Entscheidungsstichwort (Thema)
Verbindung von Klageverfahren unterschiedlicher Kläger
Leitsatz (NV)
- Eine Verbindung von Klageverfahren unterschiedlicher Kläger nach § 73 Abs. 1 FGO kommt grundsätzlich nur dann in Betracht, wenn diese Kläger sämtlich jeweils an dem oder den streitigen Steuerrechtsverhältnis(sen) oder dem Rechtsvorgang beteiligt sind, durch den der Steuertatbestand verwirklicht wurde.
- Verwirklichen unterschiedliche Personen durch unterschiedliche Rechtsakte der Grunderwerbsteuer unterliegende Erwerbsvorgänge, darf über Klagen, mit denen sich diese Personen gegen die Festsetzung von Grunderwerbsteuer wegen dieser Erwerbsvorgänge wenden, nicht einheitlich entschieden werden. Denn es handelt sich insoweit um unterschiedliche Steuerrechtsverhältnisse und unterschiedliche Rechtsvorgänge, an denen jeweils nur die einzelnen Kläger beteiligt sind.
Normenkette
FGO § 73 Abs. 1; AO 1977 § 30; ZPO §§ 59-60; GrEStG
Tatbestand
I. Die Klägerin und Revisionsklägerin zu 1 (Klägerin zu 1), eine Naamloze Vennootschap (N.V.) mit Sitz in den Niederlanden erwarb durch Verträge vom 28. Februar 1992
- 25,1355 v.H. der Anteile an der A B.V. sowie
- alle Anteile an der B B.V., die ihrerseits 74,8645 v.H. der Anteile an der A B.V. hielt.
Die A B.V. war Alleingesellschafterin der C B.V., die ihrerseits als Gesellschafterin unmittelbar zu 60 v.H. sowie über eine 100 v.H.-Beteiligung an der D B.V. mittelbar zu weiteren 40 v.H. an der N-GmbH, einer Gesellschaft mit inländischem Grundbesitz, beteiligt war.
Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt ―FA―) nahm eine mittelbare Vereinigung aller Anteile an der N-GmbH in der Hand der Klägerin zu 1 an und setzte durch Bescheid vom 1. März 1996 Grunderwerbsteuer nach einer Gegenleistung von 4 742 780 DM (140 v.H. des Einheitswerts der der N-GmbH gehörenden Grundstücke) in Höhe von 94 855 DM gegen die Klägerin zu 1 fest.
Die Klägerin und Revisionsklägerin zu 2 (Klägerin zu 2), eine GmbH mit Sitz im Inland, deren Alleingesellschafterin die Klägerin zu 1 ist, erwarb durch Vertrag vom 22. Dezember 1992 von der C B.V. sowie der D B.V. alle Anteile an der N-GmbH.
Das FA sah hierin eine Vereinigung aller Anteile an der N-GmbH in der Hand der Klägerin zu 2 und setzte durch weiteren Bescheid vom 1. März 1996 gegen die Klägerin zu 2 Grunderwerbsteuer in Höhe von ebenfalls 94 855 DM fest.
Die Klägerinnen zu 1 und 2 haben jeweils gegen die an sie ergangenen Bescheide Einspruch eingelegt und ―nachdem diese erfolglos blieben― gegen die getrennt ergangenen Einspruchsentscheidungen vom 16. September 1997 in einem Schriftsatz gemeinsam Klage erhoben.
Das Finanzgericht (FG), das eine Streitgenossenschaft i.S. von § 59 der Finanzgerichtsordnung (FGO) i.V.m. § 60 der Zivilprozessordnung (ZPO) annahm, hat über beide Klagen in einem einheitlichen Urteil entschieden.
Die Klägerinnen zu 1 und 2 haben Revision eingelegt und beantragen, das FG-Urteil sowie die angefochtenen Bescheide aufzuheben.
Entscheidungsgründe
II. Nach § 73 Abs. 1 FGO kann das Gericht durch Beschluss mehrere bei ihm anhängige Verfahren zu gemeinsamer Verhandlung und Entscheidung verbinden und wieder trennen. Die Trennung bzw. Verbindung von Verfahren ist grundsätzlich in jedem Verfahrensabschnitt, d.h. auch im Revisionsverfahren möglich (vgl. Koch in Gräber, Finanzgerichtsordnung, 5. Aufl., § 73 Rn. 20).
Die Trennung der Revisionsverfahren ist im Streitfall geboten, weil der einheitlichen Entscheidung der Verfahren wesentliche Interessen der Beteiligten entgegenstehen.
Die einheitliche Entscheidung mehrerer selbständiger Verfahren unterschiedlicher Kläger kommt wegen der auch das Gericht bindenden Verpflichtung, das Steuergeheimnis zu wahren (§ 30 der Abgabenordnung ―AO 1977―), regelmäßig nur dann und insoweit in Betracht, wie die Voraussetzung einer Streitgenossenschaft (vgl. § 59 FGO i.V.m. §§ 59 ff. ZPO) gegeben sind. Die Streitgenossenschaft erfordert entweder, dass die mehreren Kläger hinsichtlich des Streitgegenstandes in Rechtsgemeinschaft stehen oder aus demselben tatsächlichen und rechtlichen Grund berechtigt oder verpflichtet sind (§ 59 ZPO) oder dass gleichartige und auf einem im Wesentlichen gleichartigen tatsächlichen und rechtlichen Grunde beruhende Ansprüche oder Verpflichtungen den Gegenstand des Rechtsstreits bilden (§ 60 ZPO). Für den Steuerprozess bedeutet dies, dass eine Verbindung von Klageverfahren unterschiedlicher Kläger grundsätzlich nur dann in Betracht kommt, wenn diese Kläger sämtlich jeweils an dem oder den streitigen Steuerrechtsverhältnis(sen) oder dem Rechtsvorgang beteiligt sind, durch den der Steuertatbestand verwirklicht worden ist. Liegen diese Voraussetzungen nicht vor, kann weder von einer Rechtsgemeinschaft noch von einer Gleichartigkeit von Ansprüchen oder Verpflichtungen gesprochen werden (vgl. Beschluss des Bundesfinanzhofs ―BFH― vom 30. Juli 1997 II R 33/97, BFHE 183, 36, BStBl II 1997, 626, und vom 4. März 2002 II R 85/99, nicht veröffentlicht). Dies hat das FG verkannt.
Verwirklichen ―wie im Streitfall― unterschiedliche Personen durch unterschiedliche Rechtsakte der Grunderwerbsteuer unterliegende Erwerbsvorgänge, kommt eine einheitliche Entscheidung über Klagen, mit denen sich diese Personen gegen die Festsetzung von Grunderwerbsteuer wegen dieser Erwerbsvorgänge wenden, nicht in Betracht. Denn es handelt sich insoweit um unterschiedliche Steuerrechtsverhältnisse und unterschiedliche Rechtsvorgänge, an denen jeweils nur die einzelnen Kläger beteiligt sind.
Fundstellen
Haufe-Index 845872 |
BFH/NV 2002, 1610 |