Entscheidungsstichwort (Thema)
Wiedereinsetzung in den vorigen Stand: Glaubhaftmachung des fehlenden Verschuldens an der Fristversäumung
Leitsatz (NV)
Das fehlende Verschulden an der Fristversäumung (hier: Revisionsfrist) ist nicht glaubhaft gemacht, wenn das Vorbringen des Säumigen die Möglichkeit offen lässt, dass die Fristversäumung (auch) auf dem unsorgfältigen Handeln eines von der prozessbevollmächtigten Wirtschaftsprüfungsgesellschaft mit der Sache betrauten Berufsträgers beruht.
Normenkette
FGO § 56 Abs. 1, 2 S. 2; ZPO § 85 Abs. 2
Verfahrensgang
Sächsisches FG (Urteil vom 11.03.2008; Aktenzeichen 5 K 139/05) |
Tatbestand
I. Mit Urteil vom 11. März 2008 5 K 139/05 hat das Sächsische Finanzgericht (FG) die von der Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) erhobene Klage abgewiesen; die Revision hat das FG zugelassen. Das FG-Urteil wurde der von der Klägerin bevollmächtigten Wirtschaftsprüfungsgesellschaft mittels Postzustellungsurkunde am 22. März 2008 (Karsamstag) zugestellt. Mit am Donnerstag, den 24. April 2008, beim Bundesfinanzhof (BFH) eingegangenem Schriftsatz hat die Klägerin Revision gegen das FG-Urteil eingelegt.
Nachdem die Klägerin mit am 30. Mai 2008 zugegangenem richterlichen Hinweis auf die Versäumung der Revisionsfrist hingewiesen wurde, hat sie am 13. Juni 2008 Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragt. Zur Begründung trägt sie u.a. vor, das FG-Urteil sei von der Posteingangsstelle ihrer Prozessbevollmächtigen zur Fristerfassung an deren langjährige, geschulte und vertrauenswürdige Mitarbeiterin B, deren Tätigkeit bislang keinerlei Anlass zu Beanstandungen gegeben habe, weitergeleitet worden; diese habe als Datum des Zugangs des Urteils den 25. März 2008 (Dienstag nach Ostern) im elektronischen Fristenkontrollprogramm eingetragen. Ein Zustellungsnachweis (gelber Umschlag) habe dem Urteil zu diesem Zeitpunkt nicht beigelegen, so dass B "den normalen Posteingang" zugrunde gelegt habe. Die fehlerhafte Erfassung der Revisionsfrist habe daher darauf beruht, dass der Zustellungsnachweis unverschuldet verlorengegangen sei und deshalb bei der Fristerfassung keine Berücksichtigung habe finden können.
Entscheidungsgründe
II. Die Revision ist unzulässig und deshalb gemäß § 126 Abs. 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO) durch Beschluss zu verwerfen.
1. Die Revision ist erst nach Ablauf der in § 120 Abs. 1 Satz 1 FGO bestimmten Monatsfrist beim BFH eingegangen. Die Frist beginnt gemäß § 120 Abs. 1 Satz 1 FGO mit Zustellung des angefochtenen Urteils an den Revisionskläger. Die Zustellung des FG-Urteils an die Prozessbevollmächtigte der Klägerin ist ausweislich der Postzustellungsurkunde am 22. März 2008 erfolgt; somit lief die Revisionsfrist am 22. April 2008 (einem Dienstag) ab. Die Revisionsschrift ist erst zwei Tage nach diesem Zeitpunkt beim BFH eingegangen.
2. Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gemäß § 56 FGO kann nicht bewilligt werden.
a) Wiedereinsetzung ist zu gewähren, wenn jemand ohne Verschulden an der Einhaltung der gesetzlichen Frist gehindert war (§ 56 Abs. 1 FGO). Hiernach schließt jedes Verschulden --also auch einfache Fahrlässigkeit-- die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand aus (Senatsurteil vom 29. April 2008 I R 67/06, BFH/NV 2008, 1621, zur amtlichen Veröffentlichung bestimmt, m.w.N.). Der Beteiligte muss sich ein Verschulden seines Prozessbevollmächtigten zurechnen lassen (§ 155 FGO i.V.m. § 85 Abs. 2 der Zivilprozessordnung --ZPO--). Die Tatsachen, die auf ein fehlendes Verschulden schließen lassen, sind vom Antragsteller glaubhaft zu machen (§ 56 Abs. 2 Satz 2 FGO).
b) Im Streitfall hat die Klägerin ein fehlendes Verschulden ihrer Prozessbevollmächtigten an der Fristversäumung nicht glaubhaft gemacht; ihr Vorbringen lässt vielmehr die Möglichkeit offen, dass es sich bei dem die Fristversäumung verursachenden Fehlverhalten nicht nur um ein Büroversehen der Mitarbeiterin B gehandelt, sondern dass auch ein von der Prozessbevollmächtigten der Klägerin mit der Sache befasster Berufsträger (Rechtsanwalt oder Steuerberater) unsorgfältig gehandelt hat.
Nach den von der Klägerin vorgelegten "Policy zur Fristenkontrolle" (Gliederungspunkt 1. "Bearbeitung der Fristsachen durch die Fachmitarbeiter") ihrer Prozessbevollmächtigten sind Fristsachen spätestens am Tag nach dem Posteingang dem für das Mandat zuständigen Berufsträger vorzulegen; dieser prüft unter anderem, ob für jede Frist ein Fristenkontrollblatt angelegt wurde und ob die Fristberechnung korrekt ist. Nach dem Vorbringen der Klägerin soll eine Überprüfung im Streitfall stattgefunden haben --durch wen, bleibt offen--, bei der mangels vorhandenen Zustellungsnachweises die Fehlerhaftigkeit des eingetragenen Zeitpunkts für den Fristbeginn nicht habe bemerkt werden können. Diese nicht weiter erläuterte Behauptung widerspricht indes den Eintragungen in dem als Anlage eingereichten Fristenkontrollblatt. Dieses enthält unter der Rubrik "Fristsache korrekt erfasst?" die (undatierte) handschriftliche Bemerkung "Zustellung nicht erkennbar!!!", die mit einem Kürzel abgezeichnet ist, welches sich an anderen Stellen im Fristenkontrollblatt über der Bemerkung "Kürzel Berufsträger" befindet. Des Weiteren wurde in der Rubrik "Fristsache korrekt erfasst?" weder das Kästchen für "ja" noch jenes für "nein" angekreuzt. Das legt die Annahme nahe, dass der mit der Überprüfung der Fristerfassung betraute Berufsträger das Fehlen des Zustellungsnachweises zwar bemerkt, gleichwohl aber keine Maßnahmen ergriffen hat, den Zustellungszeitpunkt anderweit (z.B. durch Nachfrage beim FG) in Erfahrung zu bringen; ein solches Verhalten wäre jedenfalls als schuldhafte Verletzung der Sorgfaltspflicht anzusehen. Da ein solches Fehlverhalten nach dem Vorbringen der Klägerin nicht ausgeschlossen werden kann, reicht dieses zur Darlegung des fehlenden Verschuldens an der Fristversäumung nicht aus.
Fundstellen