Entscheidungsstichwort (Thema)
Anforderungen an schlüssige Sachaufklärungs- und Gehörsrüge; Verletzung des Grundsatzes der Unmittelbarkeit der Beweisaufnahme als verzichtbarer Mangel; Rüge eines schwerwiegenden Schätzungsfehlers
Leitsatz (NV)
1. Machen die Beschwerdeführer einen Verstoß gegen die Sachaufklärungspflicht mit der Begründung geltend, das FG habe auch ohne entsprechende Beweisantritte von Amts wegen den Sachverhalt weiter aufklären müssen, so sind sie gehalten, u.a. substantiiert auszuführen,
- welche entscheidungserheblichen Tatsachen sich bei einer weiteren Sachaufklärung oder Beweisaufnahme voraussichtlich ergeben hätten,
- inwiefern eine weitere Aufklärung des Sachverhalts auf der Grundlage des materiell-rechtlichen Standpunkts des FG zu einer anderen Entscheidung hätte führen können und
- dass der Mangel in der (nächsten) mündlichen Verhandlung vor dem FG gerügt wurde oder ‐ falls dies nicht geschehen sein sollte ‐ aus welchen (entschuldbaren) Gründen eine dahingehende Rüge unterblieb.
2. Bezieht sich der (vorgebliche) Verstoß gegen den Grundsatz des rechtlichen Gehörs nur auf einzelne Feststellungen oder rechtliche Gesichtspunkte, so verlangt die ständige Rechtsprechung des BFH für die zulässige Gehörsrüge, dass der Beschwerdeführer im Einzelnen schlüssig darlegt, was er bei ausreichender Gewährung des rechtlichen Gehörs noch (zusätzlich) vorgetragen hätte und dass dies ‐ unter Zugrundelegung des vom FG vertretenen materiell-rechtlichen Standpunkts ‐ zu einer anderen Entscheidung hätte führen können.
3. Ein Verfahrensmangel kann nicht mehr mit Erfolg gerügt werden, wenn er eine Verfahrensvorschrift betrifft, auf deren Beachtung die Prozessbeteiligten verzichten können und verzichtet haben. Zu diesen sog. verzichtbaren Mängeln gehört auch die Verletzung des Grundsatzes der Unmittelbarkeit der Beweisaufnahme.
4. Ein die Zulassung der Revision nach § 115 Abs. 2 Nr. 2 Alternative 2 FGO eröffnender schwerwiegender materiell-rechtlicher Fehler ist allenfalls dann anzunehmen, wenn der Beschwerdeführer schlüssig und substantiiert nicht nur die angewendeten Schätzungsgrundsätze und ‐methoden, sondern auch das Ergebnis der Schätzung und deren rechnerische Details als objektiv willkürlich mit Erfolg angreifen kann.
Normenkette
FGO § 96 Abs. 2, § 115 Abs. 2 Nrn. 2-3, § 116 Abs. 3 S. 3, § 155; ZPO § 295
Verfahrensgang
FG Mecklenburg-Vorpommern (Urteil vom 23.11.2006; Aktenzeichen 2 K 761/03) |
Gründe
Die Beschwerde ist unzulässig, weil ihre Begründung nicht den Anforderungen des § 116 Abs. 3 Satz 3 der Finanzgerichtsordnung (FGO) entspricht.
1. Die von den Klägern und Beschwerdeführern (Kläger) erhobenen Sachaufklärungsrügen sind unsubstantiiert.
a) Machen die Beschwerdeführer --wie im vorliegenden Fall--
einen Verstoß gegen die Sachaufklärungspflicht mit der Begründung geltend, das Finanzgericht (FG) habe auch ohne entsprechende Beweisantritte von Amts wegen den Sachverhalt weiter aufklären müssen, so sind sie gehalten, u.a. substantiiert auszuführen,
- welche entscheidungserheblichen Tatsachen sich bei einer weiteren Sachaufklärung oder Beweisaufnahme voraussichtlich ergeben hätten,
- inwiefern eine weitere Aufklärung des Sachverhalts auf der Grundlage des materiell-rechtlichen Standpunkts des FG zu einer anderen Entscheidung hätte führen können und
- dass der Mangel in der (nächsten) mündlichen Verhandlung vor dem FG gerügt wurde oder --falls dies nicht geschehen sein sollte-- aus welchen (entschuldbaren) Gründen eine dahingehende Rüge unterblieb (vgl. z.B. Gräber/Ruban, Finanzgerichtsordnung, 6. Aufl., § 120 Rz 70, m.w.N.).
b) Zu sämtlichen genannten Erfordernissen haben die Kläger keine (hinlänglichen) Angaben gemacht.
2. Soweit die Kläger beanstanden, das FG habe in dem angefochtenen Urteil "die völlig neue und überraschende Hilfsüberlegung angestellt", dass der Kläger "als Eigenhändler im Rahmen seiner abhängigen Beschäftigung (..) tätig gewesen sei", machen sie damit sinngemäß einen Verstoß gegen den Grundsatz des rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 des Grundgesetzes, § 96 Abs. 2 FGO) geltend.
a) Bezieht sich der (vorgebliche) Verstoß gegen den Grundsatz des rechtlichen Gehörs --wie hier-- nur auf einzelne Feststellungen oder rechtliche Gesichtspunkte, so verlangt die ständige Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs für die zulässige Gehörsrüge, dass der Beschwerdeführer im Einzelnen schlüssig darlegt, was er bei ausreichender Gewährung des rechtlichen Gehörs noch (zusätzlich) vorgetragen hätte und dass dies --unter Zugrundelegung des vom FG vertretenen materiell-rechtlichen Standpunkts-- zu einer anderen Entscheidung hätte führen können.
b) Dazu fehlen in der Beschwerdebegründung jegliche Angaben.
3. Unschlüssig ist ferner die Rüge der Kläger, das FG habe "gegen den Grundsatz der Unmittelbarkeit der Beweisaufnahme verstoßen …, indem es Aussagen aus der Vernehmung durch das Zollfahndungsamt ohne eigene Vernehmung des Aussagenden verwertet (habe)".
Die Kläger haben insoweit schon nicht --wie es geboten gewesen wäre (vgl. z.B. Gräber/Ruban, a.a.O., § 116 Rz 49, m.w.N.)-- dargelegt, dass die angegriffene FG-Entscheidung ohne den (vermeintlichen) Verfahrensverstoß --auf der Grundlage des vom FG eingenommenen materiell-rechtlichen Standpunkts-- hätte anders ausfallen können.
Abgesehen davon kann ein Verfahrensmangel nicht mehr mit Erfolg gerügt werden, wenn er eine Verfahrensvorschrift betrifft, auf deren Beachtung die Prozessbeteiligten verzichten können und verzichtet haben (vgl. § 155 FGO i.V.m. § 295 der Zivilprozessordnung). Zu diesen sog. verzichtbaren Mängeln gehört auch die hier gerügte Verletzung des Grundsatzes der Unmittelbarkeit der Beweisaufnahme (vgl. z.B. Gräber/Ruban, a.a.O., § 115 Rz 100 und 101, m.w.N.).
Im Streitfall haben die im FG-Verfahren fachkundig vertretenen Kläger indessen nicht vorgetragen, dass sie vor dem FG eine entsprechende Rüge erhoben hätten.
4. Schließlich haben die Kläger auch nicht schlüssig und substantiiert dargelegt, dass die Zulassung der Revision gemäß § 115 Abs. 2 Nr. 2 Alternative 2 FGO wegen eines besonders schwerwiegenden materiell-rechtlichen (Schätzungs-)Fehlers geboten sei (vgl. dazu die Begründung zum Entwurf des Zweiten Gesetzes zur Änderung der Finanzgerichtsordnung und anderer Gesetze vom 19. Dezember 2000, BTDrucks 14/4061, S. 9; ferner Senatsbeschluss vom 1. September 2004 X B 162/03, BFH/NV 2005, 224, unter 2.e, m.w.N.).
Solches wäre allenfalls dann anzunehmen, wenn die Kläger schlüssig und substantiiert nicht nur die angewendeten Schätzungsgrundsätze und -methoden, sondern auch das Ergebnis der Schätzung und deren rechnerische Details als objektiv willkürlich hätten angreifen können. Letzteres trifft indessen nicht zu. Angesichts des Umstands, dass die Kläger ihre aus § 90 Abs. 1 und 2 der Abgabenordnung herzuleitenden Mitwirkungspflichten in gravierender Weise verletzt und die Herkunft der regelmäßigen Bareinzahlungen auf das Konto Nr. … bei der X-Bank in beträchtlicher Höhe zum weitaus überwiegenden Teil nicht schlüssig erklären konnten bzw. erklärt haben, war das FG berechtigt, diese Bareinzahlungen zum Ausgangspunkt seiner Schätzungen der Besteuerungsgrundlagen zu nehmen.
Fundstellen
Haufe-Index 2002796 |
BFH/NV 2008, 1346 |