Leitsatz (amtlich)
Wird ein Bescheid angefochten, mit dem ein Rechtsanwalt und dessen Ehefrau zusammen zur Einkommensteuer veranlagt worden sind, so kann es im Hinblick auf die Kenntnisse und Fähigkeiten der Ehefrau (sowie wegen der Schwierigkeit des Rechtsstreits) geboten sein, für die Ehefrau gemäß § 139 Abs. 3 Satz 3 FGO die Zuziehung eines Bevollmächtigten im Vorverfahren für notwendig zu erklären. Die insoweit anfallenden Kosten sind auch dann erstattungsfähig, wenn der Ehemann bevollmächtigt wird.
Normenkette
FGO § 139 Abs. 3 S. 3
Tatbestand
Zu entscheiden ist, ob die Zuziehung eines Bevollmächtigten für das Vorverfahren nach § 139 Abs. 3 Satz 3 FGO für notwendig zu erklären ist.
Der Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) ist Rechtsanwalt. Er wurde mit seiner - inzwischen verstorbenen - Ehefrau (Klägerin) zusammen zur Einkommensteuer 1965 veranlagt. Der Beklagte und Beschwerdegegner (FA) lehnte es bei der Veranlagung ab, einen Betrag von 10 160 DM, den der Kläger als Betriebsausgabe geltend gemacht hatte, zum Abzug zuzulassen; diesen Betrag hatte der Kläger einem früheren Mitarbeiter als Darlehen zur Verfügung gestellt und nicht mehr zurückerhalten.
Gegen den Einkommensteuerbescheid legte der Kläger im eigenen Namen sowie im Namen der Klägerin Einspruch ein. Der Einspruch hatte keinen Erfolg. Die hierauf vom Kläger - zugleich im Namen der Klägerin - erhobene Klage führte antragsgemäß zu einer Herabsetzung der Einkommensteuerschuld; die Kosten des Verfahrens wurden dem FA auferlegt.
Im Rahmen des Kostenfestsetzungsverfahrens beantragte der Kläger u. a. , ihm Gebühren und Auslagen für das Einspruchsverfahren zu gewähren bzw. zu erstatten. Das FG erließ hierauf am 24. Oktober 1972 einen Beschluß, mit dem es die Zuziehung eines Bevollmächtigten im Vorverfahren für nicht notwendig erklärte. Zur Begründung führte das FG unter Hinweis auf den Beschluß des BFH vom 10. Febraur 1972 V B 33/71 (BFHE 104, 306, BStBl II 1972, 355) aus, bei Steuerberatern, die in eigener Sache tätig werden, bestehe kein Anspruch auf Erstattung der Kosten des Vorverfahrens gemäß § 139 Abs. 3 Satz 3 FGO. Dies müsse entsprechend auch für Rechtsanwälte gelten, die sich selbst vertreten. Der Kläger könne auch insoweit keine Kostenerstattung erhalten, als er seine Ehefrau im Vorverfahren vertreten habe; denn die Einkünfte seiner Ehefrau seien nicht streitig gewesen.
Mit der Beschwerde wendet sich der Kläger dagegen, daß das FG die Zuziehung eines Bevollmächtigten für das Vorverfahren nicht für notwendig erklärt hat. Die Erstattung von Kosten hätte nach seiner Auffassung jedenfalls insoweit nicht ausgeschlossen werden dürfen, als er seine Ehefrau vertreten hat.
Der Kläger beantragt, unter Aufhebung des angefochtenen Beschlusses "die Kosten eines Bevollmächtigten im Vorverfahren für notwendig zu erklären".
Das FA beantragt, die Beschwerde als unbegründet zurückzuweisen.
Das FG hat der Beschwerde nicht abgeholfen.
Entscheidungsgründe
Die Beschwerde ist begründet.
1. Gebühren und Auslagen, die im Zusammenhang mit der Durchführung eines außergerichtlichen Vorverfahrens entstanden sind, sind erstattungsfähig, wenn das Gericht die Zuziehung eines Bevollmächtigten (oder Beistands) für das Vorverfahren für notwendig erklärt (§ 139 Abs. 3 Satz 3 FGO).
Nach ständiger Rechtsprechung des BFH richtet sich die Notwendigkeit einer Zuziehung von Bevollmächtigten danach, ob es dem Steuerpflichtigen mit Rücksicht auf seine persönlichen Verhältnisse oder die Schwierigkeit des Streitfalls zuzumuten ist, im Vorverfahren seine Sache selbst zu vertreten. Es kommt für die Erstattungsfähigkeit ferner darauf an, ob tatsächlich ein Bevollmächtigter beigezogen worden ist (BFH-Beschluß V B 33/71; Beschluß vom 29. März 1973 IV B 89/70, BFHE 108, 574, BStBl II 1973, 535); Wirtschaftsprüfer, Steuerberater und Rechtsanwälte, die sich im Einspruchsverfahren selbst vertreten, können aus diesem Grunde insoweit keine Kosten erstattet erhalten (BFH-Beschlüsse V B 33/71, IV B 89/70).
Soweit der Kläger in dem von ihm betriebenen Einspruchsverfahren in eigener Sache aufgetreten ist, ist eine Erstattung von Kosten sonach nicht möglich.
2. Etwas anderes gilt jedoch insoweit, als der Kläger im Einspruchsverfahren für seine Ehefrau aufgetreten ist.
Die Notwendigkeit der Zuziehung eines Bevollmächtigten ist ausschließlich nach den persönlichen Verhältnissen des Verfahrensbeteiligten zu beurteilen, um dessen Verfahren es geht; etwaige Kenntnisse und Fähigkeiten eines Familienmitgliedes haben dabei außer Betracht zu bleiben (vgl. BFH-Beschluß vom 29. August 1969 III B 37/66, BFHE 97, 54, BStBl II 1969, 751). Im Streitfall kommt es also für die Frage, ob die Zuziehung eines Bevollmächtigten notwendig war, ausschließlich darauf an, ob es der Klägerin selbst mit Rücksicht auf ihre eigenen persönlichen Kenntnisse und Fähigkeiten und auf die Schwierigkeit des Rechtsstreits zuzumuten war, die Sache im Vorverfahren ohne fremde Hilfe zu vertreten.
Geht man hiervon aus, so war die Zuziehung eines Bevollmächtigten für die Ehefrau des Klägers notwendig. Es war ihr schon angesichts der Schwierigkeiten der anstehenden Rechtsfragen nicht zuzumuten, das Vorverfahren ohne fachkundige Vertretung zu betreiben.
Dem kann nicht entgegengehalten werden, daß eine eigene Beteiligung der Klägerin am Vorverfahren nicht erforderlich gewesen wäre, weil der Rechtsstreit ausschließlich Einkünfte des Klägers betraf. Da der Kläger und die Klägerin als Eheleute zusammen zur Einkommensteuer veranlagt worden sind, sind sie nach § 7 StAnpG - nunmehr: § 44 Abs. 1 AO 1977 - Gesamtschuldner der veranlagten Einkommensteuer. Das Wesen der Gesamtschuld besteht darin, daß jeder Gesamtschuldner die ganze Leistung schuldet, der Gläubiger die Leistung allerdings nur einmal verlangen kann (vgl. § 421 BGB, § 44 AO 1977). Das FA kann sich hiernach - unabhängig von der Frage, wer von den Eheleuten die Einkünfte im einzelnen bezogen hat - an jeden der Ehegatten halten. Der im Falle der Zusammenveranlagung von Ehegatten zur Einkommensteuer nach § 210 Abs. 2 AO - nunmehr: § 155 Abs. 2 AO 1977 - zu erlassende einheitliche Bescheid ist verfahrensrechtlich so zu beurteilen, als ob an jeden Ehegatten ein gesonderter Einkommensteuerbescheid mit demselben Inhalt ergangen wäre (BFH-Urteil vom 11. März 1958 IV 27/58 U, BFHE 66, 556 [559], BStBl III 1958, 212). Bei dieser Sachlage liegt es im Interesse auch des an den Einkünften nicht beteiligten Ehegatten, sich gegen einen Einkommensteuerbescheid zu wehren, der für ihn eine gesamtschuldnerische Haftung mit sich bringt. Die Möglichkeit der Beschränkung der gesamtschuldnerischen Haftung im Vollstreckungsverfahren (§ 7 Abs. 3 Sätze 4 bis 6 StAnpG - nunmehr: §§ 268 ff. AO 1977 -) vermag hieran nichts entscheidendes zu ändern. Die Rechtsprechung des BFH sieht denn auch im Falle einer getrennten Vertretung von zusammen veranlagten Ehegatten durch je einen Anwalt im finanzgerichtlichen Verfahren die Anwaltskosten beider Kläger als erstattungsfähig an (Beschluß vom 11. Mai 1976 VII B 79/74, BFHE 119, 14, BStBl II 1976, 574).
Hält man aber eine Vertretung der Klägerin im Vorverfahren für notwendig, dann kann die Erstattungsfähigkeit der insoweit entstandenen Kosten nicht davon abhängen, ob sich die Klägerin durch ihren Ehemann oder durch eine andere zur Vertretung zugelassene Person vertreten läßt. Es müßte als Verstoß gegen das Grundrecht auf Schutz von Ehe und Familie (Art. 6 Abs. 1 GG) angesehen werden, wenn eine Kostenerstattung nur im Falle der Vertretung durch eine familienfremde Person in Betracht käme, während die Kosten der Vertretung durch den als Rechtsanwalt tätigen Ehemann nicht erstattet werden könnten. Die Gerichte müssen den verbindlichen Wertentscheidungen des Art. 6 Abs. 1 des Grundgesetzes Rechnung tragen. Deshalb dürfen bei der Auslegung einer Rechtsnorm an das Bestehen einer Ehe keine wirtschaftlich nachteiligen Folgen geknüpft werden (vgl. Beschluß des BVerfG vom 18. März 1970 1 BvR 498/66, BVerfGE 28, 104 [112]).
Sonach ist unter Aufhebung der Vorentscheidung zu erkennen, daß die Zuziehung eines Bevollmächtigen im Vorverfahren notwendig war.
Fundstellen
BStBl II 1977, 767 |
BFHE 1978, 9 |