Entscheidungsstichwort (Thema)
(Milchaufgabevergütung: Umsatzsteuerpflicht, Entstehung der Steuer)
Leitsatz (amtlich)
Dem EuGH werden folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt:
a) Erbringt ein steuerpflichtiger Landwirt, der die Milcherzeugung endgültig aufgibt, eine Dienstleistung i.S. von Art.6 Abs.1 der Sechsten Richtlinie vom 17. Mai 1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern --77/388/EWG-- (Sechste Richtlinie) an einen bestimmten Leistungsempfänger, und
b) ist die hierfür erhaltene Vergütung aufgrund der Verordnung (EWG) Nr.1336/86 des Rates vom 6.Mai 1986 (ABlEG Nr.L 119/21) eine Geldleistung, die nach Art.11 Teil A Abs. 1 Buchst.a der Sechsten Richtlinie zu versteuern ist?
Normenkette
UStG 1980 § 1 Abs. 1 Nr. 1, § 3 Abs. 9, § 13 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a Sätze 1-3; EWGRL 388/77 Art. 2 Nr. 1, Art. 6 Abs. 1, Art. 11 Teil A Abs. 1 Buchst. a
Verfahrensgang
Schleswig-Holsteinisches FG (Entscheidung vom 30.10.1991; Aktenzeichen IV 556/91) |
Tatbestand
I. (Sachverhalt) Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) war Inhaber eines landwirtschaftlichen Betriebes und hielt überwiegend Milchvieh. Im Streitjahr (1987) versteigerte er das Vieh und stellte seinen Betrieb (durch Umbau der vorhandenen Wirtschaftsgebäude zu Pferdeboxen und durch Errichtung einer Reithalle) auf einen "Reiterhof" um.
Auf seinen Antrag vom 16. März 1987 wurde dem Kläger durch Bescheid des Bundesamtes für Ernährung und Forstwirtschaft (Bundesamt) vom 23. September 1987 "aufgrund der ... eingegangenen Verpflichtung, die Milcherzeugung endgültig aufzugeben, ... eine Vergütung in Höhe von rund 380 000 DM gewährt", die ihm in einem Betrag gezahlt wurde. Der Antrag war auf die Verordnung zur Festsetzung einer Vergütung bei der endgültigen Aufgabe der Milcherzeugung (EG-Milchaufgabevergütungsverordnung --EG-MAVV--) vom 6. August 1986 (BGBl I 1986, 1277) gestützt. Bei der Antragstellung hatte sich der Kläger verpflichtet, die Milcherzeugung ... endgültig aufzugeben und keinen Anspruch auf eine Milch-Referenzmenge im Rahmen der Regelung gemäß Art.5 c der Verordnung (EWG) Nr.804/68 des Rates vom 27. Juni 1968 (Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften --ABlEG-- Nr.L 148/13), zuletzt geändert durch die Verordnung (EWG) Nr.1335/86 (ABlEG Nr.L 119/19), zu erheben (§ 5 EG-MAVV).
Der Kläger erklärte gemäß § 24 Abs.4 des Umsatzsteuergesetzes (UStG 1980), daß seine Umsätze vom Beginn des Streitjahres an nach den allgemeinen Vorschriften des UStG 1980 besteuert werden sollten. Die ihm bewilligte Vergütung erfaßte er nicht in seiner Steuererklärung.
Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt --FA--) unterwarf die Vergütung --die das FA als Entgelt für eine steuerbare Leistung (Aufgabe der Milcherzeugung) beurteilte-- mit dem Nettobetrag der Umsatzsteuer.
Einspruch und Klage blieben erfolglos. Das Finanzgericht (FG) folgte der Auffassung des FA; das Urteil ist in der Umsatzsteuer-Rundschau (UR) 1992, 339 und in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 1992, 221 veröffentlicht.
Mit der Revision rügt der Kläger Verletzung materiellen Rechts (§ 3 Abs.9 i.V.m. § 10 UStG 1980). Er habe --so macht er geltend-- einen Zuschuß zur Subventionierung des allgemeinen Geschäftszwecks (Einstellung der Milchwirtschaft) erhalten; die Zuschußgewährung habe im öffentlichen strukturpolitischen Interesse gelegen. Die Vergütung sei nicht für eine konkrete Leistung gezahlt worden und dürfe nicht besteuert werden. Auch Abwrackprämien und Prämien für die Rodung von Rebflächen sowie von Apfelbäumen unterlägen als sog. echte Zuschüsse nicht der Umsatzsteuer. Zur Klärung dessen, wie Vergütungen für die Aufgabe der Milcherzeugung innerhalb der EG-Staaten umsatzsteuerrechtlich behandelt werden, komme ein Vorlagebeschluß an den Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften (EuGH) in Betracht.
Der Kläger beantragt, die Vorentscheidung aufzuheben und die Umsatzsteuer 1987 um ... DM herabzusetzen.
Das FA beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
II. (Zur Rechtslage nach nationalem Recht) 1. Der Umsatzsteuer unterliegen nach § 1 Abs.1 Nr.1 UStG 1980 Lieferungen oder sonstige Leistungen, die ein Unternehmer im Inland gegen Entgelt im Rahmen seines Unternehmens ausführt. Die Annahme einer Leistung gegen Entgelt im Sinne dieser Vorschrift setzt voraus, daß eine Leistung zum Zweck der Entgeltserzielung ausgeführt wird, daß also eine Leistung vom leistenden Unternehmer erkennbar um der Gegenleistung willen erbracht wird (vgl. Urteil des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 7. Mai 1981 V R 47/76, BFHE 133, 133, BStBl II 1981, 495).
Ob die Leistung des Unternehmers derart mit einer Zahlung verknüpft ist, daß sie sich auf die Erlangung der Gegenleistung (Zahlung) richtet, ergibt sich bei Zuwendungen der öffentlichen Hand, die aufgrund eines Bescheides gewährt werden, aus der Würdigung der Zusammenhänge unter Einbeziehung des Bewilligungsbescheids und der ihm zugrundeliegenden Vorschriften (vgl. Senatsurteile vom 23. Februar 1989 V R 141/84, BFHE 156, 530, BStBl II 1989, 638, und vom 25. März 1993 V R 84/89, UR 1993, 357, BFH/NV 1994, 59). Die Zwecke, die der Zahlende mit der Zuwendung verfolgt, können allenfalls Indizien dafür sein, ob die erforderliche innere Verknüpfung zwischen Leistung und Zahlung vorliegt.
2. Nach diesen Kriterien spricht im Streitfall viel für die Auffassung des FG, daß der Kläger eine sonstige Leistung i.S. des § 3 Abs.9 UStG 1980 --endgültige Aufgabe der Milchproduktion-- in Erwartung der Vergütung als Gegenleistung ausgeführt hat. Eine solche Würdigung der Umstände im Sinne eines Leistungsaustausches stünde im Einklang mit dem BFH-Urteil vom 21. April 1993 XI R 50/90 (BFHE 171, 129, BStBl II 1993, 696). In dieser Entscheidung hat der BFH die einem Milcherzeuger nach dem Gesetz über die Gewährung einer Vergütung für die Aufgabe der Milcherzeugung für den Markt vom 17. Juli 1984 --MAVG-- (BGBl I 1984, 942) und der Verordnung über die Gewährung einer Vergütung für die Aufgabe der Milcherzeugung für den Markt (Milchaufgabevergütungsverordnung --MAVV--, BGBl I 1987, 1699) gewährte Milchaufgabevergütung als Entgelt für die Aufgabe der Milchproduktion beurteilt.
3. Der Senat hält es ferner für nicht ausgeschlossen, daß das FA die Vergütung zu Recht im Veranlagungszeitraum 1987 der Besteuerung unterworfen hat, auch wenn die Vergütung --wie in dem Bewilligungsbescheid in Übereinstimmung mit § 6 Abs.2 Sätze 2 und 3 EG-MAVV angekündigt-- erst 1988 ausgezahlt worden sein sollte. Nach § 13 Abs.1 Nr.1 Buchst.a Satz 1 UStG 1980 entsteht die Steuer für sonstige Leistungen bei der Berechnung der Steuer nach vereinbarten Entgelten (§ 16 Abs.1 Satz 1 UStG 1980) mit Ablauf des Voranmeldungszeitraums, in dem die Leistungen ausgeführt worden sind. Der Kläger hat im Streitjahr sowohl die Bewilligungsvoraussetzungen des § 5 EG-MAVV erfüllt --insbesondere die danach vorgesehene Verpflichtungserklärung abgegeben-- als auch die Milcherzeugung tatsächlich beendet, wie sich aus den Feststellungen des FG zur Abschaffung des Viehbestandes und zur Umstellung des Betriebes auf einen Reiterhof ergibt. Denkbar wäre es aber auch, die Unterlassung der Milcherzeugung im Streitjahr und in den Folgejahren als die maßgebliche steuerbare Leistung anzusehen (vgl. BFH-Urteil in BFHE 171, 129, BStBl II 1993, 696).
III. (Zur Anrufung des EuGH) Im Streitfall stellen sich Fragen der Auslegung des Gemeinschaftsrechts und der richtlinienkonformen Auslegung des nationalen Rechts. Der Senat ruft daher gemäß Art.177 Abs.1 Buchst.b und Abs.3 des Vertrages zur Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (EWGV) den EuGH zwecks Vorabentscheidung an.
1. Nach Art.2 Nr.1 der Sechsten Richtlinie des Rates vom 17. Mai 1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern (77/388/EWG) --ABlEG Nr.L 145/1-- (Sechste Richtlinie) unterliegen der Mehrwertsteuer (neben Lieferungen von Gegenständen) Dienstleistungen, die ein Steuerpflichtiger als solcher im Inland gegen Entgelt ausführt. Als Dienstleistung gilt gemäß Art.6 Abs.1 der Sechsten Richtlinie jede Leistung, die keine Lieferung eines Gegenstandes i.S. des Art.5 ist. Besteuerungsgrundlage bei Dienstleistungen ist nach Art.11 Teil A Abs.1 Buchst.a der Sechsten Richtlinie alles, was den Wert der Gegenleistung bildet, die der Dienstleistende für diese Umsätze vom Dienstleistungsempfänger oder von einem Dritten erhält oder erhalten soll, einschließlich der unmittelbar mit dem Preis dieser Umsätze zusammenhängenden Subventionen. Der Steuertatbestand und der Steueranspruch treten gemäß Art.10 Abs.2 Satz 1 der Sechsten Richtlinie grundsätzlich zu dem Zeitpunkt ein, zu dem die Dienstleistung bewirkt wird.
2. Die Anwendbarkeit dieser Vorschriften bei Milchaufgabevergütungen der vorliegenden Art ist nicht zweifelsfrei. Zweifelhaft erscheint dem Senat, ob der Milchaufgabevergütung eine Dienstleistung i.S. des Art.6 Abs.1 der Sechsten Richtlinie gegenübersteht und ob die Vergütung ggf. eine Subvention ist, die nach Art.11 Teil A Abs.1 Buchst.a der Sechsten Richtlinie nicht der Steuer zu unterwerfen ist. Dies rechtfertigt eine Vorlage nach Art.177 Abs.3 EWGV; die Vorschrift soll insbesondere verhindern, daß es innerhalb der Gemeinschaft zu voneinander abweichenden Gerichtsentscheidungen in Beziehung auf Fragen des Gemeinschaftsrechts kommt (vgl. EuGH-Urteil vom 6. Oktober 1982 Rs.283/81 --C.I.L.F.I.T.--, Slg. 1982, 3415, 3428; Senatsbeschluß vom 10. August 1993 V B 198/91, BFHE 172, 187).
a) Rechtsgrundlage der dem Kläger gewährten Vergütung ist letztlich die Verordnung (EWG) Nr.1336/86 (VO Nr.1336/86) des Rates vom 6. Mai 1986 (ABlEG Nr.L 119/21) zur Festsetzung einer Vergütung bei der endgültigen Aufgabe der Milcherzeugung (vgl. § 1 EG-MAVV). Die den Milcherzeugern nach der VO Nr.1336/86 gewährte "Gemeinschaftsvergütung" bezweckt (vgl. vor Art.1 VO Nr.1336/86), das Marktgleichgewicht bei Milch und Milcherzeugnissen wiederherzustellen und gilt als Intervention i.S. von Art.3 der Verordnung (EWG) Nr.729/70 des Rates vom 21. April 1970 über die Finanzierung der gemeinsamen Agrarpolitik (ABlEG Nr.L 94/13).
b) Ob Zuwendungen, die Erzeugern aus EG-Marktordnungsgründen gewährt werden, der Besteuerung nach Art.2 Nr.1, Art.6 Abs.1 und Art.11 Teil A Abs.1 Buchst.a der Sechsten Richtlinie unterliegen, hat der EuGH noch nicht entschieden. Die Gewährung öffentlicher Mittel, die den hier zu beurteilenden Milchaufgabevergütungen vergleichbar sind, wird umsatzsteuerrechtlich unterschiedlich behandelt.
So werden etwa gemeinschaftsrechtliche Prämien für die Rodung und Wiederbepflanzung von Rebflächen in einigen Mitgliedstaaten der Umsatzsteuer unterworfen, in anderen hingegen nicht; nach der Auffassung der EG-Kommission sind sie keine Gegenleistung für eine Dienstleistung (vgl. Antwort der EG-Kommission vom 19. Februar 1988, ABlEG 1988, Nr.C 189/2). Prämien für die Rodung von Apfelbäumen (vgl. Verordnung (EWG) Nr.1200/90 des Rates vom 7. Mai 1990, ABlEG 1990, Nr.L 119/63 zur Sanierung der gemeinschaftlichen Apfelerzeugung) werden vom FG Brandenburg nicht als Entgelt für eine steuerbare Leistung angesehen (vgl. Urteil vom 9. März 1993 1 K 147/92 U, EFG 1993, 416, nicht rechtskräftig); dem folgt die Finanzverwaltung nicht (vgl. Oberfinanzdirektion Magdeburg, Verfügung vom 31. Januar 1994 -S 7200-29- St 242, Umsatzsteuer- und Verkehrsteuer-Recht 1994, 126). Schließlich beurteilt die Finanzverwaltung andere aus Marktordnungsgründen gewährte Zuwendungen --trotz bestehender Gemeinsamkeiten-- unterschiedlich (vgl. Abschn.150 Abs.5 der Umsatzsteuer-Richtlinien i.V.m. dem Schreiben des Bundesministers der Finanzen vom 17. Mai 1974 IV A 2-S 7200-17/74, BStBl I 1974, 390).
c) Im Hinblick auf die angeführten Zweifel und um eine einheitliche Auslegung des Gemeinschaftsrechts in allen Mitgliedstaaten sicherzustellen, war deshalb das Revisionsverfahren auszusetzen und der EuGH anzurufen.
Fundstellen
Haufe-Index 65247 |
BFH/NV 1994, 74 |
BFHE 174, 473 |
BFHE 1995, 473 |
BB 1994, 1628 |
BB 1994, 1628 (L) |
DB 1994, 1910 (L) |
DStR 1994, 1150-1151 (KT) |
HFR 1994, 674-675 (LT) |
StE 1994, 476 (K) |