Entscheidungsstichwort (Thema)
Beschwerde gegen einen Einstellungsbeschluß gemäß § 72 Abs. 2 Satz 2 FGO
Leitsatz (NV)
1. Die Beschwerde gegen einen Einstellungsbeschluß, mit der die Unwirksamkeit der Klagerücknahme geltend gemacht wird, führt dazu, daß der Einstellungsbeschluß aufgehoben wird und daß die Sache an das FG zurückverwiesen wird, damit dieses im Urteilsverfahren sachlich über die Klage entscheidet oder ausspricht, daß die Klage zurückgenommen ist.
2. Der Einstellungsbeschluß ist vom BFH auch dann aufzuheben, wenn das FG inzwischen durch Urteil entschieden hat, daß die Klage zurückgenommen worden ist.
Normenkette
FGO § 72 Abs. 2 S. 2, § 128 Abs. 1; GKG § 8 Abs. 1
Tatbestand
Der Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) hat wegen Einkommensteuer, Umsatzsteuer und Gewerbesteuermeßbetragsfestsetzungen verschiedener Jahre Klage erhoben. Im Termin vom 8. Mai 1985 erklärte der Kläger, daß er in der Streitsache die Klage zurücknehme.
Das Finanzgericht (FG) hat daraufhin mit Beschluß vom 18. Juli 1985 das Verfahren gemäß § 72 Abs. 2 Satz 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) eingestellt.
Der Kläger hat den Einstellungsbeschluß mit der Beschwerde angefochten. Seine Prozeßbevollmächtigten haben zur Begründung der Beschwerde nichts vorgetragen.
Mit Urteil vom 14. Januar 1986 hat das FG entschieden, daß die Klage zurückgenommen ist. Die Beschwerde des Klägers wegen Nichtzulassung der Revision gegen dieses Urteil hat der Senat mit Beschluß vom 30. Dezember 1986 als unzulässig verworfen.
Das FG hat der Beschwerde gegen den Einstellungsbeschluß nicht abgeholfen und sie dem Senat mit Schreiben vom 20. Februar 1986 zur Entscheidung vorgelegt.
Entscheidungsgründe
Die Beschwerde ist zulässig und begründet. Sie führt zur Aufhebung des Einstellungsbeschlusses des FG.
1. Es liegt eine Beschwerde gegen den Beschluß des FG vom 18. Juli 1985 vor. Der Kläger hat in seinen Schreiben vom 6. und 13. September 1985 deutlich zum Ausdruck gebracht, daß er Beschwerde einlegen will. Bei dieser Sachlage ist für eine Umdeutung der Beschwerde in eine Anregung an das FG, das Verfahren fortzusetzen, kein Raum (Beschluß des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 16. Juni 1982 VII B 12/82, nicht veröffentlicht).
2. Gegen einen Einstellungsbeschluß gemäß § 72 Abs. 2 Satz 2 FGO ist die Beschwerde, mit welcher Unwirksamkeit der Klagerücknahme geltend gemacht wird, statthaft (BFH-Beschlüsse vom 19. Januar 1972 II B 26/69, BFHE 104, 291, BStBl II 1972, 352; vom 9. Mai 1972 IV B 99/70, BFHE 105, 246, BStBl II 1972, 543; vom 30. Januar 1980 VI B 116/79, BFHE 129, 538, BStBl II 1980, 300). Die Statthaftigkeit folgt aus § 128 Abs. 1 FGO, wonach gegen Entscheidungen des FG, die nicht Urteile oder Vorbescheide sind, den Beteiligten die Beschwerde an den BFH zusteht, soweit in der FGO nichts anderes bestimmt ist. Eine die Statthaftigkeit ausschließende Bestimmung ist in der FGO nicht enthalten.
3. Nach der ständigen Rechtsprechung des BFH kann der Streit über die Klagerücknahme nicht im Beschwerdeverfahren gegen den Einstellungsbeschluß entschieden werden. Vielmehr muß die Beschwerde dazu führen, daß der Einstellungsbeschluß aufgehoben wird und daß die Sache an das FG zurückverwiesen wird, damit dieses im Urteilsverfahren sachlich über die Klage entscheidet oder ausspricht, daß die Klage zurückgenommen ist (Beschlüsse in BFHE 104, 291, BStBl II 1972, 352; BFHE 105, 246, BStBl II 1972, 543; BFHE 129, 538, BStBl II 1980, 300; vom 21. Februar 1985 V B 75/84, BFH/NV 1986, 99).
Das FG hat zwar inzwischen durch Urteil entschieden, daß die Klage zurückgenommen worden ist. Es hat aber versäumt, den Einstellungsbeschluß aufzuheben. Dies hat aus Gründen der Rechtsklarheit zu geschehen (vgl. Beschlüsse in BFHE 104, 291, BStBl II 1972, 352; BFHE 105, 246, BStBl II 1972, 543).
Durch die Nichtaufhebung des Einstellungsbeschlusses ist der Kläger beschwert, denn der in der Gestalt eines förmlichen Beschlusses ergangene Einstellungsbeschluß stellt jedenfalls formell eine Beschwer für denjenigen dar, der mit der Einstellung des Verfahrens nicht einverstanden ist. Die Beschwer wird im Streitfall auch dadurch deutlich, daß das FG den Einstellungsbeschluß in seinem Urteil mehrfach erwähnt hat und der Beschwerde gegen den Einstellungsbeschluß nicht abgeholfen, sondern sie dem BFH zur Entscheidung vorgelegt hat.
4. Die unterlassene Aufhebung des Einstellungsbeschlusses ist durch den Senat nachzuholen. Durch die Beschwerde hat der Kläger geltend gemacht, daß die Klagerücknahme unwirksam sei. Damit war der Einstellungsbeschluß gegenstandslos geworden und aufzuheben.
5. Entsprechend dem allgemeinen Grundsatz, daß die Kosten eines Rechtsstreits dem zur Last fallen, der im Ergebnis unterliegt, hat der Kläger auch die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu tragen, denn er ist im Hauptsacheverfahren unterlegen. Von der Erhebung von Gerichtskosten für das Beschwerdeverfahren wird gemäß § 8 Abs. 1 des Gerichtskostengesetzes abgesehen, weil solche Kosten bei der gebotenen Abhilfe der Beschwerde vermieden worden wären.
Fundstellen
Haufe-Index 414963 |
BFH/NV 1987, 383 |