Leitsatz (amtlich)
Die unterschiedlichen Auffassungen in der Rechtsprechung zu der Frage, ob eine Entnahme stets eine Entnahmehandlung voraussetzt und wie eng der Zusammenhang zwischen dem als Entnahmehandlung in Frage kommenden Vorgang und dem gegebenenfalls als Entnahme in Betracht kommenden Wirtschaftsgut sein muß, vermögen ernstliche Zweifel im Sinne des § 69 FGO zu begründen.
Normenkette
EStG § 4 Abs. 1 S. 2; FGO § 69 Abs. 2-3
Tatbestand
Streitig ist im Rahmen des Aussetzungsverfahrens, ob ein zum Betriebsvermögen einer OHG gehörendes Einfamilienhausgrundstück in dem Zeitpunkt als entnommen anzusehen ist, in dem die das Haus bewohnende Gesellschafterin Alleinunternehmerin des Betriebes wird.
Die Klägerin und Beschwerdeführerin (Klägerin) und ihr Bruder P. A. waren gleichberechtigte Gesellschafter einer OHG, bei der der Ehemann der Klägerin vertretungsberechtigter Geschäftsführer war. P. A. starb am 15. Juni 1966. Alleinerbin kraft Testaments wurde seine Witwe C. A. Ein nach dem Tode des P. A. geborenes Kind war zum Ersatzerben eingesetzt worden. Aufgrund der Fassung des Gesellschaftsvertrages der OHG, nach dessen § 9 die Gesellschaft einerseits durch Tod eines Gesellschafters nicht aufgelöst, andererseits aber nur mit solchen Erben fortgesetzt werden soll, die eheliche Abkömmlinge eines Gesellschafters sind, wurde streitig, ob die OHG zu liquidieren sei oder ob die als Gesellschafterin nicht in Frage kommende Erbin C. A. aus der OHG auszuscheiden habe. Dieser Streit endete am 12. Januar 1967 mit einem außergerichtlichen Vergleich. In diesem wurde festgelegt, daß die Klägerin zur Fortführung der Firma berechtigt sei, und vereinbart, daß die Witwe C. A. gegen Abfindung mit einem Auseinandersetzungsguthaben von 4,25 Mill. DM mit Wirkung vom Todestag des Erblassers (15. Juni 1966) aus der Gesellschaft ausscheide. Da der Abfindungsbetrag das Kapitalkonto des verstorbenen P. A. um 2 731 712,29 DM überstieg, wurden die auf den Gesellschaftsanteil entfallenden stillen Reserven mit einem Betrag von 1 996 500 DM aufgelöst. Aufgelöst wurden damit auch zur Hälfte, nämlich mit 125 000 DM, die stillen Reserven, die in dem Grundstück X-Straße steckten, das die OHG im Jahre 1961 erworben, mit einem Einfamilenhaus bebaut und als Betriebsvermögen behandelt hatte. Der nach weiterer Aktivierung eines Teilfirmenwerts von 60 000 DM noch verbleibende Differenzbetrag zum Abfindungsbetrag (675 212,29 DM) wurde in der Gewinn- und Verlustrechnung 1966 als "Abfindung für die Lästigkeit" eines Gesellschafters und damit als sofort abzugsfähige Betriebsausgabe behandelt.
Der Beklagte und Beschwerdegegner (FA) erkannte diesen Abzug nicht an. Im Einspruchsverfahren gegen den gegenüber der OHG ergangenen einheitlichen Gewinnfeststellungsbescheid 1966 vom 6. März 1970 erhöhte das FA sogar noch den der Klägerin zugerechneten Gewinnanteil von 569 552 DM und damit den festgesetzten Gesamtgewinn von 3 638 238 DM um einen Entnahmegewinn von 125 000 DM. Hierbei handelt es sich um den Rest der zur Hälfte bereits aufgedeckten stillen Reserven des Grundstücks X-Straße. Dieses - wie erwähnt - von der OHG bilanzierte und von der Klägerin und ihrem Ehemann ausschließlich zu privaten Wohnzwecken benutzte Grundstück sei, so meinte das FA, durch die Umwandlung der OHG in eine Einzelfirma zum notwendigen Privatvermögen der Alleineigentümerin, nämlich der Klägerin, geworden. Wegen der darin zu erblickenden Entnahme seien somit die gesamten stillen Reserven aufzulösen.
Die Klägerin erhob deshalb Klage, mit der sie an ihrer bisherigen Rechtsauffassung festhielt. Außerdem stellte sie den Gegenstand des vorliegenden Verfahrens bildenden Antrag auf Aussetzung der Vollziehung des streitigen einheitlichen Gewinnfeststellungsbescheides, und zwar beschränkt auf den Betrag von 125 000 DM, der der Klägerin im Hinblick auf die vom FA angenommene Entnahme des Einfamilienhauses X-Straße als Privatentnahme zugerechnet worden war.
Das FG lehnte den Antrag ab. Es führte aus, die Rechtmäßigkeit der Erfassung und Zurechnung dieses Entnahmegewinns im angefochtenen einheitlichen Gewinnfeststellungsbescheid sei nicht ernstlich zweifelhaft. Die Klägerin habe das bis zum Tode ihres Bruders zutreffend als Betriebsvermögen der OHG behandelte Grundstück X-Straße durch eine konkludente Entnahmehandlung zum 15. Juni 1966 in ihr Privatvermögen überführt. Die Entnahmehandlung liege in der Vereinbarung vom 12. Januar 1967 über das Ausscheiden der Witwe C. A. aus der Gesellschaft und der Fortführung des Unternehmens durch die Klägerin. Die Umwandlung der OHG in ein Einzelunternehmen und der damit verbundene Erwerb des Alleineigentums des ihren Wohnzwecken dienenden Einfamilienhauses durch die Klägerin habe dessen zwangsläufige Überführung in das Privatvermögen bewirkt. Eine erfolgsneutrale Ausbuchung des Grundstücks zum Buchwert komme entgegen der Ansicht der Klägerin nicht in Betracht, da dies nach der Rechtsprechung nur möglich sei, wenn ein Wirtschaftsgut, obwohl von Anfang an notwendiges Privatvermögen, zu Unrecht als Betriebsvermögen bilanziert worden sei (Hinweis auf die Urteile des BFH vom 21. Juni 1972 I R 189/69, BFHE 106, 422, BStBl II 1972, 874, und vom 19. Juni 1973 I R 201/71, BFHE 109, 529, BStBl II 1973, 706). - Die Erfassung des Entnahmegewinns im Streitjahr 1966 begegne, auch wenn die Umwandlung der OHG in eine Einzelfirma erst am 12. Januar 1967 vereinbart worden sei, keinen Bedenken. Nach der Rechtsprechung handele es sich nicht um eine - im Steuerrecht unzulässige - rückwirkende Gestaltung, wenn durch die spätere Vereinbarung lediglich der Streit oder die Ungewißheit über ein bestehendes Rechtsverhältnis beendet werde. Im Streitfall sei durch die Vereinbarung vom 12. Januar 1967 lediglich endgültig klargestellt worden, daß die Witwe C. A. mit dem Tode von P. A. aus der Gesellschaft ausgeschieden und die Klägerin Alleininhaberin der Firma geworden sei. Insoweit sei keine rückwirkende Umwandlung der Gesellschaft in ein Einzelunternehmen erfolgt, sondern lediglich eine Klarstellung, daß diese Umwandlung bereits mit Wirkung vom 15. Juni 1966 stattgefunden habe.
Mit der Beschwerde, der das FG nicht abhalf, macht die Klägerin geltend, eine Entnahme des streitigen Grundstücks habe nicht stattfinden können, da das Wirtschaftsgut weder im Zeitpunkt der Vereinbarung vom 12. Januar 1967 noch in dem Zeitpunkt, auf den sich die Vereinbarung bezogen habe (Todestag des Gesellschafters P. A.), entnahmefähig gewesen sei. Denn das Grundstück sei mit dem Tode von P. A. und nicht aufgrund der späteren Vereinbarung in das Alleineigentum der Klägerin gelangt und damit deren notwendiges Privatvermögen geworden. Eine spätere Entnahmehandlung sei daher nicht mehr möglich gewesen. Diese in der Vereinbarung vom 12. Januar 1967 zu sehen, wäre allenfalls möglich, wenn die Witwe C. A. zunächst Gesellschafterin geworden, dann aber aufgrund der Vereinbarung mit Rückwirkung auf den Todestag ihres Mannes aus der Gesellschaft ausgeschieden wäre. So liege der Streitfall aber nicht, da P. A. mit seinem Tode aus der Gesellschaft ausgeschieden sei, ohne daß eine dritte Person an seine Stelle getreten sei. Den Tod des Gesellschafters P. A. als Entnahmehandlung zu qualifizieren, erscheine aber selbst bei Annahme eines finalen Entnahmebegriffs unangebracht. Das Gesetz weise hier eine Lücke auf, die zu schließen erst der Entwurf eines 3. Steuerreformgesetzes (Bundestagsdrucksache 7/1470) unternehme, indem dort nach Art. 1 § 15 eine Entnahme auch für den Fall als gegeben angesehen werde, daß ein Wirtschaftsgut nicht mehr als Betriebsvermögen ausgewiesen werden dürfe. Nach dem derzeit noch geltenden Recht könne jedoch auf eine Entnahmehandlung nicht verzichtet werden. Im Streitfall sei das Grundstück ... Straße 11a, da es als notwendiges Privatvermögen nicht bilanziert werden und mangels Entnahmehandlung auch nicht als entnommen angesehen werden dürfe, erfolgsneutral aus der Bilanz auszubuchen.
Die Klägerin beantragt, die Vollziehung des einheitlichen Gewinnfeststellungsbescheides 1966 auszusetzen, soweit in ihm ein Entnahmegewinn von 125 000 DM berücksichtigt worden ist.
Das FA beantragt Zurückweisung der Beschwerde.
Entscheidungsgründe
Die Beschwerde ist begründet.
Unter Betonung des Grundsatzes, daß eine Entscheidung nach § 69 Abs. 3 in Verbindung mit Abs. 2 FGO über die Aussetzung der Vollziehung eines Verwaltungsaktes einer Entscheidung in der Hauptsache nicht vorgreifen darf und kann, gelangt der Senat zu dem Ergebnis, daß hinsichtlich der streitigen Entnahme ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen einheitlichen Gewinnfeststellungsbescheides nicht verneint werden können.
1. Die im angefochtenen Verwaltungsakt vom FA vorgenommene Aufdeckung der im Einfamilienhausgrundstück X-Straße noch enthaltenen stillen Reserven von 125 000 DM wäre, ohne daß dies ernstlich bezweifelt werden könnte, dann rechtmäßig, wenn man im Sinne der Lehre vom sogenannten finalen Entnahmebegriff davon ausgehen könnte, daß das Vorliegen einer Entnahme immer dann angenommen werden müsse, wenn anderenfalls, d. h. ohne diese Annahme, stille Reserven für immer der Besteuerung entzogen würden (vgl. hierzu das Urteil des Senats vom 17. August 1972 IV R 26/69, BFHE 107, 27, BStBl II 1972, 903, und den Vorlagebeschluß des Senats zum Großen Senat vom 21. Februar 1973 IV R 128/71, BFHE 108, 356, BStBl II 1973, 313, Abschn. III Nr. 2). Es wäre damit die Aufdeckung stiller Reserven allein schon aufgrund des Umstandes geboten, daß das die stillen Reserven beinhaltende Wirtschaftsgut nicht mehr als Betriebsvermögen ausgewiesen werden darf, eine Rechtslage also, wie sie jedenfalls de lege ferenda im Entwurf zum 3. Steuerreformgesetz (a. a. O., Art. 1, § 15 Abs. 1 Nr. 1b) vorgesehen ist. Diese Rechtslage würde bedeuten, daß, wie es in der Begründung zum Entwurf heißt (Bundestagsdrucksache, a. a. O., S. 248), eine besondere Entnahmehandlung in diesem Falle zur Verwirklichung des Entnahmetatbestandes nicht erforderlich sei. Dies jedoch schon für den Bereich des geltenden Rechts anzunehmen, begegnet ernstlichen Zweifeln, und ist daher als Rechtsgrundlage für eine Entscheidung im summarischen Verfahren über die Aussetzung der Vollziehung ungeeignet. Ernstliche Zweifel bestehen deshalb, weil nach bisher herrschender Auffassung in Rechtsprechung und Schrifttum jede Entnahme eine Entnahmehandlung voraussetzt (vgl. die BFH-Urteile vom 21. November 1973 I R 252/71, BFHE 111, 83, BStBl II 1974, 314; vom 11. Dezember 1973 VIII R 15/70, BFHE 111, 404, BStBl II 1974, 315; den genannten Vorlagebeschluß des Senats IV R 128/71; das BFH-Urteil vom 9. Februar 1972 I R 205/66, BFHE 105, 15, BStBl II 1972, 455, mit weiteren Hinweisen, ferner z. B. Littmann, Das Einkommensteuerrecht, 11. Aufl., §§ 4, 5 Rdnr. 355 ff.; Keuk, Der Betrieb 1973 S. 890 [892]; Schumann, Finanz-Rundschau 1974 S. 466). Inwieweit die noch nicht bekannte Entscheidung des Großen Senats des BFH über die Frage der Entnahme von Grund und Boden beim Strukturwandel in der Landwirtschaft aufgrund des genannten Anrufungsbeschlusses eine Klärung, auch hinsichtlich des unbedingten Erfordernisses einer Entnahmehandlung bringen wird, kann nicht übersehen werden. Ernstliche Zweifel können jedenfalls angesichts der zum Teil kontroversen Auffassungen des I. und des IV. Senats des BFH nicht geleugnet werden.
2. Auch eine klare Rechtslage in dem Sinne, daß jedenfalls keine Gewinnrealisierung infolge einer Entnahme vorliegen könne, weil das streitige Grundstück als notwendiges Privatvermögen nicht entnahmefähig und deshalb erfolgsneutral auszubuchen sei, kann ebenfalls nicht anerkannt werden. Zutreffend weist das FG darauf hin, daß die Rechtsprechung (vgl. die Urteile des BFH I R 189/69 und I R 201/71) die erfolgsneutrale Ausbuchung eines Wirtschaftsgutes nur zugelassen hat, wenn dieses von Anfang an zu Unrecht bilanziert worden ist, und daß ein solcher Fall bei dem hier streitigen Grundstück, das auf den Namen der OHG eingetragen war, nicht vorliegt (vgl. Urteil des BFH vom 8. Oktober 1965 VI 185/64 U, BFHE 83, 574, BStBl III 1965, 708).
3. Da somit unter Ausschluß ernstlicher Zweifel weder wegen der Gefahr, daß stille Reserven der Besteuerung verlorengehen können, eine Gewinnrealisierung bejaht, noch wegen des Umstandes, daß das Grundstück notwendiges Privatvermögen geworden ist, eine Aufdekkung der stillen Reserven verneint werden kann, kommt als entscheidendes Kriterium für die Rechtmäßigkeit der Besteuerung der stillen Reserven nur noch in Betracht, ob das FA zu Recht eine Entnahmehandlung im Streitjahr annehmen durfte. Auch gegen diese Annahme bestehen jedoch ernstliche Zweifel.
a) Geht man mit der Klägerin davon aus, daß das Grundstück mit dem Tode von P. A. in das Alleineigentum der Klägerin gelangt und damit deren notwendiges Privatvermögen geworden sei, so kann jedenfalls dieser Todesfall nicht als eine Entnahmehandlung der Klägerin gewertet werden. Aber auch wenn man mit dem FA der Meinung ist, das Grundstück habe nach dem Tode von P. A. noch zum Gesamthandsvermögen einer Liquidationsgesellschaft gehört (vgl. Urteil des Senats vom 22. Juni 1967 IV 190/63, BFHE 89, 334, BStBl III 1967, 630) und sei erst durch den Vergleich vom 12. Januar 1967 über das Ausscheiden der Witwe C. A. aus der Liquidationsgesellschaft in das Alleineigentum der Klägerin gelangt, bestehen hinsichtlich der Annahme einer Entnahmehandlung ernstliche Zweifel. Denn es herrscht offensichtlich in der Rechtsprechung noch keine eindeutige Klarheit darüber, inwieweit eine Entnahmehandlung unmittelbar auf das zu entnehmende Wirtschaftsgut gerichtet sein muß. Die kontroversen Auffassungen werden wiederum deutlich am Beispiel des sogenannten Strukturwandels, wo der IV. Senat des BFH unternehmerische Handlungen, aus denen der Strukturwandel folgt, als Entnahmehandlung gewertet wissen will, während der I. Senat dies verneint. Im Streitfall wäre jedenfalls das Ausscheiden des streitigen Grundstücks aus dem Betriebsvermögen eine sehr entfernte und mittelbare Folge des Vergleichs vom 12. Januar 1967, wobei dahinstehen muß, ob die Vergleichsparteien sich überhaupt dieser Folge bewußt gewesen sind. Ob es dann für die Frage der Bejahung oder Verneinung einer Entnahme noch darauf ankommen kann, ob das Wirtschaftsgut, wenn es auch nicht mehr bilanziert zu werden braucht, doch wenigstens im betrieblichen Bereich verbleibt, und ob in diesem Fall oder auch im vorliegenden Fall eine Besteuerung der stillen Reserven überhaupt unterbleiben oder wenigstens später durchgeführt werden kann, wenn einer der "klassischen" Realisierungstatbestände (z. B. eine Veräußerung) gegeben ist, sind weitere Fragen, die zu ernstlichen Zweifeln Anlaß geben.
Betont sei nochmals, um Mißverständnissen vorzubeugen, daß hier keineswegs die Frage endgültig verneint sein soll, ob in den Fällen, in denen Wirtschaftsgüter durch Vorgänge, die nicht als Entnahmehandlungen qualifizierbar sind, nicht nur aus der Bilanz ausscheiden, sondern auch den Zusammenhang mit dem Betrieb überhaupt verlieren (insoweit ist hier die Situation anders als beim Strukturwandel) - ob also in solchen Fällen nicht doch eine Gewinnrealisierung angenommen und dadurch eine etwa insoweit im Gesetz bestehende Lücke systemgerecht ausgefüllt werden muß. Hiervon kann jedoch wegen der immerhin in erheblichem Umfange bestehenden Zweifel im Verfahren über die Aussetzung der Vollziehung nach § 69 FGO nicht ausgegangen werden.
Fundstellen