Entscheidungsstichwort (Thema)
Prozesskostenhilfe; Haftungsbescheid
Leitsatz (NV)
1. Das Gericht muss dann nicht vorab über den Antrag auf Prozesskostenhilfe entscheiden, sondern kann sogleich eine Entscheidung in dem Verfahren treffen, für das Prozesskostenhilfe begehrt wird, wenn der Antragsteller seine Einkommens- und Vermögensverhältnisse nicht gegenüber dem Gericht offen legt.
2. § 75 Abs. 1 Satz 1 AO 1977 enthält nur eine den Haftungsschuldner betreffende Regelung.
Normenkette
AO 1977 § 75 Abs. 1 S. 1; FGO § 142; ZPO §§ 114, 117 Abs. 2, 4
Tatbestand
I. Die Antragstellerin betreibt vor dem Finanzgericht (FG) ein Klageverfahren wegen der Einkommensteuerbescheide und der Gewerbesteuermessbescheide 1997 bis 1999 sowie wegen steuerlicher Nebenleistungen. Über diese Klage hat das FG bisher nicht entschieden. Ferner beantragte die Antragstellerin, die Vollziehung der genannten Bescheide auszusetzen und ihr für die vorgenannten Verfahren jeweils Prozesskostenhilfe (PKH) zu bewilligen. Der Aufforderung des Berichterstatters des FG, eine Erklärung über ihre persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse bei PKH (§ 117 Abs. 2 der Zivilprozessordnung --ZPO-- i.V.m. § 142 Abs. 1 der Finanzgerichtsordnung --FGO--) einzureichen, kam die durch einen Steuerbevollmächtigten vertretene Antragstellerin nicht nach.
Durch Beschlüsse (jeweils) vom 11. April 2006 lehnte das FG die Anträge auf Bewilligung von PKH und den Antrag auf Aussetzung der Vollziehung (AdV) ab. In dem zuletzt genannten Beschluss hat das FG die Beschwerde nicht zugelassen.
Gegen alle drei Beschlüsse legte die rechtskundig vertretene Antragstellerin "Beschwerde wegen Nichtzulassung der Revision" ein. Sie macht geltend, die AdV-Entscheidung des FG sei fehlerhaft. Das FG habe nicht vorab über die PKH entschieden. Das FG habe es versäumt, die Antragstellerin darüber zu belehren, dass es auf ihre Vermögensverhältnisse ankomme. Es hätte sie daher erneut auffordern müssen, die für die Beurteilung der PKH erforderlichen Unterlagen einzureichen. Der AdV-Antrag sei auch zulässig gewesen, denn es habe der Antragstellerin die Vollstreckung gedroht. Hinsichtlich der angefochtenen Steuerbescheide sei Festsetzungsverjährung eingetreten. Auch sei gemäß § 4 Abs. 2 der Betriebsprüfungsordnung (BpO) im Falle der Übertragung eines Unternehmens im Ganzen eine Änderung von Steuerbescheiden nur möglich, wenn diese innerhalb einer Frist von zwölf Monaten ergehen und der geänderte Bescheid dem Rechtsnachfolger zugestellt werde.
Ferner stellte die Antragstellerin den Antrag, ihr für die Durchführung dieser Beschwerdeverfahren PKH zu bewilligen und ihr den Bevollmächtigten ihrer Wahl beizuordnen. Entgegen der Ankündigung des Prozessbevollmächtigten der Antragstellerin, die Erklärung nach § 117 Abs. 2 ZPO bis zum 25. Juli 2006 beim Bundesfinanzhof (BFH) einzureichen, ging dort eine solche Erklärung nicht ein.
Entscheidungsgründe
II. Der Antrag auf Bewilligung von PKH wird abgelehnt.
1. Gemäß § 142 Abs. 1 FGO i.V.m. § 114 ZPO erhält ein Beteiligter, der nach seinen persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten einer Prozessführung nicht, nur zum Teil oder nur in Raten aufbringen kann, auf Antrag PKH, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint. Dem beim Prozessgericht zu stellenden Antrag (§ 117 Abs. 1 Satz 1 ZPO) sind eine Erklärung des Beteiligten über seine persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse sowie entsprechende Belege beizufügen (§ 142 Abs. 1 FGO i.V.m. § 117 Abs. 2 ZPO). Die Erklärung ist auf dem amtlichen Vordruck abzugeben (§ 117 Abs. 4 ZPO).
2. Diese Voraussetzungen sind im Streitfall nicht erfüllt. Der Antrag ist bereits deshalb unbegründet, weil die Antragstellerin die gemäß § 117 Abs. 2, 4 FGO erforderliche Erklärung nicht eingereicht hat. Ferner bietet die beabsichtigte Rechtsverfolgung der Durchführung von drei Beschwerdeverfahren keine hinreichende Aussicht auf Erfolg.
a) Die Beschwerden, welche die Antragstellerin gegen die Beschlüsse des FG vom 11. April 2006 über die Ablehnung der Anträge auf Bewilligung von PKH eingelegt hat (X B 92/06 und X B 93/06) sind unzulässig. Denn gemäß § 128 Abs. 2 FGO können Beschlüsse im Verfahren der PKH nicht mit der Beschwerde angefochten werden.
b) Auch die gegen den AdV-Beschluss des FG vom 11. April 2006 gerichtete Beschwerde (X B 91/06) ist unzulässig. Gemäß § 128 Abs. 3 Satz 1 FGO steht den Beteiligten gegen die AdV-Entscheidung die Beschwerde nur zu, wenn sie vom FG in der Entscheidung zugelassen worden ist. Auch die Entscheidung des FG, die Beschwerde nicht zuzulassen, kann nicht mit der Nichtzulassungsbeschwerde angefochten werden (BFH-Beschluss vom 18. Januar 2006 XI B 135/05, BFH/NV 2006, 959, m.w.N.).
c) Die Rechtsbehelfe der Antragstellerin können auch nicht in eine außerordentliche Beschwerde umgedeutet werden. Dies folgt bereits daraus, dass eine außerordentliche Beschwerde wegen sog. greifbarer Gesetzwidrigkeit seit dem zum 1. Januar 2005 erfolgten In-Kraft-Treten des § 133a FGO nicht mehr statthaft ist (z.B. BFH-Beschlüsse vom 30. November 2005 VIII B 181/05, BFHE 211, 37, BStBl II 2006, 188, und vom 21. Februar 2006 V S 25/05, BFH/NV 2006, 1128).
3. Ergänzend weist der angerufene Senat darauf hin, dass bei der gebotenen summarischen Beurteilung der Vortrag der Antragstellerin nicht aufzeigt, dass die angefochtenen Beschlüsse fehlerhaft wären.
a) Zwar kann es rechtsfehlerhaft sein, wenn ein FG nicht vorab über den Antrag auf PKH entscheidet, sondern sogleich eine Entscheidung in dem Verfahren trifft, auf das sich der PKH-Antrag bezieht. In einem solchen Fall kann das Gebot der Rechtsschutzgleichheit verletzt sein. Danach darf einer weniger finanziell bemittelten Person im Vergleich zur bemittelten die Rechtsverfolgung nicht unverhältnismäßig erschwert werden (Bundesverfassungsgericht --BVerfG-- 1. Senat, 2. Kammer, Kammerbeschluss vom 29. September 2004 1 BvR 1281/04, Neue Juristische Wochenschrift-Rechtsprechungs-Report Zivilrecht 2005, 140). Ein solcher Verstoß kann aber nur in Betracht kommen, wenn der Antragsteller seine Einkommens- und Vermögensverhältnisse in der nach § 117 Abs. 2, Abs. 4 ZPO gebotenen Weise gegenüber dem Gericht offenlegt. Geschieht dies nicht, dann kann der Antrag auf PKH schon aus diesem Grund keinen Erfolg haben, weil der Antragsteller nicht dargelegt hat, dass er zum Personenkreis der weniger finanziell bemittelten Personen gehört. Auch auf diesen Gesichtspunkt hat das FG seine Entscheidungen in den PKH-Verfahren gestützt. In einem solchen Fall besteht daher nach Ansicht des erkennenden Senats kein Grund, die Entscheidung des Verfahrens, für das PKH beansprucht wird, zurückzustellen, zumal wenn es wie im Streitfall um ein AdV-Verfahren und damit um einen Eilfall geht.
Entgegen der Rechtsauffassung der Antragstellerin war das FG auch nicht gehalten, dieser erneut aufzugeben, die gemäß § 117 Abs. 2, Abs. 4 ZPO erforderlichen Unterlagen vorzulegen. Denn bei einem rechtskundig vertretenen Antragsteller kann das Gericht davon ausgehen, dass dieser die genannten Vorschriften kennt. Erst recht muss dies gelten, wenn der Berichterstatter des FG wie im Streitfall darum gebeten hat, die Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse zu ergänzen und die entsprechenden Belege vorzulegen (vgl. auch Senatsbeschluss vom 28. September 2005 X S 15/05 (PKH), BFH/NV 2005, 2249).
b) Soweit die Antragstellerin geltend macht, der von ihr gestellte Antrag auf AdV sei zulässig, trifft dies aus den vom FG im angefochtenen Beschluss vom 11. April 2006 (1 V 276/05) genannten Gründen nicht zu. Dass ein angefochtener Steuerbescheid eine Zahlungsaufforderung hinsichtlich der noch nicht getilgten Steuerschuld enthält, bedeutet nicht, dass damit dem Steuerpflichtigen ohne weiteres i.S. von § 69 Abs. 4 Satz 2 Nr. 2 FGO eine Vollstreckung droht. Diese Voraussetzung ist erst dann erfüllt, wenn die Finanzbehörde mit der Vollstreckung begonnen hat oder eine solche unmittelbar bevorsteht (BFH-Beschluss vom 15. Februar 2002 XI S 32/01, BFH/NV 2002, 940).
c) Auch soweit die Antragstellerin meint, die angefochtenen Steuerbescheide hätten wegen bereits eingetretener Festsetzungsverjährung nicht ergehen dürfen, ist dem aus den vom FG im angefochtenen Beschluss vom 11. April 2006 (1 K 275/05) genannten Gründen nicht zu folgen. Gegenteiliges ergibt sich entgegen der Auffassung der Antragstellerin auch nicht aus § 4 Abs. 2 BpO. Diese Verwaltungsvorschrift befasst sich mit dieser Frage nicht. Auch der Anwendungserlass zur Abgabenordnung enthält in Nr. 4.2 zu § 75 der Abgabenordnung (AO 1977) keine den Steuerschuldner betreffende Aussage. Vielmehr wird dort nur zutreffend zum Ausdruck gebracht, dass ein Haftungsbescheid gegenüber dem Betriebsübernehmer ergehen kann, wenn die von dieser Vorschrift erfassten Steuern gegenüber dem Veräußerer innerhalb der Jahresfrist des § 75 Abs. 1 Satz 1 AO 1977 festgesetzt worden sind. Von dieser Haftungsschuld ist aber die Steuerschuld des bisherigen Betriebsinhabers zu trennen. Denn diese Vorschrift enthält keinen Fall der Gesamtrechtsnachfolge (BFH-Urteil vom 2. Mai 1984 VIII R 239/82, BFHE 141, 312, BStBl II 1984, 695 zur Vorgängervorschrift des § 116 Abs. 1 der Reichsabgabenordnung).
Fundstellen