Entscheidungsstichwort (Thema)
NZB wegen eines Verfahrensfehlers
Leitsatz (NV)
Die unterschiedliche rechtliche Beurteilung des vom Finanzgericht vollständig wahrgenommenen Inhalts einer Urkunde rechtfertigt keine Zulassung der Revision wegen eines Verfahrensfehlers.
Normenkette
FGO § 96 Abs. 1 S. 1, § 115 Abs. 2 Nr. 3
Tatbestand
Zur Tilgung des Kaufpreises für ein ihnen steuerpflichtig geliefertes Hotel traten die Eheleute X (Käufer) den Umsatzsteuererstattungsanspruch aus der Umsatzsteuer- Voranmeldung für Juni 1985, der dem für die Lieferung ausgewiesenen Vorsteuer betrag entsprach, an die Klägerin und Beschwerdegegnerin (Klägerin) ab. Der Beklagte und Beschwerdeführer (das Finanzamt -- FA --) verrechnete den an die Klägerin abgetretenen Betrag mit Steuerschulden der Klägerin.
Im Dezember 1987 wurde das Hotel zwangsversteigert, weil die Käufer ihre Zahlungsverpflichtungen nicht vollständig erfüllen konnten. Die Klägerin minderte darauf in der Umsatzsteuererklärung für 1987 die Bemessungsgrundlage für die bezeichnete Grundstückslieferung, wodurch sich eine Minderung ihrer Umsatzsteuer um 91 492 DM ergab. Das FA stimmte der Steueranmeldung der Klägerin nicht zu, richtete an die Käufer einen öffentlich zugestellten Umsatzsteuerbescheid für 1985 mit einer um 91 492 DM berichtigten Vorsteuer und forderte durch Rückforderungsbescheid vom 21. September 1992 gemäß § 37 Abs. 2 der Abgabenordnung (AO 1977) die Rückzahlung von 91 492 DM Umsatzsteuer, weil der Abtretung durch die bezeichneten Vorgänge die Grundlage entzogen worden sei. Der erwähnte Rückforderungsbescheid ist an "Herrn Y als Liquidator der Fa. Z-KG i. L." gerichtet. In dem Bescheid heißt es: "Sehr geehrter Herr Y, ... ergeht gegen Sie hiermit ein Rückforderungsbescheid in Höhe von 91 492,00 DM Umsatzsteuer. Zahlungsaufforderung: Sie werden gebeten, den zurückzuzahlenden Betrag ... an das Finanzamt ... zu zahlen."
Nach erfolglosem Einspruchsverfahren hob das Finanzgericht (FG) den Rückforderungsbescheid und die Einspruchsentscheidung auf. Zur Begründung führte das FG aus, der Rückforderungsbescheid vom 21. September 1992 sei nichtig, weil nicht hinreichend bestimmt sei, ob der in dem Bescheid bezeichnete Adressat als Steuerschuldner oder als Bekanntgabeadressat angesprochen werde. Nach einer Auseinandersetzung mit dem Inhalt des Bescheids kommt das FG zu dem Schluß, es sei dem Verwaltungsakt nicht mit hinreichender Sicherheit zu entnehmen, ob das FA den gutgeschriebenen Betrag vom Liquidator persönlich oder von der Klägerin zurückverlange.
Mit der Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision rügt das FA, das FG habe bei seiner Entscheidung nicht das Gesamtergebnis des Verfahrens zugrunde gelegt. Zur Begründung des Verfahrensfehlers hat das FA den Inhalt der Begründung des angefochtenen Rückforderungsbescheids wörtlich in die Beschwerdeschrift eingerückt und einzelne Satzteile unterstrichen. Das FA leitet im Anschluß daran ab, daß die Klägerin im Gegensatz zu den "Feststellungen" des FG als Abtretungsempfängerin angesprochen worden sei. Diese habe auch den Einspruch eingelegt.
Das FA beantragt die Zulassung der Revision.
Die Klägerin ist der Beschwerde entgegengetreten.
Entscheidungsgründe
Die Nichtzulassungsbeschwerde ist unbegründet.
Die Zulassung der Revision wegen eines Verfahrensmangels (§ 115 Abs. 2 Nr. 3 der Finanzgerichtsordnung -- FGO --) durch Verletzung von § 96 Abs. 1 Satz 1 FGO wegen nicht vollständiger Berücksichtigung des Gesamtergebnisses des Verfahrens setzt voraus, daß eine entsprechende Rüge ordnungsgemäß erhoben wird. Der Beschwerdeführer muß darlegen (§ 115 Abs. 3 Satz 3 FGO), welches Vorbringen tatsächlicher Art das FG in dem angefochtenen Urteil nicht berücksichtigt hat (Beschluß des Bundesfinanzhofs -- BFH -- vom 26. April 1996 III B 1/96, BFH/NV 1996, 831) oder welchen nicht dem Vorbringen der Beteiligten entsprechenden Sachverhalt es seiner Entscheidung zugrunde gelegt hat (BFH-Beschluß vom 12. September 1996 X B 76/96, BFH/NV 1997, 246). Er muß angeben, welche Tatsachen, insbesondere welche Schreiben in den Steuerakten, das FG bei seiner Entscheidung nicht beachtet hat (vgl. BFH- Beschluß vom 28. September 1995 V B 35/95, BFH/NV 1996, 412); denn zu dem Gesamtergebnis des Verfahrens gehört der durch das Klagebegehren begrenzte Prozeßstoff, der durch die Sachaufklärung des FG und durch die Mitwirkung der Beteiligten beschafft worden ist, einschließlich des Inhalts der dem FG vorgelegten Akten (vgl. BFH-Beschluß vom 21. März 1996 XI B 64/95, BFH/NV 1996, 695).
Die Rüge des FA beschränkt sich darauf, darzulegen, das FG habe den Inhalt des angefochtenen Rückforderungsbescheids vom 21. September 1992 und -- was nicht entscheidungserheblich war -- die Einspruchsentscheidung nicht beachtet. Damit genügt sie den bezeichneten formellen Anforderungen an die Darlegung eines Verfahrensfehlers.
Die Beschwerde ist aber nicht begründet, weil sich aus dem angefochtenen Urteil und aus dem Beschwerdevorbringen ergibt, daß das FG den angefochtenen Rückforderungsbescheid und seinen Inhalt zur Kenntnis genommen, aber nach der rechtlichen Beurteilung seines Inhalts auf Klagestatt gabe entschieden hat. Das FG hat den Rückforderungsbescheid im Tatbestand des Urteils nach Akte und Blattzahl bezeichnet und in den Entscheidungsgründen Sätze aus dem Bescheid zitiert und ausgelegt. Die Ausführungen des FA in seiner Beschwerdebegründung ergeben nicht, daß das FG Teile dieses Schreibens -- als Tatsachen -- übergangen und nicht zur Kenntnis genommen hat, sondern nur, daß es aus dem wahrgenommenen Inhalt des angefochtenen Verwaltungsakts andere rechtliche Schlußfolgerungen gezogen hat. Die unterschiedliche rechtliche Würdigung des vollständig wahrgenommenen Inhalts einer Urkunde rechtfertigt aber keine Zulassung der Revision wegen eines Verfahrensmangels; denn § 96 Abs. 1 Satz 1 FGO bezieht sich nicht auf die rechtlichen Erwägungen, sondern allein auf die tatsächlichen Grundlagen der Urteilsfindung.
Fundstellen
Haufe-Index 422263 |
BFH/NV 1997, 861 |