Entscheidungsstichwort (Thema)
Keine Prüfung der Rücknahmemöglichkeit bei Anfechtungsklage
Leitsatz (NV)
Im Rahmen einer Anfechtungsklage kann das FG nicht ohne Antrag des Klägers prüfen, ob die Verwaltungsbehörde nach § 130 Abs. 1 AO 1977 verpflichtet ist, den bestandskräftigen Verwaltungsakt aufzuheben bzw. darüber nach ihrem Ermessen zu entscheiden.
Normenkette
FGO § 40 Abs. 1, § 96 Abs. 1 S. 2; AO 1977 § 130 Abs. 1
Verfahrensgang
Sächsisches FG (Urteil vom 11.10.2004; Aktenzeichen 3 K 390/03) |
Tatbestand
I. Der Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) ist vom Beklagten und Beschwerdegegner (Finanzamt --FA--) als Haftungsschuldner für Steuerschulden des X-Bildungswerks e.V. in Anspruch genommen worden. Er hat gegen den Haftungsbescheid nach erfolglosem Einspruchsverfahren Klage erhoben und in erster Linie geltend gemacht, der Haftungsbescheid sei mangels wirksamer Bekanntgabe nichtig, jedenfalls sei ihm Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen der versäumten Einspruchsfrist zu gewähren. Er hat beantragt, festzustellen, dass der Haftungsbescheid unwirksam ist, hilfsweise, die Einspruchsentscheidung, höchsthilfsweise den Haftungsbescheid aufzuheben.
Das Finanzgericht (FG) hat die Klage abgewiesen, weil es die Zustellung für wirksam, den Einspruch für verfristet und einen Anspruch auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nicht für gegeben hielt. An der Prüfung der Rechtmäßigkeit des Haftungsbescheides hat es sich durch dessen Bestandskraft gehindert gesehen.
Gegen die Nichtzulassung der Revision in diesem Urteil wendet sich die Beschwerde des Klägers, mit der geltend gemacht wird, das Urteil des FG sei nicht mit Gründen versehen. Denn das Gericht habe sich nicht mit § 130 der Abgabenordnung (AO 1977) auseinander gesetzt. Es hätte sonst den Haftungsbescheid aufgehoben, weil dieser rechtswidrig sei und im Rahmen vorgenannter Vorschrift die Bestandskraft des Bescheides dieser Feststellung nicht entgegenstehe.
Entscheidungsgründe
II. Die Beschwerde (§ 116 Abs. 1 der Finanzgerichtsordnung --FGO--) ist nicht begründet. Die Revision ist nicht zuzulassen. Der angebliche Verfahrensmangel, dass das Urteil des FG nicht mit Gründen versehen sei (§ 119 Nr. 6 FGO), liegt nicht vor, so dass die Revision nicht nach § 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO zugelassen werden kann. Denn Ausführungen des FG zu § 130 AO 1977 waren nicht angezeigt.
Der Beschwerde ist offenbar der rechtssystematische Unterschied zwischen einer Anfechtungs- und einer Verpflichtungsklage (dazu § 40 FGO) nicht geläufig. Sie hätte sonst bemerkt, dass der anwaltliche Vertreter des Klägers vor dem FG --hilfsweise zu dem vorrangigen Feststellungsantrag-- ausschließlich einen Anfechtungsantrag gemäß § 40 Abs. 1 1. Alternative FGO gestellt hat. Im Rahmen eines solchen Antrages ist indes nicht zu prüfen, ob ein Verwaltungsakt nach § 130 Abs. 1 AO 1977 zurückzunehmen ist. Denn diese Vorschrift, die allerdings, wie die Beschwerde richtig vorträgt, auch bei einem bestandskräftigen Verwaltungsakt einschlägig ist, richtet sich an die Verwaltungsbehörde und gibt dieser die Möglichkeit, einen rechtswidrigen Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, zurückzunehmen, wobei sie dies freilich in ihr Ermessen stellt. Hingegen kann das Gericht einen bestandskräftigen Verwaltungsakt, auch wenn es ihn für rechtswidrig hält, nicht aufgrund einer Anfechtungsklage aufheben; es kann allenfalls die Verwaltungsbehörde verpflichten, nach § 130 Abs. 1 AO 1977 ihr Ermessen zu betätigen oder, sofern dieses ausnahmsweise "auf Null" reduziert, also nur eine Ermessensentscheidung rechtmäßig sein sollte, den Verwaltungsakt durch eine entsprechend behördliche Entscheidung zurückzunehmen. Über ein solches Begehren zu entscheiden, hat der Kläger indes nicht beantragt.
Sofern der Beschwerde die Auffassung zu entnehmen sein sollte, das FG habe gleichwohl über die Möglichkeit einer behördlichen Rücknahme des Haftungsbescheides nach § 130 AO 1977 zu befinden gehabt, etwa weil eine solche Entscheidung den Kläger ebenfalls zu seinem Rechtsschutzziel geführt hätte, so muss er sich darauf hinweisen lassen, dass nach einem allgemeinen Grundsatz des deutschen Prozessrechts, der in § 96 Abs. 1 Satz 2 FGO für die Finanzgerichtsbarkeit seinen Ausdruck gefunden hat, das Gericht über das Klagebegehren nicht hinausgehen darf. Dies täte es aber, wenn es auf eine Anfechtungsklage über die Verpflichtung der Verwaltungsbehörde zu einer Ermessensentscheidung nach § 130 AO 1977 entscheiden würde.
Dass im Übrigen das Begehren, das FA zu verpflichten, über eine Rücknahme des Haftungsbescheides nach § 130 AO 1977 eine Ermessensentscheidung zu treffen oder sogar diesen Haftungsbescheid zurückzunehmen, wenig aussichtsreich gewesen wäre, bedarf nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs, deren Kenntnis bei einem Rechtsanwalt wie dem Vertreter des Klägers vorausgesetzt werden darf, keiner weiteren Ausführung.
Fundstellen
Haufe-Index 1481349 |
BFH/NV 2006, 707 |