, einen Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gestellt hatte. In diesem Zusammenhang verweise ich auf mein Schreiben vom 23. Oktober 1987, das vorsorglich als Anlage nochmals beigefügt ist.
Ich beantrage hiermit gemäß § 56 FGO nochmals die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand."
Das FA beantragt, die Revision als unzulässig zu verwerfen.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist unzulässig. Die Klägerin hat die Frist zur Einlegung der Revision versäumt.
Gemäß § 120 Abs. 1 Satz 1 FGO ist die Revision bei dem FG innerhalb eines Monats nach Zustellung des Urteils oder nach Zustellung des Beschlusses über die Zulassung der Revision schriftlich einzulegen. Da der Beschluß, mit dem das FG die Revision zugelassen hat, dem Prozeßbevollmächtigten am 31. August 1987 zugestellt worden ist, lief die Frist zur Einlegung der Revision am 30. September 1987 ab. Bis zu diesem Zeitpunkt ist die Revisionsschrift nicht beim FG eingegangen.
Wiedereinsetzung in den vorigen Stand kann der Klägerin nicht gewährt werden. Denn sie hat nicht dargelegt bzw. glaubhaft gemacht, daß ihr Prozeßbevollmächtigter, dessen Verschulden sie sich zurechnen lassen muß, ohne Verschulden verhindert war, die Revisionsfrist einzuhalten (§ 56 Abs. 1 FGO).
Der Vortrag der Klägerin läßt schon nicht erkennen, aus welchem Grunde sie glaubt, mangelndes Verschulden für sich in Anspruch nehmen zu können. Denn da sie ausführt, die Revisionsschrift sei am 17. September 1987 diktiert und unterschrieben, bedauerlicherweise aber ,,nicht als Einschreibebrief zur Post gegeben" worden, bleibt unklar, ob der Brief überhaupt aufgegeben worden ist. Nur in diesem Falle nämlich könnte sich die Klägerin mit Erfolg auf einen Verlust bei der Postbeförderung berufen. Da sie aber nicht vorgetragen hat, daß der Brief zur Post aufgegeben worden sei, fehlt es insoweit schon an einem entsprechenden Tatsachenvortrag (§ 56 Abs. 2 Satz 2 FGO). Erst recht ist nicht glaubhaft gemacht worden, daß der Brief (rechtzeitig) zur Post gegeben wurde.
Aber auch wenn die Klägerin geltend machen möchte, der Brief mit der Revisionsschrift sei - entgegen einer ausdrücklichen Anordnung ihres Prozeßbevollmächtigten - überhaupt nicht abgesandt worden, kann der Wiedereinsetzungsantrag keinen Erfolg haben. Denn dazu hätte sie ausdrücklich vortragen und glaubhaft machen müssen, wen ihr Prozeßbevollmächtigter mit der Aufgabe des Briefes zur Post in seiner Abwesenheit betraut habe.
Im übrigen hat die Klägerin nicht, wie dies erforderlich gewesen wäre, vorgetragen, welche Vorkehrungen im Büro ihres Prozeßbevollmächtigten zur Wahrung von Rechtsmittelfristen getroffen worden sind. Zum Ausschluß eines den Prozeßbevollmächtigten anzulastenden Organisationsmangels ist insoweit nämlich zu fordern, daß neben der Führung eines Fristenkontrollbuchs sichergestellt ist, daß die Absendung der entsprechenden Schreiben in einem besonderen Vorgang überwacht wird - Ausgangskontrolle - (vgl. BFH-Beschluß vom 7. Dezember 1982 VIII R 77/79, BFHE 137, 221, BStBl II 1983, 229; Beschluß des Bundessozialgerichts - BSG - vom 28. Oktober 1964 4 RJ 453/64, Neue Juristische Wochenschrift - NJW - 1965, 320; Beschluß des Bundesgerichtshofs - BGH - vom 26. Juni 1980 VII ZB 9/80, Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung - HFR - 1981, 240; Beschluß des Bundesverwaltungsgerichts - BVerwG - vom 12. April 1973 2 C 19/73, Steuerrechtsprechung in Karteiform - StRK -, Finanzgerichtsordnung, § 56, Rechtsspruch 260). Eine Kontrolle durch die ausschließlich mit der Aufgabe zur Post betraute Stelle oder Person reicht dazu regelmäßig nicht aus; vielmehr muß sie durch denjenigen erfolgen, der den Fristenkalender führt, oder denjenigen, der den Vorgang zuletzt bearbeitet hat oder an der Bearbeitung beteiligt war (Beschluß in BFHE 137, 221, BStBl II 1983, 229; BSG-Beschluß in NJW 1965, 320). Dafür, daß derartige Überwachungsmaßnahmen im Büro des Prozeßbevollmächtigten getroffen waren, hat die Klägerin aber nichts vorgetragen. Von einem dem Prozeßbevollmächtigten und damit der Klägerin nicht anzulastenden Büroversehen kann deshalb nicht ausgegangen werden.
Fundstellen
Haufe-Index 415787 |
BFH/NV 1989, 116 |