Entscheidungsstichwort (Thema)
Wiedereinsetzung wegen mangelnder Kenntnisse der deutschen Sprache
Leitsatz (NV)
1. Mangelnde deutsche Sprachkenntnisse des Beteiligten sind bei der Prüfung seines Antrags auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen der Versäumung der Einspruchsfrist bezüglich eines ihm übermittelten Steuerbescheids angemessen zu berücksichtigen.
2. Der der deutschen Sprache nicht kundige Beteiligte hat seine Sorgfaltspflicht verletzt, wenn er sich von dem ihm unverständlichen Steuerbescheid nicht in angemessener Zeit eine Übersetzung verschafft oder ihn seinem sprachkundigen Bevollmächtigten zur weiteren Bearbeitung übergibt.
Normenkette
AO 1977 §§ 87, 110 Abs. 1
Tatbestand
Das Finanzgericht (FG) hat den Antrag des Klägers und Antragstellers (Antragsteller) auf Bewilligung von Prozeßkostenhilfe (PKH) für ein Verfahren abgelehnt, in dem er wegen Weiterverkaufs von eingeschmuggelten Zigaretten als Abgabenschuldner in Anspruch genommen wird, weil die beabsichtigte Rechtsverfolgung keine hin reichende Aussicht auf Erfolg biete. Der Antragsteller habe gegen den Steuerbescheid des beklagten Hauptzollamts (HZA) vom 12. Dezember 1995 erst am 31. Januar 1996 (richtig 5. Februar 1996) und deshalb verspätet Einspruch eingelegt. Die als Entschuldigung für die Fristversäumnis angeführten Gründe, der Antragsteller beherrsche die deutsche Sprache nicht und sei aus diesem Grunde nicht in der Lage gewesen, den Inhalt des ihm in der Justizvollzugs anstalt zugestellten Steuerbescheids zu verstehen und die daraus resultierenden Konsequenzen zu übersehen, rechtfertigten keine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand. Der Antragsteller sei verpflichtet gewesen, sich um eine Übersetzung des in der Amtssprache Deutsch abgefaßten Steuerbescheids zu bemühen, der als amtliches Schreiben erkennbar gewesen sei. Der Antragsteller habe weder vorgetragen noch glaubhaft gemacht, daß er sich unverzüglich um die Übersetzung des Bescheids bemüht habe, obwohl er dazu in der Justizvollzugsanstalt Gelegenheit gehabt habe.
Mit der Beschwerde gegen den PKH-Beschluß macht der Antragsteller geltend, den Akten sei nicht zu entnehmen, daß der Bescheid dem Antragsteller in der Justizvollzugsanstalt zugestellt worden sei. Der Antragsteller habe das Schriftstück nicht als amtliches Schriftstück definieren und die Tragweite des Inhalts nicht erfassen können. Er sei als Inhaftierter davon ausgegangen, daß alle amtlichen Schriftstücke seinem Anwalt zugestellt würden, den er mit der Wahrnehmung seiner Interessen beauftragt habe. Daß möglicherweise außer einem Strafverfahren auch eine Steuersache anhängig sein könnte, könne ein ausländischer, mit dem deutschen Rechtssystem nicht vertrauter Häftling nicht erkennen. Es könne dem Antragsteller daher nicht vorgeworfen werden, daß er sich nicht um eine Übersetzung des Bescheids bemüht habe. Der Antragsteller habe auch nicht erkennen können, daß der "angeblich" zugestellte Steuerbescheid eine Frist in Lauf setze. Bei Zustellung/Übergabe eines solchen Schriftstücks an einen Inhaftierten müsse dieser zumindest in einer ihm verständlichen Sprache darauf hingewiesen werden, daß er sich an einen Anwalt wenden solle oder daß eine rechtliche Frist zu beachten sei. Andernfalls wäre eine Ungleichbehandlung zwischen Deutschen und ausländischen Häftlingen gegeben, die dem Grundgesetz (GG) und den Menschenrechten widerspreche. Der Steuerbescheid sei entgegen der Auffassung des HZA nicht zugestellt worden. Außerdem sei er -- wie im einzelnen ausgeführt wird -- falsch.
Der Antragsteller beantragt unter Vorlage der vorgeschriebenen Erklärung über seine persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse, ihm für die Durchführung der Beschwerde gegen den ablehnenden PKH-Beschluß PKH zu gewähren.
Das HZA hält die Vorentscheidung für zutreffend und hat beantragt, die Beschwerde zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Der Antrag auf Gewährung von PKH ist abzulehnen. Die Beschwerde bietet nicht die nach § 142 der Finanzgerichtsordnung i. V. m. § 114 Abs. 1 der Zivilprozeßordnung erforderliche hinreichende Aussicht auf Erfolg. Nach der in diesem Verfahren nur möglichen summarischen Prüfung bestehen keine Bedenken dagegen, daß das FG die PKH für die Klage gegen die vom HZA versagte Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nicht gewährt hat. Das HZA hat den Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand mit Recht abgelehnt, weil die Voraussetzungen dafür nicht vorlagen.
1. In seiner Einspruchsentscheidung vom 14. Februar 1996 hat das HZA zutreffend im einzelnen ausgeführt, daß die Einspruchsfrist (§ 355 Abs. 1 Satz 1 der Abgabenordnung -- AO 1977 --) für den mit einer Rechtsbehelfsbelehrung versehenen Steuerbescheid, der am 15. Dezember 1995 zur Post gegeben wurde und damit als am 18. Dezember 1995 bekanntgegeben galt, am 18. Januar 1996 abgelaufen war. Der Antragsteller hat weder behauptet noch glaubhaft gemacht, daß ihm der Bescheid nicht oder erst zu einem späteren Zeitpunkt zugegangen sei. Deshalb hat sich das HZA im Streitfall mit Recht auf die gesetzliche Vermutung des § 122 Abs. 2 Nr. 1 AO 1977 berufen, nach der der durch die Post im Geltungsbereich des Gesetzes übermittelte Steuerbescheid am dritten Tage nach der Aufgabe zur Post als zugegangen gilt. Der erst am 5. Februar 1996 beim HZA eingegangene Einspruch des Antragstellers vom 2. Februar 1996 war daher verspätet.
2. Die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand ist nach § 110 Abs. 1 AO 1977 nur zu gewähren, wenn der Beteiligte ohne Verschulden verhindert war, eine gesetzliche Frist einzuhalten. Die vom Antragsteller geltend gemachten Gründe -- mangelnde Sprachkenntnis -- vermögen die Versäumung der Einspruchsfrist nicht zu entschuldigen.
Die Amtssprache ist gemäß § 87 AO 1977 deutsch. Das HZA war daher verpflichtet, den Steuerbescheid in deutscher Sprache abzufassen. Das gilt auch für die Rechtsmittelbelehrung, die dem Steuerbescheid beigefügt war und die die Einspruchsfrist von einem Monat (§ 355 Abs. 1 Satz 1, § 356 Abs. 1 AO 1977) in Gang gesetzt hat (vgl. Bundesfinanzhof -- BFH --, Urteil vom 9. März 1976 VII R 102/75, BFHE 118, 294, BStBl II 1976, 440). Zwar darf eine unzureichende Kenntnis der deutschen Sprache nicht dazu führen, daß der Anspruch des Beteiligten auf rechtliches Gehör (Art. 103 GG) verkürzt oder sein Anspruch auf Gleichbehandlung mit anderen, der deutschen Sprache mächtigen Beteiligten (Art. 3 GG) verletzt wird. Deshalb sind Sprachschwierigkeiten des Beteiligten bei der Prüfung einer Wiedereinsetzung in den vorigen Stand angemessen zu berücksichtigen (vgl. Senat in BFHE 118, 294, BStBl II 1976, 440; Söhn in Hübschmann/Hepp/Spitaler, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, 10. Aufl., § 110 AO 1977 Rz. 47). Auch der der Amtssprache nicht mächtige Beteiligte hat jedoch -- wie jeder andere Beteiligte -- die ihm in eigener Sache obliegenden Sorgfaltspflichten zu erfüllen.
Diese Sorgfaltspflicht besteht für den der Amtssprache Unkundigen darin, sich in angemessener Zeit eine Übersetzung der ihm zugehenden amtlichen Schriftstücke zu verschaffen und dann entsprechend zu reagieren. Denn auch ohne daß er deren Inhalt kennt, muß der Adressat eines amtlichen Schriftstücks damit rechnen, daß die Behörde mit dem Schriftstück einen Anspruch gegen ihn geltend macht oder eine Sanktion gegen ihn verhängt und gleichzeitig mit der Bekanntgabe des Schriftstücks eine Frist in Lauf gesetzt wird, innerhalb derer der Betroffene sich gegen die Verfügung wenden kann und zur Vermeidung von Nachteilen wenden muß (vgl. Senat in BFHE 118, 294, BStBl II 1976, 440).
Der Antragsteller hat dieser, seiner Sorgfaltspflicht nicht genügt. Selbst wenn er der deutschen Sprache nicht mächtig gewesen sein sollte, mußte er doch dem Absender und der amtlichen Aufmachung, die aus der gesamten Form des Steuerbescheids zu erkennen war, entnehmen, daß es sich um ein amtliches Schriftstück handelte. Der Antragsteller durfte sich auch nicht darauf verlassen, daß allgemein alle amtlichen Schriftstücke seinem Anwalt übermittelt werden würden, den er mit der Wahrnehmung seiner Interessen beauftragt hatte. Davon hätte der Antragsteller allenfalls in den Verfahren ausgehen dürfen, für die er seine Rechtsanwältin den Behörden gegenüber ausdrücklich als Bevollmächtigte bestellt hatte. Daß dies für das Steuerverfahren geschehen ist, hat der Antragsteller nicht behauptet. Selbst wenn aber eine solche Bevollmächtigung gegenüber dem HZA auch für das Steuerverfahren vorläge, hätte der Antragsteller gleichwohl unverzüglich den ihm unverständlichen Steuerbescheid seiner Bevollmächtigten zur weiteren Bearbeitung zuleiten müssen. Daß dies geschehen ist, hat der Antragsteller nicht behauptet. Er hat auch nicht geltend gemacht, daß er sich selbst unverzüglich um die erforderliche Übersetzung des Steuerbescheids bemüht habe oder daß ihm dies, etwa weil er sich in Untersuchungshaft befand, nicht in angemessener Zeit möglich gewesen sei.
Da der Antragsteller somit seine Angelegenheiten in bezug auf den Steuerbescheid nicht mit der ihm obliegenden Sorgfalt behandelt hat, muß er sich die Versäumung der Einspruchsfrist als Verschulden zurechnen lassen, so daß das HZA die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu Recht abgelehnt hat.
Fundstellen
Haufe-Index 422325 |
BFH/NV 1997, 634 |