Entscheidungsstichwort (Thema)
Unterlassene Beiladung als Verfahrensfehler oder Rechtsanwendungsfehler
Leitsatz (NV)
Hat das FG eine Beiladung nach §174 Abs. 5 AO 1977 unterlassen, weil es, wie es ausführlich begründet hat, die Voraussetzungen der Vorschrift nicht als erfüllt ansah, stellt die Unterlassung im Rahmen einer Nichtzulassungsbeschwerde keinen Verfahrensmangel dar.
Normenkette
FGO § 115 Abs. 2 Nr. 3
Tatbestand
Der Beklagte und Beschwerdeführer (das Finanzamt -- FA --) rechnete in den angefochtenen Umsatzsteueränderungsbescheiden für 1989 und 1990 dem Kläger und Beschwerdegegner (Kläger) Umsätze über Reinigungsleistungen zu, die in einem zum 1. Januar 1989 an seine Ehefrau verkauften Reinigungsbetrieb ausgeführt worden waren.
Auf die Sprungklage änderte das Finanzgericht (FG) die Steuerfestsetzungen und entschied, daß die Umsätze und Vorsteuerbeträge im Zusammenhang mit dem bezeichneten Betrieb nicht berücksichtigt werden dürften. In der Begründung des der Klage stattgebenden Urteils führte das FG u. a. aus, daß die dem Kläger zugerechneten Reinigungsleistungen in dem an seine Ehefrau veräußerten Betrieb bei einer Würdigung des Gesamtergebnisses des Verfahrens von dieser aufgeführt worden seien. Dafür sei nach der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) maßgebend, wer in wessen Namen die Ausgangsleistungen gegenüber Dritten ausgeführt habe. Für die Zurechnung von Umsätzen zwischen Ehegatten sei abweichend vom Ertragsteuerrecht kein Fremdvergleich anzustellen. Für die Schlußfolgerung des FA, daß der Kläger die Leistungen erbracht habe, reichten die dafür herangezogenen Beweisanzeichen nicht aus, nach denen die Veräußerung des Reinigungsbetriebes an seine Ehefrau nicht anzuerkennen sei, weil er nach dem Verkauf noch Überweisungen unterschrieben und die Buchführung übernommen habe und einige Lastschriften auf den Namen des Klägers ausgestellt worden seien. Diese Indizien ließen keinen Schluß auf die Ausgangsleistungen zu und seien durch die unter Ehegatten übliche Hilfeleistung, z. B. bei der Buchführung, erklärbar.
Für die Annahme, daß die Ehefrau des Klägers die umstrittenen Reinigungsumsätze ausgeführt habe, sei erheblich, daß sie ständig in der Reinigung tätig gewesen sei und daß sie über Reinigungsleistungen auf Rechnungsvordrucken abgerechnet habe, die auf ihren Namen ausgestellt worden seien. Anhaltspunkte, weshalb die Sachverhaltsdarstellung des Klägers unzutreffend sein sollte, seien nicht ersichtlich. Seine Ehefrau habe schließlich von 1982 bis 1987 ein eigenes Reinigungsunternehmen betrieben.
Gegen die Vermutung des FA, die Reinigung sei der Ehefrau des Klägers nur durch Scheingeschäft übertragen worden, spreche, daß sie die mit dem Betrieb der Reinigung verbundenen steuerlichen Pflichten in vollem Umfang erfüllt und insbesondere den Erlös aus der Veräußerung zutreffend erfaßt habe. Die Ernsthaftigkeit der Geschäftsübertragung werde dadurch bestätigt, daß sie für den Erwerb der Reinigung ein Darlehen aufgenommen habe, gegenüber der Bank als Darlehensnehmerin aufgetreten sei, damit den Kaufpreis finanziert und dem Kläger Liquidität zugeführt habe.
Einen Antrag des FA, die Ehefrau des Klägers zum Verfahren nach §174 Abs. 5 der Abgabenordnung (AO 1977) beizuladen, lehnte das FG ab, weil eine Änderung der Steuerfestsetzung gegen sie nach Eintritt der Festsetzungsverjährung nicht mehr in Betracht komme.
Mit der Beschwerde begehrt das FA die Zulassung der Revision wegen Verfahrensfehlern.
Das FG habe die Pflicht zur Sachaufklärung (§76 der Finanzgerichtsordnung -- FGO --) verletzt, das Gesamtergebnis des Verfahrens fehlerhaft gewürdigt (§96 Abs. 1 FGO) und wegen der unterlassenen Hinzuziehung der Ehefrau des Klägers nach §174 Abs. 5 AO 1977 den Sachverhalt mangelhaft aufgeklärt sowie das rechtliche Gehör verletzt.
Zur Begründung der Verletzung der Pflicht zur Sachverhaltsaufklärung macht das FA u. a. geltend, das FG habe die Grundlagen für seine Schlußfolgerung, die Umsätze in dem veräußerten Reinigungsbetrieb habe die Ehefrau des Klägers ausgeführt, überraschend auf ihre tägliche Anwesenheit, auf ein Hinweisschild an der Ladentür und auf Rechnungsvordrucke gestützt, ohne darüber selbst Beweis zu erheben oder ihm, dem FA, Gelegenheit zu einem Beweisantritt zu geben.
Das FG habe in die Würdigung des Gesamtergebnisses des Verfahrens (§96 Abs. 1 FGO) nicht alle maßgebenden Umstände einbezogen, insbesondere nicht die Praxis der Lohnsteueranmeldung. Die Schlußfolgerungen aus den in die Würdigung einbezogenen Umständen rechtfertigten die Annahme der Unternehmertätigkeit der Ehefrau des Klägers nicht.
Das FG habe die Ehefrau des Klägers verfahrensfehlerhaft nicht zum Verfahren beigeladen (§174 Abs. 5 AO 1977). Es habe die Beiladung auch nicht wegen Eintritts der Festsetzungsverjährung unterlassen dürfen. Zwar habe die Ehefrau des Klägers die Steuererklärungen für die Streitjahre 1989 und 1990 im Jahr 1990 abgegeben. Die Steuererklärung für 1990 habe sie aber nicht unterschrieben. Daß das FG dies nicht habe erkennen können, weil ihm die schriftlich angeforderten Steuerakten der Ehefrau bis zur Verkündung des Urteils in der fortgesetzten mündlichen Verhandlung nicht übersandt worden waren und weil ein Vertreter des FA in der bezeichneten mündlichen Verhandlung nicht erschienen war, ändere daran nichts. Auf telefonische Anfrage wäre dem FG das Fehlen der Unterschrift unter der Steuererklärung ohne zeitliche Verzögerung mitgeteilt worden.
Der Kläger ist der Beschwerde entgegengetreten.
Entscheidungsgründe
Die Nichtzulassungsbeschwerde hat keinen Erfolg. Die Revision ist wegen der gerügten Verfahrensmängel (§115 Abs. 2 Nr. 3 FGO) nicht zuzulassen. Es kann dahinstehen, ob die Rügen den Anforderungen (§115 Abs. 3 Satz 3 FGO) genügen.
Verfahrensmängel i. S. von §115 Abs. 2 Nr. 3 FGO sind Verstöße des FG gegen den in Vorschriften des Gerichtsverfahrensrechts geregelten Ablauf des Verfahrens. Bei der Prüfung, ob und wodurch das FG das Verfahren vorschriftswidrig durchgeführt hat, ist von der sachlich-rechtlichen Auffassung des FG auszugehen (ständige Rechtsprechung des BFH, z. B. Beschluß vom 27. Januar 1997 V B 83/96, BFH/NV 1997, 766, m. w. N.). Somit ist auch für die Frage, ob und welche Tatsachen das FG von Amts wegen aufklären muß (§76 Abs. 1 Satz 1 FGO), um den Streitfall zu entscheiden, die Rechtsauffassung des FG über das materielle Recht maßgebend.
a) Soweit das FA Verletzung der Amtsermittlungspflicht durch das FG rügt (§76 Abs. 1 Satz 1 FGO), hätte es in der Beschwerde darlegen müssen, welche Tatsachenbehauptung aufklärungsbedürftig gewesen ist, welche Beweismittel zu welchen Beweisthemen das FG nicht ausgeschöpft hat, weshalb es nicht selbst eine entsprechende Beweiserhebung beantragt hat oder weshalb sich dem FG die Beweiserhebung ohne einen entsprechenden Antrag hätte aufdrängen müssen (ständige Rechtsprechung, vgl. BFH-Beschluß vom 28. Juli 1997 VIII B 68/96, BFH/NV 1998, 29, m. w. N.).
Entsprechende Darlegungen enthält die Beschwerdeschrift nicht. Wenn im Zusammenhang mit der Rüge einer unzureichenden Sachverhaltsaufklärung die Schlußfolgerungen des FG wegen der Anwesenheit der Ehefrau des Klägers im Reinigungsbetrieb, wegen der für Reinigungsleistungen verwendeten Rechnungsvordrucke und wegen des Hinweisschildes auf den Ladeninhaber angegriffen werden, wendet sich das FA nur gegen die Beweiswürdigung des FG. Das FA hat auch nicht substantiiert bezeichnet, welche Aufklärung sich dem FG hätte aufdrängen müssen, um die Verhältnisse in dem bereits 1990 weiterverkauften Betrieb aufzuklären. Das FA hat es ausweislich des Protokolls über die mündliche Verhandlung vor dem FG unterlassen, Anträge zur weiteren Sachverhaltsaufklärung zu stellen. In der mündlichen Verhandlung war der Inhalt der Rechnungsformulare so geschildert worden, wie er vom FG seinen Schlußfolgerungen zugrunde gelegt worden war.
b) Die Revision gegen die Vorentscheidung ist auch nicht wegen einer Verletzung des rechtlichen Gehörs des FA durch das FG zuzulassen.
Verfahrensfehler wegen Verletzung des rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 des Grundgesetzes -- GG --, §96 Abs. 2 FGO) sind nur schlüssig vorgetragen, wenn u. a. bezeichnet wird (§115 Abs. 3 Satz 3 FGO), was nicht hatte vorgetragen werden können und was bei ausreichender Gewährung des rechtlichen Gehörs noch vorgetragen worden wäre (ständige Rechtsprechung, vgl. BFH-Beschluß vom 19. Juni 1996 II B 26/96, BFH/NV 1996, 841).
Diese Anforderungen (§115 Abs. 3 Satz 3 FGO) erfüllt die Beschwerdeschrift nicht. Insbesondere fehlt der Vortrag, was das FA noch konkret vorgetragen hätte, wenn ihm das beanspruchte rechtliche Gehör gewährt worden wäre; denn wer nichts weiter vorgetragen hätte, kann sich auf eine Verletzung des rechtlichen Gehörs nicht berufen (BFH- Beschluß vom 27. Dezember 1993 V B 82/92, BFH/NV 1995, 398). Das FA beanstandet lediglich die Beweisergebnisse des FG. Damit greift das FA die Richtigkeit der Vorentscheidung an, rügt aber keinen Verfahrensfehler (vgl. BFH-Beschluß vom 7. Mai 1997 V B 123/96, BFH/NV 1998, 33).
c) Die Zulassung der Revision wegen eines Verfahrensmangels (§115 Abs. 2 Nr. 3 FGO) durch Verletzung des §96 Abs. 1 Satz 1 FGO wegen nicht vollständiger Berücksichtigung des Gesamtergebnisses des Verfahrens setzt voraus, daß eine entsprechende Rüge ordnungsgemäß erhoben wird. Der Beschwerdeführer muß darlegen (§115 Abs. 3 Satz 3 FGO), welches Vorbringen tatsächlicher Art das FG in dem angefochtenen Urteil nicht berücksichtigt (BFH-Beschluß vom 26. April 1996 III B 1/96, BFH/NV 1996, 831) oder welchen nicht dem Vorbringen der Beteiligten entsprechenden Sachverhalt es seiner Entscheidung zugrunde gelegt hat (BFH-Beschluß vom 12. September 1996 X B 76/96, BFH/NV 1997, 246). Er muß angeben, welche Tatsachen, insbesondere welche Schreiben in den Steuerakten, das FG nicht beachtet hat (vgl. BFH-Beschluß vom 28. September 1995 V B 35/95, BFH/NV 1996, 412); denn zu dem Gesamtergebnis des Verfahrens gehört der durch das Klagebegehren begrenzte Prozeßstoff, der durch die Sachaufklärung des FG und durch die Mitwirkung der Beteiligten verschafft worden ist, einschließlich des Inhalts der dem FG vorgelegten Akten (vgl. BFH-Beschluß vom 21. März 1996 XI B 64/95, BFH/NV 1996, 695).
Die Rüge des FA beschränkt sich indessen darauf darzulegen, das FG habe die unrichtigen Schlußfolgerungen aus einer Anzahl näher bezeichneter Tatsachen gezogen. Weil das FG diese Tatsachen (Kassen- und Geschäftsführung, Abwicklung des Zahlungsverkehrs, Anwesenheit der Ehefrau im Geschäft, Hinweis auf den Ladeninhaber, Inhalt von Rechnungsvordrucken) jedoch gewürdigt und andere vom FA erwähnte Umstände (Lohnsteueranmeldung und Mietvertrag über die Geschäftsräume) für die Entscheidung über die Zurechnung von Umsätzen als entscheidungsunerheblich angesehen hat, liegt insoweit ebenfalls kein Verfahrensfehler vor.
d) Auch die unterlassene Beiladung der Ehefrau des Klägers (§174 Abs. 5 AO 1977) beruht nicht auf einem Verfahrensfehler. Das FG hat die Beiladung unterlassen, weil -- wie es im Urteil ausführlich begründet hat -- die Voraussetzungen dafür nicht vorgelegen haben. Selbst eine rechtlich fehlerhafte Beurteilung einer Verfahrensvorschrift, z. B. durch die unzutreffende Auslegung der Voraussetzungen über eine notwendige Beiladung, kann als Rechtsanwendungsfehler nicht zur Zulassung der Revision wegen eines Verfahrensfehlers führen (BFH-Beschluß vom 10. November 1987 V B 19/85, BFH/NV 1988, 448).
Fundstellen
Haufe-Index 67229 |
BFH/NV 1998, 982 |